Ei und Mayo. Warum ein Buch plötzlich mitten in der Zukunft landet

Collectif d’ASOM: L’Oeuf Mayo. Recettes extraordinaires par 49 grands chefs. ASOM, le cherche midi, Paris 2021. 144 S., Broschur, 29.90 Euro (in französischer Sprache)

Es ist ein wenig schwierig zu erklären, warum dieses Buch gerade im Moment so äußerst anregend und eigentlich sogar wichtig ist. Es scheint ganz aus der Tiefe der Geschichte der eher populären Abteilung der Kochkunst zu kommen und vor allem etwas bewahren zu wollen. Weil sich aber im Moment eine ganze Reihe der wichtigsten Köche mit Themen befassen, die viel mit diesem Buch zu tun haben, steht es auf einmal mitten in der Diskussion.

Worum geht es? Das „Oeuf mayonaise“ hat wie wenige andere Kombinationen sehr viel Freunde. In Frankreich hat man für so etwas (wie auch in anderen Ländern für div. andere Produkte oder Zubereitungen) diverse Organisationen. Es gibt in diesem Falle die ASOM, wörtlich: „Association Sauvegarde Oeuf Mayo“, also die „Gesellschaft zur Rettung des Ei mit Mayonnaise“, die sich für den Erhalt dieser Kombination einsetzt und sie zu einem Kult-Objekt gemacht hat. Gründer war Claude Lebey (1923 – 2017) einer der Altmeister der französischen Restaurantkritik, von dem man sagt, dass er überall grundsätzlich erst einmal ein „Oeuf Mayo“ bestellt hat. In seinem Geiste arbeitet heute die ASOM – unter anderem eben mit einer Veröffentlichung wie dieser. Dass man 49 bekannte Köche gebeten hat, ihre Idee zum Oeuf Mayo heute zu formulieren, muss also erst einmal so verstanden werden, dass man diesen ganz speziellen Akkord nicht nur in seiner traditionellen Form bewahren will, sondern ihn auch als ganz aktuelles kulinarisches Objekt von aktuellem Interesse sieht. Dass diese Köche mitgemacht haben, beweist das Potential dieses Themas.

Ducasse

 

Hier erst einmal ein Überblick über das Buch.

 

Das Buch

Weil es erst einmal im Sinne der ASOM um die Sache an sich und ums Prinzip geht, geht es auch in dem Buch zu Beginn um das Ei als solches, die Geschichte, gesundheitliche Aspekte, Aufbewahrung, Handel und den Umgang mit dem Ei in der Küche etc. Das Gleiche kommt danach dann auch für die Mayonnaise. Der Rezeptteil ist klassisch auf gebaut – Rezept links, Foto rechts, die Beschreibungen sind klar und es gibt eine Getränkeempfehlung zu jedem Rezept. Der „Gag“ des Buches ist, dass das Thema anscheinend auch bei den berühmten Köchen verfangen hat und sie erstaunlich kreative Lösungen anbieten. Die Liste der Teilnehmer ist jedenfalls ganz erstaunlich. Hier einige Beispiele:

– „Ei von einem Hühnerhof, cremiges und leuchtendes Eigelb, Kabeljau-Leber und Raps“ (Alexandre Gauthier)

– „Hartes Ei mit flüssiger Mayonnaise“ (Yannick Alléno)

– „Oeuf Mayo mit Zitronenverbene“ (Armand Arnal)

– Das Oeuf Mayo von Alain Ducasse (eine Art Dekonstruktion), siehe das Ei im Glas

– „Ei mit Mayonnaise von Gravlax, cremiger Mais, Zitronelle und Maisvariation“ (Juan Arbelaez)

– ‚Oeuf Mayo „Café Eugénie“‘ von Michel Guérard (die Mayonnaise hat hier zum Beispiel Mango, Espresso, Kokosmilch, Kikumi    und Nussöl)

– „Oeuf Monet“ von Pierre Gagnaire (siehe Titelbild)

– „Oeuf Mayonnaise mit Meerrettich und Wasabi“ (Guy Savoy)

