Michelin Frankreich 2021: Vorne hui, hinten pfui?

Foto © Michelin France
Wer die Live-Übertragung des französischen Guide Michelin anlässlich der Ausgabe 2021 am letzten Montag gesehen hat, musste eigentlich genau den Eindruck bekommen, den man offensichtlich bei Michelin kommunizieren wollte. Man hatte zwar – ziemlich demonstrativ – den Eiffelturm als Dekor gewählt, hielt dann aber eine Zeremonie voller Bescheidenheit ab, bei der der Chef der Führer, Gwendal Poullennec, fast ein wenig schüchtern und unbeholfen ständig mit seinen Händen in der Gegend herumruderte. Jedem professionellen Moderator würde man das schnell abgewöhnen. Aber das nur am Rande.

Passend zu den bescheiden, krisenkonform gehaltenen Bildern, waren dann auch die verkündeten Ergebnisse. Man hat großzügig eine stramme Anzahl von neuen Sterne-Restaurants gekürt (54) und allen Drei-Sterne-Köchen ihre Sterne belassen – was eigens so angekündigt wurde. Das klang erst einmal durchaus menschelnd. Angesichts der gerade in Frankreich katastrophalen Lage der Restaurants hält sich der Führer zurück, verteilt großzügig Sterne und drückt vielleicht bei dem ein oder anderen Zwei- oder Drei-Sterne-Restaurant ein Auge zu, weil man ja auch nicht so furchtbar viel Zeit hatte, die Etablissements mehrfach zu besuchen (wie man das immer wieder versichert). Von dem, was ansonsten passiert ist, hat man kein Wort gehört.

Man könnte das erst einmal so stehen lassen, wenn nicht die Rezeption des neuen Führers bei uns wieder einmal jede journalistische Sorgfalt hätte vermissen lassen. Da wurden quasi durchweg ausschließlich die Ergebnisse der Sendung wiedergegeben – ohne Kritik, ohne Erwähnung dessen, was sonst noch passiert ist, ohne Tendenzen und – nicht zuletzt – ohne anscheinend auch nur die mindeste Ahnung zu haben, wer denn der neue Drei-Sterne-Koch ist.

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Alexandre Mazzia ist eine interessante Wahl
Den immer etwa knorrig wirkenden Koch aus Marseille hätte man schon länger im Auge haben können. Aber – seitdem das Interesse der Deutschen an der französischen Spitzenküche viel internationale Konkurrenz bekommen hat, ist der Informationsfluss nicht mehr besonders intensiv. Ich habe immer wieder darauf hingewiesen, dass das ein Fehler ist. Eine Küche wie die französische mit ihrer gigantischen Ausbreitung und Dichte hat immer Interessantes zu bieten. – Das AM von Alexandre Mazzia gibt es seit 2014 unter diesem Namen. Es war quasi vom ersten Tag an ausgebucht und ist natürlich mit „Edelrestaurant“ (so eine große überregionale Zeitung) komplett falsch eingeordnet. Mazzia wurde 2018 vom französischen Gault Millau als „Koch des Jahres“ geehrt und ist mit seinem oft minimalistischen Stil vor allem eine Kultadresse für Freunde der kreativen Küche. Betrachtet man die Entscheidung etwas genauer und unter stilistischen Aspekten, so fällt auf, dass es zwischen unserem neuesten Drei-Sterne-Koch Marco Müller und Mazzia eine gewisse strukturelle Ähnlichkeit gibt. Beide pflegen eine Kreativität, die nicht unbedingt viel mit den üblichen Spitzenküchen-Traditionen zu tun hat, allgemein wenig Vorbilder besitzt, dafür aber eine ausgesprochen individuelle Prägung. Das könnte man dann schon eine kleine Tendenz nennen.

