Eine Frage der Ästhetik: Der „Palaiskeller“ im Münchner Hotel „Bayerischer Hof“, ein berühmter Designer und ein Tapas-Menü

Das Ambiente eines Restaurants gehörte und gehört für viele Gäste immer zu den ganz großen Themen. Manche Besucher zieht es geradezu in luxuriöse Gefilde, andere werden davon abgeschreckt, manche Interieurs signalisieren die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Zielgruppe, manche sind da eher unspezifisch. Jeder von uns kennt das Thema und nur wenige sind von Wahrnehmungen in dieser Richtung frei. Als Kritiker und Analyst bin ich da natürlich schmerzfrei. Ich nehme wahr, muss aber nicht unbedingt etwas haben, was ich gut finde. Die Auswirkungen eines Interieurs, das nicht gefällt, können allerdings bisweilen gravierend sein. Ein berühmter – längst verstorbener –  deutscher Journalist, der ab und zu auch sehr intelligent über Essen schrieb, hat sich einmal über das Interieur eines damals sehr bekannten deutschen Restaurants sehr deutlich geäußert: ihm verschlage es den Appetit, hieß es da, wenn er den Blick vom Teller in den Raum schweifen lasse. Auch wer sich zum Beispiel noch an den Hauptraum des „El Bulli“ erinnert, wird sich sicherlich gewundert haben, dass es da noch deutliche Spuren der alten Inneneinrichtung mit dem leicht rustikalen 70er Jahre-Charme gab.

Interessant ist an alledem, ob es einen Zusammenhang zwischen Ambiente und Essen gibt oder geben kann. Kann man davon ausgehen, dass ein bestimmtes Ambiente auf die Wahrnehmung des Essens (im weitesten Sinne) abfärbt, dass man sich anders fühlt, wenn die Umgebung nicht ins übliche Schema passt? Und – braucht man am Ende für eine bestimmte Küche ein bestimmtes Ambiente? Das Thema ist komplex, spielt aber immer eine Rolle. Ob sich „normale“, durchaus interessierte Freunde einer modernen Küche an Kobe Desramaults barähnlichem „Chambre Séparée“ in Gent bei kräftigen Underground-Klängen wirklich wohlgefühlt haben, darf bezweifelt werden. Und ich erinnere mich an eine Szene im „Chateaubriand“ in Paris, das damals überraschend in den „50Best“ kurzfristig das am besten platzierte französische Restaurant war und eine Menge – oft älterer – amerikanischer Touristen anzog. Sie hockten ziemlich unglücklich auf Mobiliar, das man scheinbar irgendwo vom Sperrmüll eingesammelt hatte…

 

 

 

Im Münchner „Palaiskeller“ ist Innegrit Volkhardt einen ganz anderen, fast revolutionär wirkenden Weg gegangen. Frau Volkhardt arbeitet seit Jahren mit dem berühmten belgischen Designer Axel Vervoordt zusammen, der schon größere Teile des „Bayerischen Hofes“ neu gestaltet hat. Irgendwann ist dann sein Blick auf den „Palaiskeller“ (benannt nach dem Namen des Hauses, in dem er sich befindet, nämlich dem zu Beginn des 19. Jahrhunderts erbauten Palais Montgelas) gefallen und er hat den Wunsch geäußert, sich mit diesen Gewölbekeller-Räumen befassen zu dürfen. Dass war schon als Idee hochinteressant, weil es sich um das Restaurant mit Regionalküche des Bayerischen Hofes handelt, also in Konkurrenz zum Beispiel zu der größeren Versammlung von Brauhäusern rund um die Frauenkirche steht.

Die Umwandlung der Räume ist glänzend und höchst beeindruckend gelungen. Wenn man die diversen Räume betritt, bleibt man unweigerlich stehen und braucht erst einmal eine Zeit, um die architektonische Wirkung aus Purifizierung und Lichtregie, die Wirkung der großen Tische und die der verwendeten Materialien zu erleben. Da hat der Meister, der auch ein großer Kunstsammler ist, wirklich einen genialen Griff getan. Nur: wie passt das nun mit dem Essen zusammen, und gibt es da Zusammenhänge, die sich quasi unweigerlich einstellen? Und was machen sie unter Umständen nicht nur mit uns, sondern auch mit dem – sagen wir: ästhetischen Ort, den das Essen bekommt? Das Thema ist hochkomplex, lässt sich aber hier im „Palaiskeller“ besonders gut studieren.

 

 

Die Küche

Der Unterschied zu den üblichen Brauhäusern setzt sich auch in der Küche fort. Chef der offen einsehbaren Küche ist ein Koch, der im Gourmetbereich (z.B. „Überfahrt“, Rottach-Egern) gelernt und gearbeitet hat. Auch seine Küchenmannschaft kommt aus der Gourmetküche. Trotzdem ist das Ziel ganz eindeutig die Optimierung traditioneller Gerichte der bayerischen Küche und nicht – wie mittlerweile häufiger zu finden – eine mehr oder weniger un-authentische Interpretation. Wer hier zum Essen kommt, trifft auf klassisch-bayerische Küche.

