Antarktika Part Two: Südgeorgien

Mit dem Expeditionsschiff MS Hanseatic ins ewige Eis.

Prolog: Extrem Cool
Gegen eine Expedition zum Südpol ist eine Reise zum Nordpol ein Mallorcaurlaub. Mit 14,2 Millionen Quadratkilometern ist der Kontinent Antarktika nahezu doppelt so groß wie Australien. Fast vollständig ist er von Eis bedeckt. Ein gewaltiger Panzer, der mit einer durchschnittlichen Mächtigkeit von 2.500 Metern die Landmassen inklusive der über 4.000 Meter hohen subglazialen Gebirge tief nach unten drückt. Würde das Eis schmelzen, stiege der Kontinent um 500 Meter empor. 89 Prozent der gesamten Eismenge der Erde ist hier gebunden. Bei Temperaturen bis zu minus 89 Grad Celsius wüten Orkane mit Windgeschwindigkeiten von annähernd 320 Kilometern pro Stunde darüber hinweg. Nun, bis in diese lebensfeindlichen Gebilde werden wir nicht vordringen. Aber die antarktische Halbinsel und einige vorgelagerte Inseln werden wir besuchen.

11. und 12. November 2014 – Was ist los mit der Scotia Sea?
Unsere Reise startete in den lehmigen Fluten des Rio de la Plata im Hafen von Buenos Aires. Vor gut sechs Tagen. Die warmen Tage des argentinischen Frühlings kehrten sich um in immer kühlere und kürzere, je weiter wir entlang der südamerikanischen Küste dem Kreuz des Südens folgten. Schließlich erreichten wir die Falklandinseln, die britische Enklave im Südatlantik. Dort trafen wir gemeinsam mit Küchenchef Michael Kappeler und Proviantmeister Marc Ellermann den urigen Gärtner Tim Miller, der den südlichsten Gartenbetrieb dieses Planeten unterhält und der unser Schiff aufs Vortrefflichste mit frischen Salaten und Gemüse versorgte. Dort befanden sich auch die letzten Siedlungen, in denen Menschen dauerhaft leben. Die Gegenden, die wir in den nächsten 14 Tagen ansteuern, sind zu lebensfeindlich, dort fristet kein Mensch mehr sein Dasein, sieht man von ein paar Wissenschaftlern und Betreibern von Forschungsstationen ab. Auch die Walfänger und Robbenschläger sind seit der Ächtung ihres blutigen Handwerks, Gott sei Dank, verschwunden. Wir befinden uns mitten in der Scotia Sea, einem Teil des Südatlantiks, mit Kurs auf Südgeorgien, einer Inselregion, die ebenfalls zu den Britischen Überseegebieten zählt und wie die Falklandinseln von Argentinien beansprucht wird. Die See ist ungewöhnlich ruhig – nur 1,5 Meter Wellengang bei sechs Grad Wasser- und acht Grad Lufttemperatur. Dazu scheint die Sonne. Sonnencremewetter, hier im Süden strahlt unser zentraler Stern brutal in die Atmosphäre. Entsprechend gekleidet lässt es sich heute bestens an Deck des Bistro-Restaurants frühstücken. “Was ist bloß mit diesem Meer?“, scherzt unser Kellner. “Hab’ ich hier noch nie so ruhig erlebt.“ Üblicherweise müssen die Servicekräfte hier zirkusreif mit den Tabletts jonglieren. Denn dieser Meeresabschnitt ist berüchtigt für üble Stürme und schneidende Kälte. Während wir an Bord das milde Wetter genießen, zieht die Hanseatic langsam an der Orthelia vorbei. Ein altes russisches Forschungsschiff, das nun ebenfalls Expeditionskreuzfahrten unternimmt. Sie ist im Vergleich zu unserem Luxusschiff mit fünf Sternen im Berlitz Cruise Guide weit weniger komfortabel, etwas kleiner und, wie man sieht, langsamer. Das bedeutet letztlich, dass weniger Destinationen angelaufen werden können.

