Das Bonus-Malus-System. Oder: Wie man viele Probleme der Restaurantführer lösen könnte

Vor einiger Zeit habe ich hier analysiert und kritisiert, was die Restaurantführer über die Grundlagen ihrer Bewertungen schreiben. Dabei wurde klar, dass die Zuordnungen von Qualität (z.B. „höchste Qualität und Kreativität“) sehr viele Schwachstellen haben, die zusammen mit den vielen anderen Schwächen der Führer kein gutes Bild von Kennerschaft und Seriosität abgeben. Dass für viele Gäste Sterne und Punkte kaum noch eine Rolle spielen, liegt auch daran, dass es weder eine ausreichende Transparenz noch Präzision noch eine wirklich gute Nutzbarkeit gibt. Da können z.B. Gäste mit viel Restauranterfahrung bis hin zur Spitzenküche etwa von der Regionalküche eines Restaurants restlos begeistert sein, finden es aber in keinem Restaurantführer oder nur unter „ferner liefen“.

Bei etwas genauerer Betrachtung ergaben sich viele Fragen, wie etwa die, ob Beurteilungen im Vergleich nicht oft viel zu hoch oder viel zu niedrig sind? Ob nicht z.B. perfekte Gerichte der Regionalküche viel höher bewertet werden müssten? Ob nicht potentielle Gäste viel präziser mit den Restaurants zusammengebracht werden müssten, die auf ihrer Linie liegen? Oder ob die Arbeit der Tester und die Tests nicht viel transparenter gehandhabt werden sollten?

Ich hatte damals angekündigt, dass ich an Vorschlägen arbeite, wie man die Einstufung eines Restaurants auf eine zuverlässigere Basis stellen könnte, wie man faire, transparente, präzisere und für den Gast deutlich besser nutzbarere Bewertungen schafft. Das will ich nun in drei Folgen darstellen. Ich will versuchen, ein System zu erstellen, dass ganz unterschiedlichen Küchenstilen gerecht werden kann, dass die Tests nachvollziehbarer und nützlicher macht und die Bewertungen realistischer.

Problem 1: Die Bewertungen sind nicht präzise genug hergeleitet und begründet.
Immer wieder von „höchster Qualität“ oder ähnlichem zu reden, ist irreal. Auch in der absoluten Spitzenklasse der Restaurants gibt es immer wieder schwächere Aspekte, die nicht übersehen werden sollten. Zudem gibt es das Problem, dass viele Führer scheinbar einfachere und/oder regionale Küchen mangels Verständnis des Konzeptes falsch bewerten und dabei im Grunde einseitig völlig ungeeignete Kriterien aus anderen Küchen anwenden. Außerdem haben die Führer die Tendenz, wesentlicher schneller Aufwertungen als Abwertungen vorzunehmen. Auch das ist nicht realistisch. Dazu kommt auch noch, dass es weder für besondere Kreativität noch für besondere Leistungen in bestimmten Sparten (wie etwa klassische Küche, Regionalküche oder asiatische Küche) eine adäquate, nachvollziehbare Bewertung gibt.

Lösungsvorschlag:
Ich schlage ein 10-Punkte-System vor, das nach einem Bonus-Malus-Prinzip funktioniert. Die Wertung beginnt zuerst einmal mit einer Bewertung der handwerklichen Qualität. Dabei wird von einem Basiswert ausgegangen, von dem für nicht optimale Qualitäten Punkte abgezogen werden. Zu dem so entstandenen Wert werden sodann Bonuspunkte für besondere Leistungen im Bereich der Stilistik addiert. – Der Basiswert für die handwerkliche Qualität ist 8. Eine absolut maximale handwerkliche Qualität würde also abzugsfrei mit 8 Punkten bewertet. Die Bonuspunkte werden für die Stilistik des Restaurants vergeben. Es gibt maximal 2 Bonuspunkte, die für besondere Leistungen im Bereich der Kreativität, der klassischen Küche, der Regionalküche und z.B. der außereuropäische Küchen vergeben werden.

Nach der Bewertung der handwerklichen Basis geht es also um das, was eine Küche stilistisch oder individuell auszeichnet. Dadurch, dass nicht nur – wie bisher üblich – darüber nachzudenken ist, ob Kreativität als Extra-Wert eine Rolle spielt, sondern auch Küchen mit hohen klassischen Qualitäten oder solchen mit hervorragenden Leistungen im Bereich der Regionalküche in den Focus von besonderer Wertschätzungen kommen müssen (wie das ja auch das Publikum oft so sieht), ergibt sich vermutlich eine durchaus fühlbare Veränderungen des Spektrums derjenigen Restaurants, die als besonders gute und empfehlenswerte Häuser genannt werden.

