Gibt es einen „guten“ Geschmack?

Zuerst einmal sollte man sich – immer noch und wieder einmal – von dem Märchen lösen, beim Essen sei alles „Geschmackssache“, das Urteil über gut oder schlecht liege also bei jedem Einzelnen und das sei auch richtig so und ein solches privates Geschmacksurteil sei völlig in Ordnung. Selbstverständlich kann niemand einen Esser davon abhalten, seine Meinung über die Qualität eines Essens zu sagen. In dem Moment aber, wo aus dieser Privatmeinung – die ja schließlich voll und ganz das Produkt der individuellen kulinarischen Sozialisation ist – ein nach außen getragenes Urteil mit dem Anspruch auf Gültigkeit wird, steht die Aussage in einem Umfeld, in dem sie überprüft oder kritisiert werden kann. Und da relativiert sich ihre Gültigkeit ganz entscheidend. Wenn also jemand ein Essen „lecker“ findet, der im Grunde kaum eine Möglichkeit hat, dieses Essen über Vergleiche einzuschätzen, ist seine Aussage von keinem besonderen Wert und sollte von außen auch so eingeordnet werden.

Die Frage danach, ob es einen „guten Geschmack“ gibt, ist die Frage nach Maßstäben für einen guten Geschmack. Diese Frage ist hochaktuell und ihre Diskussion längst überfällig, weil wir schon seit geraumer Zeit in einer Phase sind, in der sozusagen die Stellschrauben dessen, was einen „guten Geschmack“ ausmacht, von verschiedenen Seiten im jeweiligen Eigeninteresse verstellt werden. Die Lage ist dabei längst so gefährlich, dass eine grundlegende Veränderung dessen droht, was man heute noch nach allen Maßstäben der Kochkunst als gut bezeichnen kann. Und – die Leute, die an diesen Schrauben zu Ungunsten eines „guten Geschmacks“ drehen, sind nicht nur in der Industrie zu finden, sondern auch da, wo man scheinbar nur Gutes rund ums Essen erreichen will.

„Guter Geschmack“ ist eine historisch-professionell gewachsene Qualität
Im Gegensatz zu vielen Normalbürgern würden professionelle Köche sofort davon reden, dass es selbstverständlich einen „guten Geschmack“ gibt. Der Beruf ist auch heute noch geradezu davon abhängig, dass man weiß, was gut schmeckt und auch, was so überragend gut schmeckt, dass die Restaurantführer dafür Höchstnoten geben. Wenn man mit guten Köchen zusammen etwas isst, gibt es meist kaum Diskussionen über die Güte des Geschmacks einer Zubereitung. Die Vorstellung von dem, was gut schmeckt, ist bei uns (aber durchaus auch in anderen Ländern) über Jahrhunderte hinweg entstanden und hat sich in der Profession bis heute erhalten – zumindest weitgehend, aber dazu gleich noch mehr. Die Rolle des Publikums – das darf man nie vergessen – war dabei oft die von Leuten, die dieser Entwicklung folgen. Auch wenn die Gerichte, die zuerst zu drei Michelinsternen führten, ursprünglich vor allem aus der regionalen Lyonnaiser Küche stammten, wurden sie doch von den SpitzenköchInnen so verfeinert, dass sie neue Maßstäbe setzten. Diese Qualität konnte von vielen Leuten nachvollzogen werden, sie lag sozusagen im Bereich dessen, was man nachvollziehen konnte. Solche feinen Unterscheidungen zu machen, ist in diesem Zusammenhang sehr wichtig.