Unterwegs auf allen Weltmeeren
Wir treffen uns zu einem Gespräch mit unserem Kapitän Thilo Natke auf der Brücke, die den Gästen so gut wie immer zum Besuch offen steht. Natke wirkt immer cool, souverän und gelassen. Das Ganze gepaart mit einem subtilen Humor. Ein erfahrener Mann, der diese Route zur Zeit unserer Reise schon zum 83. Mal fährt. Die Hanseatic ist auf allen Gewässern weltweit unterwegs, besonders auf Passagen, die aufgrund ihrer Größe oder mangelnden Festigkeit den großen Cruise Ships versagt bleiben. So die Eiswelt des hohen Nordens oder die Flusslandschaft des Amazonas.
Natkes nautische Karriere begann 1979. Zu jener Zeit fand er als Praktikant und Offiziersassistent den Einstieg in die Seefahrt. “Nur wer eineinhalb Jahre diese Position bekleidete, hatte damals die zwingende Voraussetzung für den Antritt eines Nautik-Studiums erfüllt.“ – Das ist heute nicht mehr so. Sechs Semester drückte unser Kapitän in der Hansestadt Bremen die Schulbank, lernte fleißig und erlangte so das Patent zum Wachoffizier. Mit dieser Urkunde war es ihm möglich, als zweiter oder dritter Offizier in See zu stechen und nach zwei Jahren nachgewiesener Seefahrtszeit das Kapitänspatent zu erhalten. Auch diesen Teil der Ausbildung meisterte Natke mit Bravur. “Ein Kapitänspatent zu besitzen, bedeutet aber nicht gleichzeitig auch, dass man Kapitän ist, sondern nur die Befähigung dazu hat.“ In den darauffolgenden Jahren arbeitete er sich langsam hoch, bis an die Spitze der Offiziersleiter. Zu Beginn fuhr er überwiegend auf Frachtschiffen mit und wechselte 1990 in die Position des zweiten Offiziers auf ein Passagierschiff. Thilo Natke fuhr für eine Bremer Reederei einige Jahre kleine Expeditionsschiffe. 1993 heuerte er bei Hapag-Lloyd an und kam somit auch an Bord der MS Hanseatic. Er stieg zum Chief Officer auf und bekam 1997 erstmals das Kommando als Kapitän. Zusätzlich fuhr Natke hin und wieder das Schwesterschiff der MS Hanseatic, die MS Bremen. Auf der MS Bremen ist Natke nur noch selten anzutreffen. “Seit 1999 bin ich fest auf der MS Hanseatic und vertrete nur vereinzelt meine Kollegen.“ Drei bis vier Expeditionsfahrten mache er im Jahr. Der übliche Turnus sei, vier Monate auf See und zwei Monate an Land zu verbringen. Thilo Natke einigte sich mit seinem Kollegen jedoch auf eine interne Regelung. “Demnächst führen wir einen neuen Rhythmus ein, sodass jeder regelmäßig zweieinhalb Monate an Bord und zweieinhalb Monate an Land ist.“

Wenn ihnen das Wetter hier nicht passt, kommen Sie in einer Stunde wieder.
Am wohlsten fühlt sich unser Kapitän aber hier an Bord. Und diese Route ist seine Lieblingsstrecke; die Antarktis, die wilden Meere und das eisige Land südlich des 60. Breitengrades, die antarktische Grenze. Abenteuer pur, keine lässigen Landgänge wie bei einer Mittelmeer-Kreuzfahrt. Hier geht es raus mit Zodiacs. Zwar ist eine Reise mit der Hanseatic exakt durchgeplant, doch verlangt diese Route große Flexibilität. In kurzer Folge können sich Wetter- und Eisgegebenheiten so sehr ändern, dass geplante Anlandungen zu gefährlich werden. Dann muss eine Alternative her. Da hilft die Erfahrung. Wo kann die Bedingung besser sein und wo gibt es zu dieser Zeit Interessantes zu sehen? Im Team mit den mitreisenden Lektoren – Wissenschaftlern verschiedener Disziplinen, die Vorträge halten und Ausflüge begleiten – wird flexibel und spontan entschieden. Dabei muss berücksichtigt werden, dass aufgrund der strengen internationalen Umweltschutzbedingungen nicht mehrere Schiffe denselben Ort besuchen dürfen. Aber das Land ist riesig und es sind kaum mehr als dreißig Schiffe, die hier cruisen. Viele von ihnen nehmen ohnehin Reißaus, wenn die Eisberge zu nahe kommen – zu gefährlich wenn man nicht wie unser Schiff über die höchste Eisklasse 4 verfügt. “Ich habe noch keine Antarktisreise erlebt, bei der wir unseren Fahrplan einhalten konnten. Irgendwas Unerwartetes passiert immer, aber das ist genau der Punkt, warum ich diese Route so mag“, schmunzelt Natke. Auch der direkte Eiskontakt gehört für ein Schiff wie unseres dazu. Und wenn man feststeckt, was macht man dann? “Dann fährt man einfach wieder raus“, lautet die Antwort. “Dass ich mit einer Eissituation mal nicht klar komme, ist eigentlich ausgeschlossen. Das ist für mich täglich Brot.“ Und der Gast spielt da immer mit? “Unsere Gäste wissen, worauf sie sich einlassen. Wenn ihnen das Wetter hier in der Antarktis nicht gefällt, sage ich immer, kommen Sie in einer Stunde wieder“, lacht Natke “dann können sich die Schneestürme gelegt haben und Sie stehen unter blauem Himmel.“ Genau so ist das, und genau so werden wir es erleben, und das Ganze auch wesentlich schneller als in einer Stunde. Nun hört sich das alles ja recht locker an. Doch für den Ablauf an Bord, hinter den Kulissen, ist so eine Planänderung großer Stress. Essenszeiten ändern sich, Programmpunkte werden verlegt, der gesamte logistische Ablauf muss umorganisiert werden. Mal eben die Menüs für 170 Gäste zwei Stunden früher servieren. Oder eine Bordparty veranstalten, weil ein Ausflug ausfallen musste. Respekt den 125 Crewmitgliedern.

