Der Aerosol-Super Gau. Wie es weitergehen muss.

Die Meldung, dass Wissenschaftler ganz klar festgestellt haben, dass die Geschehnisse in Innenräumen für den überwiegenden Teil der Neuinfektionen zuständig sind, hat die Gastronomie wie ein Super-Gau getroffen. Das Problem ist dabei nicht, dass diese Erkenntnis überraschend wäre. Das Problem ist, dass die sehr deutliche Formulierung des Forschungsinstituts sehr schnell allgemein die Runde machte und natürlich auch sofort in der Politik angekommen ist. In den Entwürfen für die neue Infektionsschutz-Gesetzgebung ist dann auch bisher von Perspektiven für die Wiedereröffnung von Restaurants gar nicht erst die Rede. Die Lage scheint trostlos zu sein und offenbart abermals, wie sehr die Gastronomie-Verbände versagt haben. Ich habe schon im letzten Jahr immer wieder angemahnt, man solle unbedingt Konzepte für die Öffnung von Restaurants entwickeln und dabei ganz klar machen, dass man nicht alle Gaststätten über einen Kamm scheren kann. Dass in dieser Richtung lange nichts passiert ist, ist ein massives Versäumnis. Die Folgen bekommt die Gastronomie nun in voller Härte zu spüren: Sie werden die letzten sein, denen irgendwann einmal die Wiederaufnahme ihrer Betriebe ermöglicht wird. Dass das Verhalten in den Büros und Betrieben weitgehend außer Kontrolle ist, dass es immer noch keine allgemeine Maskenpflicht im öffentlichen Raum gibt und dass sich nach wie vor Pulks von Kindern und Jugendlichen ohne Masken bilden usw. usf. fällt immer noch unter den Tisch.

Man hat den immer neuen Vertröstungen immer wieder geglaubt
Eine grundsätzliche Schwächung vieler Betriebe ist dem Glauben daran geschuldet, dass irgendwann in zwei oder drei Wochen alles besser werden würde. Man hat auf die jeweils nächste Ministerpräsidentenkonferenz gewartet und ist irgendwie immer wieder davon ausgegangen, dass es nach der nächsten Lockdown-Verlängerung besser werden würde. Dazu ist es regelmäßig nicht gekommen. Stimmen, die gesagt haben, man müsse sich auf eine lange Zeit des Notbetriebs einstellen, wurden nicht ernst genug genommen. Ich selber habe vor vier Monaten exakt die jetzige Lage prognostiziert und muss noch einmal wiederholen, dass wir immer noch kein Ende der Restriktionen in Sicht haben. Es ist immer noch unabsehbar, wann denn die Impfungen genügend Immunität bringen, um die fetischhaft kultivierten Inzidenzzahlen in einen Bereich zu bringen, der Öffnungen der Gastronomie auf breiter Front möglich macht. Auch durch die aktuellen Maßnahmen werden die Inzidenzwerte auf lange Zeit nicht wesentlich sinken. Auch darauf habe ich hingewiesen.

Von Realisten und Gutgläubigen
Diejenigen unter den Gastronomen, die sich schon vor einem Jahr energisch an den Aufbau eines „mobilen“ Programms gemacht haben, haben das Richtige getan. Diejenigen, die von einem zum anderen Termin Hoffnungen auf ein Ende hatten, haben falsch gehandelt und sich und ihre Betriebe gefährdet. Wer sich nicht um sein Image als Super-Starkoch sondern mehr ums Geld verdienen gekümmert hat, hat richtig gehandelt. Wer sich geziert hat und all die Außer-Haus-Aktivitäten für unter seiner kulinarischen Würde befand, hat etwas falsch gemacht. Wie stark die Auswirkungen dieser Fehler sind, können wir jetzt überhaupt noch nicht absehen, weil – siehe der Fall von Albert Adrià – die Auswirkungen einer modifizierten Öffnung zu einem späteren Zeitpunkt noch gar nicht abzuschätzen sind. Die Grundentscheidung musste und muss leider immer noch sein: will ich als Gastronom überleben oder nicht?

