Die Rosin-Talks. Folge 3

Jürgen Dollase (JD): Was sagen Sie ganz allgemein zu der Top-50 -Liste?

Frank Rosin (FR): (Lacht…) Wollen Sie wirklich meine Meinung haben?

JD: Ja, warum nicht?

FR: Na ja, wenn ein Nestle-Produkt sagt, wer das beste Restaurant ist, kommt das bei mir nicht an.

JD: Gut, aber trotz aller möglichen Kritikpunkte – ich habe da persönlich auch schon sehr viel beigetragen – haben wir von dieser Liste eine große Wirkung. Sie wird weltweit zitiert, sie wird intensiv als Werbung genutzt und die Köche haben bei guten Platzierungen einen guten Effekt davon. Joachim Wissler hat einmal gesagt: „Man braucht als international denkender Spitzenkoch auch ein internationales Publikum. Und das bekommt man durch gute Platzierungen in den Top 50. Wir müssen also damit leben. Wenn man das so sieht: Ist es ein guter Zustand, dass die deutschen Köche so schlecht platziert sind?

FR: Also gut. Sagen wir es so: Ich glaube, dass die Küchen, die weiter in Richtung Äquator kochen, mittlerweile eine größere Leichtigkeit haben und dass man dort auch vielleicht mehr Lebensfreude in einem Gericht findet. Ich glaube, dass gerade der Zwang, sich medial auszubreiten, um dabei zu sein, viele Kollegen stark zusammenschnürt, steif macht und in gewisser Weise auch ignorant. Da zeigen gerade Leute aus Italien, Spanien oder Frankreich eine ganz andere Nonchalance, die sich auch in ihren Gerichten ausdrückt.

JD: Gucken die deutschen Köche zu viel in der Gegend herum und denken zu wenig darüber nach, auch selber einmal etwas zu machen, hinter dem sie wirklich stehen können?

FR: Ich glaube, dass wir uns mit Teller-Ikebana und zu viel technischem Firlefanz nicht mehr dem wahren Genuss widmen.

JD: Eine interessante Aussage. Wir haben ja darüber hinaus auch das Problem, dass hier in Deutschland oft die Verbindung zwischen unseren eigenen kulinarischen Traditionen und der Spitzenküche unterbrochen ist.

FR: Ich hatte neulich das Glück, Marc Haeberlin zu treffen und mit ihm private anderthalb Stunden zu haben. Wir kamen beide zu dem Ergebnis, dass es kaum noch irgendwo eine Küche gibt, bei der man sagt, es war sehr gut zubereitet und es hat sehr gut geschmeckt. Man sagt nur noch, dass es gut aussieht, wir reden von Texturen und solchen Dingen. Wer aber nicht begreift, dass Essen letztlich vor allem Essen ist, das nach Hunger und Lust am Essen vor allem Freude spendet, der verödet auch mit sich und seiner krampfhaften Kreativität.

JD: Ein nachvollziehbares Argument. Wir haben aber auf der anderen Seite aber nicht nur bei den Spitzenköchen, sondern auch beim Nachwuchs ein Problem. Wenn der deutsche Kandidat beim Bocuse d’Or schon in der Vorrunde als 17. böse scheitert, ist das einfach nicht gut. Es ist ja auch eine Jury von deutschen Köchen, die diese Kandidaten immer auswählt.

FR: Ich glaube, dass Veranstaltungen wie der Bocuse d’Or nicht die Benchmark der gastronomischen Leistungen oder Erfolge eines Landes sind. Ich glaube eher, dass wir darauf achten sollten, dass wir die Ausbildung verändern sollten und den Kochnachwuchs mehr auf die Zukunft ihres Jobs vorbereiten sollten. Von daher glaube ich auch, dass solche Veranstaltungen nicht das beste Signal für eine zukunftsorientierte Gastronomie aussenden.

JD: Ich fürchte, dass die Köche der Meinung sind, sie sind für die Zukunft vorbereitet, wenn sie an solchen Wettbewerben teilnehmen. Meiner Meinung nach haben sie eine ganz andere „Macke“: Sie haben die Vergangenheit vergessen.

FR: Ja, das kann ich ganz einfach so nur unterschreiben.

JD: Die Ausbildung müsste doch auch die mit der Zeit gewachsenen Geschmacksbilder vermitteln. Das sind schließlich Qualitäten, die Jahrzehnte und Jahrhunderte überdauert haben.

FR: Viele Köche werden heute vor allem zu einer Art technischen Perfektion ausgebildet und nicht zur Geschmacksfindung oder zur Arbeit in einer entwickelten kulinarischen Kultur. Geschmacksfindung bedeutet ja nicht, dass ich etwas koche, das dem Küchenchef schmeckt, sondern dass ich etwas koche, das mir schmeckt. Denn im Grunde ist nur das, was mir schmeckt, für den Gast das Beste. Viele Kollegen sind da zu sehr auf Tellerarchitektur konzentriert.

