Wein und Traditionsgerichte. Ein Lehrstück bei Jörg Müller und Benjamin Birkholz auf Sylt

Es gibt schon sehr lange die These, dass sich die Küche und die Weine einer Region assimiliert haben, dass also ganz natürlich die Winzer ihre Weine so gemacht haben, dass sie auch mit dem Essen der Gegend zusammenpassen und umgekehrt. Diese These ist gut nachvollziehbar und auch nach wie vor sehr gut zu belegen. Das gilt vor allem in Frankreich für quasi alle Landesteile – von den südlichen Rot- und Weißweinen und den alten Schmorgerichten bis zur Bretagne und den trockenen Muscadets oder dem Elsaß in allen Schattierungen zwischen Zander und Riesling und gleich einer ganzen Palette von unterschiedlichen süßen Weinen zur geliebten, festlichen Foie gras. Ich erinnere mich an ein Essen in der „Auberge de l’Ill“ vor etlichen Jahren. Ich hatte Sommelier-Legende Serge Dubs gebeten, mir einmal den Wein zur Foie Gras des Hauses zu geben, den er dafür für den besten hält. Die Lösung war natürlich beeindruckend, aber eigentlich nicht das, was ich erwartet hatte. Ich hatte an viel Süße, vielleicht an irgendeine spezielle Sélection de grains noble gedacht, bekam aber einen Pinot Gris in Vendange tradive – Ausführung, der durchaus nicht nur mit Süße, sondern auch mit einer weinigen Säure glänzte. Wie auch immer: das Bild war glasklar regional und überzeugend.

Es war dann konsequent, dass ich einmal für das Fine-Weinmagazin und meine Serie „Wein und Speisen“ noch näher an die Sache herangehen wollte. Der Verdacht lag nahe, dass man eigentlich zu traditioneller Küche mit den Weinen viel besser dasteht, als mit einem großen Teil der modernen Küche, die sich – im Umkehrschluss zur oben erwähnten These – eben noch nicht in der Lage befindet, dass es eine irgendwie bemerkenswerte Assimilation von Avantgardeküche und Wein gibt (von den Versuchen mit diversen spontan vergorenen Weine einmal abgesehen, die zwar bisweilen gut funktionieren, aber eher selten wirklich glanzvoll sind). – Ich habe also Alex Koblinger, den Sommelier von „Döllerers Wirtshaus“ in Golling südlich von Salzburg, gebeten, mir zu Gerichten aus Döllerers Wirtshaus sehr gute Weine zu servieren – viel bessere, als sie dort normalerweise angeboten werden. Das Ergebnis war absolut faszinierend und ein großer Genuß – nicht zuletzt deshalb, weil Alex Koblinger begeistert „mitgespielt“ hat (und sich sehr sicher schien, dass die Sache ein voller Erfolg wird). „Voller Erfolg“ ist übrigens da noch untertrieben, es war sensationell gut – was natürlich auch ganz entscheidend an diesem ausgezeichneten Sommelier lag.

Der nächste gedankliche Schritt aus den Details dieser und ähnlicher Degustationen heraus ist, ob es denn wirklich die rustikalste aller rustikalen Küchen sein muss, oder ob es da Möglichkeiten gibt, den Charakter der Traditionsküche zu behalten, aber gleichzeitig ein wenig auf den Wein zuzugehen. Und wenn man das kann: was muss man machen, um da in die Bereiche ganz großer Akkorde zu kommen?

 

 

 

Jörg Müller und sein spezieller Zugang

Ich habe neulich bei Jörg Müller in Westerland/Sylt eine absolut sensationelle Kombination von Wein und Speisen aus der Hand von Sommelier Benjamin Birkholz bekommen, die ein echtes großes Ereignis war. Sicher, der 1994er Hermitage La Chapelle von Paul Jaboulet Aîné (also noch aus der originalen Zeit des Weinguts), um den es hier geht, ist ein großartiger Wein, der sich vor allem durch eine exzellente Reife ohne einen Hauch von Alterungsnoten auszeichnet, voll, rund, völlig unaggressiv, aber mit noch einigen Tanninen, die darauf hindeuten, dass der Wein auch noch ein paar Jahre älter werden kann. Er ist ein gereifter Rhone-Wein, der wohl jedem Gast schmecken wird. Dass dieser Wein dann zu den Nieren (Kalbsnierchen in Champagner-Senfsauce mit Blattspinat und Kartoffelpüree) eingesetzt wurde, hat mich nicht wirklich irritiert, aber in der Qualität doch sehr überrascht. Es schmeckte einfach sensationell gut zusammen, das heißt: Wein und Speisen zusammen erreichten eine neue Qualität, die weder der Wein allein noch das Essen allein erreichen.