„Guter Geschmack“: Störung Nummer eins stammt aus dem professionellen Sektor
Das System des „guten Geschmacks“ auf der Basis klassisch-französischer Küche wurde schon vor Jahrhunderten weltweit exportiert und hat sich bei uns im Prinzip bis heute erhalten. Aber – es gibt seit einiger Zeit auch im professionellen Sektor Störungen. Das vermehrte Auftauchen kreativer Köche seit den 80er Jahren hatte zunächst noch wenig für Unruhe gesorgt, weil es sich – aus heutiger Sicht – um eher moderaten Ausweitungen der Geschmacksbilder handelte. Das, was dann vor allem im Zusammenhang mit der sogenannten Molekularküche und zuletzt im Zusammenhang mit der neuen skandinavischen Küche/Nova Regio-Küche entstand, führte aber bei vielen Vertretern der traditionellen Lehre zu Ablehnung. Es schmeckte oft nicht mehr „gut“, weil in diesen Küchen die alten Regeln des „guten Geschmacks“ offensichtlich keine Rolle mehr spielten. Bei der Molekularküche ging die Ablehnung oft so weit, dass geradezu vom kulinarischen Untergang des Abendlandes die Rede war – sollten sich solche Dinge durchsetzen. Bei diversen Köchen der Nova Regio-Küche fühlen sich klassisch orientierte Köche angesichts einiger Blätter mit etwas Saft geradezu auf den Arm genommen.

Die Störung des Bildes vom „guten Geschmack“ ist bei genauerer Betrachtung allerdings keine wirkliche, sondern nur eine Irritation, die aus einer ein wenig sprunghaften Entwicklung entstanden ist. Der Kontrast zu klassischen Qualitäten war speziell für Leute, die die kreativen Entwicklungen nicht so intensiv verfolgen, einfach ein wenig schnell und groß. Außerdem wurde angesichts dieser Entwicklungen klar, dass die Kriterien für Gutes ein wenig der Überarbeitung bedurften, weil sie einfach nicht komplett genug waren. In dem Moment, wo man z.B. jedes essbare Produkt als tauglich für gute Küche begreift und die ausgeweitete Sensorik neu als enorm wichtigen Bestandteil der Kochkunst ansieht, lassen sich die neuen Entwicklungen der Kochkunst ohne weiteres in die klassischen Wertigkeiten integrieren. Insofern gibt es bei dieser Störung Entwarnung.

„Guter Geschmack“: Störung Nummer zwei stammt aus dem industriellen Sektor
Die Störung des klassischen Qualitätsbewusstseins und der tradierten Qualitätskriterien durch den industriellen Bereich sind sehr viel gravierender und haben das Zeug zu einer kulturellen Katastrophe ungeahnten Ausmaßes, die in letzter Instanz zu Kunstnahrung führen kann. Mit ihren unnatürlichen Geschmacksbildern, die durch künstliche Aromen, Geschmacksverstärker oder auch durch eine penetrante Übersüßung oder Überzuckerung entsteht, gewöhnt die Nahrungsmittelindustrie absichtsvoll ihre Kunden an einen Geschmack, der mit dem klassisch „guten Geschmack“ nichts mehr zu tun hat. Die Industrie hat offensichtlich bemerkt, dass sie mit ihren Mitteln keine Geschmacksbilder erzeugen kann, die etwa dem einer klassisch fundierten Spitzenküche gleich kommen. Sie setzt auf Gewöhnung, auf Abhängigkeiten, auf suchtähnliche Geschmacksbilder, die es dem Abhängigen unmöglich machen, die klassischen Wertigkeiten des „guten Geschmacks“ noch nachzuvollziehen. Wenn man sieht, wie sich schon seit vielen Jahren der Fastfood-Riese McDonalds sozusagen um den Nachwuchs an Süchtigen kümmert, muss man sich im Grunde fragen, wieso solche Praktiken jemals als legal gelten konnten.

