Günther. Eine Post-Corona-Satire, oder: Wie war das nochmal mit dem Steinbutt?

Günther war kein schlechter Koch, hatte aber immer schon ein schlechtes Gedächtnis. In der Corona-Krise hatte er alles Mögliche gemacht, zu Hause ein wenig rumgebrutzelt, sich die Zeit mit Videospielen vertrieben und ab und zu lustlos in ein paar Kochbüchern geblättert. Sein Restaurant machte keinen Außer-Haus-Service, und so verschwanden langsam seine Erinnerungen daran, wie das damals war, mit dem Kochen. Als er die Nachricht bekam, dass es wieder losgehen solle, wässerte er gerade die Tomaten auf seinem Balkon. Sein Chef meinte, er solle sofort die Sachen bestellen und übermorgen wieder anfangen. Günther kramte ein wenig in seinen Zetteln und fand dann auch ein paar Vor-Corona-Bestellscheine. Und weil sich in seinem Kopf da gerade irgendwie eine große Leere breitmachte, bestellte er das gleiche Material wie bei seiner letzten Bestellung.

Zwei Tage später stand er also morgens früh vor einem Berg von Kisten und sah nach, was er denn da bekommen hatte. Das Problem war, dass er sich nicht mehr so recht erinnern konnte, was er denn damit eigentlich gemacht hatte. Ein Blick in die Speisekarte half auch nicht viel weiter, weil sein Chef immer gemeint hatte, man müsse die Arbeit gut verkaufen, und so müsse das dann auch auf der Speisekarte klingen. Was zum Teufel war noch mal die „Schnitte vom Steinbutt mit Pilz-Duxelles und Nussbutterschaum“? Und wie hatte er noch das „Karamellisierte Iberico-Secreto mit fermentierten schwarzen Beeren und Soja-Dashi-Lack“ gemacht? Für Günther klang das alles wenig hilfreich. Aber – was sollte er machen? Er musste es versuchen.

Damit begann das Drama.

Günther griff zu einem etwa 1 Kilo schweren Steinbutt, der ihm dann prompt auf den Boden fiel, weil er so glitschig war. Er hob ihn auf, wischte etwas Putzmittel ab und war irritiert. Ein Fisch mit glitschiger Oberfläche: war das nun ein gutes oder ein schlechtes Zeichen? Wie dem auch sei, er hatte jetzt keine Zeit, weiter darüber nachzudenken, es ging auf den Service zu. Er nahm ein scharfes Messer und löste fachgerecht die Filets aus. „Gelernt ist eben gelernt“, dachte Günther. Dann warf er die Filets weg und betrachtete die Karkasse. Ihm war nicht ganz klar, ob das Bild jetzt korrekt war. Er streute etwas Mehl über Alles, legte den Fisch in eine Pfanne mit aufschäumender Butter und röstete ihn, bis die Karkassen gut gebräunt waren und der Kopf sich halbwegs aufgelöst hatte. Trotzdem schien etwas zu fehlen. Auf dem Teller sah es einfach nicht korrekt aus. Günther nahm ein paar Filets vom Petermännchen, legte sie in die Pfanne und ergänzte sie mit ganzen Champignons. Der Mix kam an Stelle der ausgeschnittenen Filets, was eindeutig schon wieder besser aussah. In der Pfanne war die Butter jetzt bereits sehr dunkel geworden und er wusste, dass man sich jetzt mit dem Nussbutterschaum beeilen musste.

Aber – wo waren nur die Nüsse? Er kramte in einer Schublade und fand schließlich ein paar Haselnüsse, die er dann schleunigst in die Pfanne warf. Und weil sie partout keine Bindung ergeben wollten, die so etwas wie „Nussbutterschaum“ ermöglicht hätte, nahm er die Pfanne vom Feuer und rührte großzügig ein paar Teelöffel Agar-Agar ein. Das half, wenn auch die Kombination aus sehr dunkler Butter mit ganzen Haselnüssen und einer schlierigen Bindung irgendwie nicht in seiner Erinnerung unter „Schaum“ verankert schien. Er goss die Masse über Karkasse, Petermännchen und Pilze und schlug auf die Klingel.