Der Antarktisknigge
Es ist Mittwoch, der 12. November 2014. Eine neue Zeitzone. Wir haben unsere Uhren um eine Stunde vorgestellt. Eigentlich unnötig, da an unserem Reiseziel niemand mehr wohnt. Aber so können wir den Tag besser nutzen. Das Bistro Lemaire bietet ab 6 Uhr 30 Kaffee und Gebäck für Frühaufsteher. Ab 8 Uhr gibt es dann “richtiges“ Frühstück, sowohl im Bistro wie auch im Hauptrestaurant Marco Polo. Zur gleichen Zeit beginnt Gymnastik auf See – heute mit Übungen, die man auch bei Seegang durchführen kann. Gerätefitness gerät im Südatlantik zusätzlich zum Balanceakt, selbst das simple Laufband stellt bei hoher Dünung sportliche Ansprüche an den Gleichgewichtssinn. Das Schiff hat mittlerweile die antarktische Konvergenz, die Grenze zwischen dem antarktischen Oberflächenwasser und dem des Südpazifiks und des Indischen Ozeans überquert. Jetzt befinden wir uns in antarktischen Gewässern, was sich durch einen steilen Abfall der Wassertemperatur von sechs auf zwei Grad bemerkbar macht.
Um 10 Uhr beginnt eine Pflichtveranstaltung für alle, die an Landgängen teilnehmen möchten. IAATO – Verhalten bei Anlandungen in der Antarktis. Die “International Association of Antarctica Tour Operators” (IAATO) wurde 1991 von sieben Reiseveranstaltern gegründet. Die mittlerweile 100 Mitglieder garantieren eine umweltneutrale und sichere Reise in die Antarktis. Für mich sind diese Maßregeln schon nichts Neues mehr. Als Journalist habe ich eine offizielle Foto- und Drehgenehmigung sowohl vom Gouvernement Südgeorgiens als auch vom deutschen Umweltbundesamt mit entsprechendem Briefing erhalten. Letzteres ließ mich gar einen regelrechten Vertrag unterzeichnen. Unter anderem mit der Verpflichtung, keine Bilder zu veröffentlichen, auf denen Distanzen von fünf Metern bei Pinguinen und fünfzehn Metern bei Robben unterschritten werden – der vorgeschriebene Mindestabstand zu den Tieren. Auch muss ich diese Veröffentlichung der Behörde vorlegen. Die strengen Regeln sind zum Schutz der Antarktis gut und richtig. Unberührt und wild soll hier alles bleiben. In der Realität ist das Einhalten der Distanzregel nicht ganz so einfach. Kein Problem bei den großen Robben – die sind aggressiv und bissig. Hingegen lieben es Baby-See-Elefanten zu den Landgängern zu robben, um an deren Hosen herumzunuckeln oder sich streicheln zu lassen, wobei letzteres allerdings streng verboten ist. Ebenso die Pinguine. Sie stellen sich neugierig direkt neben die merkwürdig großen Zweibeiner, die ihnen in ihren signalroten Wetterjacken formal nicht unähnlich sind. Passive Annäherung sei das, und das sei okay so, erklärt uns Dr. Arne Kertelhein, der Expeditionsleiter. Sonst müsse man ja ständig vor den Tieren davonlaufen.
Dr. Kertelhein beherrscht eine unvergleichlich humorvolle Vortragskunst, und so wird sein Briefing zu den Verhaltensregeln ein amüsanter Zeitvertreib. Im Wesentlichen ist ergänzend zu den Distanzregeln folgendes zu beachten: Den Tieren dürfen die Wege nicht versperrt werden. Selbstverständlich darf man sie nicht füttern und beim Fotografieren bitte nicht blitzen. Generell ist die Mitnahme von Lebensmitteln an Land untersagt. Zudem wird darauf geachtet, das Kontaminierungen durch Touristen vermieden werden. Vor und nach jedem Landgang müssen die Gummistiefel der Passagiere desinfiziert werden. An Land ist bei Wanderungen die Vegetation zu schonen, nichts darf verändert, nichts mitgenommen werden. Auch nicht der kleinste Stein. Kein Müll darf hinterlassen werden, und der guten Ordnung halber weist Kertelhein darauf hin, dass nichts mit Grafitti verziert werden darf. Tatsächlich sei das vorgekommen. So hätten Gäste ihrer Kreativität durch das Bemalen von Findlingen mit “Hanseatic was here“ Ausdruck verliehen. Was zwei Stunden Schrubben und Reinigen nach sich zog. Zur eigenen Sicherheit sind die Gäste angehalten, nichts auf eigene Faust zu unternehmen und auf die gut getarnten – sie sehen aus wie Felsen – bissigen Robben zu achten. Die Bisse würden schreckliche Wunden verursachen, scherzt unser Vortragskünstler. Infektionen, Wundbrand und Amputation der Gliedmaßen seien die unvermeidbare Folge. Damit jeder im Gelände gut sichtbar ist, trägt man leuchtende Parkas. Rot für den Gast, gelb für die Lektoren. Das Ein- und Auschecken mit dem Bordausweis stellt sicher, dass niemand an Land vergessen wird.

Die Kolonie der Königskormorane
Um 12 Uhr erfolgt das Precap für die morgigen Anlandungen. Precaps werden von unserer Kreuzfahrtdirektorin und den mitreisenden Wissenschaftlern abgehalten und informieren über das, was den Gast an Land erwartet. Geologie, Tier- und Pflanzenwelt, gegebenenfalls historische Ereignisse. Nachgearbeitet werden die Landgänge in Recaps. Diese Veranstaltungen gehören aufgrund der Qualität der Vorträge zu den Höhepunkten der Zeit an Bord und sind Teil eines guten Expeditionskreuzfahrtenkonzepts. Anspruchsvolles Infotainment statt bunter Shows.
Nach dem Mittagessen im Marco Polo Restaurant, heute gibt es ein opulentes Tapas Buffet, erwartet uns ein weiterer Höhepunkt. Wir passieren die Shag Rocks, ein paar einsame Felsen, Landsplitter des südamerikanischen Kontinents, mitten in der Scotia Sea. Über und über bevölkert mit Königskormoranen. Für diese Scharbenvögel – englisch: Shag – bieten die Felsen inmitten ihrer Jagdgebiete eine ideale Brutstätte und eine der größten Kolonien. Gut 2.000 Paare brüten hier auf drei kargen Felsen. Ein Zeichen dafür, dass das Meer sehr nahrungsreich ist. Anlanden kann man nicht. Zu steil, zu schroff sind die bis zu 71 Meter hohen von weißen Guanokappen überzogenen Rocks. Einzig ein argentinischer Geologe ließ sich 1956 von einem Hubschrauber hier abseilen. “Was muss das für die Vögel für ein Schock gewesen sein“, murrt unsere drahtige Vogelkundlerin Sylvia Stevens.

