Vier Gerichte von Anne-Sophie Pic: Wohin geht die Reise?

Anne-Sophie PicAnne-Sophie Pic gehört zu einer der berühmtesten gastronomischen Familien Frankreichs. Sowohl ihr Großvater Alain als auch ihr Vater Jacques wurden mit drei Michelin-Sternen ausgezeichnet, und im Jahre 2007 gelang dies auch der 1969 geborenen Anne-Sophie. Ihr „Maison Pic“ in Valence ist ein typisch französisches, großes Gourmetrestaurant mit einer immer sehr regen Nachfrage. Mittlerweile hat die Köchin auch eine internationale Expansion begonnen – wie das viele ihrer französischen Kollegen tun. Einem ersten Restaurant in Lausanne folgten unter dem Namen „La Dame de Pic“ Adressen in Paris und London.
Stilistisch war zu Beginn ihrer Laufbahn von der Küche ihrer Familie geprägt, entwickelt dann mit zunehmendem Selbstbewusstsein aber einen feinen, kleinformatigen, geradezu femininen Stil von großer Leichtigkeit und handwerklicher Brillanz. Was sie allerdings im Moment präsentiert, ist offensichtlich eine neue Phase, die von diesem Kurs deutlich abweicht. Wie viele Köche, die international arbeiten wollen, absolviert auch Madame Pic Auftritte bei Kollegen in diversen Ländern. Diese Auftritte sind wichtig geworden, weil sie der Verbesserung der internationalen Präsenz unter dem Aspekt der Platzierung in der Liste der „The World’s 50 Best Restaurants“ und anderer Rankings dienen. Köche, die ausschließlich national arbeiten, haben dort deutlich geringere Chancen auf eine gute Platzierung als solche, die internationale Netzwerke mit der entsprechenden Medienpräsenz knüpfen. Gegenwärtig ist Madame Pic nicht unter den besten 100 der genannten Liste vertreten (die Platzierungen werden bis zu Platz 100 auflistet).

Hier der Bericht über vier Gerichte, die von Anne-Sophie Pic im „Geranium“ in Kopenhagen präsentiert wurden. Es handelt sich um Kreationen, die sie offensichtlich in letzter Zeit häufiger bei solchen Auftritten einsetzt und deren Fotos sie auch für Presseberichte nutzt.

Ausgewählte Tomatensorten, Murcott-Mandarinen, Chiloè-Beeren, Salbei-Consommé und Eis von überreifen OlivenAusgewählte Tomatensorten, Murcott-Mandarinen, Chiloè-Beeren, Salbei-Consommé und Eis von überreifen Oliven
Auf dem Papier klingt diese Komposition sehr interessant und sie sieht auch erst einmal sehr interessant aus. Beim Essen aber gibt es schnell Irritationen. Die Tomaten sind exzellent und schmecken naturgemäß sehr komplex. Muss man sie mit so starken Aromen angehen wie hier? Die Mandarinen überlagern sofort einen großen Teil des Tomaten-Aromas, was dann erst recht für die pfeffrigen Chiloè-Beeren gilt. Auch das Eis erscheint im Zusammenhang als zu stark geboostet, so dass sich ein recht überladenes, nicht unbedingt produktnahes Bild ergibt. Im Detail entpuppen sich dabei die Mandarinen durchaus als ein sehr gutes Produkt. Was nicht stimmt, sind die Proportionen. Was bleibt, ist eine etwas wilde Idee mit einem machbaren Kern, aber mit einem sehr deutlichen Mangel an sensorischer Präzision.

Tarbouriech-Austern, wie ein Irish Coffee zubereitet, krokanter Rhabarber-Kompott und Bourbon-Pointu-KaffeeTarbouriech-Austern, wie ein Irish Coffee zubereitet, krokanter Rhabarber-Kompott und Bourbon-Pointu-Kaffee
Der britische Avantgardist Heston Blumenthal wurde vor etlichen Jahren einmal mit der Kombination von Lachs und Lakritze (Süßholz) bekannt. Obwohl sich diese Zusammenstellung quasi weltweit herumgesprochen hat, war sie nie wirklich gut. Vordergründig ergab sich ein gewisser Effekt, der auch Sinn zu machen schien, bei genauerer Betrachtung aber spielte sich diese Kombination bei Blumenthal eindeutig zuungunsten des Lachses ab. Er verlor – wegen eines Effektes. Warum ich das hier erzähle? Genau diesen Effekt hat man bei den Austern mit einem unsäglichen Irish-Coffee-Akkord und dem Kaffee. Man kann es drehen und wenden wie man will: Es schmeckt wie künstliches Essen, nicht wie eine Begleitung / eine Umgebung für Austern. Dazu kommt auch noch ein weiterer sensorischer Schwachpunkt durch viel zu sehr al dente gehaltenen Rhabarber, mit dessen Fasern man mehr zu tun bekommt,
als sinnvoll ist und der dann natürlich mit seiner geschmacklichen Länge alles überlagert.

In Hummer Butter gerösteter Blauer Hummer, leicht geräucherter Dashi mit Beeren, Himbeer-Berberitzen-Chutney, Liebstöckel und Lavendel

In Hummerbutter gerösteter Blauer Hummer, leicht geräucherter Dashi mit Beeren, Himbeer-Berberitzen-Chutney, Liebstöckel und Lavendel
Auch hier klingt es wieder mächtig forciert, wobei die Aromen im Gegensatz zu den beiden ersten Rezepten im Prinzip ein wenig besser zusammen passen. Leider ist aber wieder alles kaum abgestimmt und viel zu sehr in die Sättigung gefahren. Die Akkorde werden dabei unstimmig, unausgeglichen und – um im Bild zu bleiben – viel zu laut. Abgesehen davon ist die Garung des Hummers nicht gut, weil viel zu elastisch-zäh.

Bitter-Honig-SchokoladeBitter-Honig-Schokolade
Dieses für Anne-Sophie Pic von Valrhona entworfene Schokoladen-Dessert ist nicht nur eine Art neuer Signature Dish, sondern schmeckt glücklicherweise entspannt und gut – von der spektakulären Optik einmal ganz abgesehen. Die Füllungen der Fächer kommen u.a. von einer Tee-Creme, und einem Honig-Panna-Cotta, die leicht und entspannt mit den sehr dünn gehaltenen, feinen Schokoladenblättern korrespondieren.

Diskussion
Die Gerichte wirken bis auf das Dessert wie ein eher krampfhafter Versuch, Kreativität zu produzieren, obwohl dies bisher nicht das herausragende Merkmal der Pic-Küche war. Es hat den Anschein, als ob der internationale Druck zur Unterscheidung, zu Profil und zu einem Image als kreative Kraft hier viel Unheil anrichtet. Die große Zahl französischer Spitzenköche wird sich in den Systemen der internationalen Rankings wegen deren Regeln nie so weit durchsetzen können, wie das vielleicht den tatsächlichen Leistungen entspricht. Nun aber einen Ausweg in forcierten Bemühungen dieser Art zu suchen, geht in die komplett falsche Richtung. Wieder einmal fällt auf, dass französische Spitzenköche, die ja meist nicht unbedingt unter einem Mangel an Selbstbewusstsein leiden, sensorische Schwächen im Aufbau ihrer Kompositionen haben und kein besonders gutes Verhältnis zur Kreativität besitzen.
Warum bleibt Madame Pic nicht bei dem, was sie perfekt beherrscht?

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