Können Spitzenköche Bistro? Eine Beobachtung im Süden Frankreichs und was man daraus folgern kann.

Die Qualifikation von Christopher Hache (43) steht außer Zweifel. Er hat die Jahre 2003 bis 2019 in besten Pariser Häusern verbracht, darunter „Lucas Carton“ mit Alain Senderens und „Le Bristol“ mit Éric Fréchon. Im „Les Ambassadeurs“ im Hotel Crillon war er dann sogar Küchenchef als Nachfolger von Jean-Francois Piège. Im Jahr 2019 kam er dann in seine Heimat in den Alpilles nahe Arles zurück, um sich dort selbständig zu machen. Er hat heute in Eygalières ein Sternerestaurant und etwas außerhalb des Ortes eine Mas mit dem „Le Bistro du Brau“. Mich hat in diesem Fall einmal nicht das Sternerestaurant interessiert, sondern das Bistro, weil sich rund um Zweitrestaurants/Brasserien/Bistros von Spitzenköchen immer einige Fragen stellen. Wird dort nur irgendwie der Name in Geld verwandelt, mit mehr oder weniger geringem kulinarischen Einsatz des Chefkochs, der natürlich dann einem Executive-Chef die Küche übergibt? Und: kann man da eigentlich nicht wirklich etwas an Qualität erwarten, was bemerkenswert ist und die jeweiligen Restaurants deutlich über den Schnitt der Konkurrenz hebt? Können Spitzenköche auch Brasserie oder Bistro – wie man das heute salopp formulieren kann?

Hier zuerst der Eindruck aus dem „Bistro du Brau“ von Spitzenkoch Christopher Hache.

 

„Le Bistro du Grau“ in Eygalières

Die in der Einleitung gestellten Fragen trafen hier zufällig auf einen maximal guten Versuchsaufbau. Der Chef war anwesend, hatte wohl gerade einen vormittäglichen Kochkurs beendet und machte Fotos mit den Kursteilnehmern. Und – er war nicht nur anwesend, sondern kochte auch noch das Essen für den kleinen, aber gut besetzten Raum mit der offenen Küche offensichtlich selber. Es war kein weiterer Koch zu entdecken, nur eine Mitarbeiterin, die aber nur sehr selten irgendwelche Kleinigkeiten zu machen schien. Es gab also Christopher Hache pur – ein eher seltener Vorgang in solchen Zusammenhängen. Hier zuerst einmal das Essen:

 

Carpaccio de muge et poutargue (12 Euro)

Ein schönes Carpaccio von der Meeräsche, die man hier im Süden häufiger als Carpaccio oder Ceviche bekommt. Die Scheiben sind dick genug für eine klare, direkte Wirkung vom Fisch. Die begrenzt dosierte Gabe Bottarga obenauf bringt einen leicht animalischen Effekt, der aber nur punktuell auftritt und nicht jeden Akkord betrifft. Der Schnittlauch-Anteil ist ein wenig hoch. Olivenöl und Zitrone sind hier immer so dosiert, dass man das Öl wirklich gut mitbekommt. Die Gegend rund um und in den Alpilles ist für exzellentes Olivenöl bekannt, das hier in der Regel in zwei Varianten existiert, und zwar sehr reif und eher jung und fruchtig (dazu kommen noch die diversen Öle mit einer einzigen Olivensorte. Die beiden Hauptöle sind in der Regel Cuvées). Das Gericht lässt sich gut essen und schafft einen guten Eindruck zu einem sehr moderaten Preis.

——Spitzenkoch-Faktor: Man kann hier durchaus auf die Idee kommen, dass das Gericht aus der Hand eines guten Kochs kommt. Das gilt vor allem für die Proportionen Bottarga – Fisch, für die Intensität und Menge an Olivenöl und den Anteil der Säure.

Tartare de veau, oeufs de truite (15 Euro)

Anders als beim Carpaccio von der Meeräsche geht es hier etwas grober zu. Die Portion ist recht groß, das Fleisch ist mit dem Messer gehackt und die Stücke haben eine identifizierbare Größe. Aromatisch erscheint das Tartare im ersten Moment etwas zwiebelig, im zweiten scheint es dann eher an einer recht großen Menge eingelegter Gurken zu liegen, die etwas würziger schmecken als unsere normale Industrieware. Die Cremigkeit mit einer Art Mayonnaise, die mit Joghurt angereichert ist, ist recht hoch, so dass man insgesamt ein süffiges Gericht bekommt, das aber nicht unbedingt das Kalbfleisch in den Vordergrund rückt. Die Wirkung des Forellenkaviars obenauf ist eher begrenzt, weil das Aroma in einer zu starken Konkurrenz zu den Gurken und dem zwiebeligen Charakter steht.

