Hat der Gast das Zeug zum König?

In der Berichterstattung über die „CHEF-SACHE 2019“ für die Deutsche Presse-Agentur stellt Christian Volbracht ein altes Problem wieder in den Mittelpunkt. In der Überschrift des Textes heißt es provokant: „Der Gast ist nicht mehr König“. Und obwohl das Thema im Text erst ganz zum Schluß als Zitat von Marco Müller kenntlich wird, liest man natürlich den gesamten Bericht über das deutlich von einigen Avantgarde-Köchen geprägte Großtreffen im Areal Böhler in Düsseldorf mehr oder weniger unter dem Einfluss dieser Überschrift.

Wenn dann über Max Stiegl vom „Gut Purbach“ und seine Innereien-Küche nebst präsentiertem Pferdekopf berichtet wird, schwingt natürlich die Tendenz mit, dass eine solche kulinarische Provokation dann ja vermutlich gegen den Gast gerichtet sein muss. Wer isst schon Sachen vom Pferd? Oder Biber? – Dass Stiegl bei seiner ganzen Arbeit immer den kulinarischen Traditionen seiner Umgebung sehr nahe ist und im Grunde den „Nose to Tail“ – Ansatz und die neue Sichtweise auf regionale Ressourcen nur in Richtung der Verwendbarkeit diverser Tiere ausweitet, kommt nicht zur Sprache.

Was Marco Müller mit Joel Robuchon zu tun hat
Marco Müller vom „Rutz“ in Berlin wird in einer selbstbewußten Rolle beschrieben, die präzise die Situation für seine Art der Küche begreift.
Zitat Volbracht: „Müller mag sich nicht dem Publikumsgeschmack anpassen. Nur sein eigener Geschmack sei ausschlaggebend. Man könne sich ja vorher informieren, ob einem das Küchenkonzept zusage, sagt er etwas schroff: ‚Der Gast ist nicht mehr der König‘.“ Das erinnert mich zuerst einmal an den handwerklich vollständig unumstrittenen Joel Robuchon (1945–2018), von dem der Satz überliefert ist: „In letzter Instanz ist das Wichtigste, dass ich mit einem Gericht zufrieden bin.“ Gezeichnet wird das Bild von einem Koch, der mit seinen Fähigkeiten, die die des Gastes in aller Regel bei weitem übersteigen, daran arbeitet, Qualitäten zu optimieren oder Neues zu schaffen oder seine individuellen Vorstellungen umzusetzen. Er wird nicht anders können, als darum zu ringen, dass seine eigene Fähigkeiten und Vorstellungen zur Deckung kommen, und das bei einem Höchstmaß an Selbstreflektion (von der wir übrigens so gut wie nie etwas erfahren).

Bürgerliche Küche – Kreative Küche: Die Küchenkonzepte werden klarer, und das ist gut so
Arbeitet ein Koch nicht in dieser Art, oder nimmt er die „Publikumsdimension“ hinzu, ergibt sich eine völlig andere Lage. Ich habe bereits vor längerer Zeit darauf hingewiesen, dass man nicht nur die bürgerliche Küche (um das Wort „gutbürgerlich“ zu vermeiden) von der Gourmetküche unterscheiden kann, sondern auch eine „bürgerliche Gourmetküche“ von einer „kreativen Gourmetküche“. Die beiden Pole haben einen komplett anderen Ansatz, der immer wieder an den Satz von Pablo Picasso zum Unterschied von Handwerker und Künstler denken lässt. Danach macht der Handwerker das, was man verkaufen kann und der Künstler/Kreative verkauft, was er gemacht hat. Marco Müller hat die Position des Kreativen vertreten, der machen will, was ihm richtig erscheint, die Risiken dieser Position am Markt kennt, sie in Kauf nimmt und dann aber auch darauf dringt, dass seine Arbeit als das erkannt wird, was sie ist. Der Gast ist in einem Restaurant mit kreativer Küche nicht in der Rolle zu verlangen, was er an Lieblingsessen auch sonst immer sucht und bekommt. Es geht vielmehr um eine Erfahrung, von der er vorher unter Umständen kaum weiß, welcher Natur sie ist. Wer bei Redzepi vor einigen Jahren am Tisch saß und zappelnd lebende Garnelen zum lebenden Verzehr angeboten bekommen hat (ein etwas extremes Beispiel…), war ziemlich exakt in einer solchen Lage. Der Gast kann auch unter solchen „Umständen“ immer noch wie ein König behandelt werden – ein „König“ in dem Sinne, dass sein Wunsch Befehl ist, ist er dort nicht. Sollte er überhaupt „König“ sein? Hat er überhaupt das Zeug dazu?

Die Gäste verdienen nicht so viel Zucker, wie sie ihn immer bekommen
Es vergeht kaum ein Restaurantbesuch, bei dem ich nicht mehr oder weniger deutlich auf ein Gästeverhalten treffe, das zwischen unmöglichem Benehmen und vollständiger Unkenntnis schwankt. Mein Bild von den Gästen in allen möglichen Bereichen der Gastronomie ist – vorsichtig ausgedrückt – nicht das von Königen, denen man jeden Wunsch erfüllen muss oder sollte. Sie haben sich auch oft in ihrer Gast-König-Rolle eingerichtet und reagieren sehr schnell, wenn sie – wie verwöhnte Kleinkinder – ihre Wünsche nicht erfüllt bekommen. Wendungen wie „auf den Gast und seine Bedürfnisse eingehen“, werden zwar häufig benutzt, halten aber normalerweise selbst minimalen Reflektionen nicht stand. Wenn man sich allein einmal vorstellt, wie relativ und eng und bedingt die kulinarische Sozialisation vieler Leute ausgesehen hat und aussieht, sind sie nur dann ein Gradmesser für die Gastronomie, wenn man auf „Teufel komm heraus“ mit ihnen Umsatz machen will. Das machen die Gastronomie-Discounter aller Art seit vielen Jahren, da braucht man keine Spitzenküche, die in diesem unersprießlichen Sektor auch noch mitmischen will. Nein, der Gast hat selten das Zeug zum König, und die Haltung von Marco Müller ist endlich einmal eine erfrischend klare und offene. Ich weiß, dass viele Köche immer wenn es um das Verhalten von Gästen geht, die Zähne zusammenbeißen und nur ganz selten einmal die Wahrheit sagen. Gerade die Spitzenküche ist in der Lage, ihre Gäste wie Könige zu bedienen und zu verwöhnen (also den gastronomischen Aspekt im engeren Sinne zu bedienen). In dem Moment aber, wo man die Gastrolle nicht mehr nur gastronomisch, sondern auch explizit kulinarisch versteht, betritt man vermintes Gelände, aus dem man kaum ungeschoren herauskommt.

Fotos © Guido Schröder, CHEF-SACHE

2 Gedanken zu „Hat der Gast das Zeug zum König?“

  1. Geschätzter Herr Dollase,

    vielen Dank für Ihre, wie immer, zutreffenden und pointierten Ausführungen.

    Werden auch in diesem Jahr die Videomitschnitte der Chefsache auf youtube hochgeladen?

    Beste Grüße aus Koblenz
    Peter Maier

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  2. mehr köche sollten sich wie marco müller einfach trauen, es nicht jedem und jeder in allem recht machen zu wollen. der fieberhafte wunsch, den gast alles schon vorausschauend an möglichen und unmöglichen begehrlichkeiten überzuerfüllen zieht auf seiten von köchen ( und auch vom service) wahnsinnig viel energie ab, die sich anderweitig sinnvoller und nutzbringender aufwenden liesse.

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