Nagaya und die Sashimi-Sensorik

Bei einem aktuellen Besuch bei Yoshizumi Nagaya im „Nagaya“ in Düsseldorf gab es wieder exzellente Leistungen. Ganz besonders aufgefallen sind mir bei diesem Besuch eine ganze Reihe von besonders guten Aromatisierungen, vor allem bei den Saucen bzw. den begleitenden Flüssigkeiten im weiteren Sinne. Nagaya entwickelt dort eine Form der Herzhaftigkeit (einen anderen Begriff haben wir kaum dafür, weder „Umami“ noch Begriffe wie „Würze“ reichen dafür aus), die es in der mitteleuropäischen Küche nicht gibt und die ihre Basis in japanischen Zutaten, vor allem aber auch im japanischem Verständnis hat. Speziell bei seinen Sashimi (siehe unten) zeigt er zunehmend eine ganz eigene, absolut überragend wirkende Qualität.

Wie gut können wir bei uns japanische Küche bewerten?
Die Einordnung und Bewertung „fremder“ Küchen durch die ganz normalen Gäste wie durch die Tester der Restaurantführer und Kritiker ist ein Dauerthema. Ich nehme als Beispiel oft die Heringe bei Magnus Ek in Stockholm. Ich habe ihn einmal gefragt, warum er denn eigentlich keine drei Sterne bekommt. Seine Antwort war sinngemäß: „Nehmen wir unsere Heringe als Beispiel. Wir haben extrem ausgewählte Qualitäten aus ganz bestimmten Gegenden mit einer ganz bestimmten Wasserqualität. Wir machen uns Unmengen von Gedanken über jedes Detail von Alter, Fangtechnik oder Zubereitung und kommen zu Gerichten, die dieses Wissen reflektieren. Dann kommen Michelin-Tester aus Deutschland oder Großbritannien, die keinerlei Ahnung von diesen Produkten haben, die gerade einmal für sich beurteilen können, wann ihnen ein Hering schmeckt. So kann unsere Arbeit nicht geschätzt und bewertet werden.“.

Ganz Ähnliches gilt natürlich für Vieles rund um die japanische Küche. Wenn Leute zwischen Sushi aus dem Supermarkt und einer exzellenten Qualität von japanischen Spezialisten keinen wesentlichen Unterschied erkennen können, werden sie die Leistungen dort nicht richtig einschätzen können. Insofern wundert es nicht, dass ein so hervorragender Koch wie Yoshizumi Nagaya immer noch sehr unterschiedlich eingeschätzt wird. Ich möchte aus diesem Grunde einmal ein paar Anmerkungen zur Sensorik von Sashimi machen, die schnell erkennen lassen, wie differenziert es in dieser Küche auf diesem Niveau zugehen kann und worauf man achten kann oder sollte.

Die Sashimi-Sensorik
Man kann beim Sashimi die Sensorik sehr gut erläutern, weil das Produkt eben in der Regel ohne Behandlung angeboten wird und es in der Hand des Essers liegt, wie er mit dem Produkt und den weiter dazu angebotenen Zutaten umgeht. Ob er einen Hauch von Sojasauce nimmt oder das Stück regelrecht in der Sauce untertaucht, kann einen gewaltigen Unterschied machen. Scheinbar geht es dabei um eine primär aromatische Frage: wenn zum Beispiel viel Sauce (oder auch Wasabi etc.) an dem Fischstück klebt, kann das sein Aroma übertünchen. Ich beobachte in entsprechenden Restaurants immer wieder, dass die Gäste da so ihre Routinen haben und scheinbar überhaupt nicht über die Zusammenhänge nachdenken.

Am Anfang müsste eine Art Analyse stehen, um was es sich denn da – sensorisch gesehen – eigentlich handelt. Die unterschiedlichen Fettgrade der unterschiedlichen Thunfischstücke sind ja noch einigermaßen bekannt. Es versteht sich von selber, dass man die Qualität der Stücke nur dann wirklich einordnen und den Fettanteil im Mund wirklich „durchspielen“ kann, wenn man erst einmal auf jede weitere Aromatisierung verzichtet. Das gleiche gilt aber auch für anderen Fisch als Thunfisch. Jedes Fischstück hat seine eigene Sensorik, und…sensible Esser mit den entsprechenden Kenntnissen wissen das natürlich, und die guten japanischen Köche sowieso. Das nächste Detail bedeutet in diesem Zusammenhang bereits den Einstieg in wesentliche Zusammenhänge. Wie ist das Verhältnis von Aroma zu Textur? Bekommt man das Aroma schnell, verzögert oder sogar sehr spät, weil man die Struktur des Stückes durch Kauen erst auflösen muss, bis man das eigentliche Aroma wahrnimmt? Selbstverständlich spielt bei diesen Überlegungen eine Rolle, wie die Stücke geschnitten sind, ob man also ein etwas dickeres Stück einsetzt, nur sehr dünne Scheiben oder welche Partie eines Fisches man für Sashimi benutzt – nicht nur beim Thunfisch (die hochdifferenzierten japanischen Schneidetechniken will ich hier erst gar nicht erwähnen).

