Karl Lauterbach ist auch nur ein Politiker – versteht also die Gastronomie nicht

Karl Lauterbach, Foto: Susie Knoll
Foto: Susie Knoll

Heute morgen klang der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach im Morgenmagazin wieder wie immer: Er bestärkte alle Positionen, die eine strenge Reglementierung vorsehen und blieb im Wesentlichen auf sein Fach beschränkt. Gestern aber ließ er in ein paar kurzen Sätzen einige äußerst bedenkliche Positionen in Sachen Wiedereröffnung der Gastronomie erkennen. Da hieß es dann sinngemäß, dass die Gastronomie der letzte Bereich wäre, der wieder seinen normalen Betrieb aufnehmen könne. Als Grund nannte er zum Beispiel, dass „die Gastronomie“ sozusagen das Kernproblem der Pandemie sei und alles Übel von dort käme. Die Aussage ist unhaltbar und lässt schwerwiegende Informationsmängel über die vielfältige Arbeit der Gastronomie in ihren ganz unterschiedlichen Formaten erkennen. Vermutlich spuken im Hinterkopf von Lauterbach und Co. (er ist ja nicht der einzige Politiker, der ein naives Verständnis von Gastronomie zeigt) vor allem noch die Karnevalsveranstaltung von Heinsberg, Bilder vom Oktoberfest und solche von überfüllten Brauhäusern in München und anderswo.

Man muss differenzieren
Während man bei der Wiedereröffnung von Geschäften deutlich zwischen den Größen unterscheidet und vor allem das Einhalten von Abstandsregeln etc. im Sinn hat, um größere Menschenansammlungen zu verhindern, gelingt es der Politik bisher nicht, bei der Gastronomie ebenfalls deutlich zwischen problematischen und weniger bis kaum problematischen Formaten zu unterscheiden. Die Verhaltensweisen der Gäste, ihre gesamte Grunddisposition und die Möglichkeit und Bereitschaft, sich diszipliniert zu verhalten, unterscheiden sich in den diversen Formaten deutlich. Betrachtet man die Details, so wird schnell klar, dass Gourmetrestaurants zu einem überwiegenden Teil unter Corona-Aspekten in einer anderen Liga arbeiten. Das muss man berücksichtigen. Wenn sich eine undifferenzierte Position wie die von Karl Lauterbach durchsetzt, wird die Gastronomie noch für Monate geschlossen bleiben.

Nicht nur wirtschaftlicher, sondern auch kultureller Verlust
Der Effekt einer solchen Mega-Auszeit dürfte verheerend sein. Bei allem Mitgefühl für diejenigen Gastronomen, die dann wegen wirtschaftlicher Probleme ihre Betriebe schließen müssen, muss man einen Unterschied zwischen Imbissstuben oder Fastfood-Restaurants und insgesamt allen Betrieben machen, die vor allem als eine von vielen Möglichkeiten des Gelderwerbs betrieben werden, und jenen, deren Anliegen und Funktion weit über die reine Nahrungsaufnahme hinausgehen. Der mögliche Verlust von ganzen Reihen von Gourmetrestaurants ist nicht zuletzt auch ein kultureller Verlust. Diese Restaurants leisten in vielen Fällen einen wesentlichen Beitrag zur kulinarischen Kultur des Landes. Ihr Verlust wäre nicht nur ein wirtschaftlicher, sondern ein kultureller – ganz ähnlich den drohenden Schwierigkeiten in anderen Bereichen der Kultur.

Es ist bekannt, dass Politiker Schwierigkeiten damit haben, diese Zusammenhänge zu sehen und zu begreifen, dass sie nicht sehen, wie gewaltig sich die kulinarische Entwicklung in den letzten Jahren mit einer Entwicklung der gesamten Esskultur, der Ökologie und der Nachhaltigkeit verzahnt hat. Der Input an Veränderungen und Ideen kommt quasi immer von der Gourmetküche. Punkt. Sie leichtfertig wegen mangelnder Kenntnis der Zusammenhänge zu schädigen, ist vollkommen unverantwortlich.

Hat Unterscheiden etwas mit Spalten zu tun?
Man könnte nun – vorzugsweise auf Seiten der Berufsverbände – auf die Idee kommen, dass eine Unterscheidung zwischen den unterschiedlichen Gastronomien kontraproduktiv sei und man „an einem Strang ziehen“ müsse. Einen solchen Argumentationsversuch sollte man realistisch angehen. Die Spaltung ist längst Realität. Was aus den Bereichen der „normalen“ Gastronomie oft gegen die Gourmetrestaurants ins Feld geführt wird, ist das Gegenteil von Solidarität, es ist oft erstaunlich aggressiv und nicht selten feindlich. Während große Teile der Gastronomie von den Entwicklungen der kreativen Küche geradezu leben und ihre Ideen nach Belieben ausplündern, macht man gleichzeitig Witzchen über deren Gerichte und Handhabungen. Da wird man verstehen müssen, dass sich die Solidarität im Falle eines Falles in Grenzen halten wird und man seine komplett unterschiedlichen Ansätze adäquat gewürdigt und berücksichtigt wissen will.

