Ein kulinarischer Blick auf Jürgen Gosch

Jürgen Gosch ist ein berühmter und erfolgreicher Mann. Das weiß man nicht nur als Syltbesucher, sondern auch, wenn man in einer Großstadt wohnt und hin und wieder am Hauptbahnhof zu tun hat oder in die dortigen touristischen Brennpunkte geht. Überall dort lacht einem das Gosch Logo entgegen. Wie es zu seinem Erfolg kam, ist auch schon oft und ausreichend beschrieben und besprochen worden. Ob sein Erfolg und der Erfolg seiner Firma eine Folge kulinarischer Höhenflüge oder eher dem günstigen Preis-Leistungs-Verhältnis geschuldet ist, wurde meines Erachtens noch nicht beleuchtet. Als Kulinariker und langjähriger Beobachter der Entwicklung fühle ich mich berufen, dieser Frage auf den Grund zu gehen. Um es vorwegzunehmen, es ist weder das eine noch das andere. Es ist vielmehr eine Kombination aus vier Faktoren, die den Erfolg gestartet und so lange aufrechterhalten haben. In Summe sind es natürlich noch viele weitere Faktoren, aber wir werden uns heute auf die vier Hauptfaktoren konzentrieren, welche Humor, Bauchgefühl, Preisbewusstsein und Kulinarik heißen.

Beginnen wir mit dem Humor, denn mit ihm fing die Gosch Geschichte an.

Als Jürgen vor 50 Jahren als Maurer auf die Insel kam, kaufte er sich seine Krabben zum Selbstverzehr, wie es damals üblich war, am Krabbenkutter. Sehr schnell merkte er, dass das Angebot am Krabbenkutter sehr übersichtlich war. Es gab Krabben. Sonst nichts.
In seiner Heimatstadt Tönning gab es eine Aalräucherei, und Jürgen entschied sich, nebenberuflich Räucheraal an den Anlegestellen der Krabbenfischer zu verkaufen. Seine Werbung war zu der Zeit seine Stimme. Er rief aus: „Männliche Aale und weibliche Aale zu verkaufen!“ Damit weckte er die Neugierde der Badegäste. Wenn sie dann fragten, woran man die unterscheiden könnte, dann sagte er, die, die in seinem Korb offen auf dem Rücken liegen, das seien die weiblichen und die sind noch tipptopp in Form. Die männlichen seien die, die auf der Seite liegen. Die sind schon müde und fertig. Nach so einer Belehrung war das Vertrauen geschaffen und das Geschäft schon so gut wie abgeschlossen.
Da Humor und Skurrilität bei Jürgen angeboren sind, brauchte er sich nicht besonders anzustrengen, in seiner ersten stationären Fischbude im Lister Hafen Kunden anzulocken. In den Jahren um 1980 gab es noch zwei konkurrierende Fischbuden im Lister Hafen. Die Fischbude von Gosch und die Fischbude von May. Sie waren direkt nebeneinander und vor den Fischbuden, die sich auf Fischbrötchen, Scampipfanne, Fischsuppe und weitere fischlastige Schmankerl konzentrierten, gab es Stehtische, an denen man die frisch erworbenen Speisen auch direkt verzehren konnte. Am linken Stand, den von Jürgen Gosch, stand meist eine Traube von gut gelaunten Kunden, die sich mehr vom Gastgeber als vom Essen unterhielten ließ. „Hast du eine Freundin und wirst sie nicht los, dann schieb dir ein paar Scampi rein mit reichlich Knoblauchsoße!“ und „Wer keinen Fisch mag, bekommt ein Marmeladenbrot geschmiert!“ Was zu Anfang noch reiner Wortwitz war, wurde recht bald auf Tafeln und Speisenkarten niedergeschrieben und das Witzereißen wurde zum festen Programmpunkt. Auch Jürgens Handlanger verloren schnell ihre Schüchternheit und fingen recht bald ebenfalls lautstark an mit den Kunden und Gästen zu flachsen. In der Nebenbude saß meist ein traurig dreinschauender Herr May, der sich um die wenigen Gäste kümmern durfte, die dachten, dieser Stand gehöre auch noch zu Gosch.

Meine Freunde und ich waren Anfang der 1980er Jahre recht häufige Gäste von Gosch in List, und wir haben resümiert, dass wir gerne zum Gosch fahren, um uns dort für Geld „auf die Schippe nehmen“ zu lassen. Immerhin hatte das Intermezzo der May’schen Fischbude recht bald ein jähes Ende, und es gab ab 1984 zwei Gosch Fischbuden direkt nebeneinander. Das war der Beginn einer unaufhaltsamen Expansion.

