Folge 7: Das Monasterio-Konzept
Prolog: Das große Missverständnis
Fast alle Köche und Restaurateure folgen einem sehr einseitigen Verständnis von Gastronomie. Genuss bedeutet in dieser Sicht immer „viel Essen“, am besten in einer lebhaften Gesellschaft oder irgendwo, wo es nach Üppigkeit oder Luxus aussieht. Das Essen in dieser Form ist nahe am traditionellen Verständnis von Festen gebaut, die drei Gänge von Ostern oder Weihnachten werden nicht nur erreicht, sondern fast immer weit übertroffen. Dass das genaue Gegenteil ein beträchtliches Publikum faszinieren könnte, wird quasi nie gesehen, weil man ganz einfach die vielen Leute vergessen hat, die die übliche Gastronomie kaum jemals aufsuchen, weil sie nicht ihrem Verständnis von Essen oder auch von Kultiviertheit entspricht. Ein bekannter Intellektueller schrieb einmal über ein bekanntes deutsches Restaurant mit hervorragender Küche, dass er sich dort eigentlich überhaupt nicht aufhalten könne. Wenn ich die überladene Inneneinrichtung schon sehe, schrieb er sinngemäß, wird es mir schon schlecht und ich möchte am liebsten sofort wieder gehen. Und das Essen würde dem genau entsprechen: Aalles wäre zuviel, zu üppig, zu stressig, einfach nichts, was man wirklich gerne macht. Ja, es gibt das Publikum, das sich weder den Unsinn lokaler Innenarchitekten antun will, noch einen eintrainierten Service, keine Lounge-Musik oder sonst einen Kitsch vom Band, keine Batterien von Snacks und Amuse Bouche und schon gar nicht einen süßen Overkill zum Abschluss des Menüs. Es will Ruhe, Einfachheit, Klarheit, Leichtigkeit, ruhig einmal etwas Konzentration und insgesamt einfach eine Ästhetik ohne materiellen und geistigen Nippes.
Das Monasterio-Konzept
Der Name meiner Idee steht natürlich auch schon für den Inhalt. Viele Leute sind fasziniert von Klöstern, von klaren, kargen Räumen ohne irgendeine Ablenkung. Sie begeistern sich für Orte, die ganz anders sind als das, was man tagein tagaus erlebt. Sie lieben das Pure, das Sensible, die Würdigung und Wertschätzung des Natürlichen, ein in seiner Art intensives und spannendes Essen, das keinen Klischees folgt, das ein wenig archaisch ist und gegenüber der fetischisierten „Üppigkeit“ geradezu anarchistisch wirkt. Viele Leute kennen Momente, die in diese Richtung gehen, meist aus einem eher privaten oder nicht gastronomischen Umfeld, meist als Begegnung mit guten Produkten und ungebrochenen Traditionen, meist im ländlichen Raum.
Stellen wir uns also einmal einen klösterlich kargen Raum vor, ohne forcierte Dekoration und nur mit einfachen Tischen, vielleicht ohne Decken. Klar beleuchtet und in keiner Weise und an keiner Stelle überzogen. Es gibt Gerichte, die in „normalen“ Restaurants vielleicht gar nicht als „richtiges“ Essen durchgehen würden, gute Produkte/Gerichte in einfacher, aber höchst präziser und – wenn man so will – genialer Form. Manches kann dabei wie eine Degustation wirken, Manches vielleicht auch wie Avantgarde, weil man sich in dieser Küche natürlich von jeder Art technisierter Zubereitungen fernhält. Gleichzeitig wird man aber auch auf die nahrhaft üppigen Traditionen verzichten, die in andere Zusammenhänge gehören. Man wird das Essen als ein sinnliches Erlebnis der neuen Art sehen, die gleichzeitig so etwas wie die Rückkehr zu klaren kulinarischen Werten ist. Man wird in gewisser Weise verlangen, dass die Wertschätzung der Produkte/Kreationen grundsätzlich ist, also schon eine Kartoffel mit Nussbutter und Kellertrieben von Staudensellerie, eine Degustation von verschiedenen Sorten eines Gemüses, eine Tomatensuppe „ohne Zutaten“ oder Desserts, die nur aus Brot, Butter und Konfitüre bestehen von großer, beeindruckender Qualität sein können. Man wird eher mehrere kleine Gänge essen, die wegen des Wareneinsatzes und der einfachen Zubereitung nicht besonders kostspielig sind. Und – man wird wegen der puristischen Orientierung auch weitgehend auf eine denaturierende Würze (von Salz in Geschmacksverstärker-Funktion bis Zucker) verzichten. Das Essen wird zu einer puren, natürlichen und – wenn man so will – auch reinigenden Angelegenheit, zu einem tieferen, weil sensibleren Genuss, weit entfernt von allen industriellen wie sonstigen hochgezüchteten und überzüchteten Geschmacksbildern.
