Marco Müller, Rutz, Berlin. Ein Feature anläßlich der Gala der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung am 27.1.2024 in Schloß Bensberg

Am kommenden Samstag gibt es auf Schloss Bensberg wieder die Gala der „Lieblinge des Jahres 2023“ der FAS, ausgewählt von Stephan Reinhardt (Weine) und mir. Es kochen Sebastian Radtke vom „Macionga“, Marco Müller vom „Rutz“ (beide Berlin), Denis Feix vom „Marburger Esszimmmer“, Johann Landersdorfer vom „Landersdorfer und Innerhofer“ in München, Sebastian Zier und Richard Schmidtkonz vom „Einstein Gourmet“ in St. Gallen/Schweiz und Tony Hohlfeldt vom „Jante“ in Hannover, der dabei ist, weil er zu Corona-Zeiten (2020) nicht als Koch des Jahres geehrt werden konnte.

Ich möchte mich heute etwas intensiver mit Marco Müller, dem „Koch des Jahres“ befassen, der inzwischen laut „Restaurant-Ranglisten“ gemeinsam mit Torsten Michel von der „Schwarzwaldstube“ die deutsche Nr. 1 ist. Es hat etwas gedauert, bis Marco Müller diese breite Zustimmung erreicht hat, was zweifellos an seiner Stilistik liegt. Im Vergleich zu ihm wirken andere Köche in der Spitze sehr viel klassischer, mit einem klaren Fokus auf der Optimierung weitgehend klassischer Geschmacksbilder oder mit dem Fokus auf individualisierten und/oder interpretierten klassischen Grundlagen. Marco Müller dagegen arbeitet ganz klar an einem davon unterschiedlichen Geschmacksbild, das seine Wurzeln eher in der Aromenwelt einer kleinen Schar internationaler, kreativer Großmeister hat. Aber: dieser eher globale Bezug hängt eben direkt oder indirekt immer mit den jeweiligen Regionen zusammen. Insofern bekommt die Küche bei ihm neben einer klaren Individualisierung auch eine klare Regionalisierung.

Am Samstag wird er ein Gericht präsentieren, dessen Details ich schon habe und die ich ganz einfach erst einmal auflisten möchte, weil sie den aufwändig-differenzierten Stil dieser Küche sehr deutlich machen.

 

Forelle 25 Teiche & Kohlrabi, Oxalsäure

Forellenfilet in Streifen

Forellenkaviar

Fischrogen Luft getrocknet, als Salz gerieben

Forellen Garum Lack

Rauchfischemulsion

Forellenhaut Crunch

Holzkohleemulsion

Lactofermentierter Kohlrabi

Buttermilch Kohlrabi

Kohlrabi geliert

3 Jahre alter Lardo vom Thüringer Duroc Schwein

Roter Klee/ Oxalis Kohlrabi Sauce

Wachholder Nadelöl

Eingelegte Fichtennadeln

 

Diese beträchtliche Zahl an Zutaten gehört zu einer Komposition, die klein ist. Das bedeutet, dass man von kaum einem der Elemente einen größeren Bissen bekommt. Die Gerichte sind also im höchsten Maße Gerichte für echte Feinstschmecker, denen es ein besonderes Vergnügen ist, in großer Ruhe und mit maximalem Interesse den Feinheiten einer Komposition nachzuschmecken. Tut man dies, kann man einen größeren Teil der Elemente wahrnehmen, was aber nicht unbedingt vollständig sinnvoll ist. Marco Müller ist ein Koch, der mit einer Palette von Aromen, Texturen und Temperaturen, zusätzlich aber auch noch mit rohen und mehr oder weniger stark zubereiteten Elementen arbeitet. Wenn man die oben aufgezählten Elemente auf die Art der Zubereitung „reduziert“, bekommt man einen klareren, von der Verwendung in diesem Rezept abstrahierenden Überblick. Der Kern sind zum Beispiel Trocknungen, Rauch, Kohle, Fermentierungen in verschiedenen Zuständen/Intensitäten, Öle oder kurz Eingelegtes. Es ist das Programm der Avantgarde-Küche, das sich in den letzten etwa 15 Jahren intensiv entwickelt hat und das nun wie eine Art eigener Kosmos ist, der mit dem Kosmos der klassischen Küche nicht mehr sehr viel zu tun hat.