„Guter Geschmack“: Störung Nummer drei stammt aus dem semiprofessionellen Sektor
Während die industriellen Störungen des „guten Geschmacks“ bereits weitgehend kritisch gesehen werden (wenn sie auch in ihren Folgen immer noch stark heruntergespielt werden) ist Störung Nummer drei noch kaum in der Diskussion. Sie stammt aus dem Semiprofessionellen Sektor, also vor allem von den Köchen, die in der Vermittlung von Kochkunst in den Medien arbeiten, von den vielen AutorInnen und BloggerInnen, die in ihren Büchern einen Wust von willkürlich zusammengewürfelten Rezepten mit einem oft unerträglichen geschmacklichen Wirrwarr veröffentlichen, aber auch von all denjenigen Autoren und Redakteuren in den Medien, die der Verbreitung solcher Machwerke Vorschub leisten, weil sie selber nicht in umfassenden Kategorien der Entwicklung und Verbreitung allgemein sinnvoller und nützlicher Geschmacksbilder denken können. Das Verdrehte (..das Perverse..) dieser Situation ist, dass viele dieser Protagonisten von Störung Nummer drei auch noch oft vorgeben, sich geradezu für einen „guten Geschmack“ einzusetzen. Die Flut der immer neuen Bücher über Länderküchen aller Art und vor allem deren willkürlich wirkende Vermischung bei gleichzeitiger Vernachlässigung eigener regionaler Kulturen hat längst eine verhängnisvolle Entwicklung in Gang gesetzt. Hier werden gewachsene Kulturen geschädigt, nicht etwa propagiert.

„Guter Geschmack“ beim Essen wird gelernt wie eine Sprache und hat den Rang einer wichtigen kulturellen Kategorie
Wenn ein Mensch weder lesen noch schreiben gelernt hat, wird er möglicherweise viele Probleme bekommen, deren Folgen aber zu einem großen Teil ihn selber betreffen werden. Wer aber keinen „guten Geschmack“ entwickelt und die Werte guter Ernährung nicht erlernt, wird sehr viel gesellschaftliche Schäden anrichten. Weil er Gutes nicht konsumiert, wird das Gute aussterben – plakativ und verkürzt gesprochen. Auch Nicht-Konsum ist eine Art von Konsum, und wenn es um das Kulturgut „guter Geschmack“ geht, machen sich sehr viele Leute ganz schnell zum Täter. Das gilt dann übrigens für alle Gesellschaftsschichten und für viele Leute, die niemals auf die Idee kämen, dass sie mit ihrer Art des Konsums eine schädliche Entwicklung der Gesellschaft fördern. Die Banalisierung aller Dinge rund ums Essen ist eine ganz spezielle Art von abgrundtiefer Dummheit. Dieser Zusammenhang müsste immer wieder ins Bewusstsein gerufen werden. Die eigene Dummheit und Unkenntnis größerer kulinarischer Zusammenhänge auch noch als Freiheit auszugeben (wie das häufig geschieht), ist eine der größten Schwächen unserer unreflektierten Art des Zusammenlebens

Ohne eine entwickelte, systematisch erlernte Vorstellung von gutem Geschmack kann die Kochkunst (i.w.S.) ihre kulturelle Bedeutung verlieren.
Für die Kochkunst ist es in diesem Zusammenhang nicht etwa fünf Minuten vor Zwölf, sondern längst weit nach Zwölf. Der Kampf um den „guten Geschmack“ als eine historisch gewachsene Qualität, die das kulinarische Rückgrat unserer Gesellschaft bildet, ist längst verloren. Man ist auf dem Weg in eine Nischenexistenz und kann diesen Weg nur dann vermeiden, wenn es überraschend große, in der ganzen Gesellschaft koordinierte Anstrengungen gäbe, die freilich im Moment noch nicht in Sicht sind. Wegen der enormen gesellschaftlichen Auswirkungen des kulinarischen Verhaltens jedes Einzelnen gehört das Erlernen des kulinarischen Alphabets (um einmal diesen Vergleich zu benutzen) in jede Schule und das im Range eines Hauptfaches.