Donnerstag, 13. November 2014. Enttäuscht, Captain Cook?
Im schwachen Dämmerlicht erreichen wir die Bay of Isles, eine 16 Kilometer breite Bucht an der Nordküste Südgeorgiens. Vermutlich wurde die Inselgruppe bereits 1675 von dem britischen Kaufmann Antoine de la Roché entdeckt, der sich aufgrund des schlechten Wetters ein wenig versegelte. So um etwa 1.400 Kilometer, denn so weit sind wir nun von der südamerikanischen Küste entfernt. 1775 erkundete der englische Seefahrer James Cook auf der Suche nach dem sagenumwobenen Südkontinent Terra Australis incognita diese Inseln. Er kartographierte ein bisschen an der Nordinsel herum, gab auch der Bay of Isles ihren passenden Namen – es ist nicht schwer zu erahnen, dass die Bucht voller kleiner Inselchen steckt – und segelte dann weiter zur Südspitze der Hauptinsel. Dort wurde ihm klar, dass dies nicht der Südkontinent sein konnte. Seine Enttäuschung darüber tat er dauerhaft kund, indem er das Südkap “Cape Disappointment” nannte. Die Inselwelt selbst erhielt den Namen seines Königs Georg III, “Isle of Georgia“.
Wir befinden uns vor der Hauptinsel, die rund 96 Prozent der gesamten Landfläche des Archipels ausmacht. 160 Kilometer ist sie lang und bis zu 30 Kilometer breit. Die Landschaft ist gebirgig und zerklüftet. Elf Berge ragen über 2.000 Meter empor, der Größte Mount Paget verfehlt knapp die 3.000er Marke. Weite Teile sind von Gletschern bedeckt, die bis zum Meer reichen und dort kalben. Spektakulär. Sie stellen auch eine unüberwindliche Barriere für die durch Walfänger eingeschleppten norwegischen Ratten dar. Die gerieten zur Plage und vernichteten einen großen Teil der bodenbrütenden Vogelwelt. Besonders hart traf es den südgeorgischen Pieper, den einzigen antarktischen Singvogel. Er überlebte nur auf kleinen vorgelagerten Inseln. Jetzt wird die Rattenplage durch Giftköder bekämpft, die von Helikoptern aus abgeworfen werden. Coole Piloten aus Neuseeland machen das. Pure Flugkunst ist hier gefragt bei diesem grausigen Wetter. Die Neuseeländer sind erfahren, hatten sie doch einst selbst dieses Schädlingsproblem. Die Gletscher helfen dabei, die Einsatzgebiete zu segmentieren. Man geht gründlich vor. Vollständig vernichten muss man die Übeltäter. Wenn nur ein Paar überlebte, wäre der ganze kostspielige Einsatz umsonst. Dort wo die Ratten ausgerottet wurden, erholt sich die Vogelwelt schleunig. Schön zu sehen, dass die Hanseatic Gäste eifrig zur Unterstützung der Aktion spenden. In einer Fundraising Aktion kann man ein rattenfreies Gebiet verschenken. Ein tolles Präsent für Leute, die sonst alles haben. Das Klima hier ist subantarktisch. Zehn Grad Celsius ist die Höchsttemperatur im Sommer – doch kann es auch in dieser Jahreszeit schneien. Während das Landesinnere das ganze Jahr mit Schnee bedeckt ist, sind die Küsten im November, dem wärmsten Monat, eisfrei. Klar, hier wächst und gedeiht nicht viel. Ein bisschen Tundra mit Tussockgras, vereinzelt ein paar Zwergsträucher, natürlich Moose und Flechten, Bäume haben keine Chance.

