Das Hans Haas – Missverständnis

Zum Abschied von Hans Haas nach 30 Jahren Arbeit im Münchner „Tantris“ hat es eine Menge von Texten gegeben, in denen in der Regel völlig zu Recht das Engagement, das hohe Niveau, die Beständigkeit und das Beharren eines großen Kochs auf seinen kulinarischen Grundsätzen ausführlich gelobt wurde. Diese Berichte und Interviews zum Abschied waren nicht nur verdient, sondern in ihrer Art auch oft gut und erfreulich gemacht.

Aber – es gab eine ganze Reihe von Ausnahmen, die nicht nur den Koch Hans Haas gelobt, sondern ihn auch gleich gegen andere Formen von Küche in Stellung gebracht haben. Und da musste man oft den Eindruck gewinnen, als ob es den Autoren erst in zweiter Linie um Hans Haas ging. In erster Linie wurde sein Stil instrumentalisiert, um gegen Küchenstile zu polemisieren, die anscheinend den Autoren nicht in den Kram passen. Dabei konnte man durchaus den Eindruck gewinnen, dass es diesen Autoren im Grunde um eine Einheitsküche geht, eine unkreative Normierung des Genusses, den sie sich anscheinend nur aus ihrer offensichtlich sehr engen Perspektive vorstellen können. Diese Instrumentalisierung ist völlig unsachgemäß, unreflektiert und im höchsten Maß interessengesteuert.

Steht der Stil von Hans Haas fast gegen die gesamte deutsche Spitzenküche?
In der Süddeutschen Zeitung etwa beginnt ein Text über Haas mit einem Zitat von Michelin-Chefredakteur Ralf Flinkenflügel. „Ein Teller, den ich nicht verstehe, ist ein schlechter Teller“, heißt es da, quasi als Beleg dafür, wie gut Haas und wie schlecht andere sind. Von mir persönlich könnte ein solch überheblicher Satz nie stammen, schon aus Achtung vor den Leistungen der Köche, denen ich selbstverständlich auch zutraue, etwas Beachtliches zu machen, das ich nicht gleich verstehe. Flinkenflügel erhebt sich in diesem unsäglichen Satz zu einer Art Oberschiedsrichter, den es nicht geben kann und eigentlich auch nicht geben darf. Wenn er etwas nicht versteht, verweist das vielleicht auf seine persönliche Verständnisprobleme, keineswegs aber darauf, dass dieser Teller nichts taugt.

Dann lässt man die Katze aus dem Sack. Zitat: „Ein wirklich gutes Gericht erschließt sich dem, der es isst, auch von allein.“ Das klingt plausibel, ist aber vollkommener Unsinn. Wäre es so, gäbe es die Kochkunst nicht, weil sie immer wieder ein Stück über die Erwartungen hinausgegangen ist und hinausgeht und immer wieder Esser in einen Zustand gebracht hat, in dem zwischen ihren individuellen Vorerfahrungen und Prägungen und dem Neuen eine gewisse Spannung entsteht (um es einmal sehr vorsichtig auszudrücken). Im logischen Umkehrschluss bedeutet dieser Satz, dass jede andere Küche nicht gut ist. Darunter versteht man in dem zitierten Text vor allem – in allerbester Stammtischtradition – „komplizierte“ und „verkopfte“ Spitzenküche. Es muss also davon ausgegangen werden, dass die bevorzugten Köche dieser als Kritiker getarnten Redundanzesser unkompliziert-„intuitiv“ (wie es an einer anderen Stelle heißt) arbeiten und dabei nicht oder kaum nachdenken. So gesehen müsste dann der größte Teil der Gerichte der deutschen Spitzenküche nicht gut sein. Das Spektrum würde sich dann zum Beispiel von den millimetergenau austarierten Gerichten eines Harald Wohlfahrt über Christian Bau, Sven Elverfeld, Jan Hartwig bis zu den Modernisten wie Marco Müller, Felix Schneider oder Tony Hohlfeld usw. usf. ziehen. Da gehen dem Autor wohl die Gäule durch.

Ganz davon abgesehen habe ich in meinem aktuellen Kursbuch-Text (Kursbuch 204) ausführlich analysiert, dass es eine Schnittmengen-Küche zwischen Spitzenküchen-Regeln und den Erwartungen „ganz normaler“ Esser geben kann, wie sie exakt entsteht und welche Merkmale sie hat. Das hat bei mir allerdings in keiner Weise dazu geführt, eine solche Küche zum Maß aller Dinge zu erheben. Eine Küche, wie Hans Haas sie anbietet, mag viele Leute erfreuen. Sie ist insgesamt gesehen aber nur eine von vielen Möglichkeiten, gute Küche zu machen.