Ein zweiter Punkt in der Erfolgsgeschichte ist sein Bauchgefühl

Ich weiß nicht genau, ob Bauchgefühl das richtige Wort ist oder ob vielleicht das Wort Bauernschläue richtiger wäre. Vermutlich ist es eine Mischung aus beidem, die Jürgen dazu veranlasst hat größtenteils richtige aber in jedem Fall riskante Entscheidungen zu treffen. Hier können wir Hunderte von Beispielen nennen. Egal ob es sich um den Umgang mit seinen Mitarbeitern oder seinen Kunden, die Auswahl neuer Standorte, den Ausbau vorhandener Ressourcen, die Auswahl der Dekoration und nicht zuletzt die Selbstdarstellung mit rotem Plüschhummer in der Brusttasche handelt, als unbeteiligter Beobachter hatte man immer ein wenig das Gefühl: Uijuijui…, das ist grenzwertig, das würde ich mich nicht trauen. Aber Jürgen traute sich, und sein Erfolg gab ihm Recht. Heute schaut er in List auf ein Sammelsurium von ganz unterschiedlichen Gastronomiebetrieben wie die Bootshalle, das Hafendeck, der Knurrhahn, Deutschlands nördlichste Fischbude und Gosch Restaurant gegenüber dem Hafen. In Wenningstedt blickt er auf einen Riesengosch in einem nagelneuen architektonischem Kleinod, in Westerland auf das größte und bestbesuchteste Terrassenrestaurant und einige weitere an der Promenade, und ich bin mir recht sicher, dass ich noch einige Destinationen, wie zum Beispiel das Outlet in der Tonnenhalle nicht erwähnt habe. Bundesweit sind es mehrere Dutzend Franchiseunternehmen und auf den Kreuzfahrtschiffen Mein Schiff 1–6 kann man Gosch auf alle Ozeanen dieses Planeten erleben. Mit dem Blick auf solch ein Lebenswerk kann er natürlich und mit vollem Recht stolz bis über beide Ohren sein, und bei einem Großteil seiner Entscheidungen bin ich mir ganz sicher, dass sein Bauch seinen Kopf überstimmt hat.

Der dritte Punkt seines Erfolgs ist sein unglaubliches Gefühl für die richtigen Preise.

Wäre Jürgen gelernter Koch und nicht gelernter Maurer gewesen, wäre ihm der Aalverkauf am Krabbenkutter vermutlich schon nicht gelungen. Er hätte das, was er in der Ausbildung gelernt hat auch beim Aalverkauf angewandt. Das hieße: Ich kaufe einen Aal für 10 Mark, kalkuliere meine aktuellen und zukünftigen Kosten und meinen eventuellen Verlust bei Nichtverkauf plus den von mir erwarteten Stundenlohn, so komme ich auf einen Verkaufspreis von 30 Mark. Der Maurer Jürgen Gosch aber kalkulierte folgendermaßen: Wenn ich einen Aal für 10 Mark kaufe und für 13 Mark verkaufe, habe ich 3 Mark verdient. Wenn ich 10 Aale in der Stunde verkaufe, habe ich 30 Mark verdient, und wenn ich 20 Aale in der Stunde verkaufe, habe ich 60 Mark verdient. Wenn ich es 10 Stunden am Tag mache, sind es 600 Mark und das ist dreimal so viel, wie der Bürgermeister verdient. Das ist in Ordnung. Mit dieser oder ähnlichen Kalkulation zog er von seinem Bauchladen in seine erste Fischbude. Gepaart mit dem Fingerspitzengefühl, das ihm sagte, wie viel die Gäste für welche Speisen zu zahlen bereit sind, war seine Kalkulation auch eher aus dem Bauch heraus als aus der Rechenmaschine. Was Jürgen damals noch nicht wusste, und was heute noch ein gut gehütetes Geheimnis ist: Alle erfolgreichen Gastronomen arbeiten genauso. Nur erfolglose Gastronomen arbeiten mit Prozentformeln und wundern sich, dass man Prozente nicht zur Bank tragen kann.

Es ist der Erlöse, den man einzahlen kann, und dem Banker ist es schietegal, ob der Erlös sich aus ganz vielen Prozenten oder aus wenigen Prozenten, aber einer großen Menge rekrutiert. Hauptsache Erlöse. So kam es, dass viele Speisen, besonders die bekannten wie Krabben- und Matjesbrötchen extrem günstig angeboten wurden und Gerichte, die man nicht von der Fischbude, sondern eher aus Restaurants kannte wie Scampi oder die Fischsuppe, im Verhältnis zu den Brötchen recht teuer verkauft wurden. Jürgen fühlte, dass er damit recht hatte und in der heutigen Zeit, in der Hunderte von Mitarbeitern am Monatsende ihren Gehaltsscheck verlangen, kann Jürgen nicht mehr so frei entscheiden wie früher. Dafür ist seine Verantwortung zu groß geworden. Dennoch setzt er sich durch, wenn ihm irgendwas auf seiner Karte extrem teuer erscheint. Er benutzt dann gerne das Wort „bekloppt“. Er sagt, das ist doch bekloppt, für eine Seezunge 60 € zu verlangen, das will doch keiner haben. Und auch wenn der Einkaufspreis für diese Seezunge 20 € ist, Jürgen verkauft sie dann für 30 € weiter. Alles andere ist doch bekloppt.

