Casual Fine Dining. Eine gute Idee ist dabei, eine schlechte Wendung zu nehmen

Auf der CHEF-SACHE am Sonntag hat der New Yorker Starkoch Daniel Humm in unserem großen Interview eine Menge über seine neuen Restaurant-Konzepte außerhalb von „Eleven Madison Park“ erzählt. Dabei gab es auch Informationen über sein Restaurant in London, und speziell über das gastronomische Konzept. Man habe ihm gesagt, dass man „auf keinen Fall Fine Dining“ haben wolle. Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen. Da eröffnet ein internationaler Koch-Superstar, dessen „Fine Dining“ in seinem Restaurant ihm Platz Nummer 1 in der 50-Best-Liste eingebracht hat, sein erstes Restaurant außerhalb der USA und muss sich sagen lassen, dass man zwar seinen Namen, nicht aber seine Gourmetküche haben will.

Made Nice
Ganz allgemein stört mich in der letzten Zeit die zunehmende Unklarheit und die schwammigen Tendenzen rund um die Begrifflichkeiten „Fine Dining“ und „Casual Fine Dining“. Da läuft etwas nicht gut, da geht es plötzlich viel zu forciert gegen „Fine Dining“, und es geht oft in den Händen der falschen Leute um eine Interpretation von „Casual Fine Dining“, die geeignet ist, eine nach unten gerichtete Qualitätsspirale in Gang zu setzen. Hier einige Überlegungen dazu

Was ist das Problem mit dem „Fine Dining“? Geht es um kulinarische oder gastronomische Fragen?
Es gibt eine ganze Reihe von Dingen, die Gäste nachvollziehbar in Spitzenrestaurants stören können. Das beginnt vielleicht mit einem allzu formellen Empfang, vielerlei Verunsicherungen bei der Weinbestellung und der Menü-Analyse, der Unklarheit über Zubereitungen und Produkte und damit der Schwierigkeit, schon bei der Bestellung zu wissen, ob es denn gut schmecken wird. Es geht weiter mit dem Verhalten des Service, das viele Leute vielleicht in dieser Form noch nie erlebt haben, und bleibt gerne an einer Art Minderwertigkeitsgefühl gegenüber Oberkellner und Sommelier hängen, jenen speziell in großen Häusern oft makellos gekleideten Vertretern einer Art gastronomischen Oberschicht, die sich ganz weit entfernt anfühlt. Später wird vielleicht klar, dass das Menü viel zu umfangreich ist und man nach etlichen Amuse Bouche und den ersten zwei oder drei Gängen am liebsten nach Hause gehen würde, weil man längst satt ist. Die Liste ließe sich noch beträchtlich weiter fortsetzen. Die Kritikpunkte ergeben sich sowohl bei kompletten Novizen, die Spitzenküche überhaupt nicht kennen, als auch bei regelmäßigen Kunden von „Fine Dining“, die sich dann vielleicht über andere Dinge wie klischeehaft-ähnliche Gerichte oder andere Details aufregen. Ein hochproblematischer Aspekt ist der „Eintrittspreis“. Wenn Restaurants so kalkuliert sind, dass man 300 oder mehr Euro pro Platz erzielen will (oder muss…), entsteht für die Gäste nur ein schmaler Tunnel, durch den sie gehen müssen, um in den Genuß von überragender Küche zu kommen.

NoMad Restaurant, LA
All diese Dinge haben dazu geführt, dass die Akzeptanz des typischen „Sternerestaurants“ ganz allgemein gesunken ist. Eine wichtige Frage ist nun, ob es sich mehr um kulinarische oder mehr um gastronomische Probleme handelt. Im Moment sieht es so aus, als ob die gastronomischen Kritikpunkte fast Allgemeingültigkeit haben (von Ausnahmen natürlich immer abgesehen), die kulinarischen dagegen bei weitem nicht. Das Essen darf jedenfalls ruhig sehr gut und kreativ sein. Was oft kritisch gesehen wird, ist der aufwändige Ablauf. In vielen Spitzenrestaurants kann man diesem Ablauf nicht entkommen. Er zieht sich in der Sicht vieler Gäste einfach zäh und schleppend dahin. Man mag so Feste feiern, kein Problem. Aber „einfach gut essen“ geht unter diesen Umständen kaum – oft genug auch wegen sehr länglicher Wartezeiten zwischen den Gängen.

