Michelin Frankreich 2022, Folge 1: Neues, aber Alles mit Maß. Einordnungen und neue Sterne

 Vorab. Ein paar Zusammenhänge

Die Zeiten, in denen Gourmets weltweit wie gebannt auf den neuen französischen Guide Michelin warteten, sind vorbei. An dieser Entwicklung hat man bei Michelin selber mächtig mitgewirkt, weil es irgendwann einmal nicht mehr nur darum ging, die subjektiv überragende Qualität der französischen Kochkunst zu würdigen und zu verbreiten, sondern darum, möglichst viele Guides auf der ganzen Welt zu verkaufen. Und diese Entwicklung hatte noch einen Nebeneffekt, den damals übrigens eine ganze Reihe der französischen Starköche sehr schnell erkannt hatten. Als 2008 der erste Tokio-Führer erschien, wimmelte es dort von Sternerestaurants und gleich einer großen Zahl von Drei Sterne-Restaurants. Plötzlich waren die Franzosen irgendwie nicht mehr der Nabel der kulinarischen Welt, sondern hatten Konkurrenz, die auch noch teilweise in winzigen Restaurants arbeitete und überhaupt nicht „richtig“ kochte (ich fasse das jetzt hier einmal sehr verkürzt zusammen). Vor allem aber schienen sich in Frankreich viele Leute von Michelin wie „hintergangen“. Die Führer in den anderen europäischen Ländern hatte man gnädig akzeptiert – sollen doch die Epigonen auch ein paar Sterne abbekommen. Es gab immer wieder Diskussionen über den Wert der Sterne in Frankreich, wo es eine sagenhafte Konkurrenz, großes öffentliches Interesse und großes Interesse des Publikums gab. Außerdem hat man den Guide Michelin und die französische Küche als eine Einheit gesehen, als ein System, das die lange Jahre meist sehr einhellige Meinung von Kennern aller Art unter einen Hut brachte. Ich habe im Laufe der Jahre selber bei einer ganzen Reihe von Anlässen mitbekommen, dass die Verbindung der Großen der französischen Küche und dem Guide Michelin ausgesprochen eng war. Ein Vergleich mit Deutschland kommt mir da gar nicht erst in den Sinn.

Mit dem Tokio-Führer und seinen vielen Drei Sterne-Restaurants kam der Tabubruch. Es dauerte ein wenig, aber dann wurde auch dem letzten in Frankreich klar, dass Michelin sein Geschäftsmodell „Globaler Restaurantführer“ so ausdehnen wollte, dass die Prioritäten mit den französischen Befindlichkeiten wenig zu tun hatten. Man zeichnete Küchen aus, die in Frankreich hoch umstritten waren (und sind), die nicht den französischen Standards entsprachen und entsprechen und einem irgendwie ausgeweiteten Verständnis von Kochkunst entsprachen, das sich oft weit vom französischen entfernte. Am Ende war es dann zwar nicht mehr ausschließlich die französische Kochkunst, die die Welt dominierte, dafür aber zumindest eine französische Firma, die die kulinarische Meinungshoheit weltweit im Auge hatte. Dass man sich dabei oft gründlich verhob und gerade angesichts der französischen Traditionen immer wieder in den Einschätzungen schwächelte, versteht sich von selber.

 

 

Das Bild der französischen Spitzenküche hat sich unter dem Einfluss der Entwicklungen gerade international stark verschoben und – es ist schief geworden. Der Blick vieler Gourmets und Köche – vor allem auch der jüngeren Köche – geht ins Internet zu einer internationalen Kommunikation mit vielen spektakulären Bildern und zu den durch die „50Best“ – Liste gehypten neuen Starköchen. Zu dem, was sich in Frankreich tut, geht er nicht oder nur sehr selten. Das ist ein Fehler, weil sich die Grundlagen in Frankreich nicht wesentlich verändert haben. Nach wie vor ist die Gourmetszene groß und Essen hat einen großen Stellenwert. Ich möchte es einmal ganz krass ausdrücken: wenn man hier in Deutschland überlegt, wie viele Köche man wirklich irgendwo in Richtung Moderne einordnen kann, kommt man vielleicht auf ein paar Dutzend Namen, die über den Mainstream hinausragen. In Frankreich reden wir da von Hunderten, und selbst die ganz großen Meister haben oft Gerichte, die spielend als fortgeschrittene Moderne durchgehen können. Ich habe immer wieder dazu aufgefordert, die Szene zu beobachten, weil sie meist auch noch kochtechnisch sehr gut arbeitet. Ich lese und rezensiere nach wie vor alle wichtigen französischen Bücher und habe ein im Grunde ungebrochenes Verhältnis zu dieser oft so ausgefeilten Küche mit ihrer oft so beeindruckenden Mischung aus guten Produkten und einem produktnahen Stil von sehr gutem Geschmack. Und trotzdem gilt: durch die enge Verbindung von Michelin zur französischen Szene hat man die Unabhängigkeit zumindest zu einem Stück weit verloren. Bocuse etwa hätte schon vor vielen Jahren abgewertet werden müssen, und es gibt reihenweise gestandene Köche, die man viel eher als etwa Marc Haeberlin abwerten könnte. Gleichzeitig setzt man in der Moderne zwar immer wieder Zeichen (positiv wie negativ), scheint aber keine wirkliche Linie zu finden.

