Wie stellen Sie sich die Kulinarik im Jahr 2055 vor? – Kulinarischer Kaffeesatz

Von Sebastian Drolshagen

Lässt sich die Frage, wie Kulinarik 2055 aussieht, überhaupt ernst nehmen? Schließlich scheitern Gelehrte noch immer an einer sicheren Wetterprognose für die nächsten Tage – von vermeintlichen Wirtschaftsweisen gar nicht zu reden. Also könnte man ins romaneske abgleiten und zum Beispiel düstere Teller-Visionen im Stil von „1984“ entwerfen. Ohnehin scheinen schauerliche Prognosen manchen Küchen-Auguren besonders gut zu schmecken …

Dass wir – jenseits der Ameisen im Noma – mehr Insekten essen „müssen“, gehört inzwischen fast zu den Gemeinplätzen. Den herzhaften Biss ins frittierte Chitin sieht man bei uns dennoch selten. Trotzdem dürften sich der Klimawandel und die wachsende Weltbevölkerung auf dem Teller niederschlagen. Aber entstehen aus der Not nicht manchmal wundersame Dinge? Eine Spätlese vom Timmendorf Strand? Oder eine euro-afrikanische Fusion-Küche, weil wir viele Menschen aufnehmen, die gezwungen sind, vor den Wetterkapriolen in ihrer Heimat zu fliehen?

Weniger spekulativ: Die Vernetzung von Menschen und Dingen schreitet bis 2055 massiv voran. Ganz klar, sie zeigt Wirkung in der Kulinarik. Im Guten mag dies den Zugang zu Zutaten und Ideen weiter erleichtern. Im Schlechten steht uns womöglich eine Filterblase in Sachen Geschmack bevor. Online-Käufhäuser reiben uns nur noch jene Lebensmittel unter die Nase, die denen ähneln, die wir sowieso schon mögen; in den sozialen Netzwerken sortiert der Algorithmus die Restaurantempfehlungen nach ähnlichem Muster. Schon heute lässt mancher seine Vorlieben von der Thermomix-Rezeptdatenbank diktieren.

Wer nun Orwell’schen Denkmustern verfällt, kann auf die Idee kommen, dass die Technik bestimmte Produkte direkt ausblendet, weil die Fitness- oder die Krankenkassen-App ein Veto einlegen. Doch mit solchem Grusel spielt sich’s zu leicht. Denn das Beste an kreativen Disziplinen wie der Kulinarik bleibt, dass sich beeindruckende Ergebnisse eben nicht prognostizieren lassen. Revolutionären Gaumenkitzel kann man heute ebenso wenig absehen wie 1450 die Mona Lisa.

Ein paar Jahre vor meiner Geburt entstand die Nouvelle Cuisine, später traf ich auf Gelees, die mein gymnasiales Chemie-Wissen überstiegen, kurz darauf sah ich Skandinavier, die mit einer radikalen Lokalität für Furore sorgten. So ein Teller mit Wow-Effekt ist ein Feuerwerk, eine Inspiration, eine künstlerische Leistung. Aber Papas Möhreneintopf wärmt das Herz und bestimmt den Alltag. Omas Hühnerbollen ebenso. Wie Kulinarik 2055 aussieht, entscheidet sich nicht bei einem Gipfel von Euro-Toques oder bei den Nachfolgern von El Bulli, Noma & Co., sondern in tausenden Familien. Und zwar heute. Wer jetzt daheim gut isst, kann 2055 einen Teller mit Wow-Effekt wertschätzen, den unsere Phantasie heute gar nicht zu entwerfen vermag.

3 Gedanken zu „Wie stellen Sie sich die Kulinarik im Jahr 2055 vor? – Kulinarischer Kaffeesatz“

  1. Ob ich die Kulinarik im Jahre 2055 noch erlebe bleibt abzuwarten, jedoch habe ich immer noch die Hoffnung nicht aufgegeben, die sich in Ihrem letzten Absatz manifestiert. Das Kochen am eigenen Herd, das Vorleben der Einfachheit und das Bekenntnis zu einem guten regionalen Produkt können und müssen kommenden Generationen die oberste Leitlinie sein. Dann wird auch in der Gastronomie die Kulinarik durch oder auch trotz mancher Innovation überleben und einen prägenden Teil unser aller Kultur ausmachen.

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  3. Die Kulinarik in 2055?
    Die gesamte Gastroszene wird sehr sehr viel kleiner sein und die kulinarische Welt in 2 grössere Laget geteilt sein.
    Das Fastfood Lager und die gute ehrliche Gastronomie. Auf Dauer werden nur die Restaurants überleben die wirklich gute Standards haben und ihre Mitarbeiter entsprechend auch halten können. Und die billige Fastfood-Läden die mit geringem Wareneinsatz eine hohe Marge erzielen. Ich würde jedoch nicht behaupten dass die Kulinarik im allgemeinen durch den Wegfall von allem mittelmässigen ärmer geworden ist sondern durchaus wieder einen Aufstieg vor sich hat. eine natürliche Selektion der deutschen Gastroszene quasi. Nach dem Wegfall der Mittelmäßigkeit wird der deutsche Gast vor die Wahl gestellt ob er gerne gut essen geht und dafür mehr bezahlt oder ob er einfach nur irgendwas essen möchte um Nahrung aufzunehmen und ich habe die Hoffnung, dass die meisten dann endlich den Wert von gutem Essen erkennen und es wieder zu schätzen lernen. Wenn es so weit ist hat Deutschland es endlich auf das Level geschafft auf dem Frankreich sich seinen Ruf als Gastronomische und Kulinarische Nation Nr.1 erworben hat. Ich sehe für die Kulinarik bis 2055 einen harten steinigen Weg vorher an dessen Ende eine neue Blütezeit des guten Geschmacks beginnt.

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