Alain Ducasse aktuell: „Die französische Küche ist die beste der Welt“

In einem Interview in einem Sonderheft von „Paris Match“, das mit dem Titel „La Gloire de nos Chefs“ dem Ruhm und dem Glanz der französischen Spitzenküche gewidmet ist, hat Loic Grasset ein Interview mit Guy Savoy und Alain Ducasse geführt, also der aktuellen Nummer eins der französischen „La Liste“ und dem aktuellen Immer-Noch-Übervater der französischen Küche. Am Ende des Interviews fragt Grasset:

„Was halten Sie von dem ‚french bashing‘ bestimmter angelsächsischer Kritiker, die in ihren Classements die französischen Restaurants systematisch weiter hinten platzieren?“

Die Antworten von Guy Savoy und Alain Ducasse:

Guy Savoy: „Jedes Land will von seiner Kultur reden und redet von seiner Kultur. Das ist menschlich. Alle Länder haben eine Küche. Viele von ihnen haben Fortschritte gemacht, wie etwa Spanien, die skandinavischen Länder oder Südamerika. Man muss alle diese Bemühungen begrüßen. Aber – nur in Frankreich gibt es diese Strenge, diese Disziplin bei der Qualifizierung der Produkte, der Jahrgänge beim Wein, die AOC-Produkte… „

Alain Ducasse (fällt ihm ins Wort…): „Die wichtigste Qualität in Frankreich ist die Verschiedenheit, die unterschiedliche Geographie. Ich bemerke nach wie vor sehr genau, dass sehr viele Köche zu uns kommen um französisch zu kochen. Aber in Sachen Disziplin, in unserem orthodoxen Verhalten den Produkten gegenüber – egal ob tierische oder vegetabile – sind wir eine ganze Zeit voraus. Die französische Küche bleibt die beste der Welt.“

 

 

Man könnte nun sagen, dass das französische Selbstverständnis immer schon so war und die wichtigsten Protagonisten der französischen Spitzenküche einfach immer das gleiche Selbstbewußtsein vor sich her tragen, ein Selbstbewußtsein, mit dem sie – wie man salopp sagt – durch keine Tür mehr passen. Gönnerhaft würdigt man die Bemühungen einiger anderer Ländern, die – na klar – Fortschritte gemacht haben. Aber – wir sind hier nicht in Zeiten der ersten weltweiten Erfolge von Bocuse, Guerard und Co., sondern im Jahr 2022, und sowohl Guy Savoy wie Alain Ducasse kennen die Küchen der Welt sehr gut. Sie bleiben dabei, dass die Franzosen die besten seien und sie spezifizieren, worum es geht.

Was soll und kann man davon halten? Diskutieren Sie mit. Ich gebe hier nur noch ein wenig Öl ins Feuer.

 

Ein Blick auf die Details

Es ist merkwürdig, dass die beiden Starköche nicht die Geschmacksbilder der französischen Küche nennen, die in ihrer Konstruktion z.B. mit Butter, Sahne, Olivenöl plusss den diversen Emblemprodukten weltweit ganz typisch sind. Stattdessen pocht man auf Disziplin, womit man wohl vor allem die Küchenorganisation und die Arbeitsweise ambitionierter Küchen meint, die ja – etwa im Gegensatz zu Mini-Sushi-Bars japanischer Prägung – in der Lage sind, eine Unmenge von Details in großer Menge zu produzieren. Man pocht vor allem auf die Produkte und ihre Hersteller, womit man tatsächlich eine ganze Kultur von Spitzenproduzenten anspricht, die sich in Frankreich in enger Zusammenarbeit mit der Spitzenküche entwickelt haben. Sie bilden dann – im Zusammenhang mit der geographischen Vielfalt des Landes, also der Tatsache, dass in allen französischen Regionen Spezialitäten von hohem Qualitätsniveau erzeugt werden – die Voraussetzung für eine Küche, die natürlich höchst bemerkenswert ist. Dass die zunehmenden Informationen zum Beispiel über die japanischen Küchen und Produzenten dieses scheinbare Alleinstellungsmerkmal konterkarieren, wird nicht erwähnt. Auch nicht, dass der Umgang mit vielen Produkten in Frankreich im Vergleich zu einigen anderen Ländern eingeschränkt erscheint. Man hat seinen Kanon von Produkten und kann damit gut arbeiten. Andere gehen da weiter, und zwar gleich in ganz verschiedene Richtungen von der spanischen Kreativküche bis zu den viele Nova Regio -Kreativen in aller Welt.

 

Ja, wenn denn alles so wäre, wie Guy Savoy und Alain Ducasse sagen, wäre die französische Küche die beste der Welt.