Rot, Gelb, Grün, Blau
Um 5 Uhr 30 wird das Schiff in der Bay of Isles vor Anker gehen, die erste Ausbootung mit den Zodiacs ist geplant. Spannend. Alle Gäste sind bereits eingewiesen und mit eigenen Wetterparkas, Gummistiefeln und Schwimmwesten ausgestattet. Die lagern in einem Spint nahe den Ausgängen. Da nicht alle gleichzeitig an Land können, sind die Passagiere in vier Farbgruppen aufgeteilt, und werden per Bordlautsprecher nacheinander aufgerufen. Die Reihenfolge wechselt dabei und wird zudem im Tagesprogramm veröffentlicht. Klar ist die Ungeduld groß. “Was glauben Sie, wie oft sich plötzlich Farben ändern, oder Leute farbenblind werden“, scherzt Ulrike Schleifenbaum, unsere Kreuzfahrtdirektorin. “Da wird schon mal Blau zu Rot, wenn man erhofft, früher von Bord zu kommen.“ Klappt aber nicht. Schleifenbaums Crew behält die Kontrolle. Ulrike Schleifenbaum ist gelernte Hotelfachfrau, lernte im Hamburger Atlantikhotel und wurde dann Reiseleiterin. Vor 14 Jahren kam sie zur Schifffahrt und stieg dann zur Kreuzfahrtdirektorin auf. Zweieinhalb Monate ist sie jetzt hier an Bord, um dann ebenso lange ihr privates Leben an Land zu führen, bevor sie wieder zurückkehrt. Auch sie gehört zu denen, die diese Antarktis-Route über alles lieben. “Obwohl ich diese Route schon einige Male gefahren bin, kann ich das nächste Mal kaum erwarten“, schwärmt sie. “Im Vergleich zu einer normalen Kreuzfahrt, wo der Focus auf dem Geschehen an Bord liegt, ist hier das Wichtigste die Expedition. Das Erkunden der Welt da draußen.“ Das entspricht auch der Erwartungshaltung all derer, die eine solche Reise buchen. Alle wollen an Land, nicht alle dürfen. Wer nicht fit genug erscheint bleibt an Bord. Knallhart aber ratsam. Zwar geht man bei guten Bedingungen an Land, doch nicht selten frischt der Wind plötzlich stark auf und die Rückkehr an Bord erfolgt durch stürmische See. Eine Art Erkundungstrupp fährt als Erster ans Ufer, um eine geeignete Stelle zum Anlanden zu finden und diese, falls unzugänglich, ein wenig für die Gäste herzurichten. Da wird schon mal eine Treppe in den Schnee geschaufelt, oder Steine werden als Ausstiegshilfe verlegt. Die mitreisenden Lektoren stecken einen mit roten Fahnen gekennzeichneten Erkundungspfad ab und bilden selbst die Streckenposten, die gerne mit Rat und Tat und Wissen behilflich sind. Erst dann folgen die ersten Boote mit den Gästen.

Der Strand der Pinguine
Wir gehören zur zweiten Gruppe, die ausgebootet wird. Thermosocken an – der Outdoorshop in unserer Heimat sollte ja auch was von dieser Reise haben – Regenhose, Stiefel, Parka, Schwimmweste, Kamera im wasserdichten Rucksack. Hin zur Gangway – mit der Karte auschecken. Vor uns der Herr bekommt eine Ansage. Jetzt ist die Gruppe Gelb dran, aber sie sind doch gar nicht gelb. Na so was.
Die Zodiacs, Hochleistungsschlauchboote, sind vom Oberdeck mittels Kran herabgehievt worden. Die Fahrer thronen bei diesem Vorgang auf ihnen, um die Leinen nach der Wasserung auszuklinken. Sieht recht cool aus. Wir desinfizieren unsere Stiefel und gehen hinab zur Plattform, wo das Zodiac auf uns wartet. Je nach Schwall der Wellen tanzt es auf und ab. Drahtige philippinische Seeleute helfen den Gästen mit geübtem Artistengriff ins Boot. Die pralle Schlauchbordwand dient als Sitz. Und auf geht es. Wir nähern uns dem Ufer. Was sind das für weiße Punkte? Das können doch nicht alles Pinguine sein? Doch. Der Strand hier nennt sich Salisbury Plain, und er beherbergt eine der größten Königspinguin-Kolonien Südgeorgiens. Zig Tausende bevölkern den langen Sandstrand. Südgeorgien ist das wichtigste Brutgebiet dieser großen wunderschönen Vögel. Etwa 400.000 Tiere umfasst ihre Population. Der Bestand der Goldschopfpinguine stellt das mit fünf Millionen kleinen Frackträgern aber noch weit in den Schatten.
Das Scoutboot hat eine gute Stelle zur Anlandung gefunden. Oft ist ein Landgang aufgrund der hohen Dünung hier am Salisbury Plain nicht möglich. Wir haben Glück und erleben die gewaltige Kolonie bei strahlender Sonne. Doch der Strand gehört den Pinguinen nicht alleine. Pelzrobben oder Seebären und See-Elefanten lungern ebenfalls zu Tausenden herum. Pelzrobben gebärden sich extrem aggressiv. Alle haben Narben von Revier- und Rivalenkämpfen. Und vor lauter Wut zerfetzt der ein oder andere auch gerne mal einen Pinguin. Besonders die Bullen scheinen latent schlecht gelaunt zu sein. Liegt es an der Kälte? Auch uns begegnen sie mit Scheinangriffen, bei denen sie sich schreiend aufrichten. Tut man das auch, verlässt sie schnell der Mut. Pelzrobben trifft man nicht überall an. Wir werden feststellen, dass dort wo sie fehlen, wie am Gold Harbour, die gesamte Stimmung unter den Tieren wesentlich gelassener ist.
Ganz anders die See-Elefanten. Mit fünf Metern Länge und fünf Tonnen Gewicht sind die Bullen die größten Robben überhaupt. Erstaunlich ist der Geschlechtsdimorphismus, denn die Weibchen bringen es noch nicht mal auf eine Tonne Gewicht. Etwa die Hälfte der Gesamtpopulation – 750.000 Tiere – lebt hier auf Südgeorgien. Untereinander lassen sich Schein- und Revierkämpfe unter den Bullen beobachten. An uns Landgängern haben die fetten Riesen kein Interesse. Zwischen den Bullen und ihren Haremsdamen Hunderte Robbenbabys, die wie Riesenmaden mit Glupschaugen alles neugierig erkunden. 40 Kilogramm haben sie bei der Geburt gewogen. Jetzt robben sie über den Strand und erkunden ihre Welt. Die aufgestellten Hanseatic Flaggen sind ein herrliches Spielzeug. Und diese Homo sapiens kann man sich ja auch einmal aus der Nähe betrachten. Oder man kriecht auf einen schlafenden Pinguin zu und scheucht ihn auf. Oh je, der hat keinen Respekt und hackt mit dem Schnabel. Na, dann lieber zurück zu seinesgleichen. Wunderbare Szenen, die sich vor einem atemberaubenden Bergpanorama, gekrönt mit einem Gletscher abspielen.

