Hier fühlt der Gast // Gastro-Beobachtungen

Heute: Paul bricht eine Lanze für Prominenz, die kocht

Vor ein paar Jahren schrieb der Spiegel in einem offenen Brief an Alfons Schuhbeck: „Sie haben es geschafft, aus dieser Butterbrot- und Rollmops-Nation eine Art kulinarische Luftnummer zu formen, in der Menschen den Ton angeben, die ein Lamm vernünftig zubereiten können.“ Und in der Tat gibt es derer vieler, die uns Hobbyköche und Vielesser im TV beglücken – und, wie es im Entertainment so ist – es gibt für jeden einen „eigenen“ TV-Koch: Oma mag den grantelnden Bayern, Tochter den hyperaktiven Hamburger und das Eheweib den unrasierten Österreicher. Aber – und die Frage stellt man sich oft: Können die auch im echten Leben abliefern? Oder sind die einfach als Typ geil und berühmt?

So verschlägt es mich in eine große Hansestadt und nach einigen Anläufen gelingt es mir doch tatsächlich einen Tisch in einem hippen Trendlokal eben eines dieser Promi-Fernseh-Koch-Stars zu bekommen. (Namen sind Schall und Rauch, darauf mag ich hier verzichten – aber die Wahrscheinlichkeit, dass der geneigte Leser sich denken kann wo ich gelandet bin, wird sich wohl im weiteren Verlauf erschließen.)

Meine ersten Anläufe, einen Tisch um 19:00 Uhr zu buchen, wurden mit der freundlichen, aber durchaus bestimmten Ansage gekontert: „Sie haben den Tisch bis 20:30 Uhr“. So etwas führt zu Trotzreaktionen meinerseits. Erst ein, zwei Jahre später kam ich auf die überwältigende Idee, doch dann um 20:30 Uhr einen Tisch zu ordern – und siehe da, es funktionierte. Also, rein in die hippe, trendige Location. Reichlich originell-kitschige Deko, laute Musik – viele junge Menschen – eine quirlige Atmosphäre, na ja – ob das ein gemütlicher Abend wird?

Wir werden zum Tisch geleitet. Freundlich, aber hanseatisch bestimmt, wird uns ein Tisch am Rande des Geschehens zugeteilt – ganz in meinem Sinne. Offenbar um Komplikationen in der Ansprache zu vermeiden, nutzt der freundliche Kellner direkt das „Du“ – ist ok, da fühlt man sich direkt etwas jünger, und es passt ja auch irgendwie dazu, dass man sich selbst auch ein wenig hipp fühlen möchte. Lässig wird die schick gestaltete Karte gereicht – und auf das hauseigene Bier hingewiesen. Passend für die Location, in der ich mit einem Champagner als Aperitif falsch fühlen würde. „Nach Wasser frag ich besser mal nicht“, sinniert der Kellner, „… im Bier ist ja schon Wasser drin, das passt doch Jungs – oder?“. Okay, wo er recht hat.

Ein Blick in die Karte erstaunt mich: tolle Gerichte mit lokaler bzw. regionaler Prägung. Kein Standard-Einerlei, sondern reelle Kost für die hippe Zielgruppe. Der Promikoch traut sich sogar Innereien anzubieten. Das nenn ich Chuzpe. Auf der Karte finden sich verschiedene Leckereien kaltgeräucherter Saibling, hausgemachte Pastrami, cremige Burata, Rinder-Tatar – eine Vorspeisenkombination – selbst ein Senf-Ei ist zu finden. Herrlich. Auch die Hauptgänge können sich sehen lassen: Rind, als Entrecote oder Filet, aus Norddeutschland, Fisch und zahlreiche Dry-Aged-Optionen. Aber auch Hausmannskost. Die Zusammenstellung der Karte ist ein Statement: Wir sind hier im Norden – und wir haben gutes Futter! Gut, etwas Fleisch aus fremden Gestaden sei dem Umstand zugestanden, dass es sich für ein Grillhouse schickt, verschiedene Geschmäcker anzubieten – aber selbst die regionalen Angebote lesen sich hervorragend. Auch die Getränkekarte lässt keine Wünsche offen – gescheite Weine zu reellen Preisen.

