Können jüngere Gäste klassische Küche lieben?

Im Zusammenhang mit der Rezension des großen Eckart Witzigmann-Buches hatte ich die Ansicht vertreten, dass eine jüngere Generation für die eher klassischen Rezepturen und ihr Geschmacksbild wohl eher wenig Enthusiasmus aufbringen wird. Dazu gab es eine Reihe von Zuschriften, die dazu geführt haben, dass ich das Thema noch einmal etwas vertiefen möchte.

Für die Wissenschaft wäre das alles gar keine Frage
…aber rund um die Gastronomie hält sich beständig eine Atmosphäre von stark interessengesteuerten Meinungen, die viele Zusammenhänge nicht wahrnehmen wollen oder können. Man würde normalerweise nicht darüber diskutieren müssen, dass die kulinarische Sozialisation und das aus ihr folgernde Verhalten eine Folge dessen ist, was man in diesem Sektor erlebt hat. Wer zum Beispiel mit Pizza, Pasta und asiatisch gewürzten Gerichten groß geworden ist, wird die milde Würze vieler Gerichte der Spitzenküche nicht unbedingt als adäquat gewürzt ansehen. Ich habe das in vielen Fällen – auch im familiären Umfeld – erlebt. Vor allem die ersten Kontakte zur guten Küche fielen oft sehr durchwachsen aus, weil nicht nur Vieles unbekannt, sondern auch geschmacklich „underdone“ wirkte. Wer Massen von industriellem oder nicht-industriellem Umami braucht, um eine Küche „lecker“ zu finden, kann einfach auf das Gegenteil nicht ohne weiteres positiv reagieren. Dazu kommt ein wichtiger Punkt in der Entwicklung der Kochkunst, der heute oft nicht mehr gesehen wird:

Verfeinerung war und ist oft vor allem Verdünnung
Dass Sahnesaucen mit einem Hauch von Aroma bei vielen Freunden der guten Küche als eine besondere Verfeinerung gelten, ist nicht etwa naturgegeben, sondern Folge eines Prozesses, der im Grunde weite Teile der Geschichte der Michelin-Küchenkultur prägt. Die ersten Spitzenrestaurants im Lyonnaiser Raum haben im Prinzip erst einmal eine regionale Küche mit guten Grundprodukten gekocht, die man dann mit Foie gras, Trüffeln viel Butter, Sahne und Co. in einen Zustand brachte, der im Vergleich zu den eher rustikalen Ausgangs-Gerichten ungemein fein wirkte. In der Folgezeit und bis auf den heutigen Tag besteht die eher klassisch orientierte Küche nach wie vor oft aus solchen Kombinationen. „Ein Schweinshaxe gehört nicht in ein Drei-Sterne-Restaurant“ sagte mit einmal ein Koch, der mittlerweile noch zwei Sterne hat, und meinte damit vor allem, das grobe, rustikale Aromen und Zubereitungen eben nicht feine Küche sind.

Sahne, Butter, Foie gras, Trüffel und Co. als prägende Geschmacksbilder muss man aber lieben gelernt haben. Wenn dies nicht der Fall ist, wird eine Qualität, die zu einem wichtigen Teil auf diesen Produkten beruht, nicht offensichtlich, nicht evident. Das gilt für große Teile einer jüngeren Generation, die weitaus mehr Affinität zu asiatisch-forcierten Geschmacksbildern, italienischen Umami-Massen oder ost-mediterranen inspirierten Reizüberflutungen hat.

Hat die klassische Spitzenküche viel von einer Schnittmengenküche?
Man kann sich allerdings die Frage stellen, ob die eher klassisch orientierten Gerichte soviel einer Schnittmengenküche haben(den Begriff habe ich auf www.eat-drink-think.de ausführlich erläutert), dass sie in jeder Generation und bei allen möglichen Leuten gut ankommen. Das Bild wäre dann so, dass jüngere Gäste, die zwar wie oben beschrieben kulinarisch sozialisiert sind, dennoch sofort auch von guten klassischen Gerichten überzeugt sind, weil sie ihnen einfach bestechend gut schmecken. Wir haben zu solchen und ähnlichen Fragen natürlich noch keine Kultur von wissenschaftlichen Untersuchungen. Aber – die Erfahrungen haben gezeigt, dass die Akzeptanz durchwachsen ist und oft selbst dann jüngere Leute nicht zu großen Fans klassischer Spitzenküche werden lässt, wenn sie einen konkreten „Test“ einmal recht angenehm fanden.