Es war höchste Zeit für das nächste Gericht, das „Karamellisierte Secreto mit fermentierten schwarzen Beeren und Soja-Dashi-Lack“ für einen Vierertisch. Auch diese Zubereitung gab Günther einige Rätsel auf. Er nahm sich eine Packung mit Secreto und schnitt erst einmal alles überflüssige Fett ab, weil er natürlich den Gästen zu viel Fett nicht zumuten wollte. Was „Karamellisieren“ ist, war ihm noch in Erinnerung. Er hatte allerdings am Herd die weißen Plastikeinsätze für Zucker und Salz nebeneinander stehen. Es passierte, was passieren musste: er griff zum Salz und nicht zum Zucker. Das Ergebnis schien ihm optisch nicht unbedingt völlig verfehlt, allerdings schon ein wenig fremd. Probieren hatte er sich wegen gewisser Probleme mit dem Magen schon lange abgewöhnt, so dass er nicht weiter über das Secreto nachdachte. Er musste jetzt auch erst einmal in den Vorratsraum gehen, in dem die diversen Gläser und Behälter lagerten, die sie vor längerer Zeit einmal zum Fermentieren dort abgestellt hatten, weil sie das unbedingt einmal ausprobieren wollten. Mittlerweile hatte sein Chef den Raum aber auch als Abstellkammer für Putz- und Desinfektionsmittel genutzt, und außerdem war es sehr dunkel dort. Günther suchte ein Glas, das dunkel war, weil es ja schließlich um fermentierte dunkle Beeren ging, und fand ein Glas, dass dunkel aussah, aber keine Beschriftung mehr hatte. Er versuchte in dem funzeligen Licht etwas zu erkennen und nahm es dann mit in die Küche.

In der Zwischenzeit sah das Secreto in seinen Augen sehr karamellisiert aus. Er brauchte jetzt also noch den Soja-Dashi-Lack, dessen Zubereitung ihm ebenfalls nicht gleich einfiel. Er nahm also etwas Buchweizenhonig, gab großzügig Sojasauce, recht viel von einer eher dunklen Dashizubereitung dazu und probierte wenig später tatsächlich das Ergebnis. Es erschien ihm nicht süß genug, weshalb er mit Zucker nachhelfen wollte und dabei – wir kennen das schon – kräftig in den Salztopf griff. Mittlerweile mahnte der Chef schon die Fertigstellung an, weshalb Günther den Inhalt des Glases mit den fermentierten schwarzen Beeren nicht mehr genau überprüfen konnte und sofort anrichtete. Es sah nicht schlecht aus: die Scheiben vom Secreto mit sehr kräftiger, dunkler Kruste, die Beeren, die allerdings eher wie über-fermentierte und halb zerfallene Rote Bete aussahen, und der Soja-Dashi-Lack, der wegen seiner ebenfalls sehr dunklen Farbe und leicht sirupartigen Konsistenz irgendwie schon sehr schön süß aussah.

Es kam, wie es kommen musste. Mit hochrotem Kopf stürmte sein Chef – der auch den Service leitete und gerne den großen Zampano gab – mehrmals am Abend mit kaum angerührten Tellern in die Küche zurück. Vor allem das karamellisierte Secreto schien den Gästen heute rein gar nicht zu gefallen. „Ungenießbar“ war da noch das harmloseste Wort.

Und trotzdem wurde der Abend für Günther und seinen Chef zu einem – wenn auch etwas merkwürdigen – Erfolg. Es war schon spät, als sein Chef auf einmal strahlend in die Küche kam. „Günther“, sagte er, „das Secreto ist ein echtes Hammer-Gericht. Da war ein Tester von einem wichtigen Führer im Restaurant und der war ganz begeistert“, erzählte sein Chef, „er habe noch nie so eine interessante Variante von karamellisiertem Secreto gegessen, sozusagen eine Umkehr der Parameter, statt der erwarteten Süße eine große, wirklich wach machende Irritation mit Salz, das klebt wie frisch aus den Salinen.“ Er habe ganz allgemein die mutige Würze der Küche gelobt, und auch beim Fisch die Dekonstruktion voll verstanden, das intelligente Spiel mit den Erwartungen und die undogmatische Rückkehr zu einer direkten, von überzüchteter Kochkunst nicht verstellten Wahrnehmung.

Günther staunte, ruhig, ohne einen Laut.

Als er dann durch die menschenleeren Straßen nach Hause ging, schmunzelte er vor sich hin. „Aha“, dachte er, „so machen die das also.“

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