Die Szene ist im Moment deutlich geteilt zwischen Selbstständigen und angestellten Köchen. Im Moment ist deutlich zu sehen, dass die auf eigene Kosten wirtschaftenden Köche sehr viel mehr Aktivitäten entwickeln, während die angestellten (und oft sehr hoch bewerteten) Köche zu Hause sitzen und nicht wissen, wie und wann es weitergeht, weil diverse Außer-Haus-Aktivitäten nicht in das Konzept ihres Betriebes passen. Das wird zu größeren Verwerfungen und Veränderungen führen.

Sonderfall Kreativköche
Ein großer Teil der besonders kreativen Köche kann seine Arbeit nur in der Selbstständigkeit realisieren, weil sie sich mit ihren speziellen Vorstellungen üblicherweise in großen Hotels und Hotelketten nicht durchsetzen können. Wenn sich die Entwicklung der letzten Zeit weiter verstärkt, wird sich hier ein großes Problem ergeben. Die Szene wird viele ihrer kreativsten Köche verlieren, weil sich ihre Restaurants weder jetzt noch unter späteren Auflagen wirtschaftlich betreiben lassen. Es mag von heute aus gesehen sehr verwegen klingen: aber man muss an die Solidarität große Hotelbetreiber geradezu appellieren, der kreativen Küche nach der Krise eine Chance zu geben und Räume und Konzepte zu finden, die die Vielfalt des gastronomischen Angebotes gerade in der Spitze stabilisieren. Ansonsten deutet sich ein Schaden an, der Jahre anhalten wird.

Kreativität in Zeiten der Krise: nicht einfacher, lockerer werden!
Ein beträchtlicher Teil unserer besten Köche sitzt also zu Hause und weiß nicht, wie es weitergehen wird. Sie denken viel, und man kann nur hoffen, dass die Gedanken in eine gute Richtung gehen. Zu tun gäbe es immer etwas – zumindest im kreativen Bereich. Es gibt immer Bedarf bei Optimierungen der Qualitäten, bei stilistischen Überlegungen (etwa: weniger Mainstream, mehr Individualität und Profil), aber auch im kreativen Bereich, wo nach wie vor Unmengen an Aufgaben (wie etwa die Regionalisierung von Spitzenküche) bei weitem nicht gelöst sind. Im Grunde sollte man hoffen können, dass nach der Krise nicht etwa nur das Gleiche wie vorher angeboten wird, sondern sich Konzepte zeigen, die für eine bessere, spannendere Kochkunst in den nächsten Jahren stehen.

Vor allem aber sollte man sich weiter intensiv bemühen, das mobile Angebot zu optimieren und nicht – wie das immer wieder zu erleben ist – mit leichter Hand nur mitlaufen zu lassen. Dieses mobile Angebot wird die Gastronomie noch eine ganze Zeit begleiten und ist nicht nur eine Chance zur Generierung einiger Einnahmen, sondern wird auch einen Bereich strukturieren, der bisher so gut wie nie eine Rolle gespielt hat. Auch dort ist viel Forschung und Entwicklung zu leisten und diese Arbeit wird nicht umsonst sein. Mobile Formate werden in den nächsten Jahren zu einem eigenen Gastronomiezweig werden.

In jedem Falle – und da rede ich aus eigener Erfahrung – sollte man jede Möglichkeit nutzen, Motivation mit neuen Zielen zu generieren. Das ungeheure Potential der Kochkunst in einem so großen Land muss nicht nur erhalten bleiben, sondern gestärkt aus der Krise hervorgehen. Neue Akzente werden dann auch dabei helfen können, zögerlich zurückkommende Gäste schnell von der ganzen Schönheit guter gastronomischer Erlebnisse zu überzeugen.