Dazu eine Anmerkung: Dass ein Wein sensationell „passt“, sagt man gerne, kann aber eine Menge verschiedener Dinge damit meinen. Es kann sein, dass er einfach gut zum Essen schmeckt – was immer das meint. Es kann sein, dass er mit den Aromen des Essens so gut zusammenwirkt, dass man meint, er verzahnt sich regelrecht mit ihnen ohne selber irgendetwas zu verlieren. Es kann auch sein, dass er eigentlich verliert, aber eine starke aromatisch Reaktion zeigt, die dann als positiv bewertet wird, auch wenn die Akkordbildung eigentlich substraktiv ist. Es kann auch sein, dass Wein und Speisen eben ein neues Gesamtaroma produzieren, das überragend gut wirkt. Es gibt da viele Möglichkeiten.

Der weitere Grund für die Qualität dieses Akkordes musste beim Essen liegen, und das in einer ganz spezifischen Form. An dieser Stelle konnte man schon immer den Verdacht haben, dass es Köche gibt, die weinaffin kochen. Aber – es gibt nie irgendeine Vermutung, was das denn eigentlich sei. Mit diesem Essen und diesem Wein auf dem Tisch habe ich nach Gründen gesucht. Und da wird man bei Jörg Müller, dessen Nähe zum Wein bei seinen Gerichten immer extrem hoch ist, bald fündig. Es geht schon um die Aromenstruktur, aber anders, als das üblicherweise gesehen wird. Müllers Qualitäten werden vor allem dann ganz klar, wenn man auch noch andere Gerichte aus dieser Abteilung isst, also etwa den gebackenen Kalbskopf und den Teller mit der Lammbratwurst und der Maultasche. Der entscheidende Unterschied zu vielen anderen Küchen in der Hand von jüngeren Köchen ist der, dass Müller nicht jedes einzelne Bestandteil eines Gerichtes in die volle Würze/Umami-Sättigung fährt. Diese heute (manchmal aber auch früher schon) beliebte „Technik“ führt zu kräftigen Einzelelementen, die dann aber in der Regel auf das ganze Gericht bezogen nicht gut abgestimmt sind. Es entsteht häufig eine aromatische Dichte, die für Freunde industrieller Küche normal sein mag, für die Gourmetküche aber komplett kontraproduktiv. Dass viele moderne Küchen und Wein oft nicht gut zusammenpassen, liegt u.a. an dieser Art des Kochens, die aromatisch einfach zu wenig Platz lässt.

 

Ganz anders ist das bei Jörg Müller. Es fällt auf, dass er eine milde Würze sucht, ein nicht ganz so „erregtes“ Spektrum, eher eine feine Abstimmung als „Aromenbomben“. Man kann das bei fast allen seinen Gerichten verfolgen – auch bei denen, die eher in den Gourmetbereich gehören. Und wenn man dann das ganze Gericht betrachtet, erkennt man schnell, dass diese Art des Kochens Räume lässt, dass sie jedem Element einen Platz einräumt, etwas Bewegungsfreiheit verschafft und damit den Weg zu einer Art aromatischen Kommunikation öffnet, den die geboosteten Gerichte nicht haben. Bei Müller können sich Aromen verzahnen, ergänzen, aufeinander aufbauen – was auch immer in dieser Richtung. Und – es entsteht Raum für Wein, dessen typisches Spektrum von den Elementen auf dem Teller kaum jemals attackiert und/oder gedoppelt oder verdrängt wird. Die weinige Säure etwa hat immer ihr Spiel an kann fundierend andocken, und der Aromenstrauß der Rotweine entfaltet sich hier besonders gut, weil er auf dem Teller keinerlei Konkurrenz hat, aber verlängern und vergrößern kann.

Und dann kommt eben der 94er La Chapelle und wird nicht etwa von einem rustikalen Nierengericht verdrängt, sondern verzahnt sich prächtig mit den komplexen, aber im Kern milden Aromen, die ihn weiter anreichern und mit denen er dem Essen eine grandiose Ergänzung bringt.

Das war schon sehr beeindruckend.

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