„Hallo und herzlich willkommen in ihrer Servicehotline. Ich habe eine Mobilfunknummer erkannt. Geht es bei Ihrem Anliegen um ein Thema zu dieser Nummer?“, fragt mich eine überfreundliche Computerstimme. „Nein“, grummel ich genervt in mein Telefon.
„Worum geht es dann?“, fragt mich die Stimme süffisant dämlich, in einem provozierenden Ton. Obgleich mir klar ist, dass Computerstimmen kein Interesse daran haben zu provozieren. „Störung“, schiebe ich hinterher. „Wie bitte?“ „Störung!“ „Handelt es sich um ein Thema der Katego…“ „DSL“, sage ich. Nach meinem 49. Telefonat kenne ich die Sequenz ziemlich gut. Ab und zu neige ich zur Übertreibung – diesmal allerdings leider nicht. „Einen Moment – ich verbinde Sie mit einem Mitarbeiter…“ Na endlich.
Machen wir es kurz: Ich habe kein Internet. Seit dem zweiten Weihnachtsfeiertag des Jahres 2017. Ich sage dies bewusst dazu, weil ich nicht glaube, dass mein Provider es bis zum Jahrestag schafft, mein DSL wieder ans Laufen zu bekommen. Alles hatte ganz harmlos angefangen, als mein alter Router nämlich den Geist aufgegeben hatte. Das war völlig in Ordnung, denn es war ein altes Modell und er hatte seine Schuldigkeit getan. Ich hatte einen guten Moment, als ich das erste Mal die Hotline anrief und ihnen mitteilte, dass mein Router kaputt sei und ich gerne einen neuen Vertrag abschließen würde, im Zuge dessen ich einen schnelleren Anschluss bekommen könnte. Die freundliche Mitarbeiterin sendete einen neuen Router raus (das tat sie nicht, wie sich zwei Wochen später rausstellte) und legte direkt die (falschen) Vertragsunterlagen dazu (in das Paket, was erst zwei Wochen später gepackt wurde). Ich möchte hier niemanden mit Einzelheiten nerven. Wer die Geschichte in Gänze hören möchte, der kann mich gerne kontaktieren. Ich könnte zu dieser Angelegenheit ein abendfüllendes Programm ausarbeiten.
„Der Offliner“ – eine DSL-Odyssee, von Helge Unterweg.
Der Anschalttermin wurde zum heutigen Tage sieben Mal verlegt, ich wurde vertröstet, habe mit den Damen und Herren der Hotline Bruderschaft geschlossen. Der Ausspruch „Ein Techniker wurde beauftragt, um Ihre Störung zu beheben.“, wurde zum Mantra des bisherigen Jahres. Ich sticke es mir auf ein Deckchen und hänge es mir über den Türrahmen. Direkt neben „Ihr Paketbote hat sie leider nicht erreicht“ und „Geben sie 60 g Käse auf den Auflauf“. Ja, mit Sicherheit.
Ich habe letzte Woche den neunten Technikertermin vergeben. Alle Techniker scheiterten offenbar an der Herausforderung, den Verkabelungsfehler zu beheben. Die Begründungen, die die Techniker vermerken mussten, waren schillernd bis obskur. Einer der Techniker zum Beispiel, hat die Klappe des Verteilerkastens nicht öffnen können. Als der Herr an der Hotline mir dies mitteilte, musste ich so sehr lachen, dass mir dicke und ehrliche Tränen die Wange hinunterliefen. Ich habe das Würstchenglas nicht aufbekommen – heute gibt es kein Essen, liebe Kinder.
In diesem Zuge – nachdem ich mich wieder beruhigt hatte und mir klar wurde, dass es gar nicht witzig, sondern eher bedauerlich ist – musste ich natürlich hinterfragen, wie wenig Respekt man vor sich und der Angelegenheit haben muss, um sich als erwachsener Mann von einer Verteilerkastentüre aufhalten zu lassen. Meine Freundin und ich haben ein Spiel daraus entwickelt. Es nennt sich: „Wenn der Techniker keinmal klingelt“.
Der Techniker konnte nicht kommen, weil seine Mutter ihm keine passenden Anziehsachen herausgesucht hatte.
Er konnte nicht kommen, weil er seine Busfahrkarte nicht finden konnte.
Er konnte nicht kommen, weil er sich in der Innenstadt verlaufen hat.
Er ist nicht gekommen, weil sein Wecker nicht geklingelt hat.
Oder er ist nicht gekommen, weil er ebenfalls auf einen Techniker wartet, der aber womöglich auch auf einen Techniker wartet. Es hat etwas von M.C. Escher – oder dem Film „Inception“.
Ich bin ein „old-fashioned guy“, wie unsere amerikanischen Freunde sagen würden. Ich erfreue mich am meisten an alten Sachen, am Rock’n’Roll, an Wurlitzer-Boxen, Budapester-Schuhen, an VW-Bussen und College Jacken. Trotz allem bin ich ein Kind meiner Generation und auch mir fiel es anfangs tatsächlich schwer mit einem eingeschränkten Internetzugang zurechtzukommen. Natürlich blieb mir noch das Datenvolumen, doch war mir das bisher einfach zu dämlich.
