Lidl gibt Gas

In dieser Ausgabe von Gourmet-Watch wird es einmal nicht um das übliche Discounter-Bashing gehen. Die Zeiten, in denen man sich z.B. über das öde Name-Dropping bei Weinen aufgeregt hat (also über Weinangebote, auf denen irgendwie „Grand Cru“ steht – quasi unabhängig von der Qualität des Inhalts) sollten langsam vorbei sein. Es gibt einfach mehr und Interessanteres zu berichten und vor allem zu diskutieren.

Exposition
Wie würden Sie z.B. normalerweise auf Rezepttitel wie die folgenden reagieren: „Rinderfilet in Barolosauce mit Kartoffelstampf“, „Schweinefilet in Espressomarinade auf Pistazien-Risotto“ oder „Wagyu-Beef mit gebackener Zwiebel und Röstzwiebel-Mayonnaise“? Welchem Typus von Restaurant würde man sie zuordnen? Eher traditionellen oder eher zeitgenössischen? Der normal bürgerlichen Küche oder vielleicht einem Szene-Restaurant, das „nicht mehr auf Stern kochen will, aber viel Lob für seine guten, publikumsnahen Ideen bekommt“ – wie das vielleicht in einer Zeitschrift dann beschrieben würde?
Als ich vor kurzem einmal auf dem Düsseldorfer Hauptbahnhof aus dem Zug stieg, zuckte es mir irgendwo im Augenwinkel, weil ich etwas gesehen hatte, das ich im ersten Moment für sehr erstaunlich hielt. Es war ein großes Lidl-Plakat mit einem der Gerichte aus dem neuen Programm (ich komme weiter unten darauf zu sprechen, es ist ein Gericht mit dem südamerikanischen Rinderfilet, 28 Tage gereift, am Stück). Es sah aus, wie zeitgenössische bessere Küche der entspannteren Art, also Fleisch und Röstkartoffeln und Kirschtomaten und Wurzelgemüse in neuem Look, mit längs aufgeschnittenen Petersilienwurzeln und irgendwie so, wie frisch aus einem der vielen Bestseller-Bücher entsprungen, die ja ausschließlich einmalig schnelle und sauleckere Gerichte empfehlen – mit ebenso frisch von Spitzenköchen – sagen wir: inspirierten Ideen.

Discounter und das, was sie können, wenn sie wollen
Viele Kritik an den Discountern ist heute eine Dinosaurier-Kritik. Sie hat oft ein paar verfestigte Grundmuster, kennt aber die aktuelle Lage nicht. Vor allem aber unterschätzt sie die Macht und auch konzeptionelle Kraft, die Konzerne mit Milliardenumsätzen entfalten können. Um es auf den Punkt zu bringen: Es könnte gut sein, dass die Bewahrer des kulinarisch Wahren, Guten und Schönen ganz einfach und in Windeseile von hinten überholt werden und die alten Argumente vom öden Handel mit schlechten Produkten in einem haarsträubenden Preiskampf einfach nicht mehr so richtig greifen wollen. Ich habe immer gesagt, dass die Discounter keine Probleme damit haben werden, deutlich bessere Produkte zu verkaufen, wenn es denn nötig und möglich ist.
Mittlerweile hat sich die Zeit deutlich verändert. Auch bei den Discountern wird man längst wissen, dass mit dem ewigen Preisdumping auf Dauer kein Geld zu verdienen ist und ihr älter werdendes Stammpublikum ohnehin kulinarisch eher beratungsresistent ist. Versuche, den Markt zu erweitern, hat es etwa bei Aldi und Lidl schon seit längerer Zeit gegeben. Das was man aber im Moment macht, ist ein Strategiewechsel von größerem, unbedingt in die Zukunft gerichteten Ausmaß. Um es einmal salopp zu formulieren: Es würde mich nicht wundern, wenn im nächsten Weihnachtsprogramm bei Lidl auch Spitzenköche offen und namentlich genannt eine große Rolle spielen würden – durchaus mit guten Produkten und anspruchsvolleren Rezepten. Für Konzerne dieser Größe wäre die Umsetzung solcher Ideen keinerlei Problem. Man scheint daran zu arbeiten, die „normalen“ Supermärkten sozusagen links zu überholen und eine kulinarische Community aufzubauen, die zum sicheren Hort für eine neue Generation von kochbegeisterten oder zumindest von der Freude am Kochen infizierten Kunden wird. TV-Kochshows – massenhaft verbreitete Ratgeber-Bücher – die Praxis dazu vom Discounter geliefert: So wird es werden, wenn es nicht – zumindest in den aktuellen Aktionen – schon zum Teil so ist.