Das Interessanteste ist zweifellos eine Art Tapas Menü, „Unsere Bayerischen Tapas“ genannt. Es gibt die Sammlung mit 6 Tapas für 25 Euro und 8 Tapas für 36,50 Euro. Ich bin grundsätzlich der Meinung, dass der Weg weg von riesigen Hauptgerichten zu Tapas-Menüs eine sehr gute Idee ist, die nicht nur kulinarisch sehr spannend ist, sondern auch dem Bedarf vieler Leute ganz klar entgegenkommt. Die Wahl, zu Mega-Hauptgerichten auch noch eine Vorspeise zu nehmen, fällt vielen Leuten schwer, weil sie – meist zu recht – fürchten, dass die schiere Menge zuviel wird. Außerdem „verlernen sie mit der Zeit andere Gerichte“, wenn sie immer nur ihre Lieblingsgerichte essen und die anderen gar nicht mehr probieren können. Hier nun ist Koch Tobias Heinze eine exzellente Version gelungen, die sehr viel Spaß macht. Einige Details:

Wurstsalat. Der Wurstsalat besteht nicht aus den oft anzutreffenden Streifen mit einer dicklichen Mayonnaise o.ä., sondern aus dünnen, ganzen Scheiben verschiedener Sorten. Er schmeckt handwerklich und sehr gut, nicht industrielle, nicht klischeehaft. Man legt hier im „Palaiskeller“ Wert auf gute Produkte und eine enge Zusammenarbeit mit regionalen Produzenten. Über die Menge an rohen Zwiebeln kann man streiten. Sie hat oft – siehe auch beim Obatzda – eine merkwürdige Funktion: sensorisch ist sie unsinnig, aber für viele Einheimische gehört sie unbedingt dazu.

 Nürnberger mit Sauerkraut. Es gibt eine kleine Rostbratwurst mit einem recht dunklen Sauerkraut plus Kümmel. Nach allen Erfahrungen in Nürnberg (wo ich quasi jede Einrichtung in der Innenstadt kenne) ist die Qualität klar und typisch und der Akkord sauber und präzise.

 Mini-Pflanzerl mit Kartoffelpüree. Es gibt eine Frikadelle mit Kartoffelpüree und gerösteten Zwiebelstreifen. Die Frikadelle/Pflanzerl ist ein Hauch trocken, hat aber einen sehr guten Geschmack ohne jede Überwürzung.

Mini-Schnitzel mit Kartoffel-Gurken-Salat. Das kleine Schnitzel „Wiener Art“ kommt inklusive einer soufflierten Panierung und einem süddeutsch-maßstäblichen Kartoffel-Gurkensalat. Wie der hat man den Eindruck einer auf den Punkt gebrachten Degustation, die die Essenz des Gerichtes genau trifft und nicht versucht, in irgendeiner Form „künstlerisch“ – individuell abzuweichen, „etwas besser wissen zu wollen“.

 Leberkäse mit Brezn und süßem Senf. Ein ausgezeichneter Leberkäse mit einem so guten, ausgewogen-würzigen Geschmack, dass auch Gäste aus der Ferne, die so etwas für eine doch sehr regionale Spezialität halten, sofort überzeugt sein dürften. Für mich ein kurzer Flash, das Material „Leberkäse“ noch einmal genauer zu bedenken und zum Beispiel in meine diversen Konzepte einzubeziehen.

 Obatzda. Ein klein wenig fest, aber im Geschmack gut. Für die Zwiebeln gilt – trotz lockerem Aufschnitt und dem erkennbaren Wunsch zur Minimierung der Masse wegen besserer Proportionen – Gleiches wie oben beim Wurstsalat.

Salzradi mit frischem Schnittlauch. Ein so mildes Produkt, dass es jedes Vorurteil beseitigen kann und wiederum – wie der Leberkäse – dass Produkt in gewisser Weise emanzipiert, weil man es plötzlich „ernster“ nimmt und an vielfältige Verwendungen denkt. Hier passt dann auch einmal der Einsatz von Schnittlauich ganz ausgezeichnet.

Rinderconsommé mit Markklößchen. Man merkt die professionelle Gourmet-Abteilung, die hier scheinbar mit leichter Hand eine richtig gute Suppe mit kleinen Markklößchen produziert.

 Zusätzlich probiert:

Weißwurst. Eine milde Variante mit trotzdem viel Umami. Der Geschmack bringt den Gast an die interessante Grenze zwischen einer schönen, bodenständigen Würze (über das Kolorit der Würze) und Rustikalität (die hier so gerade eben vermieden wird), was die ganze Sache ein Tick edelt.