Ich ahne, was die beiden Altmeister meinen, und ich habe diese Qualitäten auch immer wieder gefunden, nur – eben eher selten. Es ist richtig, dass man selbst in französischen Supermärkten oft viele Produkte kaufen kann, die in anderen Ländern in dieser Qualität eher selten zu finden sind. Es ist richtig, dass man sich bei allen Produkten in der Spitze intensiv darum bemüht, die allerbesten zu bekommen. In den besten Restaurants trifft man immer wieder auf staunenswerte Qualitäten bei den Produkten und ihrer kochtechnischen Verarbeitung. Aber – eben fast aleatorisch und nie wirklich zwingend auf einem so gleichmäßigen Niveau, dass man gleich die ganze französische Küche zur besten der Welt befördern müsste.

Was sagen die Japaner so solchen Dingen? Nichts, sie schweigen in dem Bewußtsein, dass ihre Qualitätsvorstellungen von keinem Land der Welt übertroffen werden. Was könnten die Deutschen zu so etwas sagen? Am besten nicht allzu viel, weil uns der qualitative Unterbau an Produkten – Ausnahmen bestätigen die Regel – nach wie vor weitgehend fehlt. Wir haben – gerade im Vergleich zu Frankreich – bei weitem nicht so viele Produzenten von Rang, nur höchst selten Produkte ähnlicher Qualität wie die französischen Spitzenprodukte und vor allem keinen kulinarischen Mittelbau bei den Konsumenten, der dafür sorgt, dass beste Qualitäten eine echte Rolle im öffentlichen Bewußtsein spielen können.

 

 

Ducasse und Savoy leben natürlich in einer Blase, und als äußerst erfolgreiche Unternehmer haben sie alle Gründe, so zu reden wie sie reden. Was sie uns vormachen wollen, nennt man in der Wissenschaft ein idealtypisches Bild. Wenn alles so wäre, wäre es ideal, aber man sollte sich eigentlich eher damit beschäftigen, wie man diesem Zustand näher kommt, als damit, ihn zu behaupten. Man trifft auf ihn, aber nur punktuell und weder bei Guy Savoy noch bei Alain Ducasse in regelmäßiger Form. Ich habe bei beiden Köchen den guten Zustand erlebt, aber auch Dinge, die weit davon entfernt waren. Ich habe bei vielen französischen Köchen auf ganz unterschiedlichem Niveau etwas von diesem Zustand erlebt, manchmal sogar in eher einfachen Restaurants sehr viel davon. Die Realität insgesamt aber sieht immer wieder auch ganz anders aus.

Man hat sich in Frankreich etwas zu sehr daran gewöhnt, von „der französischen Küche“ zu reden und erfolgreich versucht, sie in den Rang einer weltweiten Besonderheit zu heben. Kein sensibler Esser wird sich der Wirkung diverser französischer Spitzenköche entziehen können. Der Versuch, den Begriff „französische Küche“ zu einem Begriff zu machen, der so stilisiert wird, dass man damit jede Konkurrenz kurz halten kann, muss scheitern. Heute mehr denn je. Was zählt, ist immer nur der nächste Teller. Wenn er schwächelt, nützt keinerlei Brimborium.

 

Fotos: Virginie Clavières für Paris Match

Oben: Petits pois au naturel, Ducasse, Château de Versailles

Unten: Ragout de pois chiches mijotés aux épices, oeuf mollet, Alain Ducasse, Restaurant Sapid

 

 

 

4 Gedanken zu „Alain Ducasse aktuell: „Die französische Küche ist die beste der Welt““

  1. natürlich haben die beiden recht! die französische küche besitzt etwas, woran es den küchen skandinaviens, japans etc mangelt: sie besitzt breite und tiefe. breite, weil sie viele unterschiedliche regionen und formate unter einen hut bekommt und tiefe, weil sich ihre kriterien von oben nach unten ziehen, also vom grand restaurant runter in die alltagsküche. essen Sie mal in einer französischen unimensa oder in einer in dänemark; die mahlzeit in frankreich dürfte deutlich erfreulicher ausfallen.

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    • … „die beste Küche“ ist keine Kategorie, sondern ein leerer Superlativ. Die japanische Küche ist für mich allerdings die sorgfältigste, präziseste und gegenüber Waren, Zubereitung (von Schlachtung bis Präsentation) und Gast aufmerksamste (im buddhistischen Sinne, also verinnerlicht von allen, die an dieser Kette teilhaben) Küche der Welt. Björn Frantzén kocht in diesem Sinne „japanisch“, ebenso wie Christian Bau. Schlecht zu essen, ist in Japan ausgesprochen schwierig. Vom Yakitori-Spieß am Imbiss bis zur Sternegastronomie (die überbewertet wird, was in Japan besonders auffällt) kann man kaum jemals reinfallen. Oh, doch, einmal: als jemand uns eine Freude machen wollte und in ein von Japanern betriebenes italienisches Restaurant einlud. Wobei der Erkenntnisgewinn darin lag zu sehen, wie sie „italienisch“ in Osaka spiegeln.

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