Ladybird

Sie war schon eine ganze Weile im Bad gewesen. Immer mal wieder ist sie herausgekommen – mal im Morgenrock, mal mit allerhand Werkzeug im Haar, mal im Bademantel, mal mehr, mal weniger gut gelaunt. Vielleicht hatte es damit zu tun, dass es Samstag war und sie bald zur Arbeit musste. Womöglich war es aber eher noch, dass ich im Gegensatz zu ihr nicht zur Arbeit musste. Immer wenn sie grimmig schauend aus dem Badezimmer kam, blickte ich wieder blitzschnell in das tiefe Schwarz meines Kaffeebechers und sagte nichts. Das hatte ich jedenfalls schon gelernt. Die ersten Male, als ich versuchte nebenher einen kleinen Plausch mit ihr zu halten, hätten beinahe in einer Katastrophe geendet. Sie kam aus dem Badezimmer und sah wie gestriegelt aus. Nur noch Schuhe und Strumpfhose, dann würde sie zur Arbeit gehen und ich würde vermutlich noch etwas am Esstisch lümmeln. Danach wahrscheinlich wieder ins Bett gehen und noch ein kleines Nickerchen machen. Und mit „klein“ meine ich an dieser Stelle vermutlich solange, bis sie aus ihrem Teildienst wieder nach Hause zurückkehren würde. Und mit „vermutlich“ meine ich mit ziemlicher Sicherheit.
Ich lächelte ein wenig bei dem Gedanken daran, als ich plötzlich ein lautes „Scheiße!“ aus dem Nebenraum vernahm. Oh nein. Was war passiert? Wollte ich es wirklich wissen? Ich starrte konzentriert auf eine herumliegende Zeitschrift, so als ob mich auf der Welt nichts mehr interessieren würde, als welche die Top 20 Rieslinge der letzten zehn Jahre waren. Sie stampfte zu mir. Mit einer völlig zerrissenen Strumpfhose stand sie vor mir und blickte mich erwartungsvoll an. Was sollte ich nun tun? Wir blickten uns eine ganze Zeitlang an und keiner wusste so recht was er sagen sollte. Noch einige Sekunden mehr und ich hätte versucht davonzulaufen.
„Ja?“, fragte ich gelassen. So weit so gut. Vielleicht war es ja eine Art Test?
„Meine Strumpfhose!!“, feuerte sie mir entgegen. Doch kein Test.
„Oh, ja. Jetzt seh’ ich’s auch“, entgegnete ich noch immer entspannt.
Wenn das Gegenüber nervös und wütend ist, dann muss man deeskalierend reagieren. Das hatte ich mal in einer Reportage über psychisch labile Gewaltverbrecher gesehen und aus irgendeinem Grund hatte ich das Gefühl, dass diese Information nun von Bedeutung sei.