7 Gedanken zu „Der Aerosol-Super Gau. Wie es weitergehen muss.“

  1. Sehr geehrter Herr Dollase,
    Sie haben den richtigen Ansatz.
    Was wir brauchen, ist nicht ein ständiges herunterbeten von Öffnungswünschen von Seiten der Dehoga und sämtlicher Standesvetreter (JRE).
    Wir brauchen mehr Solidarität in der ganzen Bevölkerung und vorallem in der Wirtschaft.
    Ist Ihnen schon aufgefallen, dass auf dem Bau Corona völlig unbekannt ist? Schauen Sie sich gern mal Baustellen vom Bund an- niemand trägt Maske- man kann argumentieren „alles draußen“, trotzdem sitzen alle im Bauwagen beim Vesper und Feierabend- Bier lustig beisammen.
    So lange die Wirtschaft „brummt“, denkt keiner wirklich an so viel Homeoffice wie möglich.
    So lange niemand den Firmen auf die Finger klopft (kontrollen), wird sich nichts ändern.
    Gibt es in der Küche eines Gastronomen ein Problem, kommt am folgenden Tag das Landratsamt und spricht (zu recht ) strafen aus.
    Wieso gibt es bei den Spargelbauern nur „Kann“ Vorschriften und die Bitte max. auf 2Bett Zimmer?
    Die Lasten der Pandemie werden zu allererst auf den Rücken unser Kinder ausgetragen – schließen, öffnen, distanz und wirtschaftlich von einigen wenigen Branchen (Gastro, Messe, Einzelhandel, Schausteller und noch ein paar).
    Wir diskutieren ob in 3 , 4, oder irgendwann geöffnet wir und unsere Restwirtschaft jammert über die Kosten von Schnelltest.
    (Siehe IHK Hessen, wo von Unverhältnismäßigkeit und wirtschaftlich schwierig bis zu wir müssen „medizinisches Personal“ bereitstellen pallavert wird)
    Übrigens jeder Grundschüler ab der ersten Klasse kann den Schnelltest!

    Wir brauchen eine harten Lockdown!
    2 bis 3 Wochen komplettes herunterfahren „aller“ aktivitäten und dann kann man mit Impfen und Nachverfolgung versuchen vor der Welle zu surfen!
    Nur wird es den, auf Kosten vieler Menschenleben und vieler wirtschaftlicher Pleiten nicht geben, da der eine oder ander Betrieb vielleich 5% Umsatz verliert und das möchte man sich auf keinen Fall leisten.
    Vor Jahren brauchten wir dringend eine Abwrack-Prämie – als Solidarität zur Autobranche, bitte war vielleicht o.k.
    Nochmal wo ist die Solidarität der deutschen Wirtschaft, welche von der Pandemie nicht betroffen ist?
    Mfg.
    J. Schwemmer

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  2. „Fetischhaft kultivierte Inzidenzwerte“? Nein, im Gegenteil. Es wurde viel zu wenig vorausgeschaut, wie schnell diese Werte ansteigen bei einer Mutante, die hochansteckend ist. Jetzt laufen die Intenivstationen voll und tausende Leute sterben. Sorry, aber Leben ist wichtiger als Umsatz in der Gastronomie. Kann man daran überhaupt deuteln? Und Aerosole in Innenräumen sind entscheidend. Es ist ein Unterschied, ob Leute irgendwo zum Vergnügen verweilen, oder ob es sich um Schule oder Arbeitsplatz handelt. Wenigstens das hat die Politik instinktiv richtig gemacht. Das ist alles nicht schön, und mir tun Gastronomen auch leid, die es trifft. Nur hat eine Pandemie ihre eigenen Gesetze und nimmt keine Rücksicht. Mein letzter Besuch in einem Restaurant im letzten Sommer war kein Vergnügen. Ständig kamen Leute ins Lokal, um Kuchen auszusuchen und mitzunehmen. Ich habe beschlossen: das war’s. Viel zu gefährlich, ich fühle mich äußerst unwohl. Und schließlich geht man in ein Lokal zum Vergnügen. Auf nicht absehbare Zeit ist daran nicht zu denken.

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    • Sie sollten sich informieren, da Ihre Behauptungen wirken, wie aus der Propagandaschleuder der ÖR.
      Offizielle Zahlen können weiterhelfen: 99,72% der Bevölkerung sind NICHT betroffen.
      Intensivbetten MÜSSEN zu mindestens 85% ausgelastet sein. Überbelastungen liegen nicht an einer Epidemie sondern sind Ergebnis schlechter Gesundheitspolitik. Sie sind ein regelmäßiger Zustand des Gesundheitswesens seit vielen Jahren.
      2020 wurden 20 Kliniken geschlossen, tausende Intensivbetten abgebaut, 30 Kliniken sollen es 2021 werden. Lauterbach forderte mit Bertelsmann, 50% aller Kliniken zu schließen.
      PCR-Test weisen KEINE Infektion nach, siehe WHO.
      Nein, die Politik hat NICHTS richtig gemacht, sondern versagt.
      Es gibt im Freien keinerlei Übertragung, laut Wissenschaft. Egal, ob 15 Leute sich begegnen, oder 100.
      Und wenn die Aerosole in Innenräumen entscheidend sind, sperren wir die Leute genau in jene Innenräume ein?
      Wachen sie endlich auf!