Die Frage, ob die klassische Küche einen großen Anteil von Schnittmengen-Qualitäten hat, die ganz sicher zu einer positiven Haltung auch bei Leuten führt, die bisher nie mit ihr zu tun hatten, lässt sich sofort bejahen, wenn es um ältere Semester geht, die sich an den Grundlagen (also den Vorbildern) gut orientieren können und die Verfeinerung sofort bemerken. Die professionelle Garung einer getrüffelten Bresse-Poularde mit einer cremigen und/oder buttrigen Sauce wird von älteren Leuten sofort als hervorragend erkannt und kommt in die Schublade „ich habe noch nie ein so gutes Huhn gegessen“. Wenn die Produkte der Spitzenküche als Steigerung dessen empfunden werden, was man auch ansonsten gerne mag, gibt es keine Probleme.

So gesehen gibt es gute Gründe dafür, dass viele jüngere Gäste zum Beispiel Küchen wie die von Tim Raue oder die diversen Brasserie-Formate mit diversen Länderküchen-Elementen gut finden, auf der anderen Seite klassische Küchen aber schon seit längerer Zeit unter Druck geraten. In Frankreich zum Beispiel sind die wirklich schweren, traditionellen „gastronomischen“ Küchen mit ihren Sahnefluten schon seit Jahren kaum noch zu finden. Ihnen geht das Publikum aus, und das eben nicht nur gastronomisch, sondern explizit auch kulinarisch.

Das gastronomische Generationenproblem wird gesehen. Aber es gibt auch ein kulinarisches
Es gehört mittlerweile zum festen Stand der Diskussionen, dass die „steife“, „formelle“ Spitzengastronomie nicht unbedingt das ist, was nachwachsende Generationen lieben und man insofern davon ausgehen kann, dass viele „Sternerestaurants“ der eher traditionellen Art mit ihren Gästen alt werden und verschwinden. Dabei wird oft übersehen, dass es ein mindestens genau so großes kulinarisches Problem gibt, dass also nachwachsende Generationen diese Küche nicht mehr so schätzen (oder – siehe oben – schätzen können), dass sie überleben können.

Wir können nicht davon ausgehen, dass die Großmeister vergangener Jahrzehnte etwas gemacht haben, was automatisch weiterleben wird, weil es einfach so überragend gut war. Es kann sich sogar ohne weiteres die Frage stellen, ob es so gut war, dass es unbedingt überleben muss. Ich persönlich wäre dringend dafür und plädiere schon seit langem für „Tage der klassischen Küche“ oder „Festivals der klassischen Küche“, um die Faszination für diese Geschmackswelten, die sich eben nicht ganz von selber auf der Straße entwickelt, aufrecht zu erhalten und zu fördern. Wir müssen – leider – davon ausgehen, dass die klassische Küche den Weg der klassischen Musik gehen wird, also in den Bereich des „Special Interest“ entschwindet, obwohl sie eine wesentlich größere Wirkung auf die kulinarische Kultur haben sollte. Ihre Arbeit – soviel ist sicher – ist längst noch nicht getan, zum Beispiel deshalb, weil sie es in vielen Bereichen versäumt hat, anstehende Aufgaben wie die Popularisierung in einfachen Formaten oder auch die Bearbeitung der traditionellen Küche zu lösen. Und – es geht hier nicht um den Nachwuchs von Oberschicht-Familien, der von den Eltern sorgsam in die besseren Kreise und deren Vergnügungen eingeführt wird. Hier geht es um unsere Esskultur, deren Niederungen von der Industrie und allen möglichen Formen der Gastronomie längst bearbeitet werden. Die Kräfte auf der an Qualität orientierten, anderen Seite müssen gestärkt werden und einen ganzen Strauß von neuen Aktivitäten und Maßnahmen ergreifen.

