L’Abysse: Alléno und sein japanischer Sushi-Meister in Buchform

Yannick Alléno/ Yasunari Okazaki: L‘Abysse. Éditions Glénat, 2022. 288 S., geb., Einband mit Prägedruck, Großformat, ca. 60 Euro (in französischer Sprache) Fotos: Simon Détraz

 

Wenn man in Frankreich alles zusammennimmt, dann hat wohl Yannick Alléno – zumindest künstlerisch – mittlerweile die Nachfolge von Joel Robuchon und Alain Ducasse angetreten. Natürlich gibt es auch noch ein paar andere Kandidaten, die mit ihren Büchern und Restaurants verschiedene Akzente setzen. Da wäre etwa Jean-Francois Piège, der sich zwar auch immer wieder als Meister aller Klassen inszeniert, aber nicht den Esprit und die selbstverständliche Leichtigkeit von Alléno hat. Bei Guy Martin gab es vor Jahren ebenfalls Versuche, alle Register der französischen Küche gleichzeitig zu ziehen. Mit dem Verlust des dritten Sternes für sein Restaurant „Grand Vefour“ hat man seinen Bemühungen wohl gründlich die Basis entzogen. In der Provinz gäbe es da noch Olivier Nasti vom „Chambard“ in Kaysersberg/Elsaß, der zwar auch sehr viel macht, aber mit seinen Leistungen bisher nie die volle Breite der Beobachternüberzeugt hat.

Alléno andererseits beweist mit diesem Buch einmal wieder, aus welchem Holz man kulinarisch geschnitzt sein muss, um wirklich immer wieder zu überraschen. Mit dem „L’Abysse“ hat er im Hause seines Flaggschiffes, dem „Pavillon Ledoyen“ in Paris, ein japanisches Restaurant installiert. Küchenchef dort ist Yasunari Okazaki, den er in Japan „entdeckt“ hatte und dann überzeugen konnte, nach Paris zu kommen, um zusammen mit Alléno (die jeweiligen kreativen Anteile bleiben – wie üblich – natürlich im dunklen) eine – sagen wir: europäisch beeinflusste, japanische Küche zu realisieren. Und die hat es in sich und ist hoch interessant, weil es hier wirklich um das Zusammentreffen zweier ausgezeichneter Köche aus unterschiedlichen Küchenkulturen geht und sich die Fusion nicht nur im Kopf eines einzelnen Kochs abspielt. – Gerade aus deutscher Sicht, wo in der Folge von Christian Bau in vielen Restaurants schon so etwas wie ein Fusion-Mainstream entstanden ist, liest sich das besonders spannend. Es sind eben beim Zusammentreffen dieser Küchekulturen sehr unterschiedliche Ansätze denkbar. Und – man merkt, dass Alléno und Co. die bisher in verschiedenen Ländern vorliegenden Fusion-Versuche ziemlich egal sind. Mit ihren Fähigkeiten brauchen sie weder nach links noch nach rechts zu schielen, sondern können geradewegs auf individuelle Lösungen zusteuern. Dieses Selbstbewußtsein merkt man, und es ist gut für das Profil dieser Küche. Dass auch das „L’Abysse“ schon 2 Michelin-Sterne hat, verwundert jedenfalls nicht.

 

