Gosch vs. Raue: Von zwei großen Egos und etwas Tüddelkram

Es musste ja so kommen. Auf Sylt sind mit Jürgen Gosch und Tim Raue zwei der größten gastronomischen Egos zusammengekommen. Und nun fürchten die Einheimischen, dass die Insel untergeht, wenn sie einmal gleichzeitig Luft holen sollten. Tim Raue hat im wiederbelebten „Spices“ (das es ja unter Sarah Henke schon einmal gab) das gemacht, was er häufig macht: Er hat sich auch mit regionalen Besonderheiten befasst und dann eben ein Fischbrötchen seiner Art kreiert. Da das Konzept des „Spices“ asiatisch ist, ist auch der „Sylter Fisch Bun“ mit Zutaten wie Ingwer-Gurke und Kurkuma asiatisch gefärbt. Bei Gosch gibt es die Fischbrötchen mit diversen Füllungen von den „Matjes nordischer Art“ über Backfisch bis zu Makrelenfilet – meist mit Zwiebeln angereichert.

Da Raue natürlich immer so etwas wie das beste Fischbrötchen der Welt im Sinne hat, musste es gewisse Anpassungsreaktionen geben. Gosch hat also die Bemühungen von Raue als „Tüddelkram“ bezeichnet und im übrigen bezweifelt, dass die jungen Leute tatsächlich 18 Euro für ein Fischbrötchen ausgeben wollen. Dazu fallen mir ein paar Sachen auf.

Hat Raue Gosch als Promotionfirma engagiert?
Tim Raue hat aus seiner Biographie ein Maximum herausgeholt. Während den Journalisten zu vielen Köchen einfach nichts einfällt, weil diese außerhalb ihrer Küche kaum ein Thema liefern, bringt Raue deutlich mehr Fleisch an den Knochen. Und wie Journalisten nun einmal sind, wird – gerade bei solchen, die nicht vom Fach sind – die Frage „welchen Koch könnten wir denn da nehmen“ quasi automatisch mit dem Namen beantwortet, der gerade am meisten genannt wird.
Dass Raue längst überzogen hat, verschlechtert zwar sein Image bei seinen Kollegen, wird aber von Nicht-Spezialisten kaum wahrgenommen. Und so geht es weiter wie nun auf Sylt. Nächster Fall, nächste wirksame Promotion. Dass er ein Fischbrötchen von 18 Euro macht, weiß jetzt jeder – Gosch sei Dank.

Macht Raue Tüddelkram?
Tüddelkram ist ein Begriff für unnützes Zeugs, Kleinkram, Irgendetwas, das nicht so wichtig ist, das man nicht so dringend braucht. Die Interpretationen klassischer Gerichte aus der Hand von Tim Raue als Tüddelkram zu bezeichnen, ist nur von einer Warte aus denkbar, die in strammen Kategorien der bürgerlichen Küche denkt. Wer nur immer seine herkömmliche „volle Dröhnung“ will, outet sich leicht als kulinarischer Legastheniker und ist für Wahrnehmungen, die über seine Lieblingsstandards hinausgehen, normalerweise nicht zu erreichen. Ich war einmal in Raues „Soupe populaire“ in Berlin und habe dort eine größere Anzahl seiner umgebauten/optimierten Gerichte der Regionalküche gegessen, darunter die „Königsberger Klopse“. Sie waren sensationell gut, und zwar gerade deshalb, weil sie – trotz verfeinernder Zutaten beim Fleisch (z.B. Bries) und dem Umbau der Mehlschwitze in eine wunderbare Cremesauce – vollkommen typisch schmeckten. Sie waren so etwas wie die Essenz der Königsberger Klopse. Raue macht also keinen Tüddelkram, sondern ist gerade bei solchen Interpretationen eigentlich am besten.