Es geht also vorwiegend um ein gastronomisches Problem, nicht primär um ein kulinarisches. Das sollten auch diejenigen Gastronomen sehen, die einen Michelin-Stern für ein tragfähiges Geschäftsmodell halten.

One of the dining areas in The NoMad Restaurant, NY
Eine gute Idee: „Casual Fine Dining“ – wie es ursprünglich gedacht war
Der ursprüngliche Ansatz war vor allem „casual“ im Drumherum, aber „fine dining“ beim eigentlichen Essen. Für mich ist da etwa das „Tickets“ von Albert Adrià in Barcelona ein ganz besonders gutes Beispiel. Die Gerichte mögen knapp formuliert sein, sind aber definitiv „Fine Dining“, allein schon wegen ihrer Produktqualität und des kreativen Inputs. Der wichtigste Ansatz für das Publikum ist aber offensichtlich die Rückkehr zu einem unproblematischen à la carte – Geschäft, bei der eine Vorspeise und ein Hauptgericht (oder ähnliche Strukturen) die Normalität sind. Gerne zügig serviert und gerne mit der Möglichkeit, nach dem Essen eine Zeit lang sitzen zu bleiben und nur noch etwas zu trinken. Im Grunde ist die Grundidee gastronomisch vielfach eine Rückkehr zur bürgerlichen Küche, kulinarisch aber „Fine Dining“ – wenn auch wegen des Wunsches nach moderaten Preisen in einer etwas reduzierten Form.

Eine gefährliche Entwicklung: „Casual Fine Dining“ – wie es sich im Moment entwickelt
Im Moment kann man den Eindruck haben, als ob bei allen möglichen Konzepten, die sich „Casual Fine Dining“ nennen, das „Fine“ unter Druck steht. Man zieht eben nicht nur das alte Gourmetpublikum an, sondern ein breiteres Publikum, das – siehe oben – eher in den Sphären bürgerlicher Gastronomie lebt. Von dort entsteht dann ein kulinarischer Druck, der eher Konventionelles (Klassiker, Grillgerichte) bevorzugt und Kreativem mit Mißtrauen begegnet. Schon heute sind in meinen Augen viele „Casual Fine Dining“ – Adressen eher Neo-bürgerliche Restaurants, in denen es eher internationalen Mainstream der bürgerlichen Art gibt – aber im Grunde nichts mehr, das den Ausdruck „Fine Dining“ verdient.

Hinter vielen planerischen Ausflügen in Richtung „Casual Fine Dining“ steht heute der Wunsch nach ganz normalen bürgerlichen Restaurants der neuen Art – etwas flotter, mit ein paar modernen kulinarischen Signalen, aber ohne jede kreative Substanz und ohne jeden kulinarischen Reiz. Da geht es dann entspannt zu, aber das Essen ist leider nicht mehr spannend….

Die Freunde des „Casual Fine Dining“ sollten vor allem auch immer Freunde des „Fine Dining“ sein, es sollte Gastronomen geben, die Fine Dining über neue gastronomische Formen verkaufen wollen, die das „Casual Fine Dining“ als eine Form sehen, Frieden zwischen Gourmets und einer Gastronomie zu schaffen, die im Laufe der Jahre etwas arg verknöchert ist. Dazu brauchen wir nach wie vor viele neue Ideen und eine neue kulinarische Flexibilität – bis hin zu Menüs, die mit den alten keine Ähnlichkeiten haben.

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