Kaum ist der Service mit den Bieren wieder am Tisch, wird noch rasch das Tagesangebot angepriesen und mit der Ankündigung in fünf Minuten zurück zu sein, verlässt uns der flotte Kellner wieder. Nah, aber nicht zu nah, neben uns am Tisch ordert ein Pärchen, dass sich offenbar über eine Online-Datingplattform kennengelernt hat, das Überraschungsmenü. Also praktisch ein kulinarisches Blinddate – irgendwie passend. Wir ordern als Vorspeise Tatar und Pastrami (laut Karte: „Sandwich offen, anders, geil und mit neuen Komponenten“) – als Hauptgang Beef-Rips und ein einfaches Rinderfilet. Zeitgleich wird uns Brot (Ox-Brot) und ein recht labbriger, grüner Kräuter-Quark auf den Tisch gestellt. Na ja, ein schönes Natursauerteig-Brot – aber was soll der Quark? Hier wären Butter und etwas Salz die bessere Wahl. Wir bleiben beim Bier – ein Lager aus der Region – aufbereitet für das Restaurant (Ich muss ja zugeben: bei späteren Besuchen habe ich die Weinkarte getestet – auch lecker – aber einen eigenen Beitrag wert).

Trotz der mitunter etwas krakeligen Musik fühlen wir uns wohl – und wundern uns, wie die knapp acht Köpfe starke Service-Crew die 130 Gäste bewirtet. Oft bleibt man stehen, plaudert frisch und frech – und siehe da: Selbst der Herr Promikoch sitzt an der Theke und parliert mit den Gästen. Irgendwie ist man hier wohl auch Teil einer Performance – der Gast wird fast spielerisch bedient. „Homystyle“ – könnte man meinen. Die Vorspeisen begeistern – das Tatar ist hervorragend abgeschmeckt – die Pastrami überzeugt. Sie kommt auf getoastetem Brioche daher mit Apfel-Sellerie-Salat – ein wirkliches Geschmackserlebnis. Hätte ich nicht erwartet. Das Essen ist attraktiv aber ohne Chichi angerichtet – die Größe der Portionen erstaunlich, wenn man den Preis bedenkt. Auch dem Nebentisch scheint es zu schmecken. 130 Gäste können eine Menge Lärm machen und trotzdem hat hier jeder Tisch „seine“ Gesprächsinsel – erstaunlich. Und trotz der Größe des Raumes kommt zu keiner Zeit ein Kantinen-Gefühl auf – das Konzept passt.

Die (leeren) Teller verlassen unseren Tisch – am Nachbartisch fließen Tränen. Offenbar hat die Dame nicht mit der geschmorten Darbietung eines probaten, haushaltsüblichen Kleinnagers gerechnet – der Kellner merkt dies nach einigen Sekunden und offeriert sofort eine Alternative. Mein Begleiter raunt mir zu: „Na das kann dauern…“ – der Herr am Nebentisch lässt sich nicht beirren und langt schon mal kräftig zu. Keine zwei Minuten später präsentiert der freundliche Kellner der Dame geschmorte Ochsenbäckchen auf „Stampf“. Kompliment – und das bei einem vollen Laden. Aber, so unsere internen Vermutungen, mit seinem vorschnellen Zulangen hat sich unser männlicher Tischnachbar die Grundlage für eine einsame Nacht erarbeitet. Unser Hauptgang erreicht unseren Tisch und wir sind baff – ein Holzbrett mit einem gescheiten (passenderweise per Magnet auf dem Brett gehaltenen) Messer präsentiert uns das regionale Rinderfilet bzw. die ausgelösten Beef-Rips. Begleitet von diversen Schälchen mit Beilagen, sowie einer delikaten Barbecue-Sauce und Sauce Choron hat man ein handfestes Abendessen. Um ehrlich zu sein: nein, kein Fine-Dining, aber verdammt nah dran – und mit definitiv mehr Spaß für alle. Statt Dessert wechseln wir an die Theke. Der Promikoch ist auch da – aber ins Gespräch vertieft. Ein freundliches Nicken ist aber drin – und wir degustieren fröhlich die verschiedenen Brände. Zwischendrin darf es dann noch ein Gläschen Cuvée sein. Natürlich auch „gebrandet“ – aber ein solider Wein aus Weißburgunder und Chardonnay. Insgesamt wird der Gast aber gerne stets daran erinnert, wo er gerade ist und welche Produkte des Herrn Promikochs auch mit nach Hause nehmen könnte. Vielleicht ein wenig zu viel …