Macht Gosch vielleicht selber Tüddelkram?
In meinen Unterlagen finden sich einige Notizen zu Besuchen in Gosch-Restaurants oder an Gosch-Ständen. Zum Beispiel eine Notiz, die da lautete: „Schlechte Werbung für den Fisch. Wer das isst und es gut findet, wird wirklich guten und gut gemachten Fisch nicht mehr gut finden können. Er wird nie erfahren, wie gut Fisch eigentlich schmecken kann.“

Ich habe die Küche als vorgestrig erlebt, ohne dass auch nur eine Spur von traditionellen Qualitäten sichtbar würde. Speziell die Tatsache, dass Fisch eigentlich nur äußerst minimalistisch und sensibel begleitet werden kann, wird regelmäßig missachtet. Das Fischbrötchen hat in quasi jeder Fassung rohe Zwiebeln obenauf. Sie erfüllen eine ähnlich zerstörerische Funktion wie die Würzsaucen bei McDonalds. Der Gast bekommt vielleicht ein bestimmtes Bild von Fischküche, nicht aber „the real thing“. So gesehen macht Gosch ziemlich viel Tüddelkram.

Machen vielleicht beide Tüddelkram?
Das kann man mit gewissen Einschränkungen und Ausnahmen durchaus so sehen. Der Drang von Raue, alles und jedes in seinen asiatischen Gerichten grenzwertig stark zu würzen, bringt ihn im Grunde in eine Ecke, die unter puristischen kulinarischen Aspekten ebenfalls problematisch ist. Der „Opfer-Esser“ (also der Esser, dessen Geschmacksvorstellungen durch industrielle Überwürzung und ähnliche Einflüsse für differenzierte Wahrnehmungen nicht mehr taugen) findet sich nicht nur bei Fast-Food-Konsumenten oder Leuten, die sich vor allem aus der Dose ernähren. Sein mittelschichtiger Ableger ist der Essensfreund, der vorzugsweise das liebt, was ebenfalls oft „die volle Dröhnung“ bringt, also etwa asiatische Küche, italienische Küche, „deftige“ Regionalküche oder all das, was vor Umami nur so platzt. Auch dieser Esser hat oft Schwierigkeiten, sensibel zu schmecken, auch dieser Esser ist für wirkliche Verfeinerungen oft kaum erreichbar. So gesehen macht nicht nur Gosch Problematisches, sondern auch Raue in Teilen seiner Arbeit. Ich habe einmal bei ihm einen Amuse Bouche Set bekommen, nach dem ich kaum weiteressen konnte, weil sich eine solche Schärfe im Mund aufgebaut hatte, dass die Geschmackspapillen quasi betäubt waren. Das war im „Soupe populaire“ übrigens nicht so.

Fazit
Die möglichen Diskussionen rund um diese Sylt-Nummer können also bei genauerem Hinsehen durchaus interessant sein. Aber – da ist noch einen anderen Hintergrund. Es gibt Leute, die glauben, dass viel Erfolg auch viel Qualität bedeutet. Gosch macht – so gesehen – keinen Tüddelkram, sondern Sachen, die laufen, in rund 50 Filialen und Verkaufsstellen. Bei erfolgreichen Köchen haben wir den Effekt schon lange – warum würden sonst Mälzer, Oliver und Co. so oft für die besten Köche gehalten? Auf Sylt haben in den letzten Jahren reihenweise gute Restaurants geschlossen. Gosch aber gibt es mittlerweile an jeder Ecke. So wie auf dem platten Land Aldi, Lidl oder Netto. Na ja, da ist Raue immer noch Tüddelkram.

