Der Neue ist nicht ganz der Alte. Das neue Buch von Sébastien Bras

Der legendäre Michel Bras wird morgen 76 Jahre alt, arbeitet dem Vernehmen nach aber immer noch im Restaurant „Le Suquet“ mit, dessen Leitung er im Jahre 2009 an seinen Sohn Sébastien übergeben hatte. Im Jahr 2017 verkündete dieser, er wolle in Zukunft keine Michelin-Sterne mehr haben und sich so den Zwängen des Systems entziehen. Bei Michelin ging man darauf allerdings nicht ein und verwies darauf, dass der Führer vor allem zur Information der Gäste diene. Im Führer für 2019 gab es dann 2 Sterne für das ehemalige Drei Sterne-Haus.

 

Eine Vorbemerkung:

Als Michel Bras mit seinen frühen großen Büchern herauskam (vor allem: „Le Livre de Michel Bras“, 1991, und „Bras, Laguiole, Aubrac, France“, 2002) gab es wegen zwei Dingen eine überragende internationale Wirkung: einmal die radikale Ausweitung des Produktspektrums in Richtung lokaler Pflanzen, Blüten und Wurzeln etc., dann aber auch – vor allem seit 2002 – eine Art des Präsentierens, die auf ein anderes sensorisches Verständnis schließen ließ. Die Dinge wurden vereinzelt und sollten wohl einerseits auch einzeln probiert werden (was Optimierungen bzw. ein klar entwickeltes, spezifisches Geschmacksbild voraussetzt) und dann im Zusammenhang (also mit einer entwickelten sensorischen Struktur) neue Qualitäten ergeben. In der Praxis bin ich in Laguiole aber nie richtig überzeugt worden. Die Optimierungen gab es, und sie waren auch höchst interessant. Ihnen gegenüber standen aber bisweilen kaum verständliche Untergarungen und – für mich geradezu ein Schock – eine schwache sensorische Struktur, der oft die Finesse wirklich guter Proportionen fehlte. Bis heute finde ich die Bücher dazu allerdings nach wie vor wegen der Akkorderfindungen und auch den versammelten Texturen und Temperaturen/Temperaturkontrasten höchst interessant, anregend und lehrreich.

Nun also Sébastien und nach Jahren diverser Aktivitäten mit „kleineren“ Büchern und anderen, auch internationalen Restaurantformaten, ein repräsentatives Buch über die Arbeit in und auf „Le Suquet“, dem Hügel über Laguiole.

 

Sébastien Bras: The Tastes of Aubrac. Phaidon Press, London und New York 2022. 272 S., geb., Hardcover, ca. 42,99 Euro (in englischer Sprache)

 

 

Das Buch

Die Form des Buches ist fast die eines Journals mit vielen verschiedenen Aspekten und nicht die eines reinen Rezeptbuches. Die Aufteilung geht nach den Farben Weiß (für Winter), Grün, Gelb und Rot, das ganze Buch ist neben den Rezeptfotos immer wieder von Landschafts- und Naturfotos und solchen zu den jeweiligen Themen durchsetzt. Die Einleitung erzählt etwas über die Sache in Laguiole und bei der Familie Bras an sich. Es folgt etwas zur Mutter Bras, die ja in Laguiole schon ein Restaurant hatte, dann gib es die ersten Rezepte und bald schon etwas aus der Küchenpraxis, nämlich zu dem Gerät, mit dem man flüssige Bonbons herstellt. Es folgt etwas darüber, wie man Emulsionen herstellt, dann etwas über „Milch-Bärte“, also etwas zur Familientradition und die Liebe zu frischer Milch seit der Kindheit, die dann jetzt zu Gerichten wie einer „Milchvariation“ führt, das reduzierte Milch, karamellisierte Milch, Milchmousse und mit Limone aromatisierte Milch enthält. Es wird schnell klar, dass die vielen kleinen Geschichten und Themen mehr oder weniger mit den Gerichten zu tun haben. Einem Text über Japan (2 Seiten) folgt ein japanisch inspiriertes Gericht, u.a. mit fermentierten Linsen und milchsauren Radieschen. Die Beziehungen der Texte zu den Gerichten sind allerdings im Verlauf nicht immer so direkt. Irgendwann wird seine rechte Hand in der Küche vorgestellt, gefolgt von einem Rezept mit Produkten aus der Gegend, aus der er kommt. Ich sagte es ja: es ist eher wie ein Journal.