Das Ganze ist aber erst – sagen wir: ein Teil der handwerklichen, geschmacklichen Basis der Küche von Marco Müller. Der zweite wichtige Strang seiner Arbeit ist eine Produkt- und Aromenwelt, die weit über die Anfänge dieser Art von Küche hinausgeht, und das in zweierlei Hinsicht. Punkt eins ist die Region. Es ist immer die Frage, wie man sich den Produkten oder der Küche einer Region nähert. Der traditionelle Weg in Deutschland hatte immer etwas damit zu tun, dass man probate „Tricks“ der Spitzenküche über das Regionale legte. Das Ergebnis war dann oft wie „Kochen wie Gott in Deutschland“, eine weichgespülte „gourmetisierte“ Küche, die viel von ihrem eigentlichen Charakter verloren hatte. So etwas kann jederzeit passieren – auch mit Mitteln der Avantgarde. Bei Marco Müller dagegen hat man den Eindruck, als ob er in großer Sensibilität die regionalen Produkte auf ihre Eignung für seine Art der differenzierten Gerichte befragt. Die Antwort ist dann fast immer das spezifische, regionale Produkt in einer spezifischen Zubereitung oder einer Zubereitung, die von diesem Produkt getriggert wird. Weder im einen noch im anderen Fall bedient er sich dabei der Automatismen (um das Wort „Klischee“ zu vermeiden…) der üblichen Spitzenküche.

Punkt zwei ist der Differenzierungsgrad/die geschmackliche Tiefe. An diesem entscheidenden Punkt scheidet sich im Moment auch recht deutlich die Spreu vom Weizen in der modernen/avantgardistischen Spitzenküche. Es gibt immer noch Gerichte, die man nicht wirklich als lediglich verkleinertes „Tapas“ – Format bezeichnen kann, sondern die wenig mehr als eine sehr knappe Demonstration eines Akkordes oder einer speziellen Zubereitungstechnik sind. Solche Gerichte stammen zum Teil aus der neuen nordischen Küche – allerdings teilweise schon vor der Jahrtausendwende und nicht erst seit René Redzepi. Es geht nicht darum, diese Gerichte der „ersten Generation“ der Nova Regio – Küche als irgendwie zu knapp in der Formulierung abzuwerten. Es geht aber darum, bestimmten Köchen eine enorme Entwicklung zuzuordnen, die zu neuen Dimensionen geführt hat und mit den frühen Gerichten kaum noch zu vergleichen ist.

Marco Müller hat immer wieder Gerichte in seinen Menüs, die in ihrem ganzen Duktus und vor allem in ihrem Differenzierungsgrad enorm komplex sind. Sie vollständig zu erfassen, ist kaum möglich, aber denkbar. Sie sind anspruchsvoll von ihrem Potential her, aber nicht prätentiös im Sinne einer irgendwie abgehobenen Idee. Dass dies so ist, liegt daran, dass Müller der denkbaren Tiefe immer eine gute Struktur gibt, die als ein weiteres Merkmal eine Art Lesbarkeit in verschiedenen Schichten hat. Oder, anders formuliert: die Gerichte sind auch immer ganz einfach „lecker“ und zugänglich und haben immer auch einen geschmacklichen Oberflächenreiz. Dieses Kunststück ist ein sehr großes Kunststück und wird im Zusammenhang mit seiner Küche leider noch nicht so recht gesehen. Auch wenn viele der Bilder für viele Leute extrem modern aussehen werden: es ist und bleibt sehr gutes Essen, ein Erlebnis der nachvollziehbaren Art, das aber für jedes Potential beim Gast geeignet ist. Für mich ist das extrem spannend – auch deshalb, weil ich hier nichts mit wenigen Worten zur Seite legen kann, sondern sofort merke, dass dies auch Türen öffnet, die wir bisher noch nicht gesehen haben.

