Jenseits vom Tresen

Wer alleine trinkt, ist einsam, weiß der Volksmund. So ein Blödsinn.

Ich bin gerne in Gesellschaft. Am allerliebsten in guter, aber das kann man sich ja leider nicht immer aussuchen. Ich verbringe gerne Zeit mit Freunden, bei einem guten Essen, verabredet zu einem leckeren Kaffee, manchmal auch in einer Cocktailbar oder bei mir zuhause, dem „Home of the Booze“, so wie meine Freundin und ich es selbstironisch, in Anlehnung an den Johnny Cash Song „Home of the Blues“, getauft haben.

Andererseits lese ich sehr viel und schreibe leidenschaftlich gerne; beides Beschäftigungen, bei denen es sich anbietet – so zeigte mir zumindest meine Erfahrung – alleine zu sein. Überhaupt bin ich gerne alleine, auch wenn dieser Ausspruch bei vielen Leuten zu in Falten gelegte Stirnen führt. Doch das stört mich nicht mehr. Anfangs dachte ich, dass es vielleicht merkwürdig sei, ja vielleicht sogar unnormal – aber was ist in diesen verrückten Zeiten noch normal? Ja, ich bin manchmal gerne alleine. Ab und zu hocke ich vor meinem VW-Bus, schraube in aller Gelassenheit daran herum und genieße die Ruhe, ja, die schiere Stille. Ich gehe hin und wieder alleine über einen Antik- oder Trödelmarkt und genieße das Geräusch der LPs, die dumpf aneinanderstoßen, wenn ich die Kisten mit der Aufschrift „Alles 2€“ durchforste. Es gibt Tage an denen koche ich sehr aufwändig, ein Bœuf bourguignon, mache Pasta selbst oder bereite mir Rouladen zu, genauso wie meine Oma sie früher gemacht hat. Und das alles nur für mich alleine. Ich nehme mir Zeit dafür, manchmal einen halben Tag, genieße den Kontakt mit den Lebensmitteln und zelebriere am Abend das vollbrachte Werk. Es hat seine eigene Dynamik, denn man schenkt dem Produkt und sich selbst die höchste Aufmerksamkeit.

Doch da gibt es noch eine Sache, die ich mir manchmal gönne, einmal im Monat, falls ich es schaffe: ich gehe alleine in eine Bar. Ganz recht – auch wenn dies zu noch tieferen Falten in den Stirnen mancher Leute führt.

Ich habe hier in Köln zwei oder drei Bars, die ich regelmäßig alleine besuche. Wobei ich zugegebenermaßen nicht ganz alleine bin. Oft trage ich ein Buch bei mir, Kurt Tucholsky, Max Frisch, Ernest Hemingway, Stephen King. Mal ist es Prosa, vielleicht auch Lyrik und warum nicht mal ein Drama? Wenn ich lieber meinen eigenen Gedanken fröne, dann habe ich mein Notizbuch dabei und einen spitzen Bleistift (ein Radiergummi nicht zu vergessen, für die Fehler, die einem ab und zu unterlaufen). Eine dieser Bars, beispielsweise, hat sich auf Craftbeer spezialisiert und sie ist keine fünf Gehminuten von meinem Apartment entfernt. Je nachdem, in welcher Stimmung ich mich befinde, lasse ich mir vom charmanten Barkeeper einen Flight der neusten Fassbiere zusammenstellen. Fünfmal 100 ml – nichts um sich zu betrinken (das sollte ohnehin nie die Maxime eines solchen Ausfluges sein), aber genug um sich einzugrooven. Selbige Bar führt einen meiner Lieblings Roggen-Whiskeys. Manchmal sitze ich am Tresen, oftmals in einem gemütlichen Chesterfield Ohrensessel. Im Hintergrund läuft gediegene Jazzmusik, nicht gerade unbedingt zum Fummeln, wenn Sie verstehen was ich meine, aber auch nichts zum Tanzen. Das Licht ist so gedimmt, dass es alles in einen wohligen Schein legt, man aber immer noch die Worte in seinem Buch erkennen kann.
Das erste Mal, als ich alleine eine Bar besuchte, war allerdings tatsächlich dem Zufall geschuldet. Ich war mit einem Freund verabredet, wir wollten uns auf einen Drink treffen, uns austauschen und über alte Zeiten unterhalten. Ich war etwas zu früh am Treffpunkt und musste bei einem Blick auf mein Handy feststellen, dass man mir abgesagt hatte – ein Notfall. Was sonst. Die Kellnerin fragte mich, ob ich etwas trinken wollte: „Ja, warum denn eigentlich nicht?“

Ich merkte schnell, dass es etwas Entspannendes hat, wenn man den Tag bei einem Drink Revue passieren lässt. Nur ich und meine Gedanken oder ein Buch oder eine Zeitung. Manchmal sitze ich auch nur dort und beobachte Menschen – eine Beschäftigung, die einen viel über unsere Gesellschaft lernen lässt, über Gestik und Mimik, über unser Verhalten untereinander. Und falls mir das alles einmal zu eintönig werden sollte, dann unterhalte ich mich mit dem Barkeeper, wenn er Zeit hat. Besonders an Wochentagen oder wenn man nicht gerade zu Stoßzeiten zu Gast ist, haben die Bartender immer faszinierende Geschichten auf Lager, von sich oder von Bars, wo sie einmal gearbeitet haben. Sie kennen meist die leckersten Spirituosen, den richtigen Kniff für deinen Lieblingsdrink und freuen sich immer, wenn sie eine Empfehlung aussprechen dürfen. Bars sind wundervolle Orte, mystisch und geheimnisvoll. Wenn man die Richtige gefunden hat, dann kann sie ein Zufluchtsort sein, ein zweites Wohnzimmer, eine Oase der Ruhe inmitten der nie zur Ruhe kommenden Großstadt. In einer guten Bar kann man viel über großartige Drinks und interessante Menschen lernen. Am meisten jedoch aber über sich selbst.

Vielleicht möchten Sie das Ganze ja einmal ausprobieren. Wer weiß, womöglich sieht man sich ja mal in einer Bar, alleine am Tresen oder in einem Ohrensessel sitzend. Ich werde Ihnen dann zulächeln, wenn es soweit ist, Ihnen zuzwinkern und mein Glas auf sie erheben.
So ganz allein ist man ja sowieso nie…

Der heilige Helge

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