Die Kopisten verdrängen ihre Ideenlieferanten

In diesem Text werden auch ein paar Informationen verarbeitet, die üblicherweise nicht in der Öffentlichkeit diskutiert werden, sondern eher in Redaktionen und Marketing-Abteilungen. Es ist eine Situation eingetreten, die jetzt schon äußerst unerfreulich ist, aber jederzeit auch noch schlimmer werden kann. Gemeint ist das Vordringen des kulinarischen Mittelmaßes in den Medien, in Büchern, Zeitungen und Zeitschriften. Gemeint ist dabei vor allem, wie in der letzten Zeit die eigentlichen Ideengeber aller neuen Rezepturen (also vorwiegend die Köche aus der Spitzenküche) verdrängt werden und in den Medien (im weitesten Sinne) eine katastrophale Mischung aus Oberflächlichkeit und zunehmend blanker kulinarischer Banalität entsteht.

Sterneküchen-Phobie
Dass sich eine Kaste von TV-Köchen etabliert hat, die mit den Leistungen ihrer auf die Restaurantküche spezialisierten Kollegen nur wenig zu tun hat, ist eine alte Erscheinung. Dass nun auch immer mehr „seriöse“ Köche in die Medien drängen, dies aber nicht mit dem tun, was sie eigentlich machen, sondern mit häufig simplifizierten, massenkompatiblen Zubereitungen, ist ein zunehmendes Problem. Dominant wird bei allem so etwas wie eine Sterneküchen-Phobie, bei der Redaktionen und Verlage oft schon abwinken, wenn sie nur das Wort „Sternekoch“ hören. Die Buchhandlungen sind voll von einer Art Discounter-Büchern, in denen Autoren von oft sehr begrenzter Qualifikation ihr Geschäft mit dem Ausschlachten der Ideen kreativer Köche machen. Bücher kreativer Köche findet man auf dem deutschen Markt dagegen so gut wie gar nicht mehr, und es gibt viele gute Köche, die überhaupt noch kein Kochbuch veröffentlicht haben oder nur solche, die nicht ihre eigentlichen Qualitäten widerspiegeln. Die Verlage, die sich mit kreativer Küche beschäftigen, werden immer weniger, und viele Verlage, die früher Bücher von Spitzenköchen publiziert haben, haben sich aus diesem Sektor des Marktes komplett verabschiedet (der Matthaes-Verlag ist da eine rühmliche Ausnahme, siehe meine Rezensionen dazu). Geht es um Bücher mit bestimmte allgemeinen Themen, sollen die Beispiele um Gottes willen nicht von Spitzenköchen kommen, damit die mögliche Zielgruppe nicht verschreckt wird. Bei Zeitungen und Zeitschriften sieht es ganz ähnlich aus: Sterneküche am liebsten nur dann, wenn es ganz besonders einfach und für die Leser nachvollziehbar ist. Ist den Verlagen und Medien eigentlich klar, wohin eine solche Entwicklung läuft?

Gibt es kulinarischen Populismus?
Diese Entwicklung führt zu einem kulinarischen Populismus, der zunehmende Banalisierung des Kulinarischen mit Ablehnung gegen Kreatives und Unbekanntes verbindet. Wenn reihenweise Autoren mit großem wirtschaftlichen Erfolg, aber banalen kulinarischen Leistungen ihr Ego nähren, verändert sich auch das Objekt, um das es eigentlich geht. Eine durchgehende, allgemein anerkannte kulinarische Qualitätsvorstellung verschwindet, und als gut gilt schließlich nur noch das, was die größte Zustimmung findet und den größten Erfolg hat. Medien, die sich in diese Richtung entwickeln, untergraben kulturelle Werte. Würden sie Gleiches in anderen Bereichen der Kultur versuchen (Kunst, Musik, Theater, Oper, Literatur), also etwa großartige künstlerische Leistungen unterschlagen und ausschließlich Dinge fördern die so gemacht sind, daß sie bei möglichst bei allen Konsumenten ankommen, wäre der Aufschrei groß. Die Kochkunst aber ist ohne Lobby und wird zudem häufig zum Opfer von Gatekeepern (also Entscheidungsträgern), die selber von kulinarischem Trivialismus geprägt sind. Die Kreativen, die Erfinder, die Schöpfer jeden kulinarischen Fortschritts werden versteckt, diejenigen, die sie unter Ausnutzung der Tatsache, daß es kein kulinarisches Urheberrecht gibt, in auch noch banalisierter Form für ihre Geschäfte nutzen, werden oft sogar zu Leitfiguren. Eine bizarre Welt in einer qualitativen Abwärtsspirale.