Und das ist erst der Anfang. Man kann sich leicht vorstellen, welche Rolle würzende Flüssigkeiten und Co. in diesem Zusammenhang spielen. Greifen sie sofort und beschäftigen die Papillen so stark, dass man den Fisch nicht mitbekommt? Oder sind sie so präzise eingestellt, dass sich ein zeitlicher Verlauf zwischen der Wahrnehmung der „Sauce“ und dem des Fisches ergibt? Blenden sie vielleicht hochelegant durch oder sind sogar – etwa in der Intensität – an den Geschmack des Fisches angepasst? Man kann sich leicht vorstellen, dass man von der eigentlichen Fischqualität bis zu solchen sensorischen Fragen eine Menge an Dingen wahrnehmen kann und – als Kritiker oder Tester – auch wahrnehmen muss. Können wir das in Europa? Sind die Tester von Michelin und Co. versiert genug, um in die Tiefen der Qualitäten einzudringen? „Schaffen“ sie vielleicht eigentlich kaum mehr als Sashimi in Supermarktqualität und keineswegs so exquisite Qualitäten wie Nagaya sie anbietet?

Bei meinem Besuch servierte Yoshizumi Nagaya etwas, das man „angemachte“ Sashimi nennen könnte, also Sashimi mit einer jeweils spezifisch abgestimmten „Sauce“/Vinaigrette/Flüssigkeit – wie immer man das nennen möchte. Zur japanischen Dorade gab es zum Beispiel Kombu-Algen mit Schnittlauch, zur Gelbschwanzmakrele eine Yuzu-Soja-Zubereitung mit Yuzu-Pfeffer, zum Hummer Yuzu-Schaum, Yuzu-Miso und Shiso-Blüten usw. Alle drei schmeckten komplett unterschiedlich und spezifiziert. Die Begleitung des Doraden-Sashimi kann man nur als sensationell gut bezeichnen, weil sie eine sagenhaft gut schmeckende Herzhaftigkeit besitzt, die ich in dieser Qualität noch nie bekommen habe. Das Ganze ist eine Sashimi-Komposition, die Lichtjahre von den sonst üblichen Praktiken entfernt ist. Bei der Gelbschwanzmakrele kann man sehr gut beobachten, wie sich im Mund eine gewisse Schärfe akkumuliert, die aber nie über den Fisch hinweggeht, ihn nie auslöscht. Der Hummer schließlich bekommt ein Register, das ganz besonders deutlich macht, wie hilflos man bei uns im Westen manchmal mit diesem Krustentier umgeht, es in süßlichen Begleitungen versinken lässt, die die Perspektiven seines Aromas überhaupt nicht begreifen.

Es wird Zeit, dass die Leistungen eines Yoshizumi Nagaya adäquat gewürdigt werden. Anscheinend dringen die Führer ja kaum jemals zu seinem Tasting-Menü vor (das man eigentlich essen müsste, um die Arbeit Nagayas wirklich zu verstehen) – zumindest erwecken die kargen Texte nicht diesen Eindruck. Wenn man schon vor allem Sushi und Sashimi isst, sollte man natürlich in der Lage sein, in die Qualitätskategorien der japanischen Küche vorzudringen, um adäquat beurteilen zu können. Und da besteht für mich keinerlei Frage, dass auch in Europa Qualitäten japanischer Köche denkbar sind, die im Range der besten Spitzenrestaurants zu sehen sind.

10 Gedanken zu „Nagaya und die Sashimi-Sensorik“

  1. Ich weiß nicht die detaillierten Kriterien für 3sterne,habe aber schon öfter in diesen Restaurants gespeist.wenn einer 3 Sterne verdient hat dann Nagaya!

