Joachim Wissler kocht wieder anders, und man staunt immer noch

Joachim Wissler, der Drei Sterne-Koch vom „Vendôme“ in Bensberg, arbeitet nun schon seit über 20 Jahren im Schloss Bensberg. Wie kein zweiter deutscher Koch der letzten Jahrzehnte hat er eine enorme Entwicklung gezeigt, die beste internationale Wirkung (bis auf Platz 10 der „50 Best“) erzielt und eine große Bedeutung für die professionelle Entwicklung der deutschen Restaurantszene bekommen. Wer als aufstrebender Koch ganz nach oben will, sieht zu, dass er auch eine zeitlang in der für ihre technische Brillanz bekannten Küche aufzuweisen hat. Ich habe Wissler im „Vendôme“ von Anfang an erlebt und im Laufe der Jahre eine Menge von Dingen mit ihm realisieren können. Ein Höhepunkt war zweifellos eine sechsteilige Serie, die wir gemeinsam für ZDF-Aspekte realisiert haben. Ich persönlich habe mich auch sehr darüber gefreut, dass ich seine ersten Schritte in Spanien beim Kongress „Lo mejor de la Gastronomia“ in San Sebastian vermitteln konnte. So etwas führt – nur ganz nebenbei bemerkt – bei mir aber nicht zu persönlichen Freundschaften. Ich duze keinen Koch und bleibe – auch bei gemeinsamen Projekten und großer Wertschätzung – auf Distanz.

Was mich bei Wissler immer wieder fasziniert hat, sind seine Wechsel im Register der Kochkunst. Bis auf den heutigen Tag kann man nie sicher sein, dass man das, was man bekommt, hier auch wieder vorfindet (von Standards bei einigen Kleinigkeiten einmal abgesehen). Es gab Phasen mit allerlei Molekularküche oder solche mit riesigen Menüs mit über 20 Gängen, Phasen intensiver Beschäftigung mit regionalen und/oder traditionellen Ressourcen und solche, in denen ein eher internationaler Spitzenküchen-Stil dominierte. Bei meinem aktuellen Besuch verblüffte er mich einmal mehr (dazu unten Details) – und das in einer Nach-Corona/Corona-Phase, bei der er große Probleme damit hatte, seine hochqualifizierten Mitarbeiter zusammen zu halten. Und dann kommen Gerichte von großer Vielfalt mit vielen Details, die wieder klar machen, wie professionell hier gearbeitet wird, und dass man das auch in den kleinsten Details erkennen kann.

Die größte kulinarische Überraschung waren freilich Gerichte, die im aromatischen Sektor eine kaum zu glaubende Originalität entfalten. Wissler scheint mittlerweile an einem Punkt angekommen zu sein, an dem er sich geradezu spielerisch in aller Eleganz selbst da von geschmacklichen Klischees befreit, wo man dies kaum für möglich hält. Wirft man einen Blick auf andere Drei Sterne-Restaurants, so gibt es vor allem viele Ähnlichkeiten untereinander. Auch wenn immer intensiv an der Optik gearbeitet wird, fällt es manchmal schwer, den einen vom anderen Koch im aromatischen Sektor zu unterscheiden. Es ist oft so, als ob es da Standards gäbe und man sich mehr oder weniger in deren Windschatten aufhält. Nicht so bei Wissler. Seine Gerichte haben im Moment oft nicht nur Individualität (die man ja im Prinzip überall finden kann), sondern geradezu Originalität. Man hat diese Produkte mit einer solchen Aromatik noch nie irgendwo in dieser Form gegessen. Diese gestalterische Power nach langer Zeit zu entwickeln, ist schon eine höchst bemerkenswerte Sache.

Ich möchte heute zwei Gerichte etwas detaillierter vorstellen.