„Oh du Leckere“: Die neue Baukastenküche
Man sollte dringend einmal einen Blick in den 75-seitigen Lidl-Prospekt „Oh du Leckere“ und vor allem auch auf das Online-Portal werfen. Hier wird deutlich das Ende der alten Zeiten eingeläutet. Etwas überzeichnet: Es geht einfach nicht mehr darum, die Königsberger Klopse oder die Kohlroulade aus der Dose festlich-weihnachtlich anzurichten. Es geht um den Anschluss an die neuen Zeiten. Und die sehen den Focus nicht mehr so sehr auf Fertiggerichten, sondern auf eine Art Baukastenküche, die aus mehr oder weniger vorgefertigten Elementen plus frischen Produkten besteht. Wie jeder Profi weiß, findet sich in dieser Richtung für eine unkomplizierte häusliche Küche eine Menge Potential. Es gibt Elemente, die man am besten frisch verarbeitet, es gibt aber auch solche, die eine Konservierung sehr gut vertragen. Das macht man hier, weil man erkannt hat, dass man bei Fertiggerichten schnell an preisliche Grenzen stößt, Baukastenküche aber gut machbar ist und „freier“ wirkt, auch wenn sie viel teurer als Fertiggerichte ausfällt. Ich habe – wie ich das schon seit Jahren mache – auch in diesem Jahr wieder eine ganze Reihe von Lidl-Produkten probiert und durchaus gewisse Stabilisierungen festgestellt. Nein, man kann nicht mehr durchgehend behaupten, es käme bei Lidl nur noch auf das an, was auf dem Etikett steht. Natürlich ist das Olivenpüree nicht mit der „Tapéade du vigneron“ vom Chateau d’Estoublon in der nähe von Arles zu vergleichen. Aber für eine ganze Reihe einfacherer Verwendungen bringt es eine klare aromatische Farbe. Köche kennen das vielleicht von den „Medaillons de Foie gras“ von 40 g, die in französischen Supermärkten für ein paar Euro verkauft werden: Man sollte sie nicht pur essen und auch nicht unbedingt in einer Terrine verarbeiten. Aber als Aroma in Saucen oder Füllungen tun diese Produkte erstaunlich gute Dienste. Auch andere Elemente erreichen bei Lidl eine Qualität, die – sagen wir: einer Art Bistro- oder Brasserie-Küche vergleichbar ist. Man wird sehen, ob man bei Lidl oder ALDI bereit ist, dieses Programm auch außerhalb der Feiertage weiter zu verfolgen. Man ist mit den Preisen an einem interessanten Punkt, an dem sich sehr günstige Preise und die Qualität oft in einer Balance befinden, die man einfach nicht ignorieren kann oder sollte. Es wird der Kritik in Zukunft jedenfalls immer schwerer fallen, Pauschalurteile über Lidl und Co. zu fällen. Und es wird sicher weiter gehen, zum Beispiel dadurch, dass man zusätzlich kulinarisch kreativere Aspekte ins Programm nimmt, die auf Produkte und ihre Verwendung setzen, die nicht ganz so sehr von höchster puristischer Produktqualität abhängen wie vielleicht ein Stück Fleisch mit minimalistischer Begleitung. Und wenn man dann in der Werbung den Mund nicht mehr ganz so voll nimmt und nicht unbedingt darauf besteht, die allerbesten Produkte im Programm zu haben, kann eine Zukunft entstehen, die bei weitem nicht so übel ist, wie es lange Zeit ausgesehen hat.

