In der ZEIT ist Zeit für Lidl, in den Gehirnen aber wohl nicht mehr genug Platz für Kulinarisches. Eher eine Glosse

In der aktuellen Ausgabe der Zeit findet sich eine ganzseitige Anzeige des Discounters Lidl.Es ist natürlich bei weitem nicht die erste in einer überregionalen Zeitung. Trotzdem brachte mich die Anzeige wieder einmal dazu, über das Programm der Discounter und sein Publikum nachzudenken. Hier aber erst einmal die Anzeige.

 

 

Erster Punkt: Eine kleine Irritation

Als erstes hatte ich zwei gleichzeitige, etwas irritierende Gedanken. Einerseits habe ich mich gewundert, dass in einer der großen Zeitung der Intellektuellen- und Intellektuellen-Kultur (was ein großer Unterschied zur Kultur insgesamt ist, die ja vielen Intellektuellen in weiten Teilen fremd ist) ein Discounter eine ganzseitige Anzeige schaltet, die dann zu allem Überfluß nicht etwa Toilettenpapier, Waschmittel, Zahnpasta und TK-Pizza, sondern dem Parmesan gewidmet ist. „Entspannt schlemmen mit Deluxe“ heißt es da, also mit der „Gourmet“ – Serie, die man bei Lidl immer vor ess-relevanten Feiertagen wie Ostern und Weihnachten anbietet. Kaum assoziiert, muss ich gleich wieder schmunzeln: hatte ich wirklich gedacht, dass das Publikum der ZEIT etwas mit gutem Essen zu tun hat? Man scheint – wenn man wie ich seine erste „ZEIT“ vor mehr als 55 Jahren gelesen hat – einfach nicht loszuwerden, dass Denken und Vernunft und ein gleichmäßiges Durchdringen aller Lebensbereiche mit dem Sinn für Gutes irgendwie mit Intelligenz und Intellektualität zusammenhängen.

Der zweite Gedanke galt der Tatsache, dass man bei Lidl so offensichtlich auf einen ganz bestimmten Punkt zielt. Man glaubt doch wohl, dass die Leser der Zeit mit einem günstigen Angebot für Parmigiano Reggiano, der zudem noch „mindestens 30 Monate gereift“ ist (…ähhh…wieso weiß man das nicht genau?…) zu erreichen sind. Das wiederum sehe ich natürlich genauso. Ich habe schon immer Witze mit dem „Aldi A6“ gemacht, und zwar wegen der jederzeit zu verifizierenden Feststellung, dass die Discounter mitnichten nur Alkoholikern und Süßigkeiten-Junkies günstige Getränke anbieten können, sondern offensichtlich auch eine bestimmte Art von Mittelklasse mitten ins Herz treffen. Um es einmal etwas knapper zusammenzufassen: ich meine jene Mittelklasse, die beim Essen spart, im Zweifel Haus und Auto etwas größer gestaltet, mit dem Bewußtsein durch die Gegend läuft, man sei etwas Besseres und natürlich ständig davon redet, in welches Gourmetrestaurant man demnächst zu gehen beabsichtigt, dass man sich in der Bretagne ein Ferienhaus kaufen wolle, vielleicht ein Appartement in Paris – wenn man es sich denn leisten kann, weil doch Sohn und Tochter so wahnsinnig viel Geld bei ihren Studien im Ausland verbrauchen. Unnötig zu sagen, dass man quasi nie in ein besseres Restaurant geht und aus den Ferienhäusern und ähnlichen Aktivitäten noch nie etwas geworden ist.

 

 Zweiter Punkt: Bei Lidl weiß man, was man tut

Natürlich weiß man bei Lidl, was man tut. Wenn der Parmesan erst einmal ausgepackt ist (was auch für eine ganze Reihe anderer Produkte gilt) ist er einfach nur Parmesan und kann unter Umständen als kostbares Stück reüssieren. Die Deluxe-Serie – das war mir schon immer klar – zielt eben nicht auf Aufsteiger, die mal etwas Besseres probieren wollen, sondern auf die kulinarischen Namedropper der Putativ-Oberschicht, die doch tatsächlich beim puren Einkauf von Lebensmitteln schon ein Imageproblem haben. Bei Lidl hat man das genau im Blick und verstärkt die Kundenbindung in dieser Klasse noch einmal ganz besonders: jetzt sorgt der Discounter nicht nur für Geldersparnis, sondern auch noch dafür, dass man sein nicht vorhandenes Gesicht wahren kann! Was will man mehr?

Aber warum gib es nur den Parmesan? Ich kenne einen großen Teil des Deluxe-Angebotes und muss sagen, dass es zwar deutlich besseren Parmesan gib und man den Stücken die „mindestens 30 Monate“ wirklich nicht unbedingt anmerkt – zum Beispiel weil sie oft reichlich feucht und erstaunlich gut erhalten (um das Wort „jugendlich“! zu vermeiden) aus der Packung kommen. Und trotzdem: man kann mit diesem Käse arbeiten, als Topping auf mediterranen Gerichten oder als Späne, die irgendwo als Würze einsetzt. Ohne mich ganz genau festlegen zu wollen habe ich allerdings den Eindruck, dass sich diese im weitesten Sinne brauchbare Qualität nur beim Parmesan, nicht aber bei den anderen Stücken findet. Und weil man vermutlich bei Lidl ebenfalls vage vermutet hat, dass die Leser der ZEIT vielleicht doch irgendwie Gourmets sind, hat man sicherheitshalber nur den Parmesan angeboten.