Droht eine Nischenexistenz?
Die Spitzenküche und erst recht die kreative Spitzenküche könnten sich natürlich nach Art anderer Künste sozusagen aus dem öffentlichen Leben verabschieden und sich nur noch auf Zirkel wohlhabender Gäste und Gourmets konzentrieren. Die Köche wären dann da, wo sie vom Stammtisch gern gesehen werden: Sie wären elitär, teuer, überzüchtet. Ich warne dringend vor solchen Entwicklungen, weil sie die Entwicklung sinnvoller kulinarischer Qualitätsvorstellungen in der Gesellschaft noch weiter schädigen würden. Kulinarische Qualität ist in letzter Instanz nicht relativierbar. Wenn nicht mehr klar ist, wann Produkte und Zubereitungen gut sind und wann nicht, haben die industrielle Nahrung und später auch vielleicht die Kunstnahrung gewonnen. Gute Küche gehört in die Mitte der Gesellschaft. Wer das verhindert – egal ob fahrlässig oder mit Absicht – schadet einer sinnvollen kulinarischen Entwicklung.

Warum sich manchmal auch gute Köche selber im Weg stehen
Reden wir nicht drumrum: die Auftritte vieler guter Köche in den Medien sind oft nicht wirklich zielführend. Allzu oft hat man den Eindruck, als würde eine Art vorauseilender kulinarischer Medien-Gehorsam greifen und der Wunsch – siehe oben – nur ja alles richtig und um Gottes willen nichts kompliziert zu machen. Ich rate dringend dazu, endlich das Gerede von „einfachen aber genialen“ Rezepten und Zubereitungen zu reduzieren. Hervorragende Küche hat etwas mit Optimierungen zu tun, nicht mit Simplifizierungen. Wir brauchen in dieser zunehmend bedauerlichen und bedrohlichen Situation deutlich mehr Selbstbewußtsein bei den Könnern ihres Faches – wenn man so will auch eine deutlich aggressivere Sprache gegenüber den kulinarischen Banalitäten, die sich immer weiter verbreiten.

Vielleicht brauchen wir auch dringend eine Vereinigung von Köchen, die dafür sorgt, dass gegenüber den Medien eine klare Politik greift, dass es zum Beispiel zu Vereinbarungen kommt, in welcher Weise Köche in die Medienarbeit eingebunden werden. Vielleicht brauchen wir zumindest Diskussionen, die in solche und ähnliche Richtungen gehen und einmal das Bewusstsein dafür schärfen, was im Moment mit der Kochkunst und ihren besten Vertretern geschieht.

4 Gedanken zu „Die Kopisten verdrängen ihre Ideenlieferanten“

  1. Lieber Herr Dollase, können Sie die Wahrnehmung über die Medienpräsenz etc.und damit Ihre Ausgangsthese konkretisieren? Meine Wahrnehmung geht nämlich eher in eine andere Richtung. Hochwertige Produktionen wie Kitchen Impossible oder auch The Taste bringen inzwischen mehr und mehr neben den üblichen Fernsehgesichtern doch eine Reihe von Köchen relativ prominent auf Schirm, bei hohem Zuschauerzuspruch, die dort sind sehr., sehr selten zu sehen sind. Christian Bau, Tohru Nakamura, Peter Maria Schnurr bei Kitchen Impossible in dieser Stafel, oder mit Sven Elverfeld im Finale von The Taste wären da einige Beispiele. Dass bestimmte Köche häufig im Fernsehen zu sehen sind hat sicher mit zwei Gründen zu tun, die für Machern wichtiger sind, als vielleicht deren kulinarische Bedeutung: sie kennen die Menschen inzwischen, d.h. der Publikumszuspruch kann einigermaßen kalkuliert werden und zweitens haben eine entsprechend Wirkung auf dem Schirm. Das ist für das Funktionieren einer Unterhaltungssendung (darüber reden wir ja hier wohl, oder?) entscheidender, als deren Bedeutung in der Kulinarik. Und denken sie an die Zeit, die Fernsehengagements erfordern, da kann man dann auch keine Ideen entwickeln.
    Ich sehe es eher so, dass die genannten Sendungen auf prominenten Sendeplätzen die Wahrnehmung der Kulinarik in vielen Facetten deutlich verbessern, jenseits von Auftritten von Köchen in Sendungen à la Küchenschlacht und ARD-Buffet.