Ich wiederhole meinen Vorschlag, dass individuelle Konzepte zur „Sicherung“ der Restaurants erarbeitet werden müssen, und dass von Seiten der Politik der Weg zu einer individuellen Zertifizierung freigemacht werden sollte. Es gilt nach den Entwicklungen der letzten Tage mehr denn je, differenziert zu denken.

6 Gedanken zu „Karl Lauterbach ist auch nur ein Politiker – versteht also die Gastronomie nicht“

  1. Oh je, der Lauterbach Karl.
    Zu seinen Gunsten muß man erwähnen, daß er die Gefährdung durch Aerosole in geschlossenen Räumen gut erklärt hat. Außerdem ist er gar nicht der Meinung, daß die Gastronomie die Quelle allen Übels ist – er will jetzt die Prostitution verbieten.

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  2. Dass es Unterschiede gibt, steht ja außer Frage. Das bedeutet aber nicht, dass der Staat sich anmaßen kann, Unterschiede in der Behandlung von Gastronomie zu machen, bezogen auf die von Ihnen beschriebene „Wertigkeit“. Das würde von Gerichten sofort gekippt, und es stellt sich ja auch die Frage, wer den „Wert“ einzelner Betriebe definiert. Für den einen ist der Imbiss um die Ecke das Größte, für den anderen der Gourmettempel. Für den Staat geht es imKontext von Corona allein um Gefahren für den Nutzer, also Hygiene und Abstände. Ich frage mich, wie Sie sich eine Nahrungsaufnahme mit Mundschutz vorstellen. Die Teller werden vom Personal angefasst. Da ist mir nicht wohl bei. Sollen die für jeden Teller neue Einmalhandschuhe anziehen? Überhaupt, wie appetitlich ist es denn, wenn die Bedienung Mundschutz trägt? Mal im Ernst und ganz praktisch: mich sehen Sie da nicht, und ich bin üblicherweise ein Dauergast in der gehobenen Gastronomie.

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  3. Heute hat ein großes Unternehmen in NRW im Rahmen der allgemeinen Lockerungen für seine Mitarbeiter nach einer langen Phase der Arbeit im home office Folgendes beschlossen: Je 25 qm Bürofläche maximal zwei Mitarbeiter, die zudem ununterbrochen einen Mundschutz tragen sollen. Falls einer Nahrung verzehren will, muss sein Nachbar den Mundschutz zwingend aufbehalten. Auch kleinere Meetings sind strengstens verboten.
    Jetzt meine Frage: Wie soll ein Politiker diesem Angestellten nun erklären, dass er tagsüber brav die Maßnahmen befolgen soll, während einer anderen Klientel ein drei bis vierstündiger Aufenthalt in einem mit mehr als 20 Leuten gefüllten Gourmetrestaurant gewährt wird, wo der Gast mutmaßlich nicht gezwungen werden soll, während seine Begleitung Steinbutt und Puligny Montrachet genießt, eine Maske zu tragen?

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    • Das kommt eben dabei heraus, wenn man die Kommunikation immer stärker vereinfacht und mit mündigen Bürgern spricht wie mit erziehungsbedürftigen Kleinkindern. Da kann man dann natürlich auch keine Unterschiede und Abwägungen mehr erklären; da ist dann alles nur noch gleich, wie im Kindergarten, weil man Unterschiede – und seien sie noch so gut begründbar – nicht mehr akzeptiert.

      Mit ihrem Argument dürfte in Deutschland nämlich auch der ÖPNV über Monate nicht benutzt werden. Das wird aber akzeptiert, weil Mobilität wirtschaftlich wichtig ist. Auch da ist nichts mit Abstand und die Verweildauer kommt doch auch an die Länge eines normalen Restaurantbesuches. Kultur (sowohl Theater, Kino als auch Esskultur) scheint völlig unwichtig zu sein; so weit sind wir schon. Was für ein Bild von Leben haben Politiker wie Lauterbach eigentlich? Das sind Denkstrukturen eines 100-prozentigen Bürokraten, der auch nur in seinem sehr begrenzten Bereich (Medizinbürokratie) überhaupt etwas weiß. Solche Leute haben die DDR schon gegen die Wand gefahren. Wenn Sie sich nicht erinnern können, wie man dort lebte, informieren Sie sich mal. Mit „grau“ ist das sehr gut beschrieben. (Die Farbtupfer waren meist private Eigeninitiative und Theater, Oper oder Konzert. Letzteres fällt schon mal weg.)

      Rechtssicher kann man das auch problemlos gestalten, indem man Abstände bzw. „Personendichten“, vielleicht auch die Verweildauer für alle gleich festsetzt. Damit reguliert sich die Qualität von alleine, da Massenaufläufe a la Oktoberfest per se ausfallen.

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    • Hallo Herr Dollase,
      da stimme ich zu. Ist ja auch logisch.
      Wie könnte die notwendige Unterscheidung konkret formuliert werden, damit sie allgemeingültig sein kann?
      Sehen Sie Kriterien, die Politiker anwenden könnten?
      Ich vermute, dass an dieser Stelle der Hase im Pfeffer liegt und es dem Lauterbach nicht mal hilft, wenn er Ihre sehr gut dargelegte Argumentation versteht.

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