Das Buch

Es fällt sofort auf, dass das Buch eine starke visuelle Orientierung hat. Schon vor der Einleitung gibt es Bilder aus dem Restaurant, das – wir sind schließlich in Paris – natürlich auch ein paar ungewöhnliche innenarchitektonische Elemente hat. Später folgt ein dichter Mix aus den Bildern der Gerichte und diversen Großaufnahmen, die die typisch japanische Sorgfalt im Detail recht anschaulich vermitteln. Danach wird die Geschichte der Begegnung von Alléno und Okazaki und die Entstehung des Restaurants erzählt. Man hält die Begegnung für eine Seltenheit („Une rencontre rare“) und sieht in Okazaki nicht nur irgendeinen japanischen Koch, sondern einen echten japanischen „Sushi-Meister in Paris“. In kurzen Abschnitten geht es auch um kulinarische Details des Zusammentreffens dieser beiden großen Küchen und die Perspektiven und Besonderheiten, bevor unter der Überschrift „Émotions salées“ auf Seite 51 der Hauptteil mit den bisher entstandenen Rezepten folgt. Weil Okazaki Sushi-Meister ist, folgt als zweiter großer Teil danach das Kapitel „Sushi“, in dem es erst einmal ausführlich um die handwerklichen Grundlagen und die Produkte geht. Rezepte gibt es hier nicht. Den Abschluß bilden die „Süßen Emotionen“, gefolgt noch von ein paar textlosen Bildern zum Thema „Fusion der Kulturen“. Man hat dabei ganz allgemein den Eindruck, als ob das Spiel mit dem Begriff „Emotion“ fast etwas programmatisch gemeint ist: das spontane, emotionale Reagieren auf die kulinarischen Aspekte im weiteren Sinne (also auch inklusive des Essens und der Wirkung der Gerichte auf die Gäste) spielt eine wichtige Rolle. Dass man so etwas auch etwas differenzierter und konkreter ausdrücken und fassen könnte, scheint – wie üblich – in Frankreich noch nicht so recht angekommen zu sein.

Es gibt zum Beispiel folgende Rezepte, deren Titel meist schon klar die Richtung angeben. „Tofu von Artischocke und geräucherter Hechtrogen“,

„Spargelspitzen mit einer Bouillon von Kombu-Algen und Hechtrogen in einem feinen Gelee“, „Falsche Suppe von Haifischflossen“ (die „falschen Haifischflossen“ bestehen quasi aus einer Sphäre…), „Foie gras mit Kombu“ (plus einer Bouillon von geräuchertem Aal, Daikon-Spaghetti etc.), „Salat-Ravioli mit Mandelcrème und vegetarischem Kaviar“, „Langustinen mit japanischem BBQ“ (die Langustinen werden mit Sake, Kombu und Ingwer mariniert), „Seeigel mit Rotkohl und Wacholderbeeren“ oder eine „Bouillon von Algen und Daikon zum Hummer mit Mayonnaise und Corail“. Bei den Desserts geht es auffällig inspiriert zu. Es gibt zum Beispiel „“Mango mit Nori-Algen“, einen „Météorite glacée au Yuzu“ oder eine „Krokanten Mochi von schwarzen Trüffeln mit Stücken von konfierten Maronen und gesalzener Zitrone“. Die Kochtechnik ist übersichtlich und im Prinzip mit bei uns erhältlichen Produkten zu realisieren.

 

Fazit

Nachdem man die Rezepte komplett erfasst hat, stellt sich schnell der Eindruck ein, als ob da doch noch einige Dingen fehlen. Irgendwie scheint dies eben doch eher das Programm einer Sushi-Bar mit einer Reihe von weiteren Gerichten zu sein und eben nicht das volle Kaiseki-Programm mit allerlei Fisch- und natürlich auch Fleischrezepten. Das Buch entspricht im Moment auch ziemlich genau der Karte, was einerseits einmal sehr schön für den Nachvollzug ist, andererseits aber nichts darüber aussagt, ob dieses begrenzte Programm auch immer so bleiben soll. Gerade der Transfer vom Sushi-Meister auf vielleicht hochinteressante Gerichte unter Verwendung seiner speziellen Fähigkeiten findet noch nicht statt. Gleich mehrere Tsukemono-Gerichte in der ohnehin nicht üppigen Anzahl von Rezepten irritieren dann etwas, wenn man meint, es würden noch eine ganze Reihe von Dingen (Fisch, Fleisch) fehlen. Insofern kann – bei allem Interesse für den Ansatz, der in jedem Falle auch eine relativ hohe Bewertung des Buches notwendig macht, das Buch als eher schneller Schuß gewertet werden, dem – hoffentlich – weitere Veröffentlichungen folgen, die Ergebnis einer ausgeweiteten Arbeit an diesem hochinteressanten Thema sind. Das sollte der interessierte Leser wissen.

Das Buch bekommt 2 grüne B

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