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      • Lieber Revenant, bite beachten Sie, dass ich bei Nagaya explizit von den „angemachten Sashimi“ geschrieben habe, also Sashimi, denen jeweils eine spezifizierte Sauce beigeordnet wurde. Das war hier früher nicht so – man hat eine zeitlang Sashimi wie üblich serviert.
        Gruß JD

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  2. „Im Nagaya bekommt man zweifellos Sashimi in einer Qualität, die man in Deutschland sonst vergeblich sucht“

    -> Mich würde interessieren, wie z.B. das Aska in Regensburg, im Vergleich zum Nagaya einzuordnen ist. Das hat ja einen Stern und ich würde nicht behaupten, dass es sich an europäische Geschmacksbilder anbiedert oder sonst irgendwelche Zugeständnisse an die Michelin-Kriterien macht.

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  3. Lieber Marius, lieber Alexander,
    bitte beachten Sie, dass ich mich nur mit den Sashimi befasse und andere Dinge nur insofern erwähne, als ich auf die Würze verweise. Zu den Desserts habe ich nichts gesagt und auch ansonsten keine Restaurantkritik gemacht. Es ging mir darum, an diesem Beispiel einmal etwas zur Sensorik dieser Küche zu sagen. Ein wenig auch darum einmal darauf hinzuweisen, dass die Basis für Benotungen bei dieser Art von Küche grundsätzlich (und im übrigen auch in der Praxis, sprich: nur Mittagsmenüs oder nur Sushi) zu klein ist. – Was die Getränkebegleitung angeht habe ich im „Nagaya“ einmal eine Folge von „Wein und Speisen“ für „Fine. Das Weinmagazin“ realisiert, und zwar ein „Special Sake“. Das war höchst beeindruckend. Gruß JD

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  4. Als Fortsetzung dazu müsste es um Nigiri gehen, die ja den viel zentraleren Bereich der japanischen Küche ausmachen (Sashimi bildet ja in der Regel nur eine kleine Vorspeise), und wo die hohe Kunst auch im Reis besteht. Es war in den Top-Sushi-Restaurants für mich eine Offenbarung zu erkennen, wie ungeheuer groß die Bedeutung des Reis für die Qualität und des Gelingen ist; oft macht ja gerade die Wahl und Zubereitung des Reis auch den Stil des Sushi-Meisters aus. Beste Grüße!

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    • Ja, und Nagaya benutzt für seine Reisunterlage drei Reissorten, um den richtigen Mix zu bekommen. Ich selber bin im Prinzip längst so weit, dass man mir perfekten reis auch „ohne alles“ servieren könnte und ich würde mich dafür sehr interessieren. Aber – das ist natürlich illusorisch, weil die Wahrnehmung üblicherweise so weit nicht geht.
      Gruß zurück, JD

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  5. Der Artikel ist eigentlich eher die „ultimative Lobhudelei“ (wie bekannt aus „Zimmer frei“), als eine kritisch-differenzierte Auseinandersetzung mit Küche. Das hat Marius schon recht treffend erkannt und angesprochen.

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  6. Im Nagaya bekommt man zweifellos Sashimi in einer Qualität, die man in Deutschland sonst vergeblich sucht und man möchte sagen, dass auch die anderen Fischgerichte und der Fleischgang von überragender Qualität sind. Zur richtigen Einordnung der Qualität von Sashimi und Sushi allerdings muss man auch die in Japan angebotenen Qualitäten kennen und berücksichtigen und nicht nur die in Deutschland angebotenen. Zudem sollte man – insbesondere wenn man die Michelin Tester in dieser Hinsicht tadelt – auch nicht verschweigen, dass das Degustationsmenu drei mediokre Dessertgänge umfasst, die an Kalorienzahl schon mal die der sechs vorherigen Gänge übertreffen kann. Eine Unsitte die hier unlängst als no go gegeißelt wurde. Man könnte auch erwähnen, dass eine abgestimmte Getränkebegleitung hier nicht vorgesehen ist. Ein Punkt auf den hier oftmals großer Wert gelegt wird.
    Auch wenn man für die äußerst positiven Besprechungen solch herausragender Restaurants wie das Nagaya mehr als vollstes Verständnis hat – so viele Restaurants dieses Kalibers haben wir schließlich nicht in Deutschland, so plädiere ich doch dafür, dass man selbst bei seinen absoluten Favoriten kritische Punkte auch benennt.

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