 
Fünf Minuten später fand ich mich in einem Geschäft für Damen-Unterbekleidung auf der anderen Straßenseite wieder. Als ich den Laden betrat wurde ich von allen argwöhnisch beäugt.
Ein „Mein Name ist Unterweg, ich kaufe hier ein“, konnte ich mir zum Glück verkneifen.
„Guten Tag“, begrüßte mich die Dame aufgesetzt freundlich. In Wirklichkeit klang dieser Ausspruch aber eher nach: „Was zum Teufel haben sie eigentlich hier verloren?“
Ich ging auf sie zu, nachdem ich allerhand interessante, aber auch merkwürdige, mitunter obskure Artikel aus Spitze und Seide hinter mir gelassen hatte und setzte mein herzlichstes Schwiegersohnlächeln auf. „Haben sie Strumpfhosen?“, fragte ich und lächelte die Dame freundlich an.
Eine lange, eisige Kälte durchzog den Raum, als die Dame und ihre Kollegin verwirrte Blicke austauschten. Ich wünschte, ein Strohballen wäre durch den Raum gerauscht, so wie in den Italowesternfilmen durch die Prärie. Das hätte die Peinlichkeit der Situation wohl gemäßigt.
„Ja“, antwortete die Frau zurückhaltend und wenn ein Notrufknopf unter dem Tresen gewesen wäre, hätte sie zu diesem Zeitpunkt begonnen auf diesem nervös herumzudrücken. „Wunderbar. Dann hätte ich gerne eine“, antwortete ich freudestrahlend. Dem Himmel sei Dank. Problem gelöst.
Kaum zu glauben, dachte ich, dass das erste Schweigen sowohl in seiner Länge, als auch in seiner Peinlichkeit noch übertrumpft werden konnte.
„Okay. Was hätten sie denn gerne für eine Strumpfhose?“, fragte sie, in einem Ton wie die Stationsärztin aus „Einer flog über das Kuckucksnest“. Ah. Jetzt wusste ich was los war. Ich lachte verschmitzt. „Achso. Ich hätte gerne eine Hautfarbene.“ „Na gut. Dann soll es eine hautfarbene sein“, entgegnete die Verkäuferin, ein fassungsloses Lachen unterdrückend. „Wir haben die Größen 8 ½ -9, 9 ½ -10 und 10 ½ – 11, alle – bis auf die 10er, die sind zurzeit nicht auf Lager – mit 15, 20, 30, 40, 60, und 70 Denier, wobei wir natürlich auch kleiner als 15 Denier haben – mit anderen Worten nahezu unsichtbare Feinststrümpfe und auch größer als 70 Denier, was dann im Grunde aber Wollstrümpfe sind. Diese haben wir alle als Voll-Strumpf-Hose, als Voll-Strumpf-Hose ohne Füße, als Strümpfe ohne Hose dafür aber mit Halter oder natürlich die Strümpfe ohne Hose, halterlos. Die reinen Strümpfe, ohne Hose und ohne Bein haben wir auch, aber nur in 30 Denier in 8 ¾, was eine dänische Zwischengröße ist und einer deutschen 8 und einer französischen 72,3 entspricht. Grundsätzlich haben wir Strumpfhosen in den Farben: weiß, champagner, beige, hautfarben, melange, capuccino, tanz, mustela, make up, kaffee, schokolade, milchgrau, hellgrau, mittelgrau, perlgrau, dunkelgrau, mausgrau, graphit hell, graphit dunkel, basalt, schwarz matt, schwarz glänzend, tiefschwarz, königsblau – nur in Wolle, dunkelblau, ultramarinblau, bordeaux, cognac, mittelgrün, pistaziengrün, auch nur in 70 Denier, hellgrün, gelb, orange, hellblau und tabak. Das Ganze haben wir dann noch in Shiny, Sparkle, Glossy oder Lack. Shiny und Sparkle haben wir auch mit rückseitiger Naht. Und Glossy mit Wellenlinien. Wobei letzteres erst ab 60 Denier. Und Fischnetz. Wer könnte das vergessen. Falls sie sich für eine Voll-Strumpf-Hose entscheiden, sollten sie sich darüber Gedanken machen, ob das Höschchen gestanzt, genäht oder gewoben sein soll. Wir haben auch in unserer Luxury Collection Voll-Strumpf-Hosen und Strümpfe mit einem herabgesetzten Nylonanteil. Gut für Wohlbefinden und Umwelt.“
Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich wohl meinen Strumpfhosenberater zu Rate gezogen. Ich glaube meine Versicherung bietet einen solchen Dienst mittlerweile zu günstigen Konditionen an, wenn ich mich recht an die Worte meiner Versicherungsvertreterin erinnere.
Ich verließ den Laden, völlig zermürbt von der Reizüberflutung von Spitzen- und Feinwäsche. Ich hatte mich für eine Voll-Strumpf-Hose in Melange entschieden. Mit gewobenem Höschen. Aus Bio-Nylon, versteht sich. Wegen des Karmas. Ich war froh, dass ich die Strumpfhose ohne notarielle Beglaubigung kaufen und direkt in bar hatte zahlen können. Als ich die Wohnungstür aufschloss, war niemand mehr da. Nur die Katzen hatten die Kaffeekanne umgeworfen und der Inhalt dieser verteilte sich wieder einmal auf Tisch und Fußboden. Am Käse hatten sie auch herumgeknabbert. Soweit also alles beim Alten. Nur meine Freundin, weit und breit unauffindbar. Sie musste derweil zur Arbeit gegangen sein. Ich bekam einen bösen Schrecken, als ich auf die Uhr sah. So viel Zeit hatte die intensive Strumpfhosenberatung in Anspruch genommen. Ich blickte nochmal ungläubig auf die Uhr. Jetzt aber ab ins Bett, sonst lohnt sich das Nickerchen nicht mehr …

Den dieswöchigen Cocktail widme ich allen Frauen, die jeden Tag mit Glätteisen, Lockenwicklern, Pre-Dusch-Peelings und After-Dusch-Balsams zu kämpfen haben. Allen, die den Unterschied zwischen Lipgloss, Lippenstift und Lippenbalm kennen müssen. Die wissen, in welcher Reihenfolge Foundation, Puder und Spachtel aufgetragen werden muss. Allen, die jeden Tag auf zu hohen Schuhen, in zu engen Klamotten zu schwere Arbeiten in zu wenig Zeit erledigen müssen. Der Cocktail ist denen gewidmet, die in ein Damenmodegeschäft gehen und sagen „Ich brauche 1x 8 ½, 30 Den in Champagner, Vollstrumpfhose, mit gewobenem Höschen und herabgesetzten Elasthan-Anteil im Bund, sowie verstärkten Fußsohlen in Satin Matt mit micro Sparkle.“

Ladies, der ist für Euch.

Zunächst nehmen wir 250 ml Rhabarbersaft und kochen diesen mit 250 ml weißem Rohrzucker auf. Diesen Rhabarbersirup können Sie anschließend heiß in Flaschen füllen – er hält sich aber auch so einige Zeit frisch. Es empfiehlt sich zur Saison immer etwas im Kühlschrank zu haben, denn er schmeckt auch fabelhaft, wenn er mit einem Crémant aufgegossen wird. Wenn der Sirup abgekühlt ist, geben wir in einen Cobblershaker 5cl The Bos Gin, 3cl frisch gepressten Limettensaft, sowie 2cl unseres Rhabarbersirups, 3 Dashes Rosenwasser und einen Barlöffel Eiweißpulver. Die Strainerspirale wird in den Shaker gegeben und alles wird circa 30 Sekunden dry-geshaked. Wenn alles schaumig ist, entnehmen wir die Strainerspirale, geben Eiswürfel dazu und schütteln alles weitre 30 Sekunden kalt. Mit dem Strainer wird das Ganze in eine vorgekühlte Martinischale gegossen und mit einigen Blüten garniert.

Und nun; weg mit dem Kostüm, weg mit den Pfennigabsätzen, raus aus den Strumpfhosen. Mit diesem Cocktail in der Hand, steht einem wohlverdienten Feierabend nichts mehr im Wege…

In diesem Sinne,
der heilige Helge

Zutaten bei BOS FOOD zu bestellen: 5 cl The Bos Gin (Art. Nr. 45021) • 3 cl Limettensaft • 2 cl Rhabarbersirup (bestehend aus Art. Nr. 32158 und 250g Art. Nr. 15931) • 1 Dash Rosenwasser (Art. Nr. 22937) • 1 BL Eiweißpulver (Art. Nr. 22452)

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