 

Hier Notizen zu einigen Gerichten

 

Stachelbeeren & Karpfenbottarga

Die Stachelbeeren sind Teil des dreiteiligen Amuse Bouche. Hier habe ich mich ganz besonders darüber gefreut, dass das sehr spezielle und typische Aroma der Stachelbeere endlich einmal wieder Eingang in die Spitzenküche gefunden hat. Der Titel ist hier natürlich eine starke Vereinfachung. Tatsächlich befindet sich in dem kleinen Törtchen (das man am Stück isst) ein differenzierter Inhalt mit einer differenzierten sensorischen Struktur, mit getrockneten, leicht krossen Blüten und Beeren, mit Creme und eigentlich einer Variation, die aber als Oberfläche ganz klar das Aroma der frischen, rohen Stachelbeere hat. Die Stachelbeeren sind hier nicht vollreif (dann haben sie wiederum ein eigenes Aroma), sondern reif mit einem noch vorhandenen Säureanteil. Die oben erwähnte Zugänglichkeit (die ich gerne Neo-Süffigkeit“ nenne) spielt hier eine klare Rolle. Der Grund sind vor allem die breite sensorische Struktur und keine extremen Aromen oder Texturen.

Quellforelle & Rhabarber, Joghurt

Dies ist eine Variante des oben beschriebenen Gerichtes für die FAZ-Gala, bei der im Januar natürlich Rhabarber keine Rolle spielen kann, weil er hier frisch und nicht eingelegt eingesetzt wird. Diese Fassung der Quellforelle ist ein echtes Meisterwerk. Sie spielt im „Rutz“ als Produkt schon immer eine Rolle, weil man sie aus dieser Quelle komplett unter Kontrolle hat und – im Gegensatz zu vielen Fischen aus dem Meer – ganz genau weiß, wie lange sie aus dem Wasser sind. Der wesentliche Aspekt ist hier – siehe oben – dass bei aller enormen Finesse mit solchen Kompositionen das Akzeptanzproblem der Avantgarde kaum noch eines ist. Natürlich fehlen den Gästen bei solchen Gerichten meist jegliche Vergleiche, um sie irgendwie „wohlig“ einsortieren zu können. Hier braucht man diese Vergleiche nicht und wird sofort auch zu kleinteiligem Essen und Probieren gebracht. Man will sich das Alles nicht entgehen lassen.

Sommertomaten & Rauch, Hechtkaviar

Die Optik ist ein bleibt ein Pfund, mit dem man so gut wuchern sollte, wie man es kulinarisch verantworten kann. Diese Kombination mit z.B. Brot-Miso, Kombu-Öl und Meerrettich geht weit über die Optimierung von Tomaten hinaus in eine eigene Interpretation. Über die zweite, rote Sauce gibt es einen Hauch von Schärfe, die mit der Säure der Frucht spielt. Die diversen texturell wirksamen Mikros sorgen für ein abwechslungsreiches, schillerndes Bild, weil sie die zeitlichen Verläufe jeweils unterschiedlich gestalten.

Nordsee-Kalmar & Meeresaromen, Spreewaldgurke

Natürlich reagiert man bei diesem Titel zuerst auf die Spreewaldgurke, dieses überaus populäre Emblemprodukt der Gegend. Sie ist hier – siehe oben – anders aufgefasst. Man sucht nach ihrem typischen Aroma, findet es aber erst einmal nicht, weil sie in einem anderen, eben maritimen Aromenstrauß eingebunden ist. Will man sie identifizieren, findet man sie trotzdem, wundert sich aber gleichzeitig über die neuen Perspektiven für ein ganz traditionelles Produkt. Die Kalmar-Röllchen haben eine weiche, ein Hauch trocken wirkende Textur, die sie ganz klar freistellt. Das Senfeis als Finish obenauf ist keineswegs zu groß dimensioniert, sondern hat eine gute Proportion und bringt natürlich ein feines Durchblenden der anderen Elemente.

