Herr Piège macht sich nützlich

Die Arbeit von Jean-Francois Piège kennt wahrscheinlich jeder Koch – weiß es aber möglicherweise nicht. Diese merkwürdige Lage hat etwas mit Alain Ducasse zu tun, dem Multi-Drei Sterne-Koch, der seit den 80er Jahren nicht mehr selber kocht, weil er „für sich erkannt hat, dass ein anderer Weg für ihn der bessere ist“ (sinngemäß…). Piège hat jahrelang mit Ducasse zusammengearbeitet und war nicht nur dessen Küchenchef im „Plaza Athénée“, sondern vor allem auch der Koch hinter dem „Grand Livre de Cuisine d‘Alain Ducasse“. Weil er bisher für keines seiner eigenen Restaurants drei Sterne bekommen hat, dürfte er immer ein wenig mit dem Lauf der Dinge hadern. Kann er nun drei Sterne oder nicht?

In der Zwischenzeit ist Piège zu einem der aktivsten kulinarischen Autoren des Landes geworden, der zum Beispiel genügend Selbstbewußtsein (und natürlich auch Kenntnisse) besitzt, um ein Monster-Buch wie „La Cuisine Bourgeoise Francaise“ zu schreiben, in dem er die komplette bürgerliche Küche des Landes in einer großen Anzahl von präzisierten und optimierten Rezepten zusammenfasst. Diesen Weg der Vermittlung von großer Kochkunst auf ganz verschiedenen Ebenen geht er nun schon seit einer Reihe von Jahren und arbeitet dabei immer gut und seriös. Wir haben da keinen vergleichbaren Koch vorzuweisen, weil etwa Tim Raue nicht so sehr mit Büchern arbeitet, und sich unsere Drei Sterne-Köche weitgehend zurückhalten. Hier nun erst einmal der Titel:

Jean-Francois Piège: Zéro Viande – Zéro Poisson. 50 Recettes végetales et gourmandes. Hachette Livre/Hachette Cuisine, Paris 2022. 201 S., geb., Hardcover, 29.95 Euro (in französischer Sprache)

Vorab fällt erst einmal auf, dass im Titel weder von vegetarischer noch von veganer Küche die Rede ist. Allgemein hält man sich – zumindest bei den besten französischen Köchen – in Frankreich sehr mit solchen Zuschreibungen zurück und sieht gar nicht ein, warum an ein Gericht ohne Fleisch das Schild „vegetarisch“ geklebt werden sollte. Piège macht hier Gerichte ohne Fleisch und ohne Fisch. Punkt. Insofern heißt es dann auch „cuisine vegetal“, was eben eher „Gemüseküche“ und nicht „vegetarische Küche“ bedeutet.

Das Buch
Die Unterteilung des Buches ist ungewöhnlich. Kapitel 1 hat die Überschrift „Les Cuissons“ (die Garungen), Kapitel 2 „Die Klassiker“, Kapitel 3 „Die Saucen“ und Kapitel 4 „Die Kreationen“. Bei den Garungen geht es jeweils um eine Technik, die anhand eines Beispiels illustriert wird. Dabei zeig sich, dass die klassisch-französische Küche auch ohne größere Mengen von Nova Regio – Techniken allerlei aufzuweisen hat. Es geht z.B. um die Garung „à l’anglaise“ (Beispiel: grüne Bohnen), um sautierte Gemüse (Beispiel: Spinat), geschmorte Gemüse (Beispiel: Paprika), Garung im Heu (Beispiel: Sellerie), mit Lehmkruste (Beispiel: Fenchel) oder unter einer Reiskruste (Beispiel: Spargel). Dazu gibt es jeweils verschiedene Fotos und Step-by-Step-Bilder der Zubereitung.

Die „Klassiker“ sind u.a. eine Velouté von Blumenkohl, das Kartoffelpüree nach Art von Piège (Proportionen: 1 kg Kartoffeln, 25 cl Vollmilch, 500 gr. Butter), geschmorte Endivien, Ratatouille oder eine Pizza von Kichererbsen. – Bei den Saucen werden nur 4 vorgestellt, und zwar eine Parmesancrème, eine Rote Bete-Mayonnaise, eine Heubutter (Beurre de Foin) und die sehr nützliche Sauce Soubise.

Ab Seite 121 geht es an die Kreationen, die in vielen Fällen Klassiker der Kochkunst sind, die aber hier ohne Fisch oder Fleisch realisiert bzw. kopiert werden. So gibt es zum Beispiel Rillettes ohne Fisch und Fleisch (auf der Basis von Romanesco), Kürbis im Stil von Räucherlachs, Chicoree nach Art einer Forelle à la Grenobloise, ein Steak Tatar auf der Basis von Rote Bete, ein Boeuf Stroganoff mit Navets, eine Tourte (also mit Blätterteighaube), den klassischen Chou farci, ein vegetarisches Blanquette de veau, eine Daube provencale ohne Fleisch oder sogar die Quenelles de Brochet ohne Fisch.

Das Alles macht Piège in einer Art und Weise, die eben nicht – wie es oft die Industrie tut – auf Teufel komm heraus eine Kopie der Fleisch – oder Fischgerichte anstrebt. Schon nach der Lektüre der ersten Rezepte seiner „Kreationen“ hat man den Eindruck, als ob er sich für seine Gemüsegerichte von klassischen Fisch- und Fleischgerichten eher anregen lässt. Auf diese Weise schafft er sehr interessante Varianten und keine krampfigen Kopien, und am Ende steht man da und findet das einfach nur eine gute Gemüseküche, die ein geschmackliches Spektrum nutzt, das üblicherweise bei vielen Gemüsegerichten der neueren Art verlorengegangen ist. Und das wirkt dann eben durchaus innovativ.

Kochtechnisch gibt es glasklare und effektive Reduktionen. Als einer der wenigen „Meister aller Klassen“ ist Piège in der Lage, mit präziser Technik gute Ergebnisse anzusteuern. Es gibt wenig Text, aber immer genug Step-by-Step-Bilder, und immer wieder kommt man zu dem Schluss, dass sei doch irgendwie einfach, aber genial.

Fazit
Wegen der Wendung hin zu einer von der Klassik inspirierten Gemüseküche und der professionellen Machart ist das Buch ein Ausbund an praktischem Nutzen. Hier geht es nicht um einen bekannten Koch, der irgendwie noch ein bisschen mehr Geld verdienen will, sondern um eine Küche mit großem praktischen Nutzen für den täglichen Gebrauch. Und weil hier auch nicht einfach Alles irgendwie zusammengeworfen wird, sondern gleichzeitig präzise Kochtechnik gelehrt und präzise Geschmacksbilder erzeugt werden, gehört das Buch in die Oberklasse praktischer Handreichungen.

Das Buch bekommt 2 grüne B

Fotos: Hachette/Charly Deslandes

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