Kleine Herren im Frack
Mit 80 Zentimetern Höhe und 15 Kilogramm Gewicht sehen die Königspinguine ein wenig so aus wie die kleine Ausgabe der in der tiefen Antarktis lebenden Kaiserpinguine. Eine Kolonie dieser komischen Vögel anzusehen ist eine launige Angelegenheit. Aufgeplustert rotten die wuscheligen braunen Jungen sich zu Schulen zusammen. Sie unterscheiden sich so sehr von den Eltern, dass man sie einst für eine eigene Art hielt. Jungtiere bekommt man in einer Königspinguin-Kolonie eigentlich immer zu sehen, da die erste Eiablage Ende November beginnt, eine zweite im Februar oder März des übernächsten Jahres. Die Entwicklung der Kücken dauert 10 bis 13 Monate. Die Erwachsenen verhalten sich wie Kinder oder schusselige alte Männer. Unbeholfen tapern sie hintereinander her. Dreiergruppen formieren sich zum Balzritual. Vornweg das Weibchen, zwei Männchen hinterher. Da bekommt der Nebenbuhler einen kräftigen Hieb mit dem Flügel. Hart ist dieser und seine Oberfläche gleicht eher einem Fell, nicht einem Federkleid. Ist der Gleichschritt zwischen den Geschlechtern erreicht, geht die Sache klar. So trottelig sie an Land wirken, umso eleganter gleitet ihr hydrodynamischer Körper durch das Meer. Sie fliegen unter Wasser. Die Flügel als steife Paddel nutzend, den Schwanz als Steuerruder. Bis zu 50 km/h beschleunigt der stromlinienförmige Körper auf der Flucht vor Seeleopard oder Schwertwal. Zum Atmen schnellen sie aus dem Wasser oder meterhoch, um auf Eisschollen zu springen. 18 Arten leben auf der Südhalbkugel, bis in den Norden haben sie es nicht geschafft. Das warme Äquatorwasser bildet eine unüberwindliche Barriere. Einst haben Seeleute den “gefiederten Fischen“ oder “komischen Gänsen mit aufrechtem Gang“ schwer zugesetzt. Man tötete sie zu Tausenden, waren ja auch leicht zu fangen, aß sie auf und nutzte sie als Brennstoff, um Waltran auszukochen. Denn unter der Haut steckt eine dicke Schicht Blubber, der brennt wie Zunder. Das eigentliche Vögelchen unter der Speckschicht ist eher zart und schlank. Noch heute werden in Chile und Peru Pinguine als Fischköder eingesetzt.

Albatros und Stürme
Gegen 9 Uhr sind alle zurück an Bord. Das Wetter hat sich eingetrübt. Unser Schiff lichtet Anker und gleitet dem nächsten nahen Ziel entgegen. Prion Island. Glücklicherweise hat unser Schiff eine Besuchsgenehmigung erhalten. In wenigen Tagen wird man die Insel sperren, zum Schutz der Seebären. Die gibt es auch jetzt schon dort zu sehen, außerdem jede Menge Eselspinguine, die auf Soden von Tussockgras ihrem Brutgeschäft nachgehen. Hört man sie schreien, weiß man, woher sie ihren Namen haben. Die eigentliche Sensation auf der Insel sind die Gelege der Wanderalbatrosse rund um die Start- und Landepiste der mächtigen Vögel auf einem Plateau hoch über dem Strand. Kennt man aus Bernhard und Bianca. Zwischen den Gräsern ruhen Jungvögel in ihren Nestern. Ein Altvogel liefert eine perfekte Show für uns Bewunderer und spannt hinter seinem Jungen die Flügel auf – dreieinhalb Meter, der größte flugfähige Vogel der Welt. Schön, dass er da ist, denn das Junge wird nur alle zwei bis drei Tage gefüttert. Auf der Suche nach Nahrung segelt das Elterntier schon mal 1.000 Kilometer übers Meer.
Wir bahnen uns den Weg durch fauchende Seebären zurück zum Zodiac und gehen an Bord. Mittagszeit. Wir essen im Hauptrestaurant, während das Schiff das nächste Ziel anläuft. Prince Olav Harbour. Auch hier ist eine Ausbootung geplant. Aber das Wetter zeigt uns nun, wie launisch es hier sein kann. Eisige katabatische Winde fegen in Orkanstärke von den Gletschern herab. Schneeflocken prasseln ins Gesicht, die Kälte schneidet in den Wangen. An eine Anlandung nicht zu denken. Wir nehmen daher Kurs auf Fortune Bay. Und siehe da, hier ist das Wetter zwar kalt und etwas trübe, doch wir können an Land, um eine weitere grandiose Kolonie der Königspinguine zu besuchen.