Rahmfleckerl – mit rohem Schinken, roter Zwiebelmarmelade, gehobelten Champignons und gehackten Haselnüssen (11,80 Euro). Diese bayerische Version des Elsässer Flammkuchen besticht durch die Üppigkeit der Belegung, eine „saftige“ Grundierung, schöne cru-cuit-Kontraste und vor allem das Texturspiel mit den Haselnüssen. Das Ergebnis ist ein Rahmfleckerl der individualisierten Art mit einer klaren Perspektive auf ein moderates Überschreiten der Optimierungen in Richtung von Zusätzen, die natürlich ebenfalls optimieren, den traditionellen Rahmen aber etwas überschreiten.

Böfflamott – mit Grünkohl, Gröstl von Serviettenknödel und Apfel-Meerrettich-Salat (23,50 Euro). Gleiches gilt für die geschmorten Scheiben vom Rind, die hier zwischen Optimierung und einem Hauch von Interpretation deutlich an Kontur gewinnen. Das Fleisch ist sehr zart und durchzogen, der Grünkohl hat noch etwas texturelle Präsenz, die Gröstl sind größere Serviettenknödelwürfel und genau richtig dimensioniert, und der Salat obenauf bringt ein Stückchen mehr sensorischer Breite durch einen cru-cuit-Kontrast, der sich wegen der Proportionen harmonisch einfügt und auch aromatisch bestens ins Bild passt.

 

 

Das ästhetische Gesamtkunstwerk

Es ist ein echtes Erlebnis, diese gute und souverän gemachte Küche in dieser Umgebung zu essen. Man sollte sich das unbedingt einmal gönnen. Während man im kulinarischen Bereich eine deutliche Distanz zu den Bierschwemmen-Grobheiten hat, ohne freilich auch nur einen Hauch an Authentizität zu verlieren, spielen andere Dinge hier eine sehr wichtige Rolle. Das Essen wird zur Erfahrung, zu einem Erlebnis, weil es unweigerlich mit anderen als rein kulinarisch-traditionellen Erfahrungen verknüpft wird. Es ist hier unten nicht laut, sondern enspannt, was zum Beispiel auch daran liegt, dass man authentische bayerische Volksmusik spielt und keine volkstümliche Musik. Ganz allgemein geht es hier eben eher um authentisch Regionales und nicht um das, was „volkstümelnd“ ansonsten noch geliefert wird. Dies ist nicht ZDF-Musikantenstadl, sondern mehr Wastl Fanderl (ein legendärer TV-Autor und – moderator, der einmal eine exzellente Sendung mit Volksmusik hatte, ich habe ihn bei musikalischen Forschungen während meines Studiums übrigens noch selber kennengelernt). Andererseits wird diese Ursprünglichkeit, dieser Purismus auch noch mit einer adäquaten Optik verknüpft, die nie ins Schicki-Micki-Neo-Rustikale abweicht, sondern ganz nahe an der wunderbar traditionellen Salzkeller-Architektur der Räumlichkeiten bleibt. Axel Vervoordt hat das offensichtlich sofort erkannt und mini-invasiv gearbeitet. Hier ist – selbst ich muss die Formulierung hier einmal benutzen – weniger mehr.

Das Gehirn verknüpft natürlich auch beim Essen all das, was gerade zusammenkommt. Das Essen, das hier die eigentliche Farbe ist, die in den fast monochrom wirkenden Räumen zu sehen ist, gewinnt genau das, was es auch kulinarisch zu sagen hat, in einer dezent und elegant forcierten Form hinzu. Man isst anders, sensibler, genauer, würdigender, wertschätzender. Es sind solche Begriffe, nach denen man hier nicht suchen muss, sondern die sich zügig einstellen.

Der Palaiskeller ist mindestens einen Ausflug wert. Gerade Gourmets, die ansonsten um die vielen Brauereigaststätten einen großen Bogen machen, sollten sich das einmal ansehen und auf sich wirken lassen. In gewisser Weise ist dies gastronomische Avantgarde, und sie ist hier vorbildlich inszeniert. Diese Richtung hätte sicher an diversen anderen Stellen noch sehr viel Perspektive.

„Palaiskeller“ im Hotel „Bayerischer Hof“ in München, Paradeplatz. Geöffnet Dienstag bis Samstag von 17 – 22 Uhr

 

 

3 Gedanken zu „Eine Frage der Ästhetik: Der „Palaiskeller“ im Münchner Hotel „Bayerischer Hof“, ein berühmter Designer und ein Tapas-Menü“

  1. Ein überaus provokantes Posting, und zu sofortigem (allzu) spontanem Widerspruch herausfordernd. Aber genau das scheint mir das Gute daran. Deshalb ein Dankeschön.

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  2. Endlich wieder ein ausfuehrlicher Bericht ueber ein Restaurant auf EDT. Bitte mehr davon.

    Ich wuenschte mir, „gut-buergerliche“ deutsche Restaurants wuerden die unsaeglichen Zwiebelringe durch praezise und in richtiger groesse geschnittenen Zwiebelwuerfel ersetzen. Wohldosiert kann das durchaus sensorisch einen Sinn machen.

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