Die Kochkunst ist universell und entwickelt sich als Kontinuum mit wechselnden Einflüssen

Es ist an der Zeit zu verhindern, dass eine Reihe von Theorien aus ganz unterschiedlichen politischen Lagern (Stichworte: kulturelle Aneignung, Identitäre etc.) auch auf das Kulinarische übergreifen, bzw. latent vorhandene Einschätzungen verstärken und/oder instrumentalisieren. Ich möchte dazu hier einige Thesen formulieren und erläutern.

Die besten Ergebnisse bei diesen Überlegungen bekommt man ganz eindeutig dann, wenn man die Kochkunst als solche und im weiteren Sinne in den Mittelpunkt der Betrachtung stellt. Natürlich ist sie Teil ganz unterschiedlicher Kulturen und immer auch Einflüssen ausgesetzt, die nicht genuin mit Kulinarischem zu tun haben (siehe dazu weiter unten) Aber sie folgt seit Urzeiten Gesetzmäßigkeiten, die sich – durchaus oft verändert – aus den Möglichkeiten zur Zubereitung von Nahrungsmitteln und aus dem Vorhandensein (oder Nicht-Vorhandensein) vom Essbarem in unterschiedlichster Form ergeben. Dieses System war und ist immer wieder neuen Einflüssen ausgesetzt gewesen, von denen Alles rund um Kochen und Essen mal mehr, mal weniger profitierte, und auch das von den frühesten Menschen bis zur Jetztzeit. Auf diese Weise haben sich rund um Essen und Kochen Wissen und hoch komplexe Verhaltensweisen entwickelt, die weltweit gesehen unterschiedlich sind, aber dennoch eine weitgehend universelle Bedeutung haben. Man kann davon reden, dass die Kochkunst universell ist, und dass sie sich als Kontinuum durch alle Zeiten entwickelt hat.

Diese Sicht ermöglicht in allen Bereichen der Kochkunst stimmige Beobachtungen und entsprechende Folgerungen für den jeweils aktuellen Zustand des Kontinuums „Kochkunst“. Es werden Fortschritte sichtbar, die offensichtlich zum Nutzen Aller sind, aber auch Defizite oder Manipulationen, die geeignet sind, das System in eine Art Schieflage zu bringen, die insofern als negativ gesehen werden kann, als sie bereits evident positiv Erreichtes gefährdet.

 

 

Von der Molekularküche bis zu archaischen Kochtechniken: Einflüsse kommen aus ganz unterschiedlichen Bereichen

Die Kochkunst insgesamt besteht aus einer großen Zahl teilweise ganz unterschiedlicher Aspekte, die das Bild der Kochkunst ganz unterschiedlich beeinflussen. Je nach Lage der internationalen Ideenwanderungen (die es ja nicht erst seit Erfindung der elektronischen Medien gibt) sind manche sehr einflussreich, manche weniger. Es ist sehr wichtig, diese Einflüsse nicht vorschnell zu bewerten, sondern sie und ihre Auswirkungen erst einmal sorgfältig zu registrieren. Insofern kann man dann zum Beispiel feststellen, dass eine Erscheinung wie die Molekularküche für einen begrenzten Zeitraum explosionsartig an Einfluss gewonnen hat, der dann erheblich zurückgegangen ist, aber einen nicht zu verachtenden Bodensatz von Einfluss behalten hat. Oder man kann feststellen, dass archaische Gartechniken vor allem im Zusammenhang mit der neuen skandinavischen Küche wieder ins Bewußtsein der Moderne gerückt sind. – Was immer vorkommt: es ergibt sich ein Input in das Kontinuum Kochkunst, der zu Bedeutungsverschiebungen führt, der wirksam wird, aber nicht zwangsläufig wirksam bleibt.

Die Macht der Einflüsse hat sich im Laufe der Zeit stark verschoben. Da, wo dies weitgehend aus nicht-kulinarischen Gründen passiert, sollte eine wache Diskussion stattfinden