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      • So sieht es aus armes Deutschland, hier geht nur noch arbeiten und ansonsten nichts, bleibt nur zu hoffen das man bei der Wahl im September das kreuz an der richtigen Stelle macht

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      • Gut, dass Sie das alles so genau wissen. Ich informiere mich täglich stundenlang und könnte demnach vielleicht auch etwas wissen? Warum reden die Chefs unserer Kliniken von Volllaufen der Intensivstationen und mangelnden freien Plätzen für Corona-Patienten? Sie lügen, weil die Zahlen doch immer gleich geblieben sind? Sorry, glaube ich nicht bei der Menge an sich wiederholenden Aussagen von unterschiedlichen Personen. Ach, an dem Mangel sind die Klinikschließungen schuld, nicht die Pandemie? Verglichen mit anderen Ländern liegt Deutschland weit vorne bezüglich der Zahl der Intensivbetten pro Kopf der Bevölkerung. Schon mal was von Triage gehört? Die hat nicht in Deutschland begonnen, sondern in Italien. Das lag auch nicht an Corona? Wahrscheinlich waren da schließlich auch nur Bruchteile der Bevölkerung betroffen, also was soll’s!
        Die Nicht-Betroffenen 99,72 %, wer sind die? Was heißt das, nicht betroffen sein? Nicht infiziert sein? Das kann sich sekündlich ändern. Dadurch führt diese schöne Zahl die Absurdität von Zahlen vor Augen, mit denen viele operieren. Mit Zahlen kann man nämlich alles belegen und widerlegen. Das Dumme ist nur, dass man nicht weiß, wie viele von den gerade nicht Betroffenen z.B. Long-COVID haben, vielleicht ihr Leben lang?
        Wer den Charakter einer Pandemie einfach nicht begreifen will, der kann sich mit Zahlenspielen wunderbar herausreden. Das klappt aber nur so lange, wie man nicht mit einem Luftröhrenschnitt und einem Schlauch im Hals um sein Leben kämpft (oder ein naher Angehöriger). Allein diese Realität sollte Ihnen doch die Augen öffnen, dass es hier nicht um Gedöns geht. Ja, wenigstens das haben ein paar Politiker begriffen, allen voran Frau Merkel und Herr Lauterbach. Eine kuriose Große Koalition, die meinen Respekt verdient.

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    • In Ergänzung zu Stefan Stulle: Die Fragwürdigkeit der Inzidenz, zumal als einziges Kriterium, sollte bekannt sein. Die Hospitalisierungen, und das ist entscheidend, haben NICHT zugenommen, sie bewegen sich ausdauernd bei ungefähr vier- bis fünftausend pro Woche. (Nebenbei: Das bedeutet, von etwa 18.000 Deutschen landet genau eine Person pro Woche mit dem Virus im Krankenhaus. Was noch lange, lange nicht den Tod bedeutet. Und diese eine Person ist mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit alt, übergewichtig, vorerkrankt und hat eine „Kommunikationsbarriere“. Und deswegen sollen 80 Millionen gesunde Menschen zuhause eingesperrt werden?

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    • Um auf ihre letzten beiden Sätze zurückzukommen: ja, das ist das Problem. Ich habe im letzten Herbst zwei Restaurants, die ich zu Testzwecken mit festen Veröffentlichungsdaten besucht habe nach Betreten der Räumlichkeiten wieder verlassen, weil meine Frau und ich exakt diesen Eindruck hatten. Zu eng, zu viele laute Gespräche an dicht besetzten Tischen, zu wenig Raumvolumen, zu wenig gelüftet. Die Phase II, also die Rückkehr kann insofern noch sehr problematisch werden, als sich viele Gastronomen auf den üblichen Ansturm einrichten werden und dann aufgrund von Restriktionen merken, dass es nicht gehen wird bis 1. alles wieder möglich ist und 2. die Gäste wieder ein völlig entspanntes und sicheres Gefühl haben.

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