Ist die Küche von Hans Haas einfach? In keiner Weise. Ganz im Gegenteil
Wenn man den Schein-Argumenten jener Fraktion, die die Küche von Hans Haas zu ihren Zwecken instrumentalisiert, einmal auf den Grund geht, stellen sich diese Zuschreibungen sehr schnell als hohles Gerede heraus. Die Küche von Hans Haas mag als „einfach“ wahrgenommen werden (vor allem von Leuten, die sehr oberflächlich genießen), sie ist aber in der Machart hochkompliziert. Das, was sie besonders macht, ist eben nicht die Ähnlichkeit zu anderen populären Küchen aus dem Bereich der bürgerlichen Küche, sondern eine Finesse im Umgang mit weitgehend bekannten Produkten, die – immer eine gute Exekution vorausgesetzt – nicht deshalb auffällt, weil die Produkte weitgehend bekannt sind, sondern weil sie in einer ganz besonderen Form behandelt werden. Ob dies von oberflächlichen Essern nachvollzogen werden kann, darf bezweifelt werden. Insofern werden sie exakt das besondere dieser Küche nicht wahrnehmen.

Um die erwähnte Finesse zu erreichen muss man extrem präzise und minutiös arbeiten. In einem neuen Buch über die Küche von Alain Chapel (das ich hier noch besprechen werde) wird sein berühmter Satz „Die Küche ist weit mehr als nur die Rezepte“ in einen klaren Zusammenhang gestellt: Chapel meinte, dass die Rezepte nur einen winzigen Teil von dem wiedergeben können, was man zur Herstellung eines überragenden Gerichtes machen muss. Das gilt analog auch für Hans Haas. Wenn er seine Gerichte im „Tantris“ in Bestform präsentieren konnte, waren sie eine unendliche Summe von Details, die perfekt ineinander gegriffen haben. Speziell die Proportionen von Aromen und Texturen spielen dabei eine große Rolle. So gesehen ist sie den angeblich „verkopften“ Küchen absolut ähnlich. Ob Hans Haas andererseits in der Lage ist, jedes Detail seiner Arbeit zu benennen, spielt dabei keinerlei Rolle. Viele Köche und viele andere Künstler sind zu solchen Erläuterungen nicht unbedingt in der Lage. Wenn sie – am Rande bemerkt – dazu allerdings in der Lage sind, ist das sehr gut für die Reproduktion ihrer Arbeit, die ja in der Küche eine große Rolle spielt und im Grunde genommen auch für die Kochkunst, weil eine Arbeit dann vermittelbar wird. So etwas auch nur annähernd in die Nähe von Einfachheit zu bringen, ist also glatter Unsinn.

Noch ein Nachsatz, die Frage von zwei oder drei Sternen betreffend
Es kann übrigens gut sein, dass die Tatsache, dass Haas nie einen dritten Michelin-Stern bekommen hat, exakt dieser Situation geschuldet ist. Wenn es unbedingt notwendig ist, dass diese Küche ein Höchstmaß an Präzision besitzen muss, um ihre Vorteile maximal auszuschöpfen, ist die Gefahr sehr groß, dass es schnell auch einmal anders ist. Auch ich habe im „Tantris“ erlebt, wie bei einer krossen Baguette-Scheibe über Stücken vom Kalbskopf die Röstnoten so intensiv waren, dass das ganze Gericht von ihnen dominiert war und damit quasi völlig sinnlos. Es rutschte also von möglichem Glanz in perfekter Ausführung zu einem unerfreulichen Gebilde, das selbst in viel schwächer bewerteten Restaurants keinen Spaß gemacht hätte. Es kann gut sein, dass man bei Michelin diese „Risiko-Momente“ häufiger erlebt hat und deshalb von einer höheren Bewertung Abstand nehmen musste.

8 Gedanken zu „Das Hans Haas – Missverständnis“

  1. Möchte gar nicht auf die vorherigen Kommentare eingehen – ich/wir hatten das große Glück und Vergnügen Ende September noch einen Tisch im Tantris zu bekommen. Es war ein wundervoller Abend mit einer großartigen Küche und einem wundervoll entspannten Hans Haas Abends nach dem Service noch an der Bar. Wir haben es sehr genossen und wünschem Ihm und seinem grandiosen Team für die Zukunft alles Gute!

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  2. Habe mir den Artikel von Ralf flinkenflügel mal durchgelesen,ich denke mal dass sie das vollkommen falsch verstanden haben Herr dollase,in keinster Weise kommt da Überheblichkeit vor!!!! In der Welt der kulinarik ist Herr flinkenflügel zu recht der einflussreichste Restaurant kritiker,…sie sollten es sich nochmal richtig durchlesen und verstehen.