Die Kochkunst im engeren Sinne läuft Gefahr, ihre eigentlich enorme kulturelle Bedeutung immer mehr zu verlieren. Schon heute steht der eigentliche kulinarische Ideenlieferant als ein „Handwerk“ da, das oft verhöhnt und als belanglos heruntergespielt wird, gleichzeitig aber schamlos ausgenutzt und seiner Ideen beraubt wird. Was angesagt ist, ist nicht einfach etwas Diskussion hier und Diskussion da, sondern eine aggressive Strategie, die den Strategien etwa der genannten „Störer“ in nichts nachsteht.

22 Gedanken zu „Gibt es einen „guten“ Geschmack?“

  1. es klingt ja alles erstmal ganz locker-abgeklärt, was da an kommentaren reinschneit, viel nach gesundem menschenverstand, „mensch ärgere dich nicht“ und ballflachhalten. das verharmlost in meinen augen die situation gewaltig, profiteure davon sind allerhöchstens wieder lebensmittelindustrie und systemgastro, in keinem fall esser und verbraucher. weite teile der bevölkerung sind abgehängt von einem ganzheitlichem, offenen , freien zugang zu einer form der ernährung, die ihnen ( über modische lifestyle-aspekte hinaus) gut tut, ressourcen verantwortungsvoll einsetzt und genuss statt angst ( vor negativen gesundheitlichen, ethischen konsequenzen) und gleichgültigkeit ( gegenüber produktionsgedingungen, ausbeutung) vermittelt. ich erlaube mir diese these vehement zu vertreten, weil ich meine diesbezüglichen erfahrungen bei meiner arbeit mit kindern und jugendlichen gewonnen habe, die mittlerweile ( unabhängig ihrer sozialen herkunft) oft gar nicht mehr in der lage sind, äpfel von birnen auseinander zu kennen, die bestimmte produkte nur noch in industriell verarbeiteter form kennen und keinerlei zugang zu den kulturellen aspekten von ernährung finden. hier geht momentan gerade wahnsinnig viel wahnsinnig schnell den bach runter.

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    • Hi.

      Sagen Sie mir bitte, warum diese Welt eine bessere wäre, wenn Jugendlicher Äpfel von Birnen unterscheiden könnten.

      Ich halte das für genauso irrelevant wie die Kenntnis der Unterscheidung zwischen ‚Novelle‘ und ‚Erzählung‘.

      Gruss
      Andreas Ullrich

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      • Hallo Herr Ullrich, das sag ich Ihnen gern, wobei ich mich auf zwei Aspekte beschränken möchte- zum einen geht es um die Fähigkeit zur Unterscheidung und das daraufhin praktizierbare Auswählen und Entscheiden, zum andren um Kulturbewahrung. Wenn ich Dinge nicht kenne, habe ich keine Alternative , weil ich mich nicht für oder gegen eine Wahlmöglichkeit entscheiden kann. Das heisst aufs Essen bezogen, dass der pool der Dinge, die mir zur Verfügung stehen könnte, von vornherein künstlich verkleinert wird. Wozu braucht es zb Obst und Gemüse, wenn ich von zig Sorten nur Bruchteile in Anspruch nehmen kann bzw diese nur in so stark bearbeiteter Form konsumiere, dass es keine Rückkopplung zum Ausgangsstoff mehr gibt. Das heisst, ich kann mich aufgrund von Unwissenheit, Ignoranz, Dummheit nicht mit kulinarischen Traditionslinien auseinandersetzen und überlasse andren die folgenschwere Entscheidung darüber, was und aus welchen Motiven heraus ich konsumiere.

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        • :-)) Danke!

          Zum Ersten: Unterscheidung
          Ist es wirklich wichtig, zwischen 12 Deo-Sorten und 120 Parfüms unterscheiden zu können? Machen 121 Sorten glücklicher als 120? Wie entscheidend ist es für Sie, ob Beethovens Violinkonzert auf einer Stradivari oder einer Guarneri gespielt wird? Wie viele Kartoffelsorten brauchen Sie, damit Ihnen ein Gratin oder eine Pellkartoffel schmeckt? Und wie wichtig ist Ihnen all dieser Feinsinn, wenn’s schlicht um’s Sattwerden geht?