Rutz & N25 Kaviar, Krustentier & Haselnuss

Diese Miniatur kann an zusätzlich zum Menü bestellen. Sie ist wiederum eine sehr feine, sensorisch überaus professionell angelegte Arbeit. Unten im Teller findet sich ein Krustentierflan. Darüber dann der Kaviar, der mit kleinen, genau austarierten Haselnussstückchen angereichert ist. Die weißen Stücke obenauf sehen aus wie Mandelscheibchen, sind aber Rettich. Es versteht sich von selber, dass der Kaviar hier so inszeniert wird, dass er neue Nuancen zeigt. Der Flan ist eine zarte, weiche Basis, die anderen Umspielungen müssen minutiös dosiert werden, um das kohlige Retticharoma und die Nussigkeit wirklich auf den Kaviar zu beziehen und keine unnötigen Kontraste zu setzen. Hier soll nichts addiert werden, sondern inszeniert, der Kaviar soll sich variiert, aber deutlich entfalten.

Oldenburger Wagyu & Sauerkirsche, Schalotte – Husumer Junglamm, Morchel & Bärlauch

Diese beiden Fleischgerichte, die erst einmal eine größere Ähnlichkeit zu „normalen“ Fleischgerichten zu haben scheinen, sind tatsächlich deutlich anders gedacht. Obwohl das Hauptprodukt jeweils natürlich bestechend gut zubereitet ist, scheinen beide Gerichte das Fleisch näher an die anderen Produkte zu bringen. Es ist Teil des Ganzen, nicht das Objekt, das begleitet werden soll. Beim sensationell schmelzend zart gegarten Wagyu fällt es vielleicht erst einmal schwer, das zu glauben. Aber der eigentliche Höhepunkt des Gerichtes ist die Inszenierung des Zwiebelaromas in einem sehr schön eng angedockten Zusammenhang. Man lässt das Fleisch auf der Zunge zergehen und hat natürlich entsprechende Assoziationen. Dann aber blendet das durch verschiedene Elemente unterstützte/eingefasste Zwiebelaroma auf und man bekommt ein ganz hervorragendes Geschmacksbild. – Ähnlich ist auch das Keulenfleisch vom Lamm in einer klaren Funktion im Zusammenhang zu sehen. Auch die Morcheln und der Bärlauch, die ja eigentlich recht prägnante Aromen sind, stehen eher im Zusammenhang und entfalten durch die enge Anbindung an die diversen vegetabilen Elemente ein völlig anderes Aroma. Ausgangspunkt oder auch Voraussetzung für diese engen Umspielungen ist immer ein extrem zartes Fleisch, das wenig Widerstand im Mund erzeugt, also nicht erst spät aufblendet oder durchblendet und damit den zeitlichen Verlauf der Geschmacksentwicklung weitgehend dominiert. Mit „normal“ geschmortem Fleisch würde das nicht so ohne weiteres funktionieren. Es muss bestes Material in einer extrem „mischfähigen“ Konsistenz sein.

Was das Mischaroma mit seinen immer wieder kleinen Spitzen angeht hat Marco Müller für Fleisch einen ganz eigenen Zugang geschaffen, der bodenständig, herzhaft und immer leicht gemüsig ist. Während etwa bei der Forelle schon die Liste – sagen wir: die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Art von Küche signalisiert, wirken die Fleischgerichte noch individueller, noch regionaler, noch tiefer mit dem assoziativen Kontext der Nova Regio – Küche verbunden. So könnte man sich dann auch allen möglichen regionalen Klassikern nähern ohne jemals nicht hochmodern zu sein.

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