JD: Man hofft ja immer, dass Kritik auch einmal hilft, dass die Bewertungen in den verschiedenen Führern dazu beitragen, dass die Köche zumindest eine Art Echo bekommen und vielleicht über die ein oder andere Sache einmal nachdenken. Wie müsste eigentlich ein Bewertungssystem aussehen, mit dem Sie als professioneller Spitzenkoch zufrieden wären?

FR: Da ich ja ein starker Verfechter der Ökonomie in der Gastronomie bin, muss erst einmal darauf hinweisen, dass es in der ganzen Welt keine Branche gibt, in der der Beste nicht auch ökonomisch irgendwo eine herausragende Persönlichkeit ist. Das bedeutet, dass es keine Schande ist, gut zu arbeiten und einer der Besten oder der Beste zu sein und damit auch Geld zu verdienen. Wir brauchen einen ökonomisch-kalkulatorischen Anspruch, der für das ganze System funktioniert. Jeder der in einem Restaurant arbeitet, muss auch in der Lage sein, eine Familie zu ernähren. Das muss auch bei der Bewertung eines Gastronomen einfließen.

JD: Wenn Sie im Ausland sind und dort essen: denken Sie öfter an einen Vergleich der Qualitäten dort und denen, die Sie von zu Hause aus kennen?

FR: Ja, ich bin oft im Ausland unterwegs, und ich finde, dass es gerade im südlichen Europa mehr ganz selbstverständlich gute Qualitäten gibt. Es gibt im Schnitt einfach bessere Produkte.

JD: Ich finde, dass sich viele Köche immer noch der Illusion hingeben, dass man im Großhandel automatisch auch gute Produkte bekäme.

FR: Ich habe einmal in Monte Carlo gekocht und bin dann morgens früh auf den Markt gegangen. Da roch man den Markt schon 80 oder 100 Meter vorher. Ich habe dem Marktvorsteher gesagt: „Solche exzellenten Qualitäten habe ich noch nie gesehen.“ Er hat in seinem schweren Dialekt geantwortet: Ach wissen Sie, das Beste essen die Franzosen eben selber.

JD: Oder, andersherum formuliert, diese Produkte gibt es auch nur dort auf dem Markt, und sie finden nicht den Weg in den Handel und in die deutsche Küchen. – Welche internationalen Restaurants haben Sie in der letzten Zeit besucht?

FR: Keine Sternerestaurants.

JD: Warum?

FR: Sagen wir es so: Stellen Sie sich vor, ich arbeite in einem Büro. Dann gehe ich in der Freizeit nicht gerne in das Büro eines Kollegen. Ich gehe zu jungen Leuten, die mich inspirieren, durch ihre Leidenschaft oder ihre angeborene Kultur.

JD: In welchen Ländern waren Sie?

FR: In Spanien. Ich lebe ja zum Teil auf Mallorca. Da gibt es junge Menschen, die eine gute Ausbildung genossen haben, die aber vor allem aus einer familiären Geschichte gelernt haben. Und die sind dann fähig, diese moderne Technik zu nutzen, um die traditionellen Werte ihrer Kultur neu aufleben zu lassen. Das ist etwas, was ich stark finde. Da werden ohne Mehl kleine Plätzchen gebacken und darauf Tapas angerichtet und mein Mund sagt: das kenne ich nicht.

JD: Da wird eben der assoziative Kontext angeregt. Fast jeder, der so etwas isst, findet etwas wieder, das er schon kennt und isst doch gleichzeitig hochmoderne Sachen.
Eine ganz andere Frage: Sind Köche eigentlich gute Kritiker?

FR: Ich kann das nur auf mich beziehen. Ich habe schon in meinem zweiten Lehrjahr gemerkt, wie schlimm es ist, wenn man mit Köchen essen geht. Die sitzen am Tisch und wissen alles besser. Ich habe mir von dem Zeitpunkt aus gesagt, das wird mir niemals mehr passieren, das war eine ganz schlimme Erfahrung. Von daher äußere ich mich in einem anderen Restaurant nie über die Qualität des Essens.

JD: Ich frage wegen eines ganz klaren Zusammenhangs, weil nämlich in vielen Jurys – so auch dem Bocuse d’Or – Köche sitzen und ihren eigenen Nachwuchs beurteilen. Wenn das dann eine solche Pleite gibt, wie bei dem diesjährigen Wettbewerb: müsste man da nicht auf die Idee kommen, dass solche Jurys vielleicht einmal anders aussehen müssten?

FR: Es heißt ja nicht, dass ein guter Koch auch ein guter Esser ist….

JD: Den Eindruck habe ich sowieso eher selten… Ich habe den Eindruck, dass sie erstaunlich oberflächlich sein können. Irgendetwas passt ihnen nicht, und dann wird sofort gelästert.

FR: Ich finde sowieso, dass schlechtes Trinken schlimmer als schlechtes Essen ist. Ich bin ein fanatischer Weinliebhaber. Von daher kann ich eher vertragen, dass die Nudeln nicht ganz al dente sind. Aber wenn der Wein nicht stimmt, dann raste ich schon mal aus.

JD: Das kann ich nachvollziehen. Das hat was.

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