 

Der Guide 2022. Die ersten Impressionen

Die Zeremonie, die zum ersten Mal außerhalb von Paris in Cognac stattfand, begann mit 20 Minuten Verspätung und opulenten Bildern der Region, also wesentlich prächtiger, als die deutsche Billigausgabe. Ansonsten ging es aber auch in Cognac nicht übermäßig professionell zu. Man begann mit dem „Prix Sommellerie“, der an zwei Sommeliers ging, darunter Francois Lhermitte vom Restaurant Julien Binz in Ammerschwihr, das mir schon einmal wegen exzellenter handwerklicher Arbeit aufgefallen ist. Es gibt zwei Preise für den „Service de Salle“, 4 Preise für die Patisserie, einen. „Prix du jeune Chef (Victor Merciervom „Fief“ in Paris), und 7 Auszeichnungen mit dem grünen Stern, darunter eine für Jean-Luc Brendel vom „La Table du Gourmet“ in Riquewihr im Elsass, der sicher lieber einen zweiten Stern bekommen hätte. Auch Thierry Marx, der große Modernist, wirkte bei der Verleihung des „Prix du Chef Mentor“ ein wenig so, als ob er lieber einen dritten Stern bekommen hätte. Es wird ihm in dieser Sache wenig nützen, dass Gwendal Poullenec seinen großen Einfluss auf die jungen Köche lobte.

Neue 1 Stern-Restaurants gibt es 41, also eine – sagen wir: moderate Zahl. Unter ihnen befinden sich gleich eine ganze Reihe von Etablissements berühmter amtierender oder ehemaliger Drei Sterne-Köche wie etwa Anne-Sophie Pic, die Pourcels, Frederic Anton. Weil bei der Veranstaltung ja üblicherweise nichts über Sternverluste gesagt wird (auch ich kann das erst später bringen), musste ich ein wenig schlucken, als man „vom Gral“ der Kochkunst redete und wie wichtig der erste Stern ist. Er kann ja auch der letzte sein…

6 Restaurants/Köche bekommen einen zweiten Stern. Der elsässer Jérôme Schilling für das „Lalique“ in Bommes im Sauternaise, David Bizet für das „L’Oiseau blanc“ in Paris, Nicolas Fontaine und Altmeister Pierre Gagnaire für das „Duende“ in Nimes, Philippe Chronopoulos für das „Palais Royal“ in Paris, Bruno Verjus für das „Table de Bruno Verjus“ in Paris und Marcel Ravin, ein äußerst populärer Chef aus Monaco.

Der emotionale Moment war in dieser Abteilung vor allem der sozusagen vor Publikum nachgeholte Auftritt von Hélène Darroze und Alexandre Mazzia. Vor allem Mazzia („AM“ in Marseille), einer der modernsten und am besten in die Zeit passenden Köche des Landes, bekam große Ovationen.

Der dritte Stern für das „Plénitude – Cheval Blanc“ von Arnaud Donckele kam nicht unerwartet. Der Meister aus dem Norden, der ganz im Süden und jetzt auch in Paris kocht, ist ein ganz großer Meister seines Faches, der mit beträchtlicher Komplexität und Aufwand, vor allem aber einer sehr guten Stilistik arbeitet. Ein wenig weniger davon findet sich bei dem zweiten, eher überraschenden neuen Drei Sterne-Koch Dimitri Droisneau vom „La Villa Madie“ in Cassis. Auch er kommt aus dem Norden und schöpft seine kreative Kraft vor allem aus dem spannenden Gegensatz von mediterranen und normannischen Einflüssen.

Soweit die News aus der positiven Abteilung. Die nicht so positive folgt.

 

 

 

 

 

 

5 Gedanken zu „Michelin Frankreich 2022, Folge 1: Neues, aber Alles mit Maß. Einordnungen und neue Sterne“

  1. Ein aus meiner Sicht wirklich sehr guter und kompakter Artikel, der die Relation von allgemeinen Entwicklungen zur Dynamik in der französischen Szene sehr gut aufzeigt. Ich muss gestehen, dass auch ich die französische Küche (letztendlich durch fehlendes Detailwissen) unterschätzt habe. Sie haben diese Relationen hier perspektivisch sehr gut skizziert. Ein Hinweis: Mir wurde meine „Kurzsichtigkeit“ gegenüber der französischen Küche u.a. durch die französische Ausgabe von „Top Chef“ (läuft gerade) offensichtlich, in der (im Gegensatz zur unfassbar schlechten deutschen Ausgabe) alles auftritt, was Rang und Namen hat. Gerade die von Ihnen angesprochene Moderne (zB in Form des schon über 70-jährigen Pierre Gagnaire) ist mir beim Studium der Sendung sehr deutlich aufgefallen.

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  2. Ihr Beleidigt sein auf den Michelin in Zusammenhang mit der Abwertung wisslers ist mittlerweile Albern und überaus Kindisch und dazu auch noch Langweilig.

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