EAT DRINK THINK KONSTRUKTIV. Wir brauchen ein besseres Verständnis von Produktqualität und eine Neubestimmung der Zubereitungen, die als hervorragend gelten können.

Es wird höchste Zeit, einmal dringend an die Maßstäbe für hervorragende Produktqualitäten, Garungen und Aromatisierungen zu erinnern (ich nehme nicht den Begriff „Würzen“, er ist zu eng, weil Aromatisierungen auch über bestimmte Gartechniken gehen können). Ich habe den Eindruck, als ob selbst in der absoluten Spitze unserer Restaurants zu oft Produkte zum Einsatz kommen, die nicht weiter auffallen (also „gut“ schmecken), aber von echter Exzellenz weit entfernt sind. Solche Garungen mögen irgendwie nicht schlecht sein, sie sind aber keine Optimierungen, die in irgendeiner Weise darauf hindeuten, dass hier ein hervorragender Koch am Werk ist. Wie sagt es schon einmal Thomas Keller vom „Per Se“: „das Erhitzen von einem Stück Fisch oder Fleisch ist keine Kochkunst!“

 

 

Unsere besten Köche nutzen meist Fleisch, dessen Herkunft sie genau kennen und das meist aus weitgehend individualisierter Erzeugung stammt. Es hat in der regel einen Eigengeschmack, der es von „neutraler“ schmeckenden Produkten deutlich unterscheidet. Mit normaler Handelsware kommt man ein gutes Stück weit, aber nicht dorthin, wo es um exzellente Qualitäten geht. Dazu sind zum Beispiel die Handelswege und ihre Unwägbarkeiten viel zu problematisch, die Zeiten im Vakuum und die Temperatursteuerung bei der Lagerung sind oft kontraproduktiv usw. usf. Fast alle der besten französischen Köche verfügen über ganz eigene Systeme der Versorgung, die mit dem üblichen Gourmet-Handel meist wenig zu tun hat.

Beim Fisch scheint mir das Problem am größten zu sein, weil selbst gute Köche oft unbelehrbar in ihrer Meinung von den Qualitäten sind, mit denen sie arbeiten. Nein, was man bei uns üblicherweise als Fisch von weit her bekommt, ist nur in seltenen Fällen allererste Klasse. Wer Allerbestes will, muss minutiös präzise Lieferwege haben und viel Geld für den Fisch bezahlen, den er dann – das versteht sich von selber – über den Preis der Gerichte ausgleichen muss. Wer das nicht will oder kann, sollte sich besser an regionale Quellen halten und auf Ware aus längeren Handelswegen verzichten. Man muss allerdings – siehe unten bei der Kritik an jüngeren Köchen und ihrem Verständnis von Produktqualität – selbstverständlich auch wissen, wie ein wirklich guter Fisch schmeckt. Es kann nicht angehen, dass man selbst in Häusern mit mehr als einem Stern bisweilen auf mittelmäßige Fischqualitäten trifft.

 

Was man an Qualität erwarten sollte (als Beispiel auf Kurzgebratene Fleischstücke bezogen)

Für jede seriöse, professionell geführte Küche sollte die Verwendung von sehr gutem Fleisch ohne Nebengeschmack und in einer sehr guten Garung im Sinne einer handwerklich guten Ausbildung selbstverständlich sein. Gute Garungen sind kein Wunder an Kochkunst, sondern nach klaren Regeln ohne weiteres zu realisieren. Der Geschmack sollte als „sauber“ und zart empfunden werden.

Für eine Küche, die sich für ambitioniert hält, einen Michelin-Stern oder ähnliche Bewertungen hat oder solche anstrebt, kann diese Art der Garung nicht ausreichend sein. Hier sollte man besondere Produktqualitäten erwarten können, exzellente Garungen und eine sehr gute Würze. Untergarungen sollten ebenso wie zu lange durchgezogene Vakuumgarungen etc. oder auch Garungen, die auf die wichtigen geschmacklichen Komponenten der gebratenen Kruste verzichten, nicht mehr zu finden sein. Die Würze sollte – wenn sie denn eher neutral gehalten ist – den Geschmack unterstützen, also nicht wirklich durchschmecken – von einem Finish mit Fleur de Sel o.ä. abgesehen. Leider finden sich selbst solche Qualitäten in den genannten Restauranttypen nicht automatisch. Im Gegenteil: der Anteil der Häuser, in denen ein zuverlässiger Punkt nicht getroffen wird, nimmt erschreckend zu.