 

 

4 Gedanken zu „Gosch vs. Raue: Von zwei großen Egos und etwas Tüddelkram“

  1. Lieber Jürgen,
    ich musste in der Tat über die Weinbesprechung des Borsao etwas schmunzeln, stehen doch Gewächse wie dieses in der Weinwelt buchstäblich für die „volle Dröhnung“, die Sie so gerne kritisieren. Aus dieser Ecke hätte man eine Empfehlung daher sicherlich nicht erwartet. Aber natürlich seien Ihnen die schweren Roten aus Spanien von Herzen gegönnt.
    Kritischer sehe ich allerdings die Geschichte mit den Opfer/Koma/Redundanz…-Essern. Provokation kann in vielen Fällen nützlich sein. Aber wen sprechen Sie eigentlich an? Der Normalbürger (und erst recht nicht der typische Tütensuppen/Fertigpizza-Esser) wird sicherlich nicht auf dieser Seite oder Port Culinaire vorbeischauen. Und verirrt er sich dann doch einmal im Feuilleton der FAZ, wird er sich eher im Zweifel in seinen Ressentiments bestätigt fühlen. Umgekehrt tragen Sie bei ihren eigentlichen Lesern meiner Meinung nach eher zum Amusement als zum Nachdenken bei (mutmaßlich essen diese eh keine überwürzten Industrieprodukte). Vielmehr wird ihnen ein wohliger Schauer über den Rücken laufen bei dem Gedanken, nicht zur Paria-Kaste der Opfer-Esser, sondern zu einem kleinen exklusiven Gourmetclub zu gehören. Ihre Sprache dient somit wohl leider eher der Abgrenzung als – wie intendiert – Gedankenprozesse anzustoßen.
    Bei aller Kritik sollte aber ein persönliches Wort des Dankes nicht fehlen für alle hervorragenden kulinarischen Momente, die ich insbesondere Ihren Kolumnen und Empfehlungen verdanke.
    Beste Grüße
    Marius

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  2. Lieber Marius,

    klar, auch ich bin einmal ein „Opfer-Esser“ gewesen und habe hin und wieder durchaus Rückfälle, bei denen ich mich frage, ob das nun wieder von dieser Rolle herkommt… Ich habe schließlich bis zum Alter von etwa 35 Jahren quasi nur Wiener Schnitzel, Frikadellen und Fast Food gegessen. – Der Begriff „Opfer-Esser“ ist natürlich von der etwas kräftigeren Art. Aber – man muß manchmal zu solchen Begriffen greifen, um ein gewisses Aufregungspotential zu schaffen. Gerade die Mittelschicht neigt dazu zu meinen, sie hätte alles im Griff und wäre nicht manipuliert. Gerade beim Essen habe ich dafür schon häufiger und ausführlich das Gegenteil nachgewiesen. – Den „Borsao“ finde ich nach wie vor amüsant – speziell nachdem ich in der Zwischenzeit so etwas wie einen Ur-Rotwein getrunken habe, so, wie er im Süden heute noch vielfach privat erzeugt wird…

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  3. Wer einmal herausfinden möchte ob er auch zur grauen Masse der mittelschichtigen „Opfer-Esser“ gehört oder einfach nur mal so richtig die „volle Dröhnung“ erleben möchte, dem sei ein Wein namens „Borsao Zarihs“ empfohlen: Bomben Abgang, Alkohol bis Anschlag, marmeladig bis zur Schmerzgrenze und klebrig am Gaumen wie Patex. Wer diesen Wein gewordenen Ketchup mit einigermaßen Genuss herunterkriegen möchte, muss sich wahrlich seine Geschmackspapillen durch jahrzehntelangen Genuss von „strammer Industriewürze“ restlos ruiniert haben. Finden Sie ein solches Gebräu dann auch noch „herrlich politisch unkorrekt“ dann sind Sie ohne Zweifel ein Opfer-Esser, Tim Mälzer oder…wie heißt nochmal dieser Kritiker?

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  4. Herr Raue ist einer der besten Köche Deutschlands.
    Er macht auf Sylt sei Ding.
    Also lasst Ihn doch einfach machen.
    Herrn Gosch stört doch auch keiner.
    Lasst einfach beide machen und gut .

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