Chatterbox

Ich möchte ehrlich sein. Ich habe in den letzten Jahren eine geheime Leidenschaft entwickelt. An der ein oder anderen Stelle erwähnte ich bereits, dass ich viel Zeit für mich und meine Gedanken brauche und mich daher in vielen Situationen alleine wiederfinde. Nicht auf eine einsame Art, sondern mit einer Zeitung im Café oder einem guten Buch am Rhein, unweit von meiner Wohnung. Manchmal habe ich ein Notizbuch bei mir und schreibe ein paar der Gedanken auf, die ich in dieser meditativen Zeit versuche einzufangen. Warum und wieso ich das mache – und vor allem brauche – kann ich nicht mit Sicherheit beantworten. Vielleicht um sicherzustellen, dass mein derzeitiger geistiger Zustand stabil bleibt. Vielleicht auch nur, weil mir die Idee gefällt, eine Zeit lang einfach mal den Mund zu halten. Ein Gedankenkonstrukt, dessen Praktik ich gerne dem ein oder anderen Mitmenschen ans Herz legen würde.

Die meiste Zeit fällt es mir glücklicherweise sehr leicht neben dem eigenen Lärm auch die Geräuschkulisse meiner Mitmenschen auszusperren, mich auf das Feuilleton der Wochenzeitung oder den neuen Roman meines Lieblingsautors zu konzentrieren. Doch manchmal habe ich auch das Bedürfnis, genau dies nicht zu tun. Und hiermit schlage ich wieder die Brücke zu meinem ursprünglichen Geständnis: Ich beobachte gerne andere Menschen. Schlimmer noch. Am liebsten belausche ich die Gespräche anderer Leute. Das klingt nun alles viel obskurer, als es in Wirklichkeit ist. Es ist nicht so, als säße ich mit einem Hut auf dem Kopf auf der Terrasse eines Cafés, mit einer Zeitung, in die zwei Sichtlöcher zwischen die Artikel geschnitten worden sind und horche im Auftrag des Geheimdienstes die Gespräche von vermeintlichen Staatsfeinden ab. Das mag zwar auf eine kafkaeske Weise verlockend klingen, entspricht allerdings in keiner Weise der Wahrheit. Eigentlich kommt es durch den schieren Zufall zu solchen Situationen. Neulich zum Beispiel, da saß ich an besagtem Lieblingsplatz am Rheinufer. Ich blickte von meinem Buch auf, weil ich gerade ein Kapitel beendet hatte und nun das Bedürfnis verspürte, einen kurzem Moment darüber zu sinnieren. Doch bevor es überhaupt dazu kam, unterbrach mich der Ausspruch einer Dame, die sich offenbar angeregt mit einer Freundin unterhielt. „Also prinzipiell unterscheide ich die Menschen zwischen Leberwurst- und Teewurstmenschen“, sprach sie, mit einem Selbstbewusstsein und einer Überzeugung, als wäre es nicht ihr eigener abstruser Gedanke, sondern das wissenschaftlich anerkannte Dogma eines Sigmund Freud oder Arthur Schopenhauer. Doch noch bevor ich diesen einzigen Ausspruch, diesen Grundgedanken hinter der merkwürdigen Aussage hatte fassen können, war das Gespräch bereits so weit vorangeschritten, dass ich nicht mehr folgen konnte. Den Gedankengang, den die Dame wahrscheinlich in allem Detailreichtum erklärt hatte, während ich versuchte, eben jenen meinem eigenen Verstand deutlich zu machen, werde ich vermutlich nie erfahren. Aber ich würde doch lügen, wenn ich nicht zugäbe, dass mich der Grundgedanke einige Zeit beschäftigt hat. Immer wieder ertappte ich mich dabei wie ich die Leute beim Einkaufen beobachtete oder ihnen mit den gespitzten Ohren eines Dobermannes zuhörte, während sie ihre Wünsche an der Wursttheke äußerten. Doch bin ich den Unterschieden zwischen den Leberwurst- und Teewurstmenschen bisher leider nicht auf die Schliche gekommen.