 

Dritter Punkt: Ist doch prima!

Leider haben viele wirklich gut gebildete Gourmets oft eine pädagogische Ader: sie wollen einfach, dass auch andere Leute Gourmets werden und sich an den schönen Dingen beim Essen erfreuen. Manchmal wollen sie das sogar wirklich, und das ganz uneigennützig – oder zumindest zum Teil, weil im Hintergrund ja irgendwo lauert, dass man als Gourmet für ein gutes Warenangebot leider auch immer möglichst viele Mistreiter braucht. Im Krieg gegen die Vermassung des Angebotes und immer banalere, industriell überwürzte Nahrungsmittel werden solche Kunden vielleicht zum Flakhelfer der Gourmandise (ich entschuldige mich für diesen Vergleich). Lidl zieht neue Kunden mit besseren Produkten, und am Ende des Tages gibt es vielleicht bei Lidl, Aldi, Plus und Netto eine Gourmetecke, wo selbst die Weine von 3,99 Euro zumindest so ähnlich schmecken wie die von 29.99 Euro, die die Idioten kaufen, die nicht wissen, dass man – wenn man sich nur damit beschäftigt – echt gute Sachen auch für 3.99 Euro bekommt (sind mir das jetzt die Gäule durchgegangen?).

Da wird dann das scheinbare Vordringen der Gourmandise in den Massenmarkt zum Trojanischen Pferd. Weil man – na gut, mit minimalen Abstrichen, die aber sowieso keiner mitbekommt – die guten Sachen auch viel billiger bekommt, wird der Platz für das richtig Gute immer enger. Es wird aus der Gesellschaft gedrängt, zum reinen Sonderinteresse, so wie Kaviar und Co. Ich habe mich immer gefragt, warum die Discounter nicht die richtig guten Sachen irgendwie billiger machen können, warum es keine Deals gibt, die so etwas schaffen. Statt dessen versucht man so etwas Ähnliches wie Fälschereien, sucht Als-Ob-Produkte, bei denen ausreicht, was auf der Packung steht. In den 80er Jahren hatte ich einmal eine Phase, da bin ich von Plus zu Plus gefahren, weil man dort einen 83er Chateau Citran verkauft hat, den ich ganz wunderbar und preislich (irgendwo knapp unter 10 Mark) völlig sensationell fand. Gut, damals hatten solche Cru Bourgeoise noch Charakter und waren noch nicht von Asiaten aufgekauft, bei denen dann auch oft reicht, was draufsteht (Citran heute ist nicht der Rede wert). Aber – nur so als Beispiel. Das hat uns viel Freude gemacht, man hat uns mit etwas vertraut gemacht, das wir nicht kannten und das überraschend gut war.

Aber – irgendwie passt die Sache mit Lidl und der ZEIT ja zusammen. Die gedankliche Abstinenz dieses Magazins im kulinarischen Bereich ist ja längst legendär. Wahrscheinlich ist in den Gehirnen kein Platz mehr – nehme ich jetzt mal zu Gunsten der ZEIT-Leser an…In der

6 Gedanken zu „In der ZEIT ist Zeit für Lidl, in den Gehirnen aber wohl nicht mehr genug Platz für Kulinarisches. Eher eine Glosse“

  1. Ich finde: Lidl passt zur ZEIT wie Arsch auf Eimer.
    Wenn man vor 40, 50 Jahren den Theo-Sommer-Sumpf der vorderen Seiten schnell verließ, tat sich im Feuilleton wenigstens oft eine anregende Debattenkultur auf. Die aber findet heute woanders statt, wenngleich nicht mehr mit dem Momentum (Schwung x Gewicht).
    Dass Frau Raether nun ihr Produkt aus Unwissenheit und Gerissenheit auf dem „Wochenmarkt“ anbietet, zeigt nur, für welche Deppen die ZEIT ihre Leser hält. Offenbar zu Recht, wie ich bei Stichproben im Jahresabstand feststelle, getreu des Pennälerspruchs beim Wiedersehen: „Na, immer noch doof?!“

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  2. Es ist wie es ist. Lieber Herr Dollase, warum so viele Worte? Wenn überall so viel gelogen und geheuchelt wird (WM…), warum nicht auch hier? Mundus vult dissipandi, pecunia non… Das Angebot von Lidl ist in den Basics häufig gut – längst nicht mehr so billig, wie die tun, aber bitte – diese gefakte Festtagsvöllerei geht uns eh am DIngs vorbei – wir feiern kein Weihnachten mehr. Wenn ich als Fachmann seit Juni die Artikel in den Marketingpräsenzen weltweit lese, wie man mit jedem noch so schäbigen Trick on- und offline den Kunden irgendwie auch noch die letzte Mücke aus dem Pelz zieht, vergeht mir die Lust. Wir werden am Heiligabend in Den Haag sein und in einem kleinen, uns bekannten Restaurant eine phantastische Rijstaafel essen. Lidl? Kein Bedarf. Wobei Sie recht haben, warum müssen die so viel faken und nicht die wirklich gescheiten Dinge anbieten? Falsche Core Group wahrscheinlich. Frohe Festtage.

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    • Der Rijsttafel bleibt spannend und unverändert geschmackvoll. Mit Garoeda einer der bekanntesten und gleichzeitig berühmt für ”Politiker-Essen”. Den Haag war und ist der Stadt weiterhin für solchen Leckereien.

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