—–Spitzenkoch-Faktor: Ein solches Carpaccio kann man überall bekommen, es hat keine Spezifität, die auf das Wirken eines besonders guten Kochs schließen lässt. Die Verwendung des Forellenkaviars, der sich dann aromatisch als nicht besonders wirksam entpuppt, ist eher ein Fehler in der sensorischen Struktur, wie man ihn in „normaler“ Gastronomie häufiger findet (aber leider auch immer wieder in der Spitzengastronomie) und eher dekorativ in der Wirkung.

 

 

Poitrine de porc du Mont Ventoux confit au romarin (24 Euro)

Überraschender Weise wird hier der konfierte Schweinebauch quasi ohne Beilagen serviert (es gibt lediglich ein paar normale Pommes Frites in einem Extra-Schälchen). Die Optik verrät eine intensive Garung mit einer dann auch gut, intensiv und vielschichtig schmeckenden Oberfläche/Kruste. Durch die Konzentration auf die Oberfläche ist allerdings der Rest der Garung etwas außer Kontrolle geraten – vulgo: die Fleischpartien sind sehr trocken bis geradezu faserig-trocken. Das schmälert etwas den sensorischen Gesamteindruck, auch wenn die Aromatik der Kruste gefällt.

—–Spitzenkoch-Faktor: Nur scheinbar besser. Die Kruste schmeckt zwar gut, aber dann auch wieder nicht so beeindruckend, dass es auffällt. Das Austrocknen der Fleischschichten ist ein handwerklicher Fehler und nicht nur Ansichtssache. Wenn man exzellente Fassungen von konfiertem Schweinebauch aus der Spitzenküche (oder auch etwas darunter) mit diesem Exemplar vergleicht, sind sie dort oft sehr viel saftiger, ohne dass die Kruste darunter leiden würde. Bei Eric Menchon etwa wird der Schweinebauch zu einer so großen Delikatesse, dass er absolut im Range eines Spitzenproduktes steht.

 

Pied paquet à la provencale (28 Euro)

Auf dieses Gericht hatte ich ganz besonders gewartet, weil es ein großer Klassiker der Gegend ist. Die Fassungen des Lammfusses mit Füllung oder mit/oder ohne Innereien sind viele, und bei vielen mir bekannten Rezeptversionen kann man sich den süffigen Geschmack, der auch aus anderen Regionen Europas stammen könnte, sehr gut vorstellen. Hier schmeckt es durch und durch gut, auch wenn die Optik des Gerichtes vielleicht etwas schlicht ausfällt. Man hat eine klare Schmorgericht-Charakteristik, die aber etwa gegenüber „dunklen“ Rinderschmorgerichten in einem anderen, eher mittig-milden Fach mit einer schönen Grundwürze angesiedelt ist. Die Stücke vom Fuss sind mit einer gebundenen Kräutermischung gefüllt, dazu kommen hier – eher ungewöhnlich – ganze „Lappen“ von Kutteln. Die Sauce hat konfiertes Gemüse, die Kartoffeln sind Neue Kartoffeln. Die Degustation eines solchen Gerichtes dürfte mangels einer intensiven Innereien-Note nirgendwo anecken. Wenn das doch immer wieder passiert, liegt das Problem wohl eher „zwischen den Ohren“ der Gäste, die vielleicht mit Innereien Probleme haben.

—–Spitzenkoch-Faktor: Trotz des zugänglichen Aromas und der „kundenfreundlichen“ Gesamtgestaltung bleibt hier die Frage, ob nicht ein Spitzenkoch gerade von diesem Gericht (das man ja gut vorbereiten kann) eine Fassung liefern müsste, die irgendeinen besonderen Hook hat. Wieder muss ich an Eric Menchon denken (der ja aus Aix-en-Provence kommt) und speziell ein Gericht namens „Caillette Ardéchoise“, eine Art Crépinette mit einer angereicherten Hackfleischfüllung, die ich bei ihm einmal in einer sagenhaft gut schmeckenden Fassung bekommen habe, die deutlich von der bürgerlichen/traditionellen Küche geprägt war, aber voller Raffinesse im Detail und in der Präzision der Zubereitung. So etwas ist hier nicht zu finden, es wirkt eher wie eine solide Fassung aus einer normalen, bürgerlichen Traditionsküche ohne große Ambitionen.

Summa summarum konnte man das alles also gut essen, bekam aber so gut wie nichts, was einen Mehrwert ausmacht, was beweisen würde, dass ein sehr guter Gourmetkoch auch in der Lage ist, einer einfacheren Küche neue Qualitäten zu geben. Es ist also wieder einmal ein Fall für die generelle Frage:

 

 

Können Spitzenköche Bistro?

Wenn ich mich für eine klare Antwort entscheiden müsste, würde ich sagen: nein – das aber nicht zwangsläufig als Makel sehen. Es gibt da einige Aspekte, die man berücksichtigen sollte.

