Das Buch ist sehr schön, aber man sollte das Ikarus-Konzept nachschärfen

Martin Klein/Uschi Korda: Die Weltköche zu Gast im Ikarus. Außergewöhnliche Rezepte und wegweisende Chefs im Porträt. Band 8. Pantauro/Benvenuto Publishing, Salzburg 2022. 344 S., geb. Ganzleinen, 59.95 Euro (Fotos: Helge Kirchberger Photography/Patrick Kirchberger)

 Eines ist sicher: Wer alle 8 Bände der „Weltköche“ und dazu noch die Vorgänger-Bände der „Kulinarischen Überflieger“ im Schrank hat, besitzt eine exzellente Übersicht über das, was sich in den letzten rund zwanzig Jahren in der Kochkunst entwickelt hat. Bei den spektakulär inszenierten Büchern wird auch nicht gespart, sondern mit genügend Platz und vielen sehr guten Fotos dafür gesorgt, dass alle Protagonisten im besten Licht dastehen. Die exzellente Übersicht bringt allerdings gleichzeitig auch ein kleines Problem ins Bewußtsein, von dem man zu Beginn des Ikarus-Projektes im Jahre 2003 nun wirklich nicht ausgehen konnte. Ich möchte das hier an den Anfang stellen, ohne die Qualität des Buches damit in irgendeiner Weise schmälern zu wollen.

Die – sagen wir: Sorge um die Schlagkraft des Konzeptes hat auch etwas mit einem Zitat von Hans Haas zu tun, das zu Beginn des Buches eine Seite füllt. Es lautet: „Küche muss schmecken“. „Klar“, werden Sie vielleicht sagen, wenn Sie so etwas lesen, „genau das ist der Punkt, um den es geht, sehe ich auch so“. So, wie eine solche, äußerst prämissive und unpräzise Aussage heute verstanden wird, geht sie in Richtung von anerkannten klassischen Qualitäten, in Richtung einer Küche, die ihre festen Regeln hat, bei der man weiß, wo oben und unten ist und bei der man mit einem solchen Satz auf viel Zustimmung aus dem konservativen Lager rechnen darf. Der Satz setzt voraus, dass man weiß, wann es schmeckt und er setzt voraus, dass Gerichte, die davon abweichen, nicht gut sind, weil sie im traditionellen Sinne „nicht schmecken“. Man ist da ganz schnell bei kulinarischen Stammtischparolen.

Natürlich weiß ich, was Hans Haas meint und ich habe die Küche von Hans Haas sehr geschätzt, wenn sie auf den Punkt kam, aber auch in frühen Jahren schon einmal kritisiert, weil bei seinem Stil die Ausführung eine überragende Rolle spielte. Ein Stückchen daneben war dann schnell zuviel und brachte eher enttäuschende Ergebnisse. Aber das ist nicht das Hauptproblem. Es geht darum, dass das Ikarus-Programm sozusagen an Adrenalin verliert. Ja, die Köche sind hervorragend und es schmeckt in seiner Art auch hervorragend. Aber wird deshalb ein Run auf Küchen entstehen, die man unbedingt einmal gegessen haben will, die kaum zu buchen sind oder unerreichbar weit entfernt? In den 0er Jahren jagte eine neue Idee die nächste, und – na klar – es war auch viel warme Luft dabei (oder besser sehr kalte Luft…). Aber man konnte an sehr vielen Orten dieser Welt eine erhebliche Auseinandersetzung mit der Kochkunst erleben, die dann natürlich auch ihre Fortsetzung im Ikarus-Programm fand. Angesichts des aktuellen Programms muss man heute fragen dürfen, ob die Auswahl konservativer geworden ist, ob es weniger Kreative gibt, ob weniger Köche „mitspielen“ wollen, ob die Akzeptanz für Kreatives geringer geworden ist, oder ob am Ende vielleicht die neue Neugier vom alten Appetit besiegt wurde. Die Kochkunst besteht nicht nur aus dem, was ich einmal „bürgerliche Gourmetküche“ genannt habe, sondern eben auch aus kreativer Gourmetküche, nicht nur aus Küche, die den internationalen Anrichtemoden folgt, sondern auch aus Küchen, die anders schmecken, die die gigantischen Möglichkeiten des Menschen zu schmecken besonders einfallreich nutzen. Wenn Martin Klein (übrigens im letzten Jahr unser „Koch des Jahres international“ in der Frankfurter Allgemeinen) zu Beginn des Buches sagt, es sei die „absolute Weltspitze“, die hier aktiv wird, muss man sich schon fragen, was der ein oder andere Koch/Köchin dann hier zu suchen hat. Alexander Herrmann zum Beispiel würde man in diesem Zusammenhang nicht wirklich diskutieren.

