Umami – Tsunami?

Warum man mit dem fünften Grundgeschmack etwas zurückhaltender sein sollte

Kikunae Takeda (1864-1936) der Entdecker von Umami
Kikunae Takeda (1864-1936) der Entdecker von Umami
Eine kleine Vorgeschichte
Im Jahre 2005 wurde Jean-Claude Bourgueil („Im Schiffchen“, Düsseldorf) vom Gault Millau aus der Wertung genommen, weil er freimütig bekannt hatte, dass er zur Abrundung des Geschmacks Glutamat einsetzt. Zu dieser Zeit stand Glutamat sozusagen für alles kulinarisch Böse dieser Welt, weil es von der Nahrungsmittelindustrie regelmäßig als „Geschmacksverstärker“ eingesetzt wurde. Asiatische Küche (vor allem die chinesische) galt wegen des Glutamat-Einsatzes als verpönt und das Wort vom „Chinarestaurant-Syndrom“ machte die Runde. Im Zusammenhang mit Bourgueils Bekenntnis wurde dann schnell klar, dass der Einsatz von Glutamat weiter verbreitet war, als ursprünglich angenommen. Vor allem ältere Köche mit französischen Wurzeln gerieten bisweilen durch ein außergewöhnlich stabiles Würzbild in Verdacht, bei dem eine Sauce so ausgeglichen wie die andere schmeckte. Es wurde auch klar, dass man in Frankreich das Problem nicht ganz so ernst nahm. Selbst Bocuse plädierte in manchen Rezepten für den Einsatz von Suppenwürfeln.

Heute redet alle Welt von Umami (also letztlich dem Geschmack von Mononatriumglutamat) und dem möglichst optimalen Einsatz von Produkten, die einen hohen natürlichen Anteil an Glutamat haben. Dem sollte man nicht unkritisch folgen, sondern ein paar Aspekte bedenken und diskutieren. Dazu möchte ich hier Anregungen geben.

Eine kräftige Würze sollte eher die Ausnahme und nicht der Normalfall sein
Nichts gegen eine gute Würze am geeigneten Objekt. Aber – Gewürze sind Produkte wie jedes andere auch und sollten genau so wenig dauernd eingesetzt werden, wie andere Produkte. Hätte ein Gourmetrestaurant in seinem Menü in jedem Gang größere Mengen Rosmarin, würden sich viele Gäste aufregen. Hat es überall größere Mengen Salz, Pfeffer, Miso, Dashi oder Umami-Produkte ist das im Prinzip nicht anders und genauso sinnlos.

Eine starke Würze kaschiert schnell den Produktgeschmack
Es ist unbedingt notwendig, den Eigengeschmack von Produkten nicht aus dem Auge zu verlieren. Sehr viele professionelle wie private Köche haben es sich angewöhnt, Alles und Jedes geschmacklich zu verstärken, also ein Geschmacksbild zu produzieren, das aus Produkt plus Würze besteht. Dabei gerät der Produktgeschmack oft ins Hintertreffen und wird – von Brauhäusern bis zur Spitzenküche – bisweilen bis zur Unkenntlichkeit kaschiert. Dass das Freistellen von Produkten ohne Salz, Pfeffer, Fonds/Fermentierungen usw. usf. oft ein sehr viel klareres und produktnäheres Bild erzeugt, ist dagegen kaum bekannt und äußerst selten zu finden. Das Überziehen ganzer Gerichte mit einem Würzschleier verhindert einen großen Teil der Wahrnehmungen, macht den Geschmack künstlicher und banalisiert ihn.

Die Gewöhnung an die „volle Dröhnung“ ist kulinarisch kontraproduktiv
Der schlimmste Effekt einer Überwürzung ist eine durchaus suchtähnliche Gewöhnung an kräftige, mehr oder weniger künstliche Geschmacksbilder. Viele jüngere Esser, die eine eher natürliche Ernährung nicht mehr kennen und mit industrialisierten Geschmacksbildern aufgewachsen sind, empfinden eine natürlichere, verfeinerte Küche als fade. Das unnatürliche Produkt mit Überwürzung oder auch künstlichen Aromenstoffen wird dem natürlichen oder weitgehend natürlich-identifizierbaren vorgezogen. Gerade weniger intensiv schmeckende Produkte aus der Pflanzenwelt haben da keinerlei Chance, obwohl ihre Nutzung für die Zukunft der Ernährung enorm wichtig wäre. Eine Küche mit einem zu hohen Anteil an Würze führt in letzter Instanz zu Kunstnahrung, zur Konzentration auf geschmackliche Sinnesreize, die mit natürlichen Produkten nichts mehr zu tun haben.