– „Hartes Ei wie wir es lieben – mit allen möglichen Sprossen, Farben und Aromen“ (Michel und Sébastian Bras)

Bras

 

– „Oeuf Orpheo“ von Pierre Hermé, mit viel Nüssen und Guanaja-Schokolade

 

Im Grunde sind fast alle Rezepte interessant, meist sogar sehr interessant. Es zahlt sich wieder einmal aus, wenn man Küchen eine echte Aufgabe gibt, ein begrenztes Thema. Schon Johann Willsberger hatte im „Gourmet“ häufig auf diese Weise gearbeitet. Da gab es – nur zur Erinnerung – Köche wie Jörg Sackmann, die immer und zu allen Themen kreative Gerichte beitragen konnten.

Guy Savoy

 

Warum dieses Buch heute so brandaktuell ist

Es ist mir sofort aufgefallen, dass dieses Buch in einem Sektor arbeitet, der heute wieder ganz aktuell ist. Eine ganze Reihe der besten deutschen Köche arbeiten gerade an so etwas wie der Rückkehr der Süffigkeit in ihre Rezepte. Man geht auf einen guten Geschmack, der nachvollziehbar ist, weil er den assoziativen Kontext bedient. Die Gäste essen und haben das Gefühl, bei aller Qualität und Innovation irgendwie zu Hause zu sein, abgeholt zu werden, in ihren Erinnerungen/Assoziationen ernst genommen zu werden. In diesem Bereich nun spielen Mayonnaisen aller Art oder auch Hollandaise-Varianten, die in großer Vielfalt durchgespielt werden, eine wichtige Rolle. Sie haben oft die verbindende Wirkung von Saucen, können aber wegen ihrer Viskosität berechenbarer eingesetzt werden. Außerdem bringen sie oft ein schönes Spiel mit populären Formen von Küche. Wenn eine noch so feine Mayonnaise in einem hochfeinen Zusammenhang auftaucht, hat sie immer noch einen Tick der populären Herkunft, sie nimmt sozusagen ein Stück Populäres mit in einen anderen Zusammenhang. Man kann in diesem Sektor der modernen und avantgardistischen Küche ganz exzellente Ergebnisse erzielen. Dieses Buch gehört – ich vermute ungewollt – in diese Abteilung und ist deshalb sehr spannend zu lesen.

Das Fazit kann ich mir da ersparen. Wie üblich achte ich nicht auf die Sprache, sondern nur auf das Thema. Die internationalen Bücher sind mittlerweile in fast allen Fällen online zu bekommen.

Das Buch bekommt 2 grüne BB

Fotos: Thomas Dhellemmes

 

2 Gedanken zu „Ei und Mayo. Warum ein Buch plötzlich mitten in der Zukunft landet“

  1. Ja Jürgen, da sind Sie erstaunt und auch etwas irritiert, vielleicht etwas eifersüchtig, dass so etwas überhaupt möglich ist. In Deutschland wäre es schnell auf dem Ramsch Markt, weil “was soll das Ganze mit den Eiern?” In Frankreich bekommt ein Koch auch eine Auszeichnung vom Präsidenten. In Frankreich ist Essen ein Kulturgut in Deutschland das Auto. Vive le différencie!

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    • Finde ich auch! Aber das ist eben der Reiz des Unterschieds. Ein Grund mehr, immer wieder über den deutschen Tellerrand hinauszuschauen. Natürlich nach Frankreich, aber nicht nur. Lernen kann man von allen möglichen Zugängen und Perspektiven. Ich bin nicht der Meinung, dass Frankreich noch die küchentechnische Alleinstellung hat wie vor 50 Jahren. Aber es hat das daraus erwachsene Selbstbewusstsein und traut sich viel mehr, eben auch so etwas Kleinteiliges. Das kriegt dadurch viel mehr Tiefe. Die meisten Kochbücher gehen in die Breite, gestatten kaum Vergleiche. Eine Produktkombination im Fokus – eine echt spannende Rarität.

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