In der Spitzengastronomie (oder in Restaurants, die in Richtung von zwei Sternen etc. denken) sollte eine klare individuelle Leistung des Kochs und eine entsprechende Qualität im Vordergrund stehen. Eine einfache, optimierte Qualität kann nur noch dann als adäquat gesehen werden, wenn sie absolut überragend ist, ein hervorragendes, individuelles Produkt als Basis hat und von der Garung bis zur Würze ein exzellentes Verständnis erkennen lässt. Eine solche Qualität ist extrem selten zu finden. Auch viele Drei Sterne-Restaurants sind davon oft ein gutes Stück entfernt – weniger in den technischen als in den geschmacklichen Perspektiven. – Normaler Standard sollte aber ein individuelle Interpretation sein, die über die handwerklichen Grundlagen weit hinausgeht und die jeweiligen Stücke durch ein überragendes Verständnis der aromatischen Proportionen (initiale Würze, Lackierungen etc., Finish) zu einem echten kulinarischen Kunstwerk macht (also Individualität erkennen lässt). Solche Qualitäten sind in unseren Drei Sterne-Häusern zu finden, aber nicht Standard. Der Anspruch hat sich dort in den letzten Jahren immerhin deutlich verändert.

 

Wissen noch alle jüngeren Köche, was eine exzellente Produktqualität ist?

Man fragt sich natürlich, warum die Lage so ist, wie sie ist und warum sich die Schere zwischen „gut“ und exzellent so weit (zu weit) geöffnet hat. Im grunde genommen schleicht sich bei mir schon seit Jahren der Verdacht ein, dass vor allem viele jüngere Köche nicht mehr ganz genau wissen, was ein richtig gutes Produkt ist. Das Thema Produktqualität, das immer am Anfang stehen sollte, scheint ins zweite Glied gerückt zu sein. Wichtiger ist, wie etwas aussieht, dass die Optik den gewünschten Stil kommuniziert, der Titel der Gerichte den aktuellen Moden entspricht und eine Reihe von „Reiz-Zutaten“ in Gebrauch sind, die man heutzutage anscheinend haben muss. Man sollte einmal wieder dringend daran erinnern, dass es früher häufig Köche gab, die in der Ausbildung buchstäblich jeden Cent in den Besuch der Besten ihres Faches investiert haben. Dort bekamen sie vorgeführt, was man mit welchen Produktqualitäten schaffen kann. Solche Besuche wurden – weit über die eigene Ausbildung hinaus – zu ausschlaggebenden Referenzerlebnis für die weitere Zukunft der eigenen Arbeit. Ich selber habe das auch als Kritiker exakt so gemacht und in den ersten Jahren konsequent und unter teilweise erheblichem Aufwand mein Qualitätsbewusstsein trainiert. Diese Konsequenz scheint mir heute oft zu fehlen, und die Folgen sind beträchtlich. Es muss klar werden, dass zwar heute die weltweite Orientierung über die Optik von Kochkunst wichtig ist, und als Auslöser/Anreger für Kreativität vielleicht sogar unverzichtbar. Es muss aber gleichzeitig klar sein, dass sich an den Grundlagen des Faches, also vor allem an der Produktqualität und den Garungen, nichts geändert hat. Die Arbeit an exzellenten Leistungen beginnt mit ihnen und sonst nichts. Wer dort schwächelt, wird früher oder später Probleme bekommen.

