Image-Shift: Weltküche gegen Regionalküche, oder: wie schnell sich die Dinge ändern können

Es ist schon merkwürdig paradox: Küchenstile, die mit Aromen aus allen Teilen der Welt hantieren, scheinen eher einen in die Jahre gekommenen Ansatz zu verfolgen, und diejenigen, die sich mit Regionalem aller Art beschäftigen, eher einen ganz neuen. Das öffentliche Bild von beiden Ansätzen ist in Bewegung geraten, und es kann passieren, dass Köche, deren Stil noch vor wenigen Jahren als ultramodern angesehen wurde, auf einmal so wirken, als würden sie unreflektiert arbeiten, als wären sie oberflächlich und mehr an Effekten als an wirklicher kulinarischer Substanz interessiert.

Worum es geht
Im Moment werden in der kreativen Küche noch scheinbar selbstverständlich zwei völlig unterschiedliche Ansätze verfolgt, und es wird der Anschein erweckt, beide seien sinnvoll und Ausdruck einer kreativen Freiheit, wie sie in der Kochkunst bisher nie existierte. Das Hantieren mit Produkten aus aller Welt, gerne in Kombination mit Aromen aus aller Welt und mit einem stilistischen Mix, der kaum noch Regeln zu haben scheint, gilt vielen Köchen und vielen Gästen als State-Of-The-Art-Küche, als das Nonplusultra einer befreiten Kreativität. Dass in diesen Küchen oft jeder Zusammenhang fehlt und der Effekt (also die Aneinanderreihung von seltenen Ingredienzen) im Mittelpunkt steht, wird kaum gesehen – vor allem auch nicht von einem Gourmet-Schickeria-Publikum, das von einem letzten kulinarischen Schrei zum nächsten hetzt.

Auf der anderen Seite werden die Bemühungen um die Regionalküche gerne mit Absicht missverstanden und von der „weltläufigen“ Fraktion in Richtung von Assoziationen wie „provinziell“ oder „kleinkariert“ oder auch „volkstümelnd“ geschoben. Leider beteiligen sich auch Köche an dieser Verunglimpfung – obwohl die modernste Form der Auseinandersetzung mit regionalen Ressourcen, die Nova-Regio-Küche, alles andere als provinziell ist, sondern längst ein auch international sehr gutes Image besitzt und in kulturell interessierte Kreise vorgedrungen ist, die sich mit der traditionellen Spitzenküche kaum je beschäftigt haben.

Image-Shift
Das Image der Köche in den beiden genannten Sparten ist im Moment noch insgesamt eher diffus. Die traditionelle Spitzenküche (zu der die Weltküchen-Köche von ihrer ganzen Orientierung her ohne weiteres zu zählen sind) dominiert nach wie vor das öffentliche Bewusstsein und viele Medien. Sie wird nach wie vor mit Luxus verbunden, mit einem Lifestyle, der sehr viel Geld erfordert, sie ist Teil des Konsums von Bevölkerungsschichten, die sich „so etwas“ erlauben können. Mit ihrer sicheren Fundierung in gutsituierten Kreisen braucht sie sich nur dann Sorgen zu machen, wenn ihr die Kundschaft ausgeht, wobei üblicherweise die elitärsten Etablissements von solchen Entwicklungen verschont bleiben.

Die modernen Formen von Regionalküche haben bei weitem kein ähnlich homogenes Publikum, sondern spielen sich in der großen Spannweite zwischen einer optimierten Wirtshauskultur und Avantgarde-Restaurants ab, wobei letztere oft noch den Makel haben, bei aller Entspanntheit in Ambiente und Duktus trotzdem ein eher hohes Preissegment zu bedienen. Dazu kommt, dass die Bemühungen ihrer Protagonisten um eine Küche, die in ihrer ganzen Konzeption gedacht ist, in der Mitte der Gesellschaft zu stehen und Ernährung und Genuss mit Ökologie, Nachhaltigkeit und Gesundheit zu verbinden, in vielen kulturellen Institutionen der Gesellschaft noch keine adäquate Beachtung finden. In den Redaktionsstuben geht es meist zu wie vor Jahrzehnten, es gibt nur bürgerliche Küche auf der einen Seite und auf der anderen irgendeine alte Vorstellung von Spitzenküche wie aus dem vergangenen Jahrhundert.