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  2. Bei all diesen Artikeln ist immer derselbe Grundtenor vorhanden; niemand versteht die armen Spitzenköche, vor allem nicht in Deutschland, und das Ende der Gastronomie ist in greifbarer Nähe. Wären Sie ein Koch, würden Ihnen die Journalisten Ideenlosigkeit vorwerfen.
    Ich habe mir vorgenommen, nicht mehr auf Ihre Artikel zu reagieren, eigentlich wollte ich sie nicht mal mehr lesen – ich weiss ja eh um was es geht.
    Der Vergleich von Spitzenküche und den „grossen Künsten“ ist schon richtig. Ich bin kein Musiker und liebe die klassische Musik und den Jazz. Wenn ich mir zweieinhalb Stunden lang die Johannes Passion mit Gardiner anhöre und verzückt über deren Genialität nachdenke, bringt es dann was, allen Ernstes, alles zu verdammen ausser Bach und Co? Und der arme Bach wurde auch tausendfach kopiert, meist mehr schlecht als recht, aber dafür sind sie da, die grossen Künstler aller Richtungen. Sie stossen Türen auf, verändern Sichtweisen, stellen Glaubenssätze in Frage – auf dass die Allgemeinheit von ihrem Genius profitieren möge.
    Lassen Sie‘s doch endlich bleiben, gegen die ungebildete Masse anzuschreiben. Wir alle, auch Sie mein Lieber, sind in manchen Bereichen sehr gut, vielleicht sogar Experten, aber In toto haben wir vom Allermeisten keine Ahnung! Blumenbinden? ‍♂️ Kardiologie? ‍♂️ Holzschnitt? ‍♂️ Keine Ahnung… das gehört einfach zum Leben.
    Anstelle andauernd die Mehrheit Ihrer Landsleute als ungebildete Deppen hinzustellen, probieren Sie‘s doch mal mit Begeisterung! Schreiben Sie, was Sie berührt, was das Kochen so wunderschön macht, dass es eines der grössten Geschenke ist, für jemanden einen Tag in der Küche zu stehen. Hören Sie doch auf, sich über die Kritik zu definieren – inspirieren Sie die Menschen, das ist viel nachhaltiger!

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    • Lieber Herr Chalupny,

      alles, was Sie von mir wünschen, fand immer statt und findet immer statt – nur eben an unterschiedlichen Stellen. Das muß man dann allerdings auch wissen und lesen. Ich definiere mich keineswegs nur über Kritik, sondern habe tausende von Seiten positive Vorschläge und Visionen aufgezeigt…

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  3. ich sage nur: Deutschland …
    alles nur „Nachahmer“ …
    oder „wer hat’s erfunden“?

    für WEN sollen – in einer deutschen Gesellschaft, wo „Genuss“ kein Grundbedürfnis war und ist – denn die Medien diese Artikel schreiben … und ist die „Menge“ der geeigneten Journalisten auch vorhanden?

    Deutschland ist „umzingelt“ von kulinarisch interessierten Menschen in Ländern, deren Genussfähigkeit schon kulturell bedingt ist und quasi mit der Muttermilch entsteht … unabhängig von „reich oder arm“..

    ich habe gerade ein selbstgebackenes (Schweizer) Sandwich mit SüssrahmButter und WacholderLatwerge gefrühstückt … dann ein selbstgebackenes Laugenstangerl mit SüssrahmButter und selbstgemachter CassisKonfi … weil – für mich – der Genuss nur dann entsteht … ein „feines Sandwich“ verträgt eher einen milden, Honig ähnlichen Aufstrich … das „deftige Laugenstangerl“ wird dafür mit dem kräftigen CassisAroma ein Genuss …

    fűr die Meisten ist das bestenfalls Zeitverschwendung, eher jedoch Unsinn …

    … und wenn „Jemand“ darüber auch noch einen Artikel verfasst, wer würde den lesen oder gar das Bedürfnis „dafür“ entwickeln … in Deutschland?

    es möge gut tun

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