Und damit kommen wir zum letzten und eigentlichen Teil der Betrachtung, der Kulinarik.

Es wurde in den letzten drei Kapiteln schon ziemlich klar, wie Jürgen tickt und er weiß ganz genau, dass das, was er geschaffen hat in Schönheit sterben würde, wenn er sich verbiegen würde. Seine Kunden wollen Krabbenbrötchen, dann kriegen sie Krabbenbrötchen. Punkt. Seine Kunden bekommen genau das, was sie sich von Jürgen Gosch wünschen: eine ehrliche, bezahlbare Küche. Auch wenn es auf Sylt vielleicht etwas einfacher ist, einen adäquaten Preis für eine Ware zu erzielen, so ist es dennoch eine Tatsache, dass man Gosch eher an den Tagen mit dem kleineren Geldbeutel besucht. Für die Tage mit dem größeren Geldbeutel gibt es genügend Auswahl auf der Insel und jeder, der in irgendeiner Weise von der Insel lebt, sollte Jürgen dankbar sein, dass er den Badegästen ein ausgezeichnetes Speisenprogramm für die sparsamen Tage bieten kann. Sollte nämlich nur feinste Küche auf der Insel angeboten werden, würden sich viele Urlauber überlegen, ob sie sich das überhaupt für 14 Tage leisten können oder doch lieber in St. Peter Ording Urlaub machen möchten. Aber es gibt natürlich auch die Gäste, die mal keine Lust auf Fischbrötchen oder Scampipfanne (ich weiß, dass sie mittlerweile Garnelenpfanne heißt, und ich weiß auch warum. Aber das ist eine andere Geschichte)haben und auch nicht unbedingt auf den Geldbeutel schauen müssen. Diesen Gästen und allen anderen Gästen kann ich hier eine wertvolle kulinarische Empfehlung geben. Alles, was bei Gosch preiswert ist, ist in Wirklichkeit gar nicht so günstig, wie es scheint, aber alles was bei Gosch richtig teuer ist, das ist richtig preiswert. Den Grund für dieses Paradoxon habe ich bereits oben erklärt, die Auswirkungen sind jedoch phänomenal. Nehmen wir nochmal die Seezunge. Die Seezunge Müllerin ist einer der genialsten Fischgerichte dieses Planeten und oft sogar der Lieblingsfisch vieler Drei-Sterneköche, solange das Grundprodukt, die Seezunge gut ist. Jürgen hat so einen großen Bedarf an Seezunge, dass er täglich beliefert wird. Das bedeutet Frische. Jürgen kauft nur Nordseezungen. Dafür legt er seine Hand ins Feuer, denn das sind die besten. Dazu die erwähnte Preissensibilität, was Besseres kann Ihnen nicht passieren. Ein weiteres unschlagbares Gericht ist der Dorsch in Senfsauce. Dieses Gericht ist eine Bank. Der Dorsch aus der Nordsee, die Erfahrung des Fischkochs und die Preise bei Gosch sind Weltklasse. Aber auch die Fischsuppe ist comme-il-faut. Wer hat schon solch eine Menge taufrischer Fischabschnitte zur Verfügung, um daraus eine solch gehaltvolle Suppe zu kochen. Es ist zwar keine Bouillabaisse, aber ich glaube ein guter Teil der Gäste in Marseille wären glücklich, wenn sie solch eine Fischsuppe serviert bekämen, besonders in den Touristen-Restaurants. Zum Abschluss eine Empfehlung von mir.

Wenn Sie bei Gosch essen, vergessen Sie nicht, dass die Mitarbeiter relativ viele Freiheiten haben. Wenn Sie also zum Beispiel mit dem Koch, der an einer Theke ihre Bestellung aufnimmt sprechen, unterhalten Sie sich ein wenig mit ihm. Fragen Sie ihn was er essen würde und hören Sie sich seine Empfehlungen an und sagen Sie ihm dann, dass Sie sich nicht entscheiden können und ihm die Auswahl überlassen. Am besten was Gemischtes. Wenn Sie jetzt auch noch zu zweit oder zu dritt sind, umso besser. Denn hier weht der Geist des Jürgen Gosch durch die Hallen. Der Mitarbeiter will Sie jetzt von seinem Können überzeugen und Sie glücklich machen, ohne dass es „bekloppt“ teuer wird. Ich habe genau das schon mehrfach gemacht und bin jedes Mal mit einer Fischplatte überrascht worden, die den kulinarischen Ansprüchen mehr als gerecht wird.
Hiermit beende ich meinen kulinarischen Bericht, jedoch nicht ohne Jürgen Gosch für sein Lebenswerk zu gratulieren, auch wenn die Warsteiner Brauerei, die ihn bereits im Jahr 2000 zum Wirt des Jahres gekürt hat, mir zuvor gekommen ist und ihm im Februar ebenfalls den Preis für sein Lebenswerk verliehen hat.

Es grüßt in kulinarischer Verbundenheit
Ihr
Ralf Bos
www.bosfood.de

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