          Zum Zweiten: Kulturbewahrung
          Essen ist eine lebenserhaltende Notwendigkeit. Damit unterscheidet es sich von vielen anderen Kulturleistungen wie Literatur, Musik, bildender Kunst. Ohne Essen ist anders als ohne Musik. Das hat drastische Folgen.

          Wenn ich kein Gedicht von Goethe auswendig kenne, passiert niemandem nix nennenswertes. Wenn ich holländische Wassertomaten goutiere, passiert niemandem nix nennenswertes. Wenn es keine genveränderten Reissorten oder industrielle Lebensmittelverarbeitung gäbe, dürften wir Leichen stapeln.

          So ist das mit Wahlfreiheit und Kulturbewahrung … sozusagen: nicht so einfach …

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          • ginge es nur ums “ primum vivere rundum“, ums Sattwerden, dann bräuchten wir sehr viel gar nicht, damit wäre aber unsere Zivilisation nicht so hochentwickelt; also zieht dieses Argument nicht. Aber schon bei den von Ihnen ins Spiel gebrachten Kartoffelsorten fangen die Probleme an- für Ihren gratin und für die Pellkartoffeln brauchen Sie mutmasslich zwei verschiedene Sorten. Wenn dann die Auswahl nur zwischen dem schmalen Sortiment einiger weniger Agrarkonzerne besteht, werden Sie sicher trotzdem irgendwie satt, aber Sie verzichten auf Sortenvielfalt. Gravierender wird die Sache beim Fleisch-wer nur komfektionierte Teilstücke wie Hühnerkeulen, Filet, verarbeitete Formen zu sich nimmt, lässt zu , dass grosse Teile Tier als nutzlose Ressource verschwendet werden. Das ist unökonomisch und ethisch fragwürdig.

        • zu: duni
          7. August 2020 um 23:18 (keinen direkten Antwort-Button gefunden)

          Woher diese scheinbar kulturträchtige Verachtung des blossen Satt-Werdens? Die Wurzel von Kultur liegt im Kampf um’s Überleben, insbesondere des nicht-Verhungerns. Erst wenn das ‚erledigt‘ ist, trennt Kultur sich ästhetisierend als gesellschaftliche Sonderfunktion ab. Und da sage mir keiner, diese Wurzeln im grob Materialistischen würden nicht Statur, Gestus und Selbstverständnis dieser entronnenen Kulturleistungen deutlich prägen. In dem, was als ‚Oma-Küche‘ bezeichnet wird, lebt von dem dialektischen Verhältnis von Regionalität, Armut + Phantasie noch Einiges munter weiter. Gourmethafte Arroganz ist da wirklich nicht angesagt. Bis hinein in die fast noch ultramoderne Nova-Regio-Ideologie reichen diese materialistischen Wurzeln (wortwörtlich ;-)), indem die Essbarkeit immer weiter in’s Experimentelle ausgeweitet wird (und damit die untraditionelle, wohl eher krasse Aromatik): so als würde in einem harten Winter der geleerte Vorratsschrank mit vom Felsen gekratzten Flechten und Kräutern notgedrungen neu bestückt werden müssen – nur halt ohne Not und mit viel freier Neugier. Wer so mit dem ‚Satt-Werden‘ spielen kann, ist wahrhaft ein glücklicher Mensch!

          P.S. Mir würden Bamberger Hörnchen für fast alle Kartoffelgerichte, die ich kenne (aber was kenne ich schon?) vollkommen reichen. Nur ein klümpchenfreier Kartoffelbrei wäre eine technische Herausforderung … ;-))
          P.P.S. Ich habe noch nie irgendwas Nova-Regio-mässiges gegessen, mein Begriff davon habe ich ausschliesslich durch die Blogbeiträge und Bücher von Herrn Dollase – dass Sie in mir solche eingebildeten geschmacklichen Phantasien erzeugt haben verstehen Sie bitte als Kompliment.