— Bistroküche ist eine andere Küche, nicht etwas, dass man als guter Koch automatisch kann. Insofern sind Bistros o.ä. von Spitzenköchen kein Selbstläufer. Für viele traditionelle Gerichte muss man einfach das Geschmacksbild verinnerlicht haben, um eine gute Qualität und eine gute Authentizität erreichen zu können. Im Prinzip muss man diese Küche genau so lernen, wie die Gourmetküche. Man muss Erfahrungen haben, viele solcher Gerichte probiert haben und natürlich langjährig mit solchen Rezepturen zu tun gehabt haben. Trifft das alles nicht zu, bleibt man an der Oberfläche und die Qualität wird höchsten handwerklich akzeptabel.

— Das Bild hochwertiger Bistroküche ist kaum vorhanden. Natürlich gibt es berühmte Bistros etc. Aber – wenn man dort sitzt und isst, reduziert sich das Vergnügen in vielen Fällen doch sehr. Man findet die Atmosphäre gut, man findet das Essen – sagen wir: authentisch, stolpert aber in quasi allen Fällen über kochtechnische Unzulänglichkeiten, die bisweilen in ihrer Schwere sogar überraschen. Wie dem auch sei: es fällt nicht schwer, sofort eine ganze Liste von dem aufzustellen, was man besser machen könnte ohne den Charakter der Gerichte in irgendeiner Weise zu „gentrifizieren“, also des Typischen zu berauben. Insofern gibt es nur wenige Bistros etc., bei denen man ehrfurchtsvoll Einblick in eine Esskultur bekommt, die anders, aber in sich perfekt ist. Und – es kann gut sein, dass die berühmten Bistros zum Beispiel vielen alpenländischen Wirtshäusern unterlegen sind. Man sollte sich jedenfalls immer vor Augen halten, dass die qualitative Füllung des Formates „Bistro“ nicht wirklich existiert.

— Eine Vorbildfunktion wäre hochwillkommen. Um so wünschenswerter wäre es, irgendwie und irgendwo Referenzpunkte zu haben. Und diese Referenzpunkte wären um so wirksamer, je mehr man sagen könnte, dass die angebotene Qualität auch unter Aspekten großer Kochkunst sehr überzeugend ist. Und da stellt sich die Frage, ob es möglich wäre, dass Spitzenköche sich einmal wirklich ernsthaft darum bemühen, da Großes zusammenzubringen. Man kann hier ruhig an Tim Raue und seine Arbeit für das ehemalige „La Soupe populaire“ in Berlin denken, die ganz exzellent war und Versionen von Traditionsküche auf den Teller gebracht hat, die ein extrem hohes Niveau hatten. Es ist zu hoffen, dass er in seinem neuen Restaurant qualitativ an diese Arbeit anknüpft. – Es wäre aber auch zu hoffen, dass der ein oder andere Großmeister sich einmal stärker an Bistroküche etc. versucht. Wenn Jan Hartwig und Co. bestechend gute Versionen der „Pâté en croûte“ hinbekommen: könnten sie nicht vermehrt zeigen, wie gut auch deutsche Gerichte aus dieser Abteilung sein könnten? Maultaschen? Gefüllte Kalbsbrust? Saumagen?

— Ein sichtbarer Abstecher der jeweiligen Meister in die Gefilde der Bistroküche/Traditionsküche/Regionalküche wäre eine sehr gute Idee

Ich rege an, dass solche Abstecher nicht nur irgendwo im Hintergrund stattfinden und sich – ob mehr oder weniger sichtbar – nur in der dezent gehobenen Qualität eines Zweitrestaurants wiederfinden. Es wäre wunderbar, wenn es regelrechte Veranstaltungen gäbe, bei denen die Meister ihres Faches (als die sie ja üblicherweise gelten) auch einmal demonstrieren, dass sie so viel vom Kochen verstehen, dass ihnen auch Regionales und/oder Traditionelles auf höchstem Niveau gelingt.

— Die Realität lässt leider oft zu wünschen übrig. Die Realität der Zweit- und Drittrestaurants, der Stuben und Bistros ist leider fast immer weit von solchen Dingen entfernt. Das beginnt oft schon damit, dass statt hervorragender Produkte eher „normale“ eingesetzt werden und man vom ersten Bissen an merkt, dass bei diesem Essen gespart wird, um den Preis zu drücken. Nun könnte man natürlich immer noch der Meinung sein, dass exzellentes Know How auch mit einfacheren Produkten zu einem überzeugenden Ergebnis führen kann. Leider kann ich mich an solche Fälle kaum erinnern. Und selbst dann, wenn irgendwo solche Abstecher gelobt werden, habe ich oft den Eindruck, dass die, die da loben, nicht wirklich wissen, „was Sache ist“. Es gilt also auch, die Maßstäbe für überzeugende Bistro-etc-Küche nicht zu relativieren und nicht ständig von Preis-Leistungs-Verhältnis zu reden, wo die Qualität eigentlich nur mittelmäßig ist.

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