7 Gedanken zu „Lidl gibt Gas“

  1. Hallo Herr Dollase,
    mein Kommentar hat mit diesem Artikel nur bedingt zu tun, aber hier erschien er mit am sinnvollsten.
    Ich habe eben einen etwas älteren Artikel aus der FAZ gelesen, in dem Sie sich über die Produktqualitäten in deutschen Supermärkten beschweren. Ich hänge meinen Kommentar nun an diesen Artikel an, da ich denke das er hier am besten angebracht ist.
    Mir ist völlig klar, dass die Produkte die im Discounter angeboten werden, keine Spitzenprodukte sind. Auch nicht, wenn diese dort unter den entsprechenden Eigenmarken „Gourmet“ oder „Deluxe“ oder was auch immer beworben werden.
    Sie haben in dem FAZ Artikel beispielsweise erwähnt, dass Sie zu viel schlechte Erfahrungen mit neuseeländischen Lamm gemacht haben. Für mich war das bisher immer eines der Produkte, bei denen ich sehr gute Erfahrungen gemacht habe.
    Ich frage mich nun, liegt das an meinem ungeschulten Gaumen oder hatte ich Glück? Ich vermute ersteres, was mich aber umgehend zu der Frage bringt, was sind Ihre Qualitätskriterien für sehr gutes Lamm?
    Positive Eigenschaften des besagten Lammes war für mich immer die Zartheit und feine Geschmack, der etwas weniger intensiv war, als ich ihn z. B. vom heimischen Lamm aus der Region (Rhön) oder aus Griechenland und der Türkei kannte.
    Mir persönlich erscheint es so, als hätte sie nicht nur das Angebot in den letzten zehn Jahren deutlich erhöht, sondern auch die im Discounter und Supermarkt verfügbaren Qualitäten.
    Ich bin Anfang 30 und war bisher leider nur wenig in Sternerestaurants essen, somit fehlen mir natürlich auch die Vergleiche zu absoluten Spitzenprodukten.
    Gemüse aller Art und Obst aus eigenen Anbau ist mir bekannt und natürlich liegen die Qualitäten dieser, oft über den üblichen Qualitäten aus dem Supermarkt.
    Ich verstehe auch, dass versierte Gärtner noch bessere Ergebnisse erzielen und das Qualitäten auch von Böden und Klima abhängig sind.
    Wo tätigen Sie Ihre Einkäufe für jeden Tag?
    Können Sie ggf. auch Online-Dienste empfehlen die sie zur Produktbeschaffung nutzen?
    Vielen Dank.

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  2. Lieber VIPVIELFLIEGER,
    ich verstehe Ihre Einwände ganz genau. Aber – bitte spekulieren Sie nicht über Beweggründe und kommerzielle Perspektiven. Bei eat-drink-think sind die Beiträge unabhängig voneinander. Meine Beiträge entstehen immer aus einer journalistischen Sicht. Ich sehe Entwicklungen, beschreibe sie und ordne sie ein. Die Entwicklungen bei den Discountern z.B. beobachte und beschreibe ich schon seit vielen Jahren. – Ansonsten darf ich auf meine Antwort weiter unten verweisen.

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  3. DAS IST DER ANFANG VOM ENDE
    Das Mittelmaß hat in Deutschland am 9. November 1989 die Führung übernommen. Überall nur noch Aushilfen, Praktikanten und ungelernte. Einführung von Massenproduktion, Massen-Kolchosen und sozialistische Vetternwirtschaft. Das durch die pure Geldgier Sterne- und TV Köche ihren „Guten Namen“ an Discounter und Industrieprodukte verkaufen – statt mit immer mehr vom Markt verschwundene kleinen Bauernbetrieben, Biohöfen und Familienbetrieben ist schon traurig genug. Wenn aber nun gestandene Feinkost Vermarkter von „Neuer Strategie der Discounter“ sprechen, „guter Qualität“ und es zum Thema machen, hat dies schon ein kleines Geschmäckle. Damit macht man solche Industrie-Förderer Salonfähig. Man öffnet ihnen eine verschlossene Tür. Und jeder sollte dabei bedenken, ob TV oder Sternekoch, Prominente und Youtube Blogger und natürlich auch Feinkostverkäufer – wer sich mit dem Teufel einlässt, darf sich später nicht wundern, wenn der Teufel das Lenkrad in die Hand nimmt. Beispiele gibt es hier so viele. Alle großen Stars haben zu Spotify, iTunes und Co verkündet: „NIEMALS“. Heute bestimmen diese Konzerne wer noch in der Musikszene mitspielen darf. Wer also gute Lebensmittel genießen will, sollte schon mal anfangen direkt beim Bauern kaufen. Damit die Überraschung später nicht so groß ist wenn es auch bei BOS & Co in der Presse zu lesen sein wird: „Beste Bos Qualität jetzt auch bei Lidl & Co“. Das wäre schon sehr traurig! Und wer bei dieser Meldung zwischen den Zeilen liest, kann so was schon erkennen.