Kräftige Dauerwürzer unter den Köchen spielen das Spiel der Industrie
Das Aufkommen einer allzu forcierten Liebe für Umami-gesättigte Speisen und eine kräftige Dauerwürze spielt der Nahrungsmittelindustrie in die Hände. Deren Ziel war es schon immer, Abhängigkeiten von ihren Produkten zu erzeugen, die auf lange Sicht geeignet sind, andere, natürlichere Formen der Ernährung zu verdrängen. Gerade die besten Köche sollten eher das gegenteilige Interesse haben, nämlich sich einen möglichst großen Spielraum zu bewahren, um ihre ganze Kreativität nutzen zu können. Der Einsatz einer kräftigen Dauerwürze ist also auch auf Seiten der Köche kulinarisch kontraproduktiv

Die merkwürdige Allianz von industrieller Würze, asiatischer Küche, schlechter traditioneller Küche und italienischer Küche
Wer die überwürzten industriellen Geschmacksbilder gewöhnt ist, ist oft für jede zurückhaltend-verfeinerte Küche verloren. Sie schmeckt ihm nicht, weil sie nicht kräftig genug ist. Es fällt allerdings auf, dass solche Esser keine Probleme mit asiatischer Küche und der bei uns verkauften italienischen Küche haben. Pizza, Pasta und die Billig-Büfetts vieler Asiaten gefallen erstaunlicher Weise selbst älteren Herrschaften ganz ausgezeichnet. Aber auch die Feinschmecker sind in diesem Zusammenhang nicht unauffällig: Massen von bestem Parmesan, Trüffel, Tomatenessenzen usw. usf. liegen auf einer ganz ähnlichen Linie. Wenn vor diesem Hintergrund Leute für mehr Würze in der guten Küche eintreten (was in Restaurantkritiken immer wieder vorkommt), sollte man misstrauisch werden. Es ist gut möglich, dass sie nicht über einen emanzipierten Geschmack verfügen, wie man ihn für die gute Küche eigentlich braucht, sondern schon mehr oder weniger Opfer einer (vielleicht unbewussten) kulinarischen Erziehung zu überwürzten Geschmacksbildern sind.

Die Sucht vieler Konsumenten nach kräftigen Geschmacksbildern im Sinne der Nahrungsmittelindustrie hat ihr Pendant in einer Küche, in der ständig nach Verstärkung von Aromen gesucht wird. Dieser Weg ist eine Sackgasse. Wir sollten vorsichtig sein und auf alle unsere Sinne hören, nicht nur die, die ein maximales Belohnungssystem in Gang setzen – wie das bei Drogen, Alkohol oder anderen Suchtmitteln der Fall ist.

3 Gedanken zu „Umami – Tsunami?“

  1. Herr Dollase, sie schreiben mir aus der Seele.
    Viele haben den „natürlichen“ Geschmack eines Produktes vergessen, da es einfach überwürzt wird,
    auch daran geschuldet von den FastFood Ketten, die denn Geschmack seit Jahren vorgibt. .
    Mein Motto ob privat oder beruflich:
    Weniger ist oft mehr.
    @CommisKommerz;
    Was stört ihnen die Werbung, es geht doch um denn Inhalt. Wir müssen doch froh sein, das die 3 Herren sich die Mühe machen und tolle Beiträge schreiben und uns dies kostenlos zur Verfügung stellen.
    Diese Webseite muss ja auch finanziert sein !!!

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  2. Schreibt er und rechts blinken als Werbung „Texturas“ auf. Viel schlimmer als alles andere.

    Und bei den aufgeführten Produkten, die umami schmecken, handelt es sich nicht um Glutamat, sondern um Glutamin. Das ist ein feiner, doch wichtiger Unterschied.

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    • Lieber CommisKommerz, was genau ist denn so schlimm an den Texturgebern? Ohne den Beitrag von Herrn Dollase für eine andere Diskussion missbrauchen zu wollen, aber da wir die CreativeCuisine Produkte zusammen mit Bosfood verkaufen, würde mich interessieren, wie Sie zu diesem Urteil kommen? Herzliche Grüße Jürgen Mann

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