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          • Sattwerden ist in einem der reichsten Länder der Welt nicht das Problem, um das es geht, eben weil das Thema Ernährung auf sovielen unterschiedlichen Ebenen angesiedelt ist und Entscheidungen in diesem Bereich soviele Konsequenzen nach sich ziehen.

          • zu: duni
            8. August 2020 um 14:20 (keinen direkten Antwortbutton gefunden)

            Natürlich haben Sie recht. Es ging mir auch nicht um’s aktuelle Sattwerden, sondern um die Herkunft des Schmeckens aus einem evolutionären Zusammenhang. Ein Goethegedicht falsch zu lesen ist lässliche Sünde, ein unbekanntes Produkt falsch zu schmecken kann tödlich sein. Diese Herkunft des ach so zivilisierten Schmeckens aus tierischen Überlebenswelten finde ich halt total interessant. Die Krassheit mancher avantgardistischer Speisengeschmäcker (wie man hört) könnte durch diese evolutionäre Erinnerung gut erklärbar sein: nicht vertraute butter-sahne-fonds-Seeligkeit (keine Gefahr!), sondern seltsam Süsses (giftig?) und Bitteres (böse?).

            Aber war halt nur so ein Gedanke. Für Gourmets sicherlich unwichtig.

    • Ja, das spiele ich mit den Teenagern meines Mannes tatsächlich oft. Probieren im Dunkeln und mit verbundenen Augen. Im Teil 1 „Was ist das?“ und später auch „Bio gegen konventionell“ mit den Fragen „Was ist es?“ und „Was schmeckt besser?“.

      Sie (15 und 17 Jahre) erkennen ganz gut, was sie kennen und beschreiben gut, was sie nicht kennen. Trotzdem entscheiden sie sich geschmacklich immer wieder für Glutamat, billig und konventionell. Meiner Ansicht nach weil sie es besser kennen und so gelernt haben.

      Es ist schwer, sie auf den reinen Geschmack zurück zu führen. Obwohl man das auch im Alter lernen kann. Ich konnte es auch erst mit 30, war erst da offen dafür.

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  2. Großer Applaus Herr ullrich,sie sprechen mir aus der Seele,größtenteils ist das aufgeschwulste,rechthaberische und Besserwisserei arrogante schreiben des Herrn kaum noch zu ertragen,wird immer schlimmer habe ich das Gefühl.

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    • :-))

      Ich ertrage Herrn Dollase jeden Tag zweimal: er hat es, als einzig interessanter Blogger über die philosophischen Inplikationen der Nahrungsaufnahmen, bis in meine tägliche Informationsgestaltung geschafft: am Morgen und am Abend einmal quer durchs mediale Gestrüpp: und immer an seinem Blog schnuppernd.

      Um es einmal so zu sagen: mancher Menschen Irrtümer sind erfrischender und kenntnisertüchtigender als die kleinen Wahrheiten anderer. Davon kann man – informationstechnisch – ganz gut leben.

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  3. Hallo Herr Dollase.

    Ich weiss gar nicht, wo ich anfangen soll bei all dem (wörtlich) aufregenden Gedankengestrüpp, das Sie da ausgebreitet haben.