Nun aber deutet sich ein Image-Shift an, eine Verschiebung der Wertigkeiten von Ernährung und Ästhetik, von bewusster Ernährung wie bewusstem Genuss, eine Verschiebung der bevorzugten Geschmacksbilder oder auch Unverständnis gegenüber manch einer traditionellen Spitzenküche, ihren Produkten, ihren Fetten, ihrer oft sehr ähnlichen aromatischen Struktur und nicht zuletzt auch gegenüber der Art und Weise, wie sie sich selber inszeniert. Im Zusammenhang mit ihrer Neigung zu einer eher beliebigen Weltküche laufen viele Köche Gefahr, als – sagen wir es unverblümt: eher ein wenig dümmlich dazustehen, nicht darüber nachzudenken, was sie tun und wofür sie es tun, zu kopieren, was immer Neues auf dem Markt erscheint und dem nicht besonders wissenden Publikum das dann auch noch als hochkreative Novität zu verkaufen. Mit schwarzem Knoblauch kann man eben viele Gäste immer noch beeindrucken, egal, ob der Einsatz Sinn macht oder nicht.

Wie es weitergehen könnte
Das beste wäre, wenn auch unsere besten Spitzenköche langsam, aber sicher zu der Einsicht kämen, man müsse jetzt endlich einmal eine Küche realisieren, die nach der Region schmeckt, in der sie entsteht. Noch schieben viele Köche die aktuellen Probleme mit einem bisweilen ausbleibenden Publikumszulauf auf andere Aspekte (wie etwa die Alterspyramide oder den Trend zum Casual Dining) und nicht auf ihren Küchenstil. Das wird sich ändern. So wie die traditionell an der klassisch-französischen Spitzenküche orientierten Restaurants nur noch ein extremes Spartendasein führen werden, so werden auch die scheinbar kreativen Weltküchen unter Druck geraten. Ausnahmen wird es natürlich immer geben, also Köche, die mit wirklich neuen Aspekten Input in das System geben. Aber – sie sind selten und fast nur unter den Allerbesten zu finden. Ein Problem wird sein, dass sich sehr gute Köche, die sich langsam stilistisch verändern wollen, nicht mehr so ohne weiteres an die Spitze der Bewegung stellen können. Sie haben oft schlicht und einfach kochtechnisch den Anschluss verloren. Die Kochtechnik hat sich in den letzten Jahren so gewaltig verändert, dass man Defizite bei den Zubereitungen nur schwerlich in kürzerer Zeit aufarbeiten kann. Wegen dieses – vermutlich nur befristeten Defizits – kann sich ein weiteres Defizit ergeben. Den neuen Regionalküchen werden noch auf einige Zeit eine stabile Reihe von kochtechnischen Superstars fehlen, die mit ihren überlegenen Zubereitungen Alle überzeugen: vom Publikum bis hin selbst zu kritischen Kollegen.

Eines sollte man sich im Moment ganz klar vor Augen halten: es gibt keine Garantien mehr dafür, dass sich überragende Qualität automatisch und auch international durchsetzt. Und es gibt ein weiteres Problem. Ein Nebeneffekt der großen kulinarischen Freiheit der letzten Jahre war und ist, dass zentrale Werte der Kochkunst in ihrer Bedeutung schwächeln. Insofern ist es eine Aufgabe für die Zukunft, wieder kulinarische Werte zu bestimmen, die allgemeine „belastbar“ sind, egal in welchem Küchenstil.

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