Ich gebe zu: Das habe ich so nicht erwartet. Ja, hier wird Geld verdient – um 18:30 Uhr kommen die Touristen, um 20:30 Uhr lokale Gäste. Ja, hier wird in großen Portionen gerechnet und wer Hummer und Co. sucht wird hier fehl am Platz sein – aber alles was hier angeboten wird ist reell und vor allem: erschwinglich. Wer mit dem Service plaudern will, wird „bespaßt“ – wer für sich alleine sein möchte, professionell bedient. Und dies bei all dem Trubel. Und mittendrin – der Promikoch. Nicht mit einer großen Klappe, nicht auf Honneurs-Pirsch – sondern einfach an der Theke. Ein toller Abend – und da kommt mir wieder der Spiegel in den Sinn, der 2011 prognostizierte: „Und je weniger man Sie ernst nehmen kann, desto weniger will man Sie sehen. […] Es wird eine Kochbereinigung stattfinden. Die Schaumwelle, auf der Sie in unser Leben geritten kamen, wird Sie langsam wieder hinaustragen, dorthin, wo der Pfeffer wächst.“ Zumindest hier, in dem Laden der bald sein 10-Jähriges Jubiläum feiert, ist von einer Schaumwelle nichts zu merken. Alles sehr reell, bodenständig – man fühlt sich animiert und als Gast ernstgenommen, nicht nur als „Bezahler“.

Und ja, der Promikoch macht Geld mit allem, was er tut – aber will man das jemanden zum Vorwurf machen? Genau dieser Koch hat nie Sterneküche versprochen – sondern solide Kost mit guten Zutaten. Kochen, Essen und Trinken – mit allen Sinnen genießen ist nicht nur Sinnesfreude, sondern auch Entertainment. Und – zumindest in diesem Fall – tritt da ein Promikoch den Beweis an, dass er liefern kann. An jedem Tag der Woche – an fast 360 Tagen im Jahr. Happy feeling possible.

Wer ist Paul?
Paul ist Hobbykoch, passionierter Genießer und ein ganz passabler Trinker. Daher liebt er gute Restaurants, einen engagierten Service, sehr gutes Essen und Alkoholika jeder Art – in beliebigen Mengen. Dabei ist Paul gerne das Beste grad gut genug. Beruflich ist unser Beobachter an über 150 Tagen im Jahr unterwegs – in guten Hotels, in Sterne-Restaurants, Tavernen, Gasthäusern und Lounges rund um den Globus. Nur eines mag der Paul nicht: Wenn Preis-Leistung und das Marketingversprechen nicht im Einklang sind. Und: Unfairness. Daher verzichtet Paul auf die Nennung der jeweiligen Lokalität und darauf, jemanden „in die Pfanne zu hauen“. Kritische Geister, die bezweifeln, dass Paul vor Ort war, können gerne einen Blick auf den jeweiligen Rechnungsbeleg werfen – denn unser Paul zahlt immer selbst.

1 Gedanke zu „Hier fühlt der Gast // Gastro-Beobachtungen“

  1. Ein weiteres ma(h)l sehr erfrischend geschrieben..und die notwenigen gastronomischen Übungen, zwei mal am Abend Tische zu verkaufen einfühlsam beschrieben…
    Da kann auch ein Bulle in seinem Stall zufrieden drein blicken.

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