    Das Wichtigste: Es wäre für eine klare Gedankenführung sicher hilfreich gewesen, wenn Sie unterschieden hätten zwischen
    a. der Aussage „Das hat mir geschmeckt.“
    b. der Aussage „Diese Speise hat einen geilen Geschmack.“
    c. der Aussage „Diese Speise hat unter Berücksichtigung der Kriterien X, Y und Z einen guten Geschmack.“

    A wäre der landläufige SpeiseProll, B der medial vernetzte TV-Proll und C der reflektierte PhilosophenProll. Unterscheiden tun sich diese Varianten durch die spezifische Reflektionsgeste des Gesagten: A referenziert sich selbst (als biologisch-chemisches Naturwesen mit gesellschaftlich nachjustiertem naivem Empfindungsapparat), B referenziert einen irgendwie körperlos in der Gesellschaft herumwabernden und extrem modeabhängig produzierten ‚guten Geschmack‘ (der von BBQ bis Vegan mit je eigenen aktuellen Versatzstücken prunkt), C referenziert eine erfahrungsgesättigte und historisch kenntnisreiche Erfahrungswissenschaft.

    Als Buchhändler a.D. würde ich es so sagen: Der eine mag nen blutrünstigen NordicKrimi (antrainiertes, überwürzt-industrielles Geschmacksbild), der nächste liest nur das, was in FAZ, ZEIT und SZ von Kritikern als hervorragend hochgejazzt wird (gebildet, aber ein autoritätsfixierter Charakter), der dritte ist Literaturwissenschaftler, der gerade die belebende Kühnheit der deutschen Frauenliteratur des ausgehenden 19ten Jahrhunderts mit der schwülstigen Romantik der … vergleicht und kenntnisreich Differenzen und Ähnlichkeiten vermitteln kann.
    Mögen muss man davon persönlich nix, aber das Alles muss man gesellschaftlich dürfen können, ohne verachtet oder verspottet zu werden.

    Über diese gesellschaftliche Funktionsspreizung giessen Sie (um zu einem Schluss zu kommen, ich muss noch für die heute angesagte kalte Gurkensuppe einkaufen – beim EDEKA) in Ihrer Kolumne (um im kulinarische Genre zu bleiben) eine gleichmässig mittelsämige, gleichmässig mittelschmackhafte Allerweltssauce aus Arroganz, Kenntnis+Erfahrungsreichtum und einem wahrlich überreichen Schuss an naivem Gesellschaftskonstruktivismus und belustigend knurriger Unduldsamkeit.

    Herr Dollase, das haben Sie sich echt verwürzt. Das schmeckt mir nicht (ich bin SpeiseProll)!

    Gruß
    Andreas Ullrich

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    • Danke, Herr Ullrich, für die passende Zusammenfassung.
      Wie meine Großmutter schon sagte: „Ärgere Dich nicht über das, was andere nicht können, sondern freue Dich über das was Du kannst.“

      In diesem Sinne wünsche ich mir wieder mehr pointierte Rezensionen, Einordnung von neuen Strömungen, etc., statt des andauernden Einschlagens auf Enthusiast:Innen mit geringerem Erfahrungsschatz und Bildungsstandard.

      In diesem Sinne,
      Johanna Kwiatowski

      Antworten
      • Liebe Frau Kwiatkowski,
        da sprechen Sie etwas an…Zu Zeiten von Schirrmacher und Co. gab es bei der FAZ die nötige Offenheit und vor allem auch noch die nötigen Mittel, um eine europaweite Restaurantkritik, wie ich sie lange Jahre gemacht habe, zu finanzieren. Heute kann sich das ein der Form, die eigentlich die sinnvollste wäre, anscheinend keine Zeitung mehr leisten. Man setzt auf festangestellte Kräfte und Zufälligkeiten, nicht unbedingt zuerst auf die Qualität, die notwendig wäre…

        Antworten
      • Liebe Frau Kwiatkowski,
        noch etwas: die „EnthusiastInnen mit geringem Erfahrungsschatz und Bildungsstandard“ sorgen bei den Verlagen dafür, dass gute Köche keine Kochbücher mehr machen können – noch nicht einmal als Alibi zum Ausgleich für kommerziellere Bücher. Es gibt da eine Allianz von VerlagsmitarbeiterInnen und den genannten AutorInnen. Da sollte man schon mal etwas zu sagen..
        Bizarr ist, dass die Leute, die von den Ideen guter Köche leben, ihnen auch noch die publizistischen Plätze wegnehmen…

