Interview mit Thomas Ruhl dem Gründer der „Chefsache“, dem seit über 8 Jahren Maßstäbe setzenden internationalen Küche-Symposium.

Das Interview haben wir in Oslo, anlässlich eines Besuchs im Drei-Sterne-Restaurant „Maaemo“ geführt. Koch Esben Holmboe Bang kommt am 17. und 18. September ebenfalls zur „Chefsache“ nach Düsseldorf

Frage Jürgen Dollase: Nach den „The World’s 50 Best Restaurants“ in New York im letzten Jahr musste ich schmunzeln, weil ich fast alle der Top 10 – Köche schon bei der Chefsache getroffen hatte. Hattest Du da einen guten Riecher, oder sind die Köche an der Spitze der Liste, weil sie bei der Chefsache waren?

Thomas Ruhl: Ich glaube Beides ist richtig, es gibt da schon Zusammenhänge. René Redzepi z.B. war als damalige Nummer 2 bei der Chefsache und hat dann davon profitiert, dass ihn dort alle deutschen Voter gesehen haben und danach die Leute wählen, die ihnen auf der Bühne gefallen haben. Danach war er dann die Nummer 1.
Wir „casten“ – also beobachten – die Spitzenküche weltweit, sehen, was international passiert, wer am kreativen Front-End steht und die kulinarische Entwicklung gerade am deutlichsten vorantreibt. Dann besuchen wir die Köche, machen eine Geschichte mit ihnen und fragen sie erst dann, ob sie auf die Chefsache kommen wollen. Wir kennen sie also alle vorher und arbeiten nicht irgendeine Liste von oben nach unten ab.

Ist es richtig, dass viele internationale Köche anlässlich der Chefsache zum ersten Mal deutschen Boden betreten? Würden sie nicht nach Deutschland kommen, wenn es eine solche Institution nicht gäbe?

Ja, das ist richtig. Wir sind es, die sie nach Deutschland holen. Deutschland ist nicht unbedingt im Focus der internationalen Gastronomie oder der internationalen Gastro-Journalisten. Sie kommen wegen der „Chefsache“. Mittlerweile hat die Chefsache aber auch international einen sehr guten Ruf. Massimo Bottura und René Redzepi haben z.B. gesagt, dass die Chefsache das am besten organisierte und funktionierende Köche-Symposium auf der Welt ist.

Wie ist die Idee entstanden? Es gab ja in den frühen 2000er Jahren in Spanien „Lo mejor de la gastronomia“ in San Sebastian oder „Madrid Fusion“. Kommt die Idee von daher?

Nein, eigentlich nicht. Die Idee kam aus der Branche und aus der Erkenntnis heraus, dass die deutsche Gastronomie international unterrepräsentiert ist. Wir hatten sehr gute Köche, die aber international überhaupt nicht bekannt waren. Es wurde viel diskutiert, was man da machen könne. Wir haben die Sache dann in die Hand genommen und haben gesagt, wir gründen jetzt ein Forum, um eine Verbesserung der Situation der deutschen Gastronomie zu schaffen.

Das erinnert mich daran, dass ich damals noch von den Veranstaltern von „Lo mejor de la gastronomia“, wo ich schon vorher gewesen war, die Frage gestellt bekam, wen ich denn von den deutschen Köchen für ihren Kongress empfehlen könnte. Ich habe dann als ersten Koch Joachim Wissler vermittelt. Ein Jahr später gab es dann eine ganze Präsentation mit verschiedenen deutschen Köchen, die dann auch ein Menü gekocht haben.

Bei der ersten Chefsache vor acht Jahren in Hamburg waren die deutschen Superstars wie Amador, Elverfeld, Bühner und Henkel zum ersten Mal auf einer großen Bühne und tatsächlich noch entsprechend nervös. Sie haben ja mit dir auf der Bühne ein Interview gemacht und verhielten sich noch ziemlich – na ja – unprofessionell. Auch diese Köche haben dann in den nächsten Jahren durch ihre Auftritte auf der Chefsache eine ganz erhebliche Entwicklung gemacht – bis hin zur Teilnahme an vielen internationalen Präsentationen.