 

Perspektivisch: Verzicht auf kulinarisch sinnloses Parieren

Mittelfristig sollte – vor allem in Hinblick auf das Thema Nachhaltigkeit, „Nose to Tail“ und die selbstverständliche Gewöhnung der Gäste an eine „komplette“ Küche das, was auf den Tellern erscheint, anders aussehen als das im Moment oft der Fall ist. Auch wenn z.B. Kalbskoteletts in der Küche komplett gegart werden, erscheint auf dem angerichteten Teller heute oft nur ein wie industriell aussehendes, rechteckiges Stück. Alle anderen Teile, die teilweise erheblich anders (und besser) schmecken, werden weggelassen. Diese Präsentation für ein der Natürlichkeit entwöhntes Publikum oder um „schönere“ Bilder zu erzeugen, sollte demnächst der Vergangenheit angehören. Vielleicht sollte man Küchen, die gehäuft mit solchen kulinarischen Verkürzungen arbeiten auch langsam einmal mit Mißtrauen ansehen. Es kann nicht sein, dass die besten Küchen diejenigen sein sollen, die dem Gast die unterschiedlichen Stücke unterschlagen – aus welchem nichtkulinarischen Grund auch immer. Hier ist eine neue Natürlichkeit, die exzellente Randstücke, Fett und Co. nicht mehr als Ausschuß ansieht, sondern in die Kompositionen einbezieht, das Gebot der nächsten Zeit. „Künstlichkeit“ kann als kreative Kunstform selbstverständlich immer ein Thema sein. Als Maßstab für eine gute Küche taugt sie üblicherweise nicht unbedingt. Hier hat sich – auch bei uns in Deutschland – eine kontraproduktive Allianz von Nicht-Gourmets, die trotzdem die Spitzenrestaurants bevölkern, und Köchen, die anscheinend eine Art kulinarische Entwurzelung durchgemacht haben, gebildet, die keine Zukunft hat. Dass viele Gerichte der deutschen Regional- und Traditionsküche nie in Drei Sterne-Häusern gelandet sind, hat auch etwas mit dieser unproduktiven Fixierung auf Künstlichkeit zu tun. Wiederum liegt hier übrigens der Verdacht nahe, dass es die „Michelin-Küche“ ist, die solche Künstlichkeiten befördert, obwohl deren Wurzeln im Bereich einer optimierten, verfeinerten bürgerlichen Küche eigentlich ganz andere sind.

1 Gedanke zu „EAT DRINK THINK KONSTRUKTIV. Wir brauchen ein besseres Verständnis von Produktqualität und eine Neubestimmung der Zubereitungen, die als hervorragend gelten können.“

  1. Halleluja! – so präzise auf den Punkt! Vor allem der letzte Aspekt ist mMn von zentraler, nicht zu überschätzender Bedeutung: Das „Über-Parieren“ vorenthält dem Gast / Esser nicht nur die oft wirklich feinsten Aromen und Konsistenzen, sondern es befördert und befeuert darüber hinaus auch noch genau das Gegenteil von Nose2Tail.

    Ein weiterer Aspekt, der in dem Beitrag hier aufgrund des Fokus auf >Kurzgebratene Fleischstücke< nicht vorkommen kann, ist der fast durchgängige Verzicht in der Spitzengastronomie auf traditionelle Garungen wie das Kochen / wasserbasierte Ziehenlassen von Fleisch. Bei aller Liebe zu Umami und Röstaromen – wann haben wir verlernt, Fleisch idS zu kochen? – Mein Erweckungserlebnis hierzu ist Jahr für Jahr die zweite Weihnachtsgans, die seit einigen Jahren eben nicht gebraten, sondern auf einem Rezept von Ücker / Deutsche Küche basierend gekocht wird: Wunderbar!

    Bezeichnend vor einigen Wochen der Besuch in einem einfachen, aber sehr authentischen chinesischen Restaurant: Auf der Karte u.a. Lammrippchen mit Fisch. Eine Surf & Turf Variante? – Also bestellt, großer Tisch mit Freunden. Alle waren eher betrübt, negativ überrascht, denn die Rippchen waren in einem sehr aromatisch-erdigen Wasserbasierten Sud gar gezogen und dann zum Schluss der Fisch in die kochende Brühe eingelegt. Für mich hätte es des Fisches nicht bedurft, aber die Rippchen waren zum Niederknieen. Seitdem zweimal selbst nachgekocht – herrlich!

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