Getauchte Jakobsmuschel
Basis dieses Gerichtes sind relativ dick geschnittenen Scheiben von Jakobsmuscheln, die mit Zimtblüten, Meerrettichbutter, Rettich, Zuckermaiscreme und Chicoreesalat kombiniert werden. Der erste Eindruck hat etwas mit zwei Aspekten zu tun. Einmal ist dies kein puristisches Jakobsmuschelgericht, in dem vor allem die Muschel gefeatured wird. Dann erinnert es an die in Deutschland weit verbreitete Angewohnheit, Fisch, Krusten- und Schalentiere eher süßlich zu begleiten. Diese kurze Irritation löst sich allerdings schnell in Luft auf, wenn man einen Bissen nimmt und feststellt, dass Wissler hier ein komplett neuartiges Aroma erfunden hat. Es liegt irgendwo in einem mild-dezent süßlichen Spektrum, ist aber zum Beispiel durch den Rettich und die Meerrettichbutter komplett und präzise ausbalanciert. Dies ist eine Komposition mit Jakobsmuschel, deren typisches Aroma immer nach einigen Sekunden aufblendet. Es gibt jedenfalls keinen Zweifel, dass man ein solches Gericht nur mit Jakobsmuscheln realisieren kann. Faszinierend ist, welche Aromatik Wissler rund um die Muschel andocken lässt, welche Perspektive er sieht und wie weit er mit diesem Geschmacksbild von den üblichen abweicht. Weil alle Details in sich perfekt sind und vor allem die Sensorik stimmt (man kann an jeder Ecke des Tellers einen hervorragenden Akkord bekommen), bleibt der Eindruck eines Kochs, der über eine enorme geschmackliche Vorstellungskraft verfügt, die sich definitiv über einen langen Zeitraum so entwickelt haben muss. Wegen der Präzision kann dies kein Zufallsprodukt sein. Es scheint eher aus einer Analyse geboren, die da sagen könnte, dass eine süßliche Begleitung mit Mais, Butter (die eine Bearnaise-Ähnlichkeit hat) etc. zu dominant und einseitig ist und deshalb eine Optimierung möglich ist. Die wird sodann über aromatische Elemente und ein kleinformatiges Spiel mit den Texturen (inkl. eines Cru-Aspektes von Rettich und Chicoree) realisiert, die dann für ein Geschmacksbild sorgen, das um ein Vielfaches interessanter als etwa ein einseitiger süßlicher Ansatz ist.

Felsen-Rotbarbe und Steinpilze
Die Rotbarbe gilt in vielen Varianten als ein etwas schwierig zu begleitender Fisch, den man am besten mit kräftig mediterranen Aromen kombiniert. Bei Wissler besteht die Begleitung aus einer fermentierten Buchweizen-Tomatenvinaigrette, Schweineohren, Auberginentatar und einer Safran-Blumenkohlcreme. Das lange Rotbarbenfilet (gedoppelt, mit Haut) wird am Tisch mit einem Bouillabaisse-Sud glasiert, der einen Tick von Schärfe und einen deutlichen, sehr schön wirksamen Basilikum-Anteil hat. Hier bringt die pure Degustation der glasierten Rotbarbe erst einmal eine Finesse, die man bei diesem Fisch äußerst selten findet. Er ist von so großer Delikatesse, dass man ihn sofort auch völlig ohne Begleitung essen könnte. Auf dieser Basis realisiert Wissler sodann eine Begleitung, die sich über die exzellente Vinaigrette entwiickelt. Sie ist klar, hat also als Basis abgetropften Tomatensaft, den Wissler aber trotz seines intensiven Aromas keineswegs so belässt, wie er ist. Seine Optimierung fällt ebenso sensationell aus wie die Rotbarbe, voller Tiefe und vor allem einer exzellenten, tiefen Würze, bei der die kräftigen Tomatenwasser-Aromen und die Fermentierungsnoten eine prächtige Wirkung entfalten. Weiter geht es dann mit milden, in den diversen Kombinationen aufblitzenden, Aromen von Steinpilzen, Auberginentatar etc. Die Schweineohren liegen als sehr dünne Scheiben unter dem Fisch. Sie sorgen erst einmal für mehr „glatte“ Textur, die besonders direkt zum Fisch gut wirkt und danach für einen Hauch von animalischen Noten sorgt. Die gesamte Komposition glänzt durch einen wegen der Proportionen eleganten Aufbau mit einem hochfeinen Spiel der Aromen und auf der Grundlage eines zentralen, maximal optimierten Produktes. Der Geschmack over all ist wieder nicht nur individuell, sondern neuartig.

Mit diesen beiden Gerichten (aber auch noch einer ganzen Reihe weiterer Gerichte) steht Wissler als ein Koch da, der sich trotz – oder vielleicht wegen – seiner langen Karriere ganz auf der Höhe seiner Fähigkeiten und der Zeit befindet. Er setzt seine Kenntnisse und seinen Fundus ideal ein, um Originalität selbst da zu produzieren, wo man sie kaum noch für möglich hält. Die Süffigkeit und Zugänglichkeit dieser neuartigen Geschmackbilder sorgt dafür, dass er in einer Szenerie, wo selbst Anhänger der Avantgarde vor allem „lecker essen“ wollen, immer noch ganz an der Spitze steht. Während schwächere Vertreter der Moderne (und da meine ich auch viele Sterneköche) oft von den Anforderungen wirklich guter, kreativer Lösungen überfordert erscheinen, merkt man hier den ganz großen Koch im Vollbesitz seiner Möglichkeiten.

Dass es dennoch an einem ganz bestimmten Punkt im „Vendôme“ „Probleme“ gibt, ist eine andere Frage. Ich werde sie später hier behandeln.

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