Was natürlich am meisten interessiert ist, inwieweit sich Sébastien Bras in den Fußstapfen des Vaters bewegt und inwieweit er eben nicht mehr in Richtung Drei Michelin-Sterne schielt, sondern etwas anderes realisieren will. Kurz gesagt: es findet sich Alles. Es gibt Gerichte, die absolut so aussehen wie von Michel Bras konzipiert und andere, die in gewisser Weise etwas downsized wirken, im bürgerlichen Sinne „essbarer“ gemacht oder ohne allzu seltene Zutaten. Man sah der Arbeit von Michel Bras immer an, dass hier so etwas wie ein Forscher am Werk war. Bei Sébastien kommt dann im Vergleich eher der Koch durch. Hier einige Impressionen:

 

„Gegrilltes Lammherz, gefüllte Süßkartoffeln und Jus von getoastetem Brot“ heißt es da etwa und es wird trotz des ein wenig avanciert klingenden Rezeptes gut schmecken. Auch die „Weiße Suppe mit Schinken von freilaufenden Schweinen mit gerösteten Schalotten und gegrillten Haselnüssen“ wirkt wie ein kompakter gemachtes Michel Bras-Rezept. Natürlich gibt es auch eine Variante des berühmten „Gargouillou des jeunes legumes“, das Michel Bras bereits 1980 kreiert hat. Es gibt Kontraste, wie etwa bei der gerösteten Entenbrust mit einigen seltenen Kohlsorten, oder Avantgardistisches wie die mit Körnern gefüllten Taglilien mit milchsaurer Limone und Curd. Man trifft auf Exotisches wie ein nach vorderasiatischer Art im Sand gebackenes Brot mit einer Füllung von regionalen Produkten oder auch Regionales in Form hochfeiner, unbedingt an Michel Bras erinnernder Kompositionen wie eine „Braune Forelle in einer Knoblauchbrühe mit wildem Knoblauch von Le Suquet, jungen Blättern von Schmerzwurz und Knoblauchblüten“. Dafür kommt dann dass Aubrac-Rind von einem exzessiv eingesetzten Grill, kurze Zeit später gibt es wieder Hochfeines bei den saisonalen Muscheln mit allerlei seltenen Dingen „aus dem Hochland“. Es geht also sehr munter zu, immer mehr oder weniger Bras-like, vielleicht ein wenig „Bras für Alle“, aber durch die Bank sehr interessant oder mit interessanten Details.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Fazit

So oder so ein interessantes Buch mit vielen Anregungen – vielleicht auch gerade deshalb, weil Sébastien Bras ein wenig die Radikalität aus dem Konzept der Familie Bras herausgenommen hat. Trotzdem ist er natürlich im internationalen Vergleich immer noch ein kreativer Koch, im Vergleich zur deutschen Spitze durchaus auch ein sehr kreativer Koch. Insofern kann das Buch dann auch sehr nützlich sein. Genau diese Nützlichkeit entsteht aus dem Prinzip, Interessantes in vielen unterschiedlichen Formaten zu sehen und nicht nur – wie teilweise sein Vater – der großen Kunst hinterherzujagen. Die Vergrößerung der Geschäfte der Familie bringt es offensichtlich mit sich, dass man auch inhaltlich breiter aufgestellt denkt. Auch das ist kann ein Vorbild für Leute sein, die ihre Aktivitäten ausweiten wollen.

Das Buch bekommt 2 grüne BB

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