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  3. Der Satz „Ein wirklich gutes Gericht erschließt sich dem, der es isst, auch von allein.“ ist hier sicherlich (gewollt) ein Stück weit missverstanden worden. Man bedenke, dass im Gegensatz zur Rezeption von Werken aus den Bereichen Musik, bildende Kunst oder Literatur, die Rezeption eines Gerichts nur wenige Minuten dauert und in aller Regel ein einmaliges Ereignis bleibt. Ein Koch muss daher damit rechnen, dass der Gast im wesentlichen intuitiv reagiert. Was nicht heißt – wie hier unterstellt – dass ein Koch intuitiv kochen muss, damit er auch verstanden wird! Auch müssen Brechungen von Konventionen nicht unbedingt zu einem Unverständnis führen. Umgekehrt könnte man sich im übrigen fragen, welchen Sinn eine Küche macht, die „sich von allein nicht erschließt“, also tiefergehende Vorkenntnisse oder eine vertiefte Auseinandersetzung im Vorfeld erfordert und somit nur von einer kleinen Schar von Spezialisten voll umfänglich gewürdigt werden kann.

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  4. Das dieses Zitat nicht überheblich gemeint war ist ihnen aber auch nicht entgangen? Oder stellen sie sich jetzt auf Krawall machendes Bild Zeitungs Niveau? Bisher habe ich sie immer als oberschiedsrichter und vor allen Dingen als möchtegern Oberlehrer wahrgenommen, der herr hat wenigstens eine koch Ausbildung die sie nicht haben, von daher und auch von seinem Werdegang hat er natürlich mehr Verständnis von der Materie als sie, ist ein hochangesehener Experte international.

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    • Sie bescheinigen Herrn Dollases Ausführungen das Niveau einer Boulevardzeitung, während bei den Ihren ein gewisser restringierter Code auffällt …

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      • Lieber Herr Hack, ich habe es aufgegeben, auf solche Äußerungen zu reagieren. Was soll ich machen? Die riesige Liste meiner Veröffentlichungen anführen (die viel umfangreicher ist, als das im zensierten Wikipedia-Text steht)? Auf Hunderte von Rezepten verweisen? Auf die Betreuung des Larousse Gastronomique? Manche Leute bekommen einfach nicht mit, was passiert. Da kann man nichts machen.
        Gruß JD

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  5. vieles, was jetzt über hans haas und das tantris geschrieben wird, ist gut gemeint, aber nicht gut gemacht. der vermeintlich “ einfache“ stil von haas steht nicht nur für zugänglichkeit, unverkopftheit etc., sondern hat auch ganz stark damit zu tun, dass das tantris ein riesenrestaurant ist, wo oft in einem service 100 und mehr gäste bekocht werden mussten. da blieb kein platz und keine zeit für kleinteilige, subtil komponierte teller. da konnte es vorkommen, dass mehrere gänge eines menues mit den gleichen dekoelementen ( feingeschnittene frühlingszwiebeln, sepiagefärbte knusprig rausgebratene fischhaut) versehen waren, sehr stark gewürzt wurde ( vorallem mit dem salz ging haas oft unverständlich grosszügig um ) und bestimmte “ beilagen“ flächendeckend bei allen hauptgerichten eingesetzt wurden. das sind -ohne haas verdienste schmälern zu wollen- dinge, die andere köche unter anderen umständen souveräner lösen. haas küche wäre mutmasslich ohne das spezifische tantris-setting auch anders und kritischer bewertet worden.

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  6. Vielen Dank für die Analyse des SZ Artikels über „das Ende“ von Hans Haas im Tantris. Ich könnte mir vorstellen das Ihre Ansprüche an die SZ zu dem Themenkomplex „Essen & Trinken / Gourmandise“ wahrscheinlich zu ambitioniert sind. Ich erwarte eigentlich von einer überregionalen Tageszeitung wie der SZ auch mehr, aber das ist leider wahrscheinlich noch ein längerer Prozess. Das ist sehr zwar sehr schade, aber vielleicht führen Ihre Texte ja zu einem baldigen Umdenken bei der SZ – ich und viele weitere Leser würden es sich wünschen.
    PS.: Durch Ihren Text wurde ich auf das „Kursbuch 204“ aufmerksam, was mir sonst wohl entgangen wäre – dafür vielen Dank. Ich habe bis zur Einstellung jährlich „Cottas kulinarischen Almanach“ mit sehr viel Freude gelesen. Leider habe ich bis heute kein Nachfolger entdecken könnnen. Ich denke für einige Tipps in dieser Richtung wären Ihnen viele Leser dankbar.

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