Beispiele für das Monasterio-Konzept in Reinkultur sind mir bisher nicht begegnet (was nicht bedeutet, dass es sie nicht gibt, weil sie vermutlich auch in den Führern nicht vorkommen). Aber es gibt viele Details, die man sich als Teil eines solchen Konzeptes vorstellen könnte. Sie finden sich vom „Noma“ bis zu „La Grenouillère“, von „La Chassagnette“ bis zu Tapas-Bars in Spanien und kleinen Gerichten in Bergbauernhöfen oder Wanderhütten in den Alpen. Die Etablierung eines solchen „Anti-Konzeptes“ mitten in einer Großstadt könnte ein durchschlagender Erfolg werden.
Fotos: Thomas Ruhl für AT-Verlag, aus dem Buch „Pur, präzise, sinnlich“ von Jürgen Dollase
Das entspricht auch meiner Wahrnehmung. Ich hatte die Möglichkeit im „Nobelhart & Schmutzig“ zu essen, doch war mir an diesem Tag nach „Einfachsanft & Rein“, weshalb ich stattdessen ins Museum ging:
https://frankfurterkueche.wordpress.com/2015/11/22/einfachsanft-rein/
Zwar passt das Essen im Nobelhart & Schmutzig, in gewisserweise, zu dem hier formulierten puristischen Gedanken, dennoch würde ich ebenfalls gerne eine noch konsequentere Umsetzung erleben, wie von Jeong Kwan. Es geht bei diesem Wunsch weniger darum klassische Restaurants abzuschaffen, als vielmehr um die Möglichkeit, Essen auch mal anders erleben zu können.
offen gesagt kann ich mir weder nachfrage nach noch erfolg eines derartigen konzeptes vorstellen. wäre dieses interesse nach reinheit, klarheit etc vorhanden, so gäbe es in der brd beispielsweise lokale wie in london oder new york, die der japanischen tradition gemäss erstklassiges sushi anbieten und dafür preise im mittleren dreistelligen eurobereich abrufen können. dieses publikum sehe ich hier einfach nicht; schon behutsame annäherungen an weniger auf dem teller, konzentration auf einzelelemente, wie sie die nova regio-küche deutscher prägung in mir bekannten lokalen wie nobelhart&schmutzig, sosein etc anbietet, funktionieren ohne erklärung und unter ideologieverzicht -noch-nicht. und bei dem namentlich nicht weiter bekannten intelektuellen aus dem text weiss ich nicht, wie ich dessen ausage werten soll. ich kann da nur eine irgendwie schiefe analogie wagen, die einer gewissen plausibilität aber nicht entbehrt: wie würde ich jemanden in seiner musikalischen kompetenz beurteilen, der opernabenden unter den linden, in der staatsoper münchen fernbliebe mit der begründung, das opernhaus sei ihm zu kitschig, der vorhang zu plüschig, das publikum zu aufgebrezelt? ich würde ihm wohl in teilen zustimmen, vermisste aber seine bereitschaft zur auseinandersetzung mit dem wesentlichen.
Die Mönchsküche war ja nicht von Verzicht geprägt. Persönlich würde ich gerne die Zen Kloster Küche von Jeong Kwan erleben. Auf M.A.D. Und bei Chef’s Table war sie bereits zu sehen. Vielleicht können Sie Ihren Einfluss geltend machen, dass Frau Kwan ggf im erweiterten Rahmen der Chefsache eingeladen wird. Minimalismus und bewusster Konsum entwickelt sich doch bereits. In der angedachten Form, ist es vermutlich schwer geradliniges Konzept und Wirtschaftlichkeit auf den gemeinsamen Nenner zu bringen.