Freitag, 14. November 2014 – Ein Schnäpschen auf Ernest
Um 8 Uhr geht die Hanseatic vor Grytviken auf Reede. Die ehemalige Walfangstation ist so etwas wie die Hauptstadt der Insel. Zwischen pittoresken rostigen Trankesseln, Wellblechschuppen und Walfangschiffen befinden sich ein Walfangmuseum, ein Souvenirshop und eine schmuck renovierte Kirche im norwegischen Stil. Zwischen den Ruinen lungern Pelzrobben und See-Elefanten herum. Neugierige Pinguine watscheln wie kleine Zwerge den Besuchern hinterher. Überall Walknochen. Zeugen der Vergangenheit. Wie muss es hier einst ausgesehen haben? Das Wasser der Bucht rot vom Blut der Wale – stinkende Kadaver darin treibend. Im Hanseatic Logbuch ist zu lesen: “Die Walverarbeitungsstation Grytviken wurde 1904 von dem norwegischen Kapitän und Antarktisfahrer Carl Anton Larsen gegründet, der das Gebiet bereits 1901 als Kapitän des schwedischen Schiffes “Antarctic“ auf der Expedition unter Otto Nordenskjöld untersucht und kartiert hatte. Seiner Meinung nach war Grytviken der beste Ankerplatz in Südgeorgien. Der norwegische Name Grytviken bedeutet soviel wie “Topfhafen“ und bezieht sich auf die Töpfe, die die Robbenfänger zum Trankochen benutzt hatten, und die man dort verlassen vorfand. Larsen erreichte 1904 mit dem neuen Walfänger “Fortuna“ und dem 1869 gebauten Transportschiff “Louise“ Südgeorgien. Die von ihm errichtete Station Grytwiken war von Anfang an ein wirtschaftlicher Erfolg. Obwohl im ersten Jahr nur ein Walfangschiff eingesetzt war, wurden bereits fast 200 Wale erlegt. In der ersten Zeit des Walfangs um Südgeorgien herum jagte man nur Buckelwale. Später wurden alle Walarten verfolgt und das Fangebiet bis auf 300 Kilometer vor der Küste ausgedehnt. Die Wale wurden harpuniert, mit Pressluft gefüllt und schwimmend zur Verarbeitung zur Station gebracht.
Die meisten der Arbeiter kamen aus Norwegen, in der Anfangszeit stammten sie zu 80 Prozent aus dem Gebiet Vestfold am Oslofjord. In späteren Jahren wurden sie auch in Großbritannien, Südamerika und auf den Falklandinseln angeworben. Sie waren Saisonkräfte und arbeiteten während des südlichen Sommers von Oktober bis März. In dieser Zeit lebten bis zu 500 Menschen in der Station, untergebracht in Baracken. Im Jahre 1913 wurde ein Wasserkraftwerk für die Stromversorgung gebaut. Zur Frischfleischversorgung gab es Rinder, Schweine, Schafe und Hühner. Sogar Rentiere wurden eingeführt und auf der Insel freigelassen. Den Briten blieben schließlich die Aktivitäten der Norweger auf dem von ihnen beanspruchten Territorium Südgeorgiens nicht gleichgültig. 1909 richtete die britische Regierung einen Magistrat am nur wenige hundert Meter entfernten King Edward Point ein, der unter anderem die Walfangindustrie beobachten sollte. King Edward Point war bis zum Frühjahr 2001 britischer Militärstützpunkt; heute werden die Häuser von Wissenschaftlern genutzt, die auf Südgeorgien arbeiten.
Carl Anton Larsen, der 1905 auch seine Frau und seine sieben Kinder nach Südgeorgien geholt und neben seiner norwegischen auch die britische Staatsbürgerschaft erhalten hatte, verließ die Insel 1914 als reicher Mann. Zwar zeichnete sich schon seit der Jahrhundertwende ab, dass künftig Erdölprodukte das Walöl für Schmier- und Beleuchtungszwecke ablösen würden, aber um 1900 war ein chemisches Verfahren entwickelt worden, mit dem tierische Öle in feste Fette umgewandelt werden konnten (Hydrierung); damit hatte das Walöl als Ausgangsstoff für die Herstellung von Margarine und Seife eine neue Bedeutung gewonnen. Mit Ausbruch des Zweiten Weltkrieges stieg außerdem die Nachfrage nach Glyzerin, einem Nebenprodukt der Walölverwertung, und Wale wurden weiter in großer Zahl gejagt.
Während beider Weltkriege wurde die Walstation Grytviken von den Briten betrieben, lieferte sie doch lebenswichtige Rohstoffe für die Kriegswirtschaft. 1962 wurde der europäische Walfang in Grytviken eingestellt. Die Anlage wurde aber 1963 an eine japanische Gesellschaft verpachtet, die sie noch zwei weitere Jahre nutzte. 1965 endete die Walverarbeitung in Grytviken endgültig. Der Grund war einfach: Walfang lohnte sich nicht mehr, weil es so gut wie keine Tiere mehr gab. Allein in Grytviken wurden von 1904 bis 1965 insgesamt 54.100 Wale verarbeitet; auf allen Stationen Südgeorgiens zusammen waren es 175.000 Tiere, in der gesamten Antarktis 1,5 Millionen. Zusätzlich wurden noch jedes Jahr 50.000 Robben gefangen und verarbeitet. Ob sich die Bestände der Wale je erholen werden, ist fraglich.
Auf einer kleinen Anhöhe befindet sich der Friedhof. Eine Pilgerstätte für jeden richtigen Seemann. Denn hier ruht “Sir Ernest Henry Shackleton“, ein 1874 in Irland geborener Polarforscher. 1922 verstarb er an Bord der “Quest“ in dieser Bucht an Herzversagen. Seine Expeditionen waren zwar nicht sonderlich erfolgreich, doch die sorgsame Art, wie er zu seinen Männern stand und eine beispiellose seemännische Leistung machten ihn zur Legende. Nach altem Seemannsbrauch halten Kapitän Natke und Expeditionsleiter Kertelhein an seinem Grab eine Zeremonie ab, zu der auch ein gutes Schlückchen zu Ehren Shackletons gehört.
1914 unternahm Shackleton nach vorherigem Fehlversuchen einen neuerlichen Anlauf zum Südpol. Sein Schiff “Endurance“ startete am 5. Dezember von Grytviken Richtung Weddell Meer. Dort wurde das Schiff von den Eismassen umklammert und schließlich zerbrochen. Zwei Monate campierte Shackleton mit seiner Mannschaft auf dem Eis in der Hoffnung mit dessen Drift zu den Pauletinseln zu gelangen, was jedoch nicht geschah. Als die Eisscholle der unfreiwilligen Camper zerbrach, traten sie mit Rettungsbooten eine qualvolle Reise bis “Elephant Island“ an. Dort schlug man am “Point Wild“, einzige Anlandemöglichkeit auf der schroffen Insel, ein Lager auf. Im Verlauf der Reise werden wir diesen Ort sehen. Unfassbar, dass 22 Männer hier bis zu ihrer Rettung am 30. August 1916 ausharrten und überlebten. Da Elephant Island abseits der Schifffahrtrouten lag, entschloss sich Shackleton mit einigen Männern im Beiboot eine Höllenfahrt von 1.500 Kilometern über den aufgepeitschten Südatlantik bis nach Südgeorgien zu unternehmen, um Hilfe zu holen. Eine unglaubliche seemännische Leistung diese Inselchen überhaut zu finden. Es gelang, man erreichte einen Strand. Keine Meile weiter hätte das zerschundene winzige Boot fahren können. Die Männer zogen über Berge und Gletscher und erreichten am 20. Mai 1916 die Walfangstation Stromness. Man berichtet, dass der hartgesottene Stationschef bei der Ankunft Shackletons vor Rührung geweint haben soll. Drei Rettungsversuche seiner Männer scheiterten ob der schlechten Eisverhältnisse. Erst der Vierte mit dem chilenischen Schlepper Yelcho gelang. Und die chilenische Regierung stellte am Point Wild eine Büste auf – nicht, die von Shackleton – eine von Schlepperkapitän Luis Pardo. Auch Stromness steht heute noch auf unserem Programm. Hier wandert man ein Stück landeinwärts, um den Wasserfall zu besuchen, an dem Shackleton vom Berggletscher hinabstieg. Auf dem Weg sind brütende Eselspinguine zu beobachten. Weit ins Land hinein sind sie marschiert, um ihrem Brutgeschäft nachzugehen. Lustig, dass die Männchen Steine von den Nestern anderer stibitzen, um sie der eigenen Geliebten zu überreichen.