Von Corona-Verlierern, Konzeptänderungen und Michelin-Opfern
Der Anzahl von neuen Ein-Stern-Restaurants steht in etwa die gleiche Anzahl von Streichungen gegenüber. Diese Streichungen haben unterschiedliche Gründe, wobei klar wird, dass man bei Michelin auf Konzeptänderungen (also etwa: Zusammenlegungen von Gourmet und Bistro zu einem „offenen“ Restaurant) in der Regel harsch reagiert und sofort Sterne streicht. Ein weiterer von Streichungen betroffener Typus von Restaurants betrifft einen eher avantgardistisch-konzentrierten, gemüselastigen Typ, also solche Küchen, bei denen Traditionalisten schon mal sagen, das sei doch überhaupt nichts, was „richtig“ gekocht ist. – Zu diesen von Michelin verursachten Veränderungen kommen noch jene hinzu, die sich in der Corona-Krise nicht in alter Form halten wollten oder konnten. Hier ein paar Fakten, die eine ganze Reihe von interessanten und/oder berühmten Adressen betreffen.

Nachdem es rund um Guy Martin vom berühmten Grand Véfour in Paris zu Vorwürfen sexueller Übergriffe gekommen ist, hat man dem Restaurant seine zwei Sterne abgenommen. Gegenwärtig ist noch unklar, wie es dort weitergehen wird. Auch im „Grand Véfour“ ist von einer Konzeptänderung die Rede

Das Le Chateaubriand von Inaki Aizpitarte hat aus unerfindlichen Gründen seinen Stern verloren. Insider betonen, dass sich dort nichts verändert habe. Das Restaurant war vor Jahren besonders aufgefallen, weil es zeitweilig das am besten bewertete französische Restaurant in den „50 Best Restaurants“ war. Die Abwertung passt zu der oben erwähnten stilistischen Abneigung bei Michelin.

Jean-Luc Rabanel vom Atelier in Arles ist einer der ganz Großen der zeitgenössischen Gemüseküche. Auch er hat sein Konzept geändert – oder nennt es wenigstens anders, nämlich „Le Greenstronome“ für das erste seiner zwei Restaurants. Irgendwie scheint man sich das bei Michelin nicht genau angesehen zu haben. Es sieht alles nach wie vor wie Rabanel aus, die Gerichte sind so wie immer, und die Preise im übrigen auch ganz ähnlich (95/145/165 Euro für die Menüs). Trotzdem hat man dem Koch, der bei Gault Millau „Koch des Jahres“ war und dort 19 Punkte hat, gleich seine beiden Michelin-Sterne entzogen. Das ist dann wirklich bizarr. Auch die Tatsache, dass man gleich beiden Ateliers de Joel Robuchon in Paris je einen Stern abgezogen hat, ist schwer nachzuvollziehen und findet in Frankreich wenig Verständnis.

Konzeptänderungen haben auch beim „SaQuaNa“ in Honfleur zum Verlust von gleich beiden Sternen geführt. Das „Le Jardin des Remparts“ in Beaune verliert aus dem gleichen Grund seinen Stern, ebenso „Le Matelote“ in Boulogne-sur-mer und „Gill“ in Rouen (beide Sterne gestrichen).

Weitere Verluste haben mehr mit der Corona-Krise zu tun oder haben etwas unklare Ursachen. Ich will sie hier dennoch erwähnen, weil sehr prominente Köche betroffen sind, die erst einmal deutliche Lücken hinterlassen. Dazu gehören das Zwei Sterne-Restaurant Sylvestre von Sylvestre Wahid in Paris und das L’Abeille von Ex-Ducasse-Koch Christophe Moret (ebenfalls 2 Stern). Auch das Astrance von Pascal Barbot hat noch nicht wieder eröffnet. Geplant war ein Umzug in die Räume des ehemaligen „Jamin“ von Joel Robuchon. Last not least hat im Oktober der markante Veyrat-Schüler Edouard Loubet sein wunderbares Anwesen „La Bastide de Capelongue“ (2 Sterne) in der Provence verkauft.

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