Primitivo di Lorenzo

Nein, dies ist kein Text über einen neuen süditalienischen Wein, sondern ein Wortspiel mit dem Namen des ZEIT-Herausgebers Giovanni di Lorenzo, einem italienischen Weinnamen und einer – sagen wir: sehr schlichten Behandlung kulinarischer Themen in dem genannten Magazin. Die Lage in Deutschlands eher intellektuellen Print-Medien ist bei kulinarischen Themen sehr durchwachsen. Meist werden die bei weitem nicht adäquat behandelten kulinarischen Themen von der Haltung und Bildung der entscheidenden Redakteure geprägt. Und hier muss man bei der ZEIT den Eindruck haben, als ob der ansonsten geschätzte Giovanni di Lorenzo zum kulinarischen Bereich auf hohem, differenzierendem Niveau nicht das rechte Verhältnis hat. Man nimmt anscheinend solche Themen mit, weil man sie irgendwie haben muss, überschaut dann aber nicht, welche Qualität das Material hat, dass im Blatt veröffentlicht wird.

Aus kulinarischer Sicht gesehen gibt es Unmengen von Gründen, sich mit der Ernährung und ihrem ideengebenden Bereich, der avancierten Kochkunst, ausführlich zu beschäftigen. Man zählt das Thema – wie andere Bereiche der Kultur – zum Bildungskanon und konstatiert bei Leuten, die in diesem Bereich eine eher naive Unkenntnis zeigen, eine unvollständige Bildung. Es sieht so aus, als ob Giovanni di Lorenzo über eben eine solche verfügt.

Die „Weihnachts-Frikadellen“ im „Wochenmarkt“
Auslöser für diese Folge von „Gourmet Watch“ war ein Text, der im ZEIT-Magazin vom 18.12.2019 erschienen ist. Im Magazin findet sich eine Kolumne, die von Elisabeth Raether bestritten wird, und schon seit langer Zeit eine Würdigung in der Abteilung „Gourmet Watch“ verdient hätte. Diese Folge stellt in ihrer ganzen Banalität und Eitelkeit und kulinarischen Fragwürdigkeit allerdings alles in den Schatten. Der Text beginnt mit einer eitlen Einleitung, wie man sie vielleicht in diversen bunten Blättern, Online oder dann findet, wenn mal wieder ein Promi zum Messer greift. Der Text beginnt so:
„Ich werde manchmal gefragt, ob die Leute nervös sind, wenn sie für mich kochen müssen, wegen Kochkolumne und so, Sie wissen schon. Aber tatsächlich ist überhaupt niemand nervös, wenn er für mich kochen muss, ich habe offensichtlich keine besonders ehrfürchtig machende Ausstrahlung. Dafür bin ich aber selbst total aufgeregt, wenn ich für andere kochen muss, wegen Kochkolumne eben. Neulich habe ich Frikadellen für ein sehr anspruchsvolles Publikum zubereitet, und ich finde, sie sind mir sehr gut gelungen.“

Die folgende Arbeit für das „anspruchsvolle Publikum“ (!) ist von einer so bizarren Banalität, dass man sich nur die Augen reiben kann. Auf dem Foto liegen ein paar mickrige Frikadellen mit Unmengen einer Wasabi-Mayonnaise, die jede Proportion sprengt. Im Text werden diese banalen Frikadellen zu einem Problem hochgejazzt – ganz nach Art populistischer Hausfrauenmagazine, vielleicht in einer Rubrik namens „Kochen ohne Kochen zu können“, „Kochen für ältere Männer“ oder „für komplette Anfänger“. Zitat:
„Es war aber riskant, denn Frikadellen sind unberechenbare kleine Biester. Mal gelingen sie, mal zerfallen sie, und niemand kann sagen, warum.“

Ist das ernst gemeint oder Satire? Wir sind im ZEIT-Magazin, der Beilage einer der großen Zeitungen des bildungsbürgerlichen Lagers, und dieses Magazin, das normalerweise Kultur in langen Textstrecken bis ins letzte Detail begleitet, beschäftigt im kulinarischen Sektor eine Autorin, die sich mit Frikadellen nicht auskennt? Und das auch noch eitel vor sich hin trägt? Es ist ein Trauerspiel, hat aber Geschichte. Vielleicht hat man sich von einem Autor, der früher für die Zeit geschrieben hat (um den Namen „Siebeck“ zu vermeiden), etwas einlullen lassen oder vielleicht versteht man die Welt der Kochkunst nur aus einem von dort her importierten, sehr engen Blickwinkel. Dieser Autor hatte vor vielen Jahren auch einmal den Mut oder Übermut, prominente deutsche Köche zu sich zum Essen einzuladen. Ich habe später mit Teilnehmern an dieser Runde gesprochen. „Na ja“, sagte ein Drei-Sterne-Koch dazu, „aber von Kochen hatte der keine Ahnung“. „Na dann“, würde jetzt Ulrich Wickert vielleicht sagen, „hat das ja bei der ZEIT Tradition.“