Es müssen gar nicht die Gespräche meiner Mitmenschen sein, die mich entzücken und zum Teil tagelang beschäftigen. Wenn ich die Zeitung zusammengefaltet und in meinen Schoss gelegt habe oder die „Selbst ist der Mann“ für einen Augenblick zur Seite lege, im Glauben, dass ich mich demnächst für die richtige Oberfräse entscheiden könne, reicht oft das einfache Schweifen eines Blickes und schon habe ich wieder eine ganze Fülle von Eindrücken, mit denen ich mich beschäftigen kann. Ich weiß nicht, ob die merkwürdigen Leute Kölns nicht auch Mitschuld daran tragen, kann mich jedoch nicht erinnern, dass es in meinen vorherigen Wohnorten anders gewesen ist. Letzte Woche zum Beispiel hatte ich das Vergnügen, an einem Samstagmorgen in einem meiner Lieblingscafés zu frühstücken. Nichts Besonderes, nur ein Baguette au Jambon und einen dazugehörigen Café au lait. Es dauerte nicht lange, bis der erste Jogger an mir vorbeilief. Ein Mitdreißiger, vielleicht ein Berufsschullehrer, so stellte ich mir vor, der in zu kurzer Hose in zu greller Farbe und mit zu sehr vorhandenem Stirnband entweder deutlich zu langsam lief oder definitiv zu schnell ging. In Gänze erweckte er damit eher den Eindruck, als wäre er verzweifelt auf der Suche nach dem nächsten WC.

Es dauerte nicht lange und ein Rentnerpärchen durchquerte die Fußgängerzone. Mit Nordic-Walking-Stöcken bewaffnet, gehörten sie aller Wahrscheinlichkeit nach zu dem Schlag Menschen, die ihren Zeitgenossen gerne einen Vortrag halten, wie gut Nordic Walking sie in Form hielte und dass es überhaupt – abgesehen von Kaffee Hag vielleicht – nichts Großartigeres gäbe, das man seinem Körper antun könne und jeder es unbedingt ausprobieren sollte, bevor das dafür zu spät sei.

Es ist nicht so, als würde ich die Gespräche oder Aktivitäten meiner Mitmenschen heimlich belauschen und beobachten, um sie danach aller Welt preiszugeben. Natürlich erzähle ich diese Anekdoten gerne im angemessenen Rahmen, was zugegebenermaßen schnell den Eindruck vermittelt, als würde ich nicht für „Die heiligen Geister des heiligen Helge“- Kolumne, sondern vielmehr für „Helgis-Klatschbasenklub“ schreiben. Dies ist allerdings gar nicht der Fall, denn ich kenne diese Leute ja gar nicht und somit fühlt sich auch niemand auf den Schlips getreten oder bloßgestellt. Hoffentlich.

Als hätte es der Zufall gewollt, setzte sich ein Barkeeper an einen Tisch neben mir. Ich kannte ihn von meiner ausgiebigen Recherche, war mir aber ziemlich sicher, dass er mich nicht wiedererkannte, was mir prinzipiell nicht unrecht war. Schließlich war ich hier, um meine Ruhe zu haben. „Weißt du, was groß im Kommen ist?“, fragte er seinen Fachkollegen gegenüber. „Ich werds dir sagen…“

Cognac. Wir brauchen einen sehr guten Mixing Cognac, keine Jahrhundertspirituose oder einen VSOP. 4 cl füllen wir davon in einen Cobbler-shaker. Dazu kommen 1 cl Cointreau, 2 cl Monin Pfirsich Sirup, 1 cl Limettensaft und 1 Barlöffel Eiweißpulver. Mit der Spirale des Hawthorne Strainers wird das Ganze dry geshaked. Wenn das Eiweiß schaumig aufgeschlagen wurde, geben wir einige Eiswürfel dazu und shaken solange, bis das Metall beschlägt. Wir seihen den Drink mithilfe des wieder zusammengebauten Strainers in eine vorgekühlte Champagnerflöte. Zum Schluss, wenn sich die Eiweißkrone oben abgesetzt hat, gießen wir einen Schuss unserer Victorian Lemonade in den Drink.

Als ich meinen Fokus von den Barkeepern löste bemerkte ich eine Frau, die einen kleinen Hund Gassi führte. Ihr Gesicht war allerdings so arg geschminkt und mit Botox aufgespritzt, dass sie den Eindruck vermittelte, als wolle sie in „Der Nussknackerprinz“ gleich beide Hauptrollen besetzen. Ich griff wieder zu meinem Baguette und trank einen ordentlichen Schluck Kaffee. Was für eine Reizüberflutung. Ich richtete die Sichtlöcher der Zeitung wieder auf jemand anderen, bevor ich meinen Hut geraderückte und mich zurücklehnte.

In diesem Sinne,
Der heilige Helge

Zutaten bei BOS FOOD zu bestellen: 4 cl Pierre Ferrand Cognac 1840 Original Formula • 1 cl Cointreau Orangenlikör (Art. Nr. 21363) • 2 cl Monin Pfirsich Sirup (Art. Nr. 13130) • 1 cl frisch gepressten Limettensaft • 1 BL Eiweißpulver (Art. Nr. 22452) • etwas Fentimans Victorian Lemonade

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