Die Anwendung der einzelnen Kriterien (die Liste erscheint in der dritten Folge) muss konsequent erfolgen und von Leuten vorgenommen werden, die über die nötige Übersicht verfügen. Nur mit der nötigen Übersicht und Kenntnis kann eine „Qualitäts“-Inflation durch undifferenziertes Dauerlob auch für schwächere Küchen (in Unkenntnis des Kritikers von wirklichen Spitzenqualitäten) verhindert werden, die letztlich zu nichts führt als zu einer nach unten führenden Qualitätsspirale. Wenn es also z.B. um die Produktqualität geht, würde nur die Verwendung ganz exzellenter Produkte von bester Qualität abzugslos bleiben. Die üblichen, „sauberen“, aber nicht besonders auffälligen Qualitäten hingegen (wie sie selbst in Spitzenrestaurants häufig zu finden sind) würden bereits erste kleine Punktabzüge auslösen. Im Bereich der Kreativität etwa müsste endlich einmal konsequent und mit Übersicht bewertet werden. Die volle Bonuspunktzahl könnte hier – wenn überhaupt – nur den ganz großen Kreativen gegeben werden. Die üblichen, kleineren Abweichungen von den Normen dagegen, die bereits gerne als „kreative Küche“ angepriesen werden, könnten nur begrenzte Bonuspunkte bekommen. Ein Beispiel: ein Ein- oder Zwei-Sterne-Restaurant mit einem Stil, der eher dem Mainstream zugerechnet werden kann (also kaum Bonuspunkte bekäme), und vielleicht einige Abzüge für Produktqualität, Garungen, Würze und sensorische Struktur hätte, käme dann vielleicht auf eine Punktzahl, die die 7 nur unwesentlich überschreitet. Ein Restaurant mit optimierter und modernisierter Regionalküche, das z.B. über exzellent-individuelle lokale Produkte verfügt und handwerklich auf einem hohen Standard arbeitet, könnte diese Punktzahl leicht überschreiten (weitere Details zu Kriterien und Praktiken in Folge 3).

Problem 2: Wer bewertet? Bewertungen müssen nicht nur nachvollziehbar sein, sondern auch transparent werden
Es gibt viele Köche, die sich über Tester beschweren, die ihnen zu unerfahren vorkommen. Die Köche fühlen sich also Nicht-Experten ausgeliefert, die einfach wegen eines Mangels an Vergleichsmöglichkeit und Kenntnissen Leistungen nicht korrekt einordnen können. Die Führer andererseits machen nach wie vor viel Wind um die angebliche Anonymität ihrer Besuche. Die Realität sieht oft deutlich anders aus. Sehr viele Tester der bekannten Führer sind den Köchen bekannt, und oft sind deren Besuche eher eine Art „Staatsbesuch“, also eher das Gegenteil, eines anonymen Besuchs. Häufig fragen sich Köche allerdings auch, ob denn überhaupt die Tester bestimmter Führer bei ihnen zu Besuch gewesen sind – unter anderem deshalb, weil sie den Texten außer den Titeln der Gerichte und beliebig-austauschbaren Beschreibungen nichts entnehmen können, was spezifisch mit ihrer Küche zu tun hätte.

Lösungsvorschlag:
Der radikale Weg zu einer Nachvollziehbarkeit ist, sowohl Besuchsdaten wie Namen der Verfasser der Kritiken/der Testberichte anzugeben. Unterhalb des Führertextes oder der Restaurantkritik könnte das Datum abgedruckt werden, dazu auch, ob der Besuch zum Lunch oder zum Diner stattfand. Zudem sollten die Kritiken zu besonders wichtigen Restaurants von einem erfahrenen Kritiker stammen und selbstverständlich mit dessen Namen unterzeichnet sein.

Das Datieren der Restaurantbesuche ist eine wichtige Angelegenheit, die vor allem für die Köche sehr viel Sinn macht. Wenn Kritik auch dazu dienen soll, Dinge nicht nur transparent zu machen, sondern auch zu verbessern, können die Köche auf diese Weise genau feststellen, was z.B. an dem betreffenden Tag möglicherweise nicht besonders gut war.

Mit der Notwendigkeit, das Datum des Besuches abzudrucken, entsteht zudem bei den Führern ein wichtiger Druck zu seriöser Arbeit. Viele Köche beklagen z.B., dass Tester offensichtlich nur ein preisreduziertes und verkürztes Mittagsmenü gegessen und dabei auch noch auf das Dessert verzichtet haben. Das „Sample“, das solche Tester gegessen haben, ist einfach viel zu klein um ein seröses Urteil über die gesamte Leistung einer Küche zu fällen. Klar wird mit dem Datum auch, wie lange ein Besuch her ist. Klar wird zudem, dass ein Besuch tatsächlich stattgefunden hat.

Das Signieren eines Beitrages stellt die Arbeit der Führer auf eine neue Stufe der Kommunikation, weil nun Ross und Reiter genannt werden und gegebenenfalls auch eine breite Diskussion um die Arbeit bestimmter Tester geführt werden kann. Dass die für die Arbeit der Führer angeblich so wichtige Anonymität dabei verloren geht, ist nicht unbedingt ein Problem. Zum einen gilt das oben gesagte (die Anonymität ist in sehr vielen Fälle überhaupt nicht gegeben), zum anderen lässt sich gegebenenfalls über Buchungen mit einem anderen Namen etc. der Besuch nach wie vor so weitgehend anonymisieren, dass keine Probleme zu befürchten sind. Wird der Tester dann vor Ort erkannt, sind kaum noch wesentliche Veränderungen in der Küche möglich. Die Notwendigkeit, die besten Restaurants von den besten Testern besuchen zu lassen, ist bei den Führern bei weitem noch keine Selbstverständlichkeit. Besonders Restaurants, die schon längere Zeit am Markt sind, beklagen oft, dass selbst radikale Veränderungen ihres Programms nicht gewürdigt werden, weil sich z.B. die Chefredakteure mancher Führer schon jahrelang nicht bei ihnen eingefunden haben.

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