Foto: Jürgen Dollase, Cover © ZEIT

17 Gedanken zu „Primitivo di Lorenzo“

  1. Lieber Herr Dollase,
    immerhin kann ich schreiben, was man nicht von allen behaupten kann, die ihr Geld damit verdienen. Die Anwesenden natürlich ausgenommen!
    Kollegiale Grüße
    E. Raether

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  2. Also, über Siebeck kann man ja streiten, gerade wenn man auch Gastrokritiker ist wie Sie, Herr Dollase, aber man muss ihm auf jeden Fall lassen, dass er Spaß am Kochen,Genießen und Gastronomadisieren hatte und diesen auch wunderbar vermitteln konnte – und das ist zu seiner Zeit sicher viel wichtiger gewesen als die Kerntemperatur einer Karotte zu kennen. Zu den Buletten schweigt des Sängers Höflichkeit, hoffen wir mal, dass Frau R. ihren Text höchst selbstironisch meint…….
    Mit freundlichen Grüßen !

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    • Lieber Herr Sudeck,
      ich habe selber einmal gesagt, dass ich die beiden Pariser Bistro-Bücher von Siebeck mit auf eine einsame Insel nehmen würde. Ja, er hat das gut vermittelt, seine Grenzen aber schnell gefunden, wenn es nicht um seine Lieblingsküchen ging. – Es gibt übrigens eine wissenschaftliche Untersuchung in Buchform, die die Arbeit von Siebeck und mir sehr ausführlich vergleicht. Titel reiche ich nach, ich bin gerade nicht in der Nähe meiner Bibliothek.

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  3. ich finde es auch höchst sonderbar, jemanden wie frau raether, die schwierigkeiten mit ein paar fleischpflanzerl hat, mit einer kulinarischen kolumne zu betrauen. habe mir daher heute morgen das online-angebot von ZEIT und ZEIT-magazin vorgenommen und nach kulinarischen, gastronomischen themen durchforstet. ausbeute: mau. Küche findet in der ZEIT nicht statt, bis auf komische wochenmarktrezepte , ängstliche artikel darüber, ob “ man“ überhaupt noch tierische produkte essen “ dürfe“wie „gesund“ bestimmte ernährungsmoden etc seien. hochküche findet überhaupt nicht statt in diesem blatt mit hohem intelektuellem eigenanspruch; nicht mal der verheerende brand in der “ schwarzwaldstube“ und dessen auswirkungen auf die deutsche gastronomie wird kurz und aktuell gestreift. alles in allem frustiert diese kulinarische verklemmtheit ganz schön; das scheint aber weder herausgeber noch autoren bewusst zu sein.

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    • Ich dachte schon, ich sei die einzige, für die die banalen und im Prinzip immer gleichen Rezepte dieser Frau ein Ärgernis sind. Dazu, wie von Herrn Dollase richtig beschrieben, jazzt sie die irgendwo abgeschriebenen Schlicht-Rezepte zur Kochkunst hoch. Ein Armutszeugnis dieser Zeitung und auch des kulinarischen Anspruchs der Leser, die sich offenbar an dem Dilettantismus dieser Frau, gepaart mit Selbstüberschätzung, nicht stören.
      P.S. Ich bin schon lange nicht mehr Abonnentin dieser Zeitung – und das nicht nur wegen dieses Ärgernisses.