 

Das Buch

Jeder Koch bekommt in der Regel ein Feature von 28 – 30 Seiten. Die Bilder haben dabei Vorrang, größere Textblöcke gib es nur wenige. Es gibt eine Titelseite und ein – dieses Mal eher blaues – Kochporträt, Bilder von der Landschaft und dem Restaurant, das Ergebnis des Gesprächs mit Martin Klein, Bilder aus der Küche von der Vorbereitung/dem Training der Gerichte, das Menü und je zwei Seiten für die Gänge. Die Rezepte darf man hier sozusagen besonders ernst nehmen, weil die Reproduktion der Gerichte ja ein großes Thema ist.

Es beginnt mit der Achse Tantris – Witzigmann – Ikarus, die in diesem Jahr wegen der diversen Jubiläen und Umstrukturierungen ein interessantes Thema war. Den Beginn machen Hans Haas und seine Nachfolgerin Sigi Schelling mit einer – sagen wir: NachfolgerInnen-Küche („Steinbutt mit Eigelb gefüllt, Eierschwammerl und Erbsen“ oder: „Griessknödel mi Sauerrahmeis und geschmortem Rhabarber“). Es folgt ein Menü anläßlich des 80. Geburtstages von Eckart Witzigmann, mit Beiträgen zum Beispiel von Jan Hartwig, Tohru Nakamura, und Marc Haeberlin. Nummer 3 ist das Ikarus-Team, zum Beispiel mit „BBQ Steinbut, Piri Piri, Zwiebel, Feige“. Tim Boury vom Restauran Boury in Rosselare/Belgien präsentiert eine eher internationale Mainstream-nahe Stilistik (Chawanmushi Vichysoise, Schwertmuschel, Kaffir-Limette“). Tobias Bätz vom Restaurant „Alexander Herrmann by Tobias Bätz“ bleibt regionaler, und Ángel León vom „Aponiente“ in Cádoz zeigt direkt danach, dass man in Spanien bei der Bearbeitung der traditionellen und regionalen Küche wesentlich konsequenter und weiter in Richtung Moderne geht („Messermuschel, Pil Pil, Meereskräuter“). Niclas Jönsson und Daniel Höglander vom recht unprätentiös wirkenden „Aloe“ in Alvsjö in Schweden kochen vergleichsweiße unskandinavisch („Langoustine, Imperial-Kaviar, Périgord-Trüffel, Haselnuss, Braune Butter“. Mit Yannick Franques hat man einen Koch im Programm, der für eines der traditionsreichsten Häuser der Geschichte arbeitet, das „Tour d’Argent“ in Paris. Er bringt mittlerweile sehr viel Leichtigkeit in die Küche, wie etwa bei der „Burgaud-Ente – Brust, Bete, Bergamotte“. Enrico Bertolini vom „Mudec“ in Mailand nennt seine Küche „Contemporary Classics“ („Anchovis,  Auster ‘Delta del Po’, Imperial Osietra Kaviar”).  Es gab auch eine Folge “Best of Österreich” mit Philip Rachinger, Max Natmessnig und Benjamin Parth, die nicht immer so regional war, wie etwa „Malztartelett mit Leinöl, Bier und Hopfenspargel“. Den Abschluß im Buch macht Henrique Sa Pessoa vom „Alma“ in Lissabon/Portugal („Kabeljau, Koriander, Brandade, Grünkohl“).

 

FAZIT

Es dürfte auch bei den zwangsläufig kurzen Nennungen von Gerichten der Teilnehmer – bei denen ich oft auch noch Gerichte zitiere, die weniger Mainstream und mehr Profil zeigen – klar sein, warum ich der Meinung bin, dass man das Profil im „Ikarus“ wieder etwas schärfen sollte. Das Buch ist und bleibt von der ganzen Machart her sehr gut. Am Ende des Tages zählt dann aber doch auch ein wenig auch das Fleisch am Knochen.

Insofern rate ich nach wie vor zum Kauf und zur Vervollständigung der Sammlung, gebe aber nur 2 grüne B.