Ich möchte einmal ein wenig aus dem Nähkästchen plaudern. Ich verstehe mich als Moderator ja nur so, dass ich dafür zu sorgen habe, dass die Köche sich so gut wie möglich präsentieren können. Aber – wir haben da tatsächlich manchmal mit viel Anspannung zu tun. Selbst Köche, von denen man das gar nicht annehmen würde, sagen manchmal: „Oh Gott, ich bin furchtbar nervös“.

Ja, man muss sich in dieser ungewohnten Rolle auf der Bühne erst entwickeln. Man kann aber auch wichtige Kontakte herstellen. Wir wollen gerade jüngeren Köchen, die nicht das Geld haben viel zu reisen, ermöglichen, die besten Köche aus aller Welt zu sehen, aus Australien, z.B. Grant Achatz aus den USA, Virgilio Martinez aus Südamerika, oder Narisawa und andere aus Asien.

Gibt es da eigentlich Stars, die besser bezahlt werden als die anderen, und wie ist das überhaupt mit dem Geld?

Nein. Die Leute die auf der Bühne sind, bekommen alle die gleiche Aufwandsentschädigung. Die meisten wollen das noch nicht einmal und spenden es dann oft – z.B. für Karten für Nachwuchsköche oder Leute aus ihrer Brigade. Ansonsten ist die Finanzierung schwierig, eine solche Veranstaltung kostet unglaublich viel. Man macht das nicht, um damit Geld zu verdienen, sondern aus Liebe zur Sache. Mit einer schwarzen Null sind wir immer sehr zufrieden.

Gibt es internationale Stars unter den Köchen, die sich der Sache grundsätzlich verweigern?

Nein, das haben wir bisher noch nicht erlebt.

Es ist so etwas wie „Szene für Szene“. Ich hatte einmal in der Garderobe ein paar prominente TV-Journalisten, die irgendwann einmal den Kopf schüttelten und sagten: „Das sind doch alles internationale Superstars, die da völlig entspannt zusammenstehen und sich völlig normal benehmen! Das kennen wir aber aus anderen Bereichen mit anderen Promis ganz anders.“

Hinter der Bühne ist man natürlich unter sich. Viele kommen auch zu uns, um ihre internationalen Kollegen zu treffen und sich auszutauschen, auch voneinander zu lernen. Auf der Bühne macht man das für die Besucher, hinter der Bühne spielt sich aber ebenfalls eine Menge an Verabredungen und Planungen ab. Man lädt sich z.B. gegenseitig zu Events oder Veranstaltungen ein.

Als Pionier der Präsentation vieler Köche, die ja teilweise wirklich spektakuläre Vorführungen bieten – wie z.B. Stefan Wiesner, Massimo Bottura oder Grant Achatz – hast Du immer wieder große Momente erlebt. Welche haben Dich am meisten beeindruckt?

Der erste Auftritt von René Redzepi in Köln war schon ein ganz besonderer Moment. Damals war das Thema vegetarische Küche usw. noch überhaupt nicht angesagt. Und dann kam er z.B. mit seinen „shitty Carrots“, die er aus der Miete von irgendeinem Bauern geholt hatte und erzählte, was für phantastische Sachen man damit machen kann. Und dass man mit Gemüse genau so sorgfältig umgehen kann wie mit Fisch und Fleisch. Da saßen 1500 Leute mit offenem Mund vor der Bühne und staunten. Das war einer der großen Momente. Natürlich auch Massimo Bottura. Der ist immer hervorragend. Aber auch viele deutsche Köche. Mich hat z.B. der Patissier Christian Hümbs sehr beeindruckt, weil er so konzentriert und detailliert über seine Arbeit nachdenkt. Für mich war auch das eines der vielen Highlights.

Die Chefsache ist immer sehr nahe an der Materie. Es geht um die Kochkunst, um gute Produkte, um eine gute Vernetzung etc. Es fällt auf, dass es hier keine Köche wie manche TV-Köche gibt, die nicht über ein hervorragendes kulinarisches Können verfügen. Ist das Politik?

Ja, das ist Politik. Es ist aber nicht so, dass wir TV-Köche per se ausgrenzen. Aber wir wollen einfach Köche auf der Bühne haben, die am kreativen Front-End des Marktes arbeiten. Und dazu gehören die TV-Köche nun einmal meistens nicht. Sie haben eine ganz andere Zielgruppe. Unsere Hauptbühne ist übrigens mit Absicht ganz neutrale „Redaktion“. Sie ist niemals belastet durch irgendwelche populistische Aktionen, auch nicht durch zu stark ablenkende Werbeaktionen.