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  4. Lieber Herr Dollase,
    haben Sie vielen Dank für die Kritik an Frau Raether, deren peinlich „mädchenhaftes“ Geschreibsel (die Frau ist erwachsen!) mich schon sehr lange nervt – und deren Rezepte tatsächlich oft kaum genießbar sind, wenn man sie nicht entscheidend abwandelt. Tatsächlich scheint sie hauptberuflich im Politikteil zu arbeiten. Da ist das SZ-Magazin deutlich besser aufgestellt, denn dort schreiben wirklich gute Köche, nicht zuletzt Hans Gerlach.
    Unangenehm fällt jedoch Ihr Seitenhieb oder besser: das Nachtreten gegen den ehrenwerten Wolfram Siebeck auf. Dass der Mann einen anderen Stil hatte, als Sie, ist bekannt … vermutlich war er zuletzt auch etwas zu konservativ. Allerdings ist auch bekannt, dass sein positiver Einfluss und seine Bedeutung für die Entwicklung der deutschen Gourmandise unübetroffen sind. Bis heute. Tut mir leid (wie man so sagt). Haben Sie daran wirklich so zu knabbern? Es lag ja auch an dem Zeitpunkt damals.
    Er war der Bohemien, Lebemann und Künstler unter den Autoren, Sie sind eher der Dozent und Lehrer. Ergänzt sich doch prima. Über Siebecks Kochkünste kann ich leider nicht urteilen, aber Sie dürfen mir glauben: fragt man deutsche Sterneköche unter vier Augen nach den Kochideen von Jürgen Dollase, fallen die Kommentare auch nicht gerade nett aus. Das muss nichts heißen, denn Profis reagieren eben immer spöttisch, wenn Laien sich etwas zu viel einbilden 😉
    Besten Gruß!

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    • Lieber Pietro,
      was meinen Sie, wie das Verhältnis von Siebeck und mir war? Ich war sehr positiv – trotz unterschiedlicher Meinungen, aber Siebeck hat mich mit oft sogar unfeinen Methoden regelrecht bekämpft…Das wissen nicht viele…

      Soweit ich das erinnere gibt es so gut wie keine Sterneköche,die jemals etwas von mir gegessen hätten…Meine Forschungen in diesem Bereich überblicken ohnehin nur sehr wenige von ihnen
      Auch von mir gibt es übrigens Meinungen zu deutschen Sterneköchen, die ich nicht veröffentlichen möchte…

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      • Wieso denn nicht?!? Sagen bzw. schreiben Sie, was Sie denken, bitte. Genau so etwas braucht es doch! Wer, wenn nicht Sie? Wollen Sie dieses Feld wirklich einem gewissen neureichen Schnösel überlassen, der seine Aversion gegen die deutsche Spitzenküche zu seinem Markenzeichen macht? Beste Grüße

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        • Ich spüre die Aversion des Altarmen gegen den vermeintlich Neureichen.
          Geschenkt.
          Julien Walther – denn um den geht es – schreibt hingegen mit einem Maß an Fairness, Differenziertheit und Transparenz, das seinen Kritikern gewiss auch noch länger verschlossen bleiben wird.

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  5. DANKE; DANKE; DANKE!!!!!!

    Frau Raethers „frugale“ Köchelei geht mir schon lange auf den Keks. Beschwerden an „Die Zeit“ haben nichts gebracht.

    Und der arme Siebeck muss sich jede Woche im Grabe umdrehen…….

    Aber fast immer, wenn es „berichterstattungsmäßig“ in Deutschland um Küche geht , wird es peinlich. Herzlich, Barbara Freier

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  6. Sehr geehrter Herr Dollase, ich bin auf obigen Text der ZEIT hereingefallen und fand die Zu-Mayonnaise für meinen silvesterlichen Mitternachts-Snack eine ungewohnte Überraschung. Leider war die Wasabi-Mayonnaise wirklich ungenießbar. Ich rede mir ein, dass es am Rezept und nicht an mir lag 😉
    Herzliche Grüße und stets guten Appetit
    S.Gerhards

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  7. ich verfolge in vielen Medien Rezepte … und stelle – und kritisiere in Kommentaren – fest, dass diese immer banaler werden … anscheinend brauchen deutsche Leser dies … und dass sich die Autor*Innen dabei immer selbst „erhöhen“ ist langsam normal … in FR oder IT oder A oder CH oder? erzeugen „solche KochSchulBerichte“ nur Kopfschütteln … mit Recht …

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    • Lieber Edgar, ich beobachte in Frankreich seit vielen Jahren die Rezepte, die Alain Ducasse in den der Tagespresse beigelegten TV-Magazinen veröffentlicht und studiere genau, wie er es schafft, Qualität und massentaugliche Simplizität unter einen Hut zu bringen. Sehr lustig finde ich auch oft Rezepte in Tageszeitungen, zu denen mir immer wieder einfällt, dass man „so etwas“ in Deutschland wohl kaum veröffentlichen könnte. Aber – es probiert auch niemand….

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