Immer mal wieder, fand ich mich also in den vergangenen Wochen auf der Couch wieder, mit der Fernbedienung in der Hand und dachte: „Heute möchte ich etwas fernsehen.“ Ich schaltete den Fernseher ein und bemerkte schnell, dass ich gar kein Kabelfernsehen mehr habe. Schon seit Jahren nicht mehr, um ehrlich zu sein. Die diversen Streaming-Dienste lassen grüßen. „Okay, hören wir etwas Musik…“, dachte ich mir, während ich auf meinem Tablet meinen Lieblingskünstler in die Suche eingebe. „Keine Verbindung zum Netzwerk“. Ach ja – da war ja was. Kein Problem! Ich habe kistenweise CDs im Keller, Alben aus allen möglichen Jahrzenten, die mir wochenlang Unterhaltung bieten können. Ich habe bereits den Kellerschlüssel in der Hand, gewillt diesem Abenteuer (Reisen in meinen Keller lassen sich in der Tat als „Abenteuer“ bezeichnen, aber dazu später mehr…) entgegenzutreten. Rechtzeitig sehe ich auf mein Sideboard. CD-Player? Fehlanzeige. Aber ich kann die Scheibe doch einfach in den PC legen. Hoch motiviert sitze ich vor meinem kleinen Mini-PC – ein Wunderwerk der Technik, wie ich finde, denn er ist kaum größer als ein Wälzer meines Lieblingsautors. Ich lasse die Schultern hängen, als ich bemerke, dass der PC nur ein paar USB-Anschlüsse hat – und schon lange kein CD-Laufwerk mehr verbaut wurde. Wenn nichts mehr hilft, sollte man zum Buch greifen. Das tue ich gerne und sehr oft. Manchmal glaube ich, dass unser kleines Apartment ein Außenlager der Kölner Stadtbibliothek ist. Aber dann und wann möchte man sich einfach nur zurücklehnen und berieseln lassen. Nicht denken, nicht umblättern, einfach nur herumlümmeln und nichts tun.
Ich musste also noch weiter ausholen. Ich griff einen Stapel LPs aus dem Regal, legte die „Steve Miller Band“ auf und triumphierte über die moderne Technik. Ein Hoch auf das Internet, auf Lautsprechern, die über das W-Lan verbunden sind. Streaming-Dienste und Clouds sind allesamt Wunderwerke der Menschheit und ich kann mich in Schuljungenmanier darüber freuen, wenn sie funktionieren (obgleich ich bei den meisten dieser Errungenschaften nicht einmal die Spur eines Anflugs einer Ahnung habe, wie sie funktionieren).
Aber manchmal, am Ende eines langen, arbeitsreichen Tages, braucht man doch viel weniger, als man denkt. Einen alten Dual-Plattenspieler, einen Stapel Platten vom Trödelmarkt. Und vielleicht noch einen leckeren Drink. Wer braucht da noch DSL?
Heute geht es in die Richtung „Old Fashioned“. Da dieser Name aber nur dem einzig wahren, ja dem eigentlichen „Cocktail“ vorbehalten ist, und wir einige Sachen abgewandelt, sowie etwas an der Zubereitung geschraubt haben, wollen wir ihn heute bezeichnenderweise „Offliner“ taufen.
Wir geben 6 cl des Rums in ein Rührglas, das mit Eis gefüllt ist. Es kommen 1 Barlöffel Rohrzuckersirup, sowie 2 Dash Aromatic Bitters von Bitter Truth dazu. Außerdem kommt noch ein Barlöffel des Sirups unserer Cocktailkirschen hinein. Wenn das Glas schon einmal geöffnet ist, kann direkt auch eine Kirsche entnommen werden. Das Ganze wird 30 Sekunden mit einem Barlöffel gerührt und somit heruntergekühlt. Mit einem Strainer wird der Drink in ein Double-Old-Fashioned-Glas mit Eiswürfeln abgeseiht. Zum Schluss wird eine Orangenzeste über dem Getränk ausgedrückt und in den Drink getaucht. Die Cocktailkirsche wird ebenfalls dazugegeben.
Die zweite Seite des Steve Miller Albums läuft, während ich mich mit meinem Drink auf mein Chesterfieldsofa setze. Eine Nachricht erscheint auf meinem Handy – „Das Problem konnte heute leider nicht behoben werden. Ein Techniker wird beauftragt“. Ich schmunzle, während ich mich zurücklehne und der Musik lausche.
Der heilige Helge
Zutaten bei BOS FOOD zu bestellen: Plantation Rum Barbados 5 Jahre, Art. Nr. 32207 • Monin Rohrzuckersirup, Art. Nr. 13137 • Cocktailkirsch-Sirup, Art. Nr. 11341 • „The Bitter Truth“ Aromatic Bitters