6 Gedanken zu „Können jüngere Gäste klassische Küche lieben?“

  1. Liebe Leserbriefschreiber, ich danke Ihnen für Ihre Beiträge, die ich leider nicht alle durchdiskutieren kann. Es wäre aber sicher hilfreich, wenn Sie meine Texte ganz genau lesen, nicht oberflächlich und schon gar nicht mit Schaum vorm Mund – wenn ich das einmal so sagen darf….Ich schreibe so, dass jedes Wort durchdacht ist. Was ich in diesem Falle z.B. unter klassischer Küche verstehe, habe ich geschrieben – ich meine die klassische Spitzenküche und keine Traditionsgerichte. Allein diese Fehlinterpretation meines Textes löst schon mehrere Einwände auf. Und – ich antworte Ihnen, obwohl Sie sich nicht klar und offen vorstellen.

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  2. Totaler Kappes ihr Bericht und an den Haaren herbeigezogen, ich bin an der Basis mit „jungen“ Leuten, sehr ungenau prädestiniert von ihnen, die „jungen“ Leute möchten gerne die gute alte Küche zurück,,,, man mag es kaum glauben aber es werden oft die Wünsche nach ner guten Linsensuppe, wirsingrouladen, graupensuppe, Reibekuchen, Erbsensuppe sogar saure nierchen laut, also von daher kann ich ihren Bericht und auch ihre wohl fehlerhafte Recherche wenn es die denn gab nicht nachvollziehen.

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  3. Die Analyse beruht auf mehreren fehlerhaften Annahmen:
    1. Die kulinarische Sozialisation der künftigen Besucher gehobener Gastronomie läuft ganz sicher nicht über Pizza, Döner und Frühlingsrolle.
    2. Das Problem der klassischen Küche ist in Deutschland primär kein kulinarisches. Der entscheidende Faktor ist hierzulande vielmehr die soziale Distinktion – sowohl vertikal als auch horizontal. (Überspitzt: Der urbane Hipster, der gerade mit den Grünen flirtet, schätzt kein Ambiente mit dem hautgout der Kohl-Ära. Getrüffelte Bresse-Poularde aus der Hand eines zutätowierten Vollbartträgers wäre hingegen kein Problem – und vice versa).
    3. Die klassische Küche ist kein Gegenpol zur industriellen Lebensmittelzubereitung. Im Gegenteil: die Basis Fett, Salz und Zucker ist identisch. Das Paradebeispiel ist die pappsüße Foie Gras – kulinarisch so wertvoll wie ein snickers.
    4. Die Reduzierung der klassischen Küche auf einen Nischenbereich ist kein Abstieg sondern Konsequenz einer kulinarisch kulturellen Veränderung. Wichtig ist, dass sie nicht verschwindet.

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    • Was ist eine pappsüße Foie Gras? Die gibt es gerade in der Hochküche nicht mehr. Essen Sie mal eine Foie Gras in der Schweinsblase gedünstet oder kaufen Sie sich zwei Scheiben von Rougié und essen Sie die mit einer Scheibe Schwarzbrot.

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  4. Ich habe aus Ihrem Text nicht heraus finden können was für sie klassische Küche bedeutet, wäre sehr interessant wenn sie die klassische oder gerne auch traditionelle Küche aus ihrer Sichtweise erläutern würden, und dazu ob sie deutsche klassische Küche meinen oder die von ihnen erwähnte französischen klassische Küche.

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  5. hallo herr dollase, zuerst mal vielen dank, dass Sie sich dieses themas nochmals annehmen und weitere, wichtige argumente liefern. dennoch überzeugt mich Ihre argumentation immer noch nicht restlos- die “ jungen leut“ mögen blinde flecken in ihrer unzureichenden kulinarischen sozialisation haben, aber die haben “ die alten“ auch. der generation meiner eltern (1940 geboren) ist nicht-übergartes fleisch, roher fisch schwer vermittelbar ebenso wie allzu pure, gemüseorientierte zubereitungen auf komplettes unverständnis stossen. kulinarische unbildung als reaktion auf eine nicht erfolgte korrekte sozialisation ist mE erstaunlich erwartungstreu durch altersstufen und in der brd durch gesellschaftliche klassen verteilt.

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