5 Gedanken zu „Das Buch ist sehr schön, aber man sollte das Ikarus-Konzept nachschärfen“

    • Welches Restaurant wie das Hangar 7, hat soviele kulinarische Techniken wie Innovationen genutzt, und wurde dies nachgemacht. Das zeigt wie filigran, und wie komplex, dieses Konzept ist. Das hier ein Restaurant läuft das andere DNA, wie auch unverwechselbar immer seine eigene DNA steigert gezeigt. Kein Restaurant zeigt soviel fremdes, aber soviel eigenes in kurzer Zeit. Welches Restaurant kann soviel fremdes Potential zum eigenen machen, und wieviel eigenes in kurzer Zeit zeigen. Ich kenne keines auf dieser Welt!!
      Und das zeigt als Kritiker sind sie kein Handwerker, sondern einer der das essen around der World beurteilt, aber Handwerk, und Kultur wie auch Entwicklung gehört auch dazu, wie auch ein Konzept das keine Kopie ist, es gibt nur das Original.
      Nachschärfung für Sie, es sind hier die letzten wirklich 30 Leute vertreten die kulinarische Mess-Latten gesetzt haben und kulinarisch sogar das Michelin-Imperium versetzt haben.
      Von den Covid-Massnahmen wollen wir gar nicht sprechen, sondern dann wäre das Buch sogar um einiges besser. Das zum einen.
      Wenn ich ja über 11.000 Bücher habe und sogar Einzelstücke sind wie von Escoffier und noch mehr signiert, dann halte ich die Bücher vom Hangar 7 sogar unsigniert mehr über die Esskultur und deren Veränderung und Verbesserung der Techniken, wie auch dem gezeigten Essen, das Sie hinterlassen.
      Und ja, es gibt auch vergessene Köche vor Escoffier und Bocuse.
      Ich hasse schon das Gault Millau so blöde Kritken vor Trettl geschrieben, als der gleiche Schreiber nach Trettl ein bisschen harmloser und schleimiger sein voriges Scheitern an „unprofessioneller“ Kritik geschrieben hat.
      Ich liebe Kritik, aber sie sollte dem geschuldet sein was man geleistet hat, und was R. Trettl begonnen hat und sein Nachfolger M. Klein noch grösser gemacht hat, und auch akribisch weiter gemacht hat.
      Und das erste Mal kritisiere ich nicht nur Michelin, sondern einer der allerbesten.
      Aber welches Restaurant zeigt soviel seit es offen hat.
      Keiner der grossen Maler hat soviel Retrospektive wie aktuelles gezeigt. Und Identität hat dieses Restaurant, ohne dem Eigentümer zu nahe zu treten.
      Es hat vielen Köchinnen und Köche gezeigt, viele Techniken Produkte und Erfahrungen gezeigt.
      Mich würde Ihre Antwort freuen. Alleine die Erwartung freut mich.
      Vielen Dank dem besten Kritiker seit es Kulinarik für meine Begriffe gibt.

      Antworten
  1. Natürlich sind die Bände der Reihe ein willkommener Anlaß zur Rückschau und zum Vergleich des Gebotenen mit dem durch Konzept und Anspruch angestrebten Niveau. Beim vorliegenden Band ist allerdings zu berücksichtigen, daß er eine Zeit behandelt, in der (durch Covid) erschwerte Begingungen geherrscht habe: Lockdowns und Reisebeschränkungen und die sich daraus ergebende Unsicherheit. Das Gastspiel von tim Boury mußte zweimal verschoben werden, und „Best of Österreich“ war das Resultat einer knappen Absage durch einen Koch.

    Wenn man darüber redet, ob dieser oder jener Koch zu Recht eingeladen wurde, sollte man auch darüber reden, welche Köche denn unbedingt eingeladen werden sollten. Denn auch ohne eine pandemiebedingte Ausnahmesituation wird nicht jeder Wunsch erfüllbar sein: Zunächst muß der Wunschkandidat eine Einladung auch annehmen, und seinen Stil an die Notwendigkeiten im Ikarus anpassen können und wollen: Das Gastkoch-Menü wird einen Monat lang unverändert angeboten und kann daher nicht flexibel auf das Warenangebot reagieren.
    (Die langfristige Verfügbarkeit von Produkten ist übrigens auch Voraussetzung dafür, daß „Klassiker“ ständig angeboten werden können.)

    Antworten
  2. Hallo Herr Dollase, da gibts natürlich sehr viel zu sagen! Das Ikaruskonzept ist und bleibt enorm pfiffig, weil es Menschen ermöglicht, an einer international agierenden Gourmetküche als Esser teilzuhaben, anstatt nur instagrambildchen anzugucken. Daher ist es verständlich, wenn die Betreiber auf “ never change a running system“ setzen. Da liegt aber eines der beiden Probleme- damit ein Koch problemlos in das system Ikarus eingepflegt werdem kann, muss er bestimmte Bedingungen erfüllen und auch bestimmte Abstriche akzetieren. Das dürfte für „klassisch“ arbeitende Köche leichter fallen als für andere. Köche wie Stefan Wiesner ( “ Der Hexer aus dem Entlebuch“) könnte ich mir zb schlecht im Ikarus vorstellen… Das andere zentrale Problem am Ikarus ist natürlich das Nachkochkonzept, das Kreativköche enorm einschränkt, weil sie ein stehendes Menue konzipieren und reproduzieren lassen müssen, statt ein fliessendes in situ immer neu variieren zu können. Und was die Nachfolgerinnenküche von Frau Schelling betrifft- dafür gibts in München einfach ein Publikum.

    Antworten

Schreibe einen Kommentar zu duni Antworten abbrechen