Die Wirksamkeit der Einflüsse ist sehr unterschiedlich. Es hat sich herausgestellt, dass das System „Kochkunst“ weltweit insofern gut funktioniert, als es im ständigen Austausch mit wechselnden Einflüssen gut leben kann. Dieser Austausch ist sehr natürlich und geradezu systemimmanent. Viele Ideen bringen Vorteile – sei es unter kochtechnischen, sei es unter geschmacklichen Perspektiven. Es gibt natürlich auch Einflüsse, von denen schnell klar wird, dass sie das System Kochkunst gefährden oder in irgendeiner Weise einengen oder beschädigen. Zu diesen Einflüssen gehören regelmäßig solche, die vor allem nicht-kulinarische Motivationen haben. Diese Motivationen können zum Beispiel rein kommerziellen Interessen folgen oder auch die Kochkunst als Teil ideologischer Systeme (im weitesten Sinne) instrumentalisieren. Da, wo so etwas zu registrieren ist, sollten immer und jederzeit wache Diskussionen stattfinden. Solche Einengungen, die dem Wesen der Kochkunst grundsätzlich entgegenstehen und Ernährung und Genuss für welche Zwecke auch immer zu instrumentalisieren versuchen, gibt es viele – von Nahrungsmittelgeboten und -verboten bis zu den Geschmack manipulierenden Massnahmen der modernen Nahrungsmittelindustrie – schon immer.

 

Bestimmte Ausprägungen der Kochkunst zu erhalten und zu fördern, liegt im Interesse des Ganzen

Es wird in diesem Zusammenhang schnell klar, dass es auch spezifische Ausprägungen der Kochkunst gib, die für das System von großem Nutzen sind, weil in ihnen spezifische Ideen entwickelt wurden und werden, die einen wesentlichen Beitrag zur Qualität des Kontinuums leisten können. Zu diesen Ausprägungen können sowohl kreative Aspekte wie zum Beispiel spezifische regionale Küchen gehören. In beiden Fällen muss es im Interesse der Kochkunst sein, diesen Input nicht nur zu erhalten, sondern auch dafür zu sorgen, dass er sein volles Potential entwickeln kann. Hier liegt eine der wesentlichen Begründungen zum Beispiel für den Erhalt und die Förderung der Regional- und Landesküchen. Je besser und klarer und optimierter sie ihre Qualitäten zeigen können, desto interessanter ist dies für die Kochkunst. Diese Logik schließt übrigens eine Adaption und/oder Mischformen jeder Art keineswegs aus. Sie bedeutet aber auch, dass das Verschwinden von kulinarischen Kulturen explizit als Verlust zu werten ist, dem unbedingt entgegengesteuert werden muss.

 

Mischformen von einseitigen Entlehnungen bis zu gegenseitigen Inspirationen liegen in der Natur der Sache, sollten aber kritisch betrachtet werden, wenn nicht primär kulinarische Interessen überhand nehmen

Aus dieser Perspektive wird der Input von allzu vielen Mischformen (die sich ja in der Regel oberflächlich bei diversen traditionellen und/oder individuellen Formen bedienen) bis hin zu einer – heute bereits zu findenden – Dominanz einer angeblichen „Weltküche“ immer kritisch zu begleiten sein. Aus kulinarischer Sich gibt es große Unterschiede zwischen der qualitätvollen Integration diverser interessanter kulinarischer Elemente und einem wahllosen Spiel zum Beispiel mit der längst vorhandenen Sucht vieler Esser nach möglichst intensiven sozusagen anästhetisierenden Geschmacksbildern. So interessant das Neue sein kann, so wachsam solle man dafür sorgen, dass konstituierende Qualitäten der Kochkunst zum allgemeinen Nutzen weiter ausgebaut und verbreitet werden. Die oft wie bewußtlos wirkende Adaption internationaler Stile (nicht zuletzt in der deutschen Spitzenküche) bei gleichzeitiger Vernachlässigung traditioneller Ressourcen ist im Sinne der Kochkunst längst an der Grenze dessen, was man positiv sehen kann. Gerade bei einem jüngeren, kulinarisch noch weitgehend uninformierten Publikum führen solche Praktiken schnell zu oberflächlichen Prägungen, die wiederum dazu führen können, dass Authentizität nicht mehr gesucht und nicht mehr erfahren wird. Die Entfremdung von den eigenen kulturellen Traditionen zerstört diese gerade im kulinarischen Bereich, weil zum Beispiel eine frühe kulinarische Sozialisation ohne Kontakt zu Traditionen kaum noch reversibel ist.

Insofern muss man die engen Verknüpfungen von Kulinarischem mit Gesellschaftspolitischem in bestimmten Gesellschaftsschichten aus dem gesamten politischen Spektrum immer mit Argwohn betrachten. Begriffe wie „kulturelle Aneignung“ werden schnell mißverstanden. In der Kochkunst geht es nicht um „kulturelle Aneigungen“, sondern um das Interesse an Impulsen für das Kontinuum „Kochkunst“ – um neue Produkte, neue oder wiederentdeckte Garmethoden, um die Inspiration durch typische Kombinationen in Gerichten, die es sonst nirgendwo auf der Welt gibt, um Ausweitung und Intensivierung und nicht um Verengung.

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