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  4. Liebe Freunde, ich antworte hier auch auf einige Facebook-Kommentare. – Wir müssen uns ganz allgemein vor Augen halten, daß ein umfangreiches Verständnis von Produktqualität die eine Sache ist, ein Handel, der Millionen bedient aber eine andere. ich habe mich immer wieder für ein unteilbares Verständnis von einer solchen Produktqualität eingesetzt und bleibe auch dabei. Deshalb ja auch die Erläuterung zu dem Olivenpüree und dem Vergleich mit anderen Qualitäten. Selbstverständlich gibt es in allen Bereichen bessere Produkte, als Lidl etc. sie jemals anbieten kann – zum Beispiel deshalb, weil die Kundschaft sie nicht bezahlen kann. Die Suche nach annehmbaren Produkten auch außerhalb des üblichen, sehr begrenzten Angebotes der Discounter ist deshalb aber nicht von Grund auf schlecht, sondern ein interessanter Weg. Es versteht sich von selber, daß auch das nicht zu Niedrigstpreisen zu haben ist. Aber – es kommt eben auf die Balance an, auch was die Produzenten angeht.
    Wer Vorschläge hat, wie man die ganze Problematik unter einen Hut bekommt, möge das uns mitteilen. Ich persönlich stand vor der Frage, wann der Punkt gekommen ist, wenn der nun wirklich wohlfeilen Discounter-Kritik abzurücken und zu versuchen, positive Tendenzen zu nennen. Auch und gerade die Spitzenküche und ihre Freunde muß aufpassen, daß sie sich nicht in den Zustand der Belanglosigkeit verzieht, also dorthin, wo man unter sich ist und verstanden wird und die eigenen Regeln gelten. Die Kunstszene hat so etwas schon hinter sich. Die Kochkunst aber hat immer noch die Chance, mitten in der Gesellschaft wirksam zu werden. Sie sollte sie nutzen.

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  5. Vor sechs Jahren startade i Stockholm en pop upp Restaurang Dill, allé kritiker waren begeisterert topp notieringen. Als die Bombe platzte, allé produkte von Lidl ….war es still.
    Heute hat Lidl Seine Nische mit ekologischen gemuse och Fleisch aus schwedischer produktion, und dazu spezialiteten Wochen mit qualitetsprodukten von anderen ländern.
    Lidel hat Seine nische entdeckt…..

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  6. Donsaurierkritik trifft es gut. Gerade in den letzten zwei, drei Jahren hat es bei LIDL einen qualitativen Aufschwung gegeben, den ich – ehrlich gesagt – so schnell nicht für möglich gehalten hatte. Die Obst- und Gemüseabteilung kann es mit den meisten Rewe- und Edekamärkten locker aufnehmen (Ausnahmen wie Edeka Zurheide im Ruhrgebiet bestätigen die Regel). Die Vielfalt von Topinambur über Pastinaken, Bärlauch, diverse Kürbissorten, Maronen usw. überascht mich immer wieder.
    Gerade in der Vorweihnachtszeit gibt es bei LIDL oft interessante Zusatzangebote wie zum Beispiel Avocado, Haselnuss- und Walnussöl von zumindest solider Qualität, barmherzig kalkuliert.
    Aldi-Nord strebt mit dem neuen Instore-Konzept nun auch einen Imagewechsel an und nimmt dafür Millarden Euro in die Hand. Interessant sind aktuell die ALDI-Nord-Editionsweine, von denen ich kürzlich einige durchprobiert habe. Mehr dazu hier:
    http://blog.rewirpower.de/index.php/2017/12/06/fremdtrinken-bei-deutschlands-grostem-weinhandler-wie-aldi-vor-weihnachten-mit-aktionsweinen-punkten-will/

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