Geht es auch bei den ausstellenden Produzenten ähnlich wie bei den Köchen um einen eher handwerklichen Anspruch? Um Manufakturen mit den besonders guten Dingen, die man nicht im üblichen Handel finden kann? Nicht aber um die Art von Handel, die nur mit den Ideen der Kreativen Geschäfte macht?

Natürlich haben die großen Massenproduzenten mehr Geld, aber das ist nicht das, was die Chefsache ausmacht. Außerdem haben auch die Leute, die zur Chefsache kommen, mit diesen Vermarktern oft ein Problem, weil ihr Angebot z.B. nicht immer ihren Qualitätsvorstellungen entspricht.

In anderen Bereichen, wie etwa der Kunst oder dem Antiquitätenhandel, werden qualitativ hochstehende Veranstaltungen regelmäßig akribisch von den großen Zeitungen und den Feuilletons begleitet. Wieso ist das in der Kochkunst immer noch nicht der Fall?

Man muss einfach sagen, dass die Kochkunst in Deutschland noch nicht wirklich angekommen ist. Sie hat noch nicht den Stellenwert, den sie haben sollte. Wenn man z.B. nach Spanien geht, sind die Köche Superstars, die jeder kennt und auf der Straße grüßt und mit denen es eine ganze Reihe von Verknüpfungen mit der öffentlichen Hand gibt. Wir haben durch die Chefsache sicherlich eine Menge verbessert. Aber es bleibt noch viel zu tun.

Die Chefsache hat sehr viele Nachahmer, eine ganze Reihe von Organisationen und Veranstaltern, die in irgendeiner Form so etwas Ähnliches machen wollen. Diese Veranstaltungen sind oft sehr unterschiedlich kommerzialisiert und in der Regel bei weitem nicht auf dem Niveau der Chefsache. Für mich machen diese Veranstaltungen eigentlich wenig Sinn. Wird da etwas Grundlegendes missverstanden?
Ist ein Koch, der irgendetwas auf der Bühne macht überhaupt ein Ereignis oder muss nicht eigentlich diese Qualität dahinter stehen wie man das bei der Chefsache erleben kann?

Was wir machen ist wirklich die konsequente Suche nach Qualität, nach Köchen und Produzenten, bei denen Besucher wie andere Köche sagen können, die haben uns wirklich weiter gebracht. Den Veranstaltungen, die uns imitieren – gerade in der letzten Zeit – geht es einfach um ganz andere Dinge. Manche versuchen nur einfach etwas Klamauk für ganz bestimmte Auftraggeber zu machen, haben aber nicht das Vorhaben, etwas für die Branche zu tun. Da sind allerlei Egoismen im Spiel. Außerdem hat man oft auch kein Konzept und nimmt eben die Leute, von denen man glaubt, dass sie populär sind.

Eine letzte Frage noch zum Spektrum der Köche, die auf der Bühne stehen. Wie ist das mit den deutschen Köchen? Bei den ersten Chefsachen waren die deutschen Drei-Sterne-Köche noch sehr präsent. Gibt es heute neue Schwerpunkte?

Wir bemühen uns immer um eine gute Durchmischung von nationalen und internationalen Köchen. Bei den deutschen Köchen schauen wir uns in letzter Zeit auch immer beim Nachwuchs, bei der dritten Generation um, und versuchen, ihnen ein Forum zu geben. Wissler, Elverfeld, Bühner, Bau und Co. sind etabliert und kommen auch international gut rum. Wir interessieren uns jetzt z.B. für die Berliner Avantgarde, der man mittlerweile sehr gut ein internationales Forum geben kann. Die genannten Wissler und Co. sind als „Botschafter der Chefsache“ medial immer eingebunden, auch wenn sie natürlich nicht bei jeder Chefsache selber auftreten.

Gibt es neue große Namen in Deutschland?

Ja, im letzten Jahr hatten wir z.B. das „Sosein“ mit Felix Schneider auf der Bühne. Das kam sehr gut an und hat die Leute begeistert. Die Berliner Avantgarde hat da ein ganz ähnliches Potential.

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