Samstag, 15. November 2014 – Eisberg in Sicht.
5 Uhr 30, gut geschützt durch hohe Berge liegt Gold Harbour vor uns. Ein Tierparadies sondergleichen. Riesige See-Elefanten, Pinguine, Raubmöwen und Scheidenschnäbel. Die sehen von weitem aus wie weiße Tauben, haben aber ein warziges, hässliches Gesicht. Kommt vermutlich daher, dass sie Exkremente verzehren oder anderen Nahrung abjagen und Eier und Kücken stehlen. Zwei weitere Anlandungen sind für diesen Tag geplant. Doch das Wetter macht einen tüchtigen Strich durch die Rechnung. Windstärke 12 und mehr, tosende See. Der Wind reißt Gischt von den Wellenkämmen und lässt das Wasser als Salzregen auf das Deck prasseln. Wie tausend Nadelstiche treffen die Tropfen das Gesicht. 16 Meter hoch türmen sich die Wellen auf. Keine Besserung in Sicht. So fasst Kapitän Natke den Entschluss, die Reise Richtung Elephant Island fortzusetzen.
Am späten Nachmittag kündigt Natke eine Überraschung an. Wir passieren unseren ersten Eisberg. Und der ist riesig: 19 x 6 Seemeilen in der Fläche und gut 150 Meter mächtig. B17-A heißt er. Solche Kolosse bekommen Namen. Und ihre Drift wird verfolgt, und ihre Lage ist bekannt. Denn sie stellen eine Bedrohung für die Seefahrt dar. So ist diese Überraschung sicher keine für unseren Kapitän. B17-A war einst Teil des Eisbergs B17, der im Jahr 2000 im Ross Eisschelf, das ist auf der anderen Seite der Antarktis, kalbte und später in zwei Teile zerbrach. Jetzt sitzt er hier fest, ist auf Grund gelaufen und schmilzt langsam. 1.000 Jahre altes süßes Schmelzwasser lecken die salzigen Brecher vom blauen Riesen, der 20 Meter aus dem Wasser ragt. Der hohe Seegang setzt vielen Passagieren heftig zu. Und so ist das Hauptrestaurant Marco Polo unter Leitung von Küchenchef Michael Kappeler heute nur spärlich besetzt. Vielen aus seinem Team geht es nicht besser als den Gäs-ten. Hilft aber nichts. Die Arbeit muss getan werden. Und das Ergebnis kann sich wie immer sehen lassen.

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