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    • Lieber Herr Ullrich,

      könnten Sie sich vielleicht einmal etwas mehr gedankliche Mühe geben? Unser Fach hat da mehr verdient. Es ist allerdings nicht so einfach, den Stand der Dinge zu begreifen, wenn man nicht längere Zeit daran gearbeitet hat. Ich habe schon häufiger darauf hingewiesen, dass Bildungsbürger, die immer nur „lecker“ essen wollten, gedanklich schon lange nicht mehr auf der Höhe der Zeit sind.

      Antworten
      • Hallo Herr Dollase.

        Würden Sie mir sagten, sie fänden die Kafka-Lektüre ‚lecker‘, ich würde mich freuen.

        Nicht jedoch würde ich antworten: „Könnten Sie sich vielleicht einmal etwas mehr gedankliche Mühe geben? Unser Fach hat da mehr verdient. Es ist allerdings nicht so einfach, den Stand der Dinge zu begreifen, wenn man nicht längere Zeit daran gearbeitet hat. Ich habe schon häufiger darauf hingewiesen, dass Bildungsbürger, die immer nur „lecker“ lesen wollten, gedanklich schon lange nicht mehr auf der Höhe der Zeit sind. Haben Sie sich je Gedanken darüber gemacht, wie in der genialen ‚Mäuse-Erzählung‘ ex negativo eine komplette Ästhetik (qualitativ vergleichbar der ‚Ästhetischen Theorie‘ Th.W.Adornos) entwickelt wird, die das Ende des bürgerliche Kunstbegriffs dialektisch … rhabarber…rhabarber…rharbaber ….“

        Nee, würd‘ ich nicht antworten.

        Ich würde mich freuen. Und erstmal (bei I)nteresse) nach den grundlegenden Geschmackserfahrungen bzgl. Kafkas fragen: süss, salzig, bitter … oder gar umami? (Meine Meinung: Kafka ist süsses Gift! Und keine Spur ‚umami‘!)

        Naja, wollte ich ‚mal sagen …

        Gruss
        Andreas Ullrich

        Antworten
    • Mit Ihnen, verehrter Herr Ullrich, würde ich gerne über Literatur sprechen als Literaturwissenschaftlerin. Wer allerdings allen Ernstes eine Gurkensuppe kauft, statt sie selbst zu machen, ist tatsächlich ein Speise-Proll. Es sei denn, dies ist auch eine Metapher…

      Antworten
      • „… ich muss noch für die heute angesagte kalte Gurkensuppe einkaufen – beim EDEKA“ … the fine difference: FÜR die sUPPE; NICHT DIE sUPPE SELBST (gibt’s da auch gar nicht!) – war übrigens echt lecker (nicht weil sie richtig gut war, sondern weil’s warm war, zu warm, weil die Suppe kalt war, weil ich sie im Internet angekündigt hatte und so meine Geschmackspapillen echt medientauglich geschärft waren etc.)

        Eine scheiss Hollandgurke, etwas Industrieyoghurt, Billigpfeffer (immerhin frisch im Mörser zerrieben), frischer Knoblauch von wo weiss isch net, Dill/Petersilie von irgend nem chemisch reinen Kunstboden, Zitrone (named ‚bio‘ but simple sauer), jodfreies Salz (weil meine Mutter jodallergisch war + ich nicht weiss, ob ichs geerbt habe) … zusammenwerfen, pürieren + geniessen.

        So höre ich Musik, so lese ich Texte und so koche seit 40 Jahren jeden Tag und das alles mit grossem Vergnügen.

        Und den Dollase lese ich mit grossem Vergnügen (weil der west in Gefilden, die mir schlicht unzugänglich + unbezahlbar sind + Fremdes macht mich an und überfordert mich angenehm …)

        Antworten

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