Regional mit Rückgrat, oder: Die Befreiung von kulinarischer Hochnäsigkeit und der Banalisierung des Regionalen

Jacques Ballarin (mit einem Vorwort von Alain Ducasse und Martin Berasategui): Pays Basque. Un Terroir des Hommes. Ducasse Edition, Levallois-Perret Cedex 2019. 320 S., geb., 30 Euro (in französischer Sprache)

Dieses Buch ist eines jener Bücher, die auf den ersten Blick nicht weiter auffallen, weil sie nicht besonders reißerisch aufgemacht sind oder der Titel keine besondere Spezifität verrät. „Baskenland. Ein Land der Menschen“ wäre auch keine besonders gute Übersetzung ins Deutsche, weil in „Un Terroir des Hommes“ immer auch so etwas wie die Begriffe „Menschlichkeit“, „Bodenständigkeit“ oder auch „Natürlichkeit“ mitschwingen. Als Freunde der Gourmandise werden Sie sich vorstellen können, was da gemeint ist. Das Baskenland hat ja immer ein wenig zweischneidige kulinarische Assoziationen. Einerseits gilt es als ein kulinarisch recht rustikaler Landstrich, in dem es recht kräftig zugeht. Ich habe da vor einiger Zeit schon bei der Rezension von Pascal Arcé und seinem Buch „Basque“ etwas dazu geschrieben. Andererseits ist die spanische Seite mit San Sebastian und seinem weltberühmten kulinarischen Zentrum oder auch dem Kongreß „San Sebastian Gastronomika“ ein Ausbund an Kreativität und Qualität. Ducasse kommt aus den nicht weit entfernten Landes, Berasategui quasi aus San Sebastian, beide Köche sind in ihren Ländern Instanzen geworden und geblieben.

Warum mich das Buch so fasziniert, ist die Art und Weise, wie hier mit Regionalem umgegangen wird.

 

 

Das Buch

Es geht hier also nicht so sehr um den Aufbau des Buches. Insgesamt handelt es sich um ein atmosphärisch dichtes Werk, das mit vielen Bildern und Erläuterungen eine kulinarische Landschaft, ihre Menschen und ihre Produkte vermittelt. Der rote Faden sind dabei die Produkte, die in „Fleisch, Geflügel, Käse“, „Fisch und Muscheln“ und „Gemüse, Früchte, Pflanzen“ aufgeteilt sind. Sie werden unterschiedlich umfangreich behandelt. Das baskische Schwein etwa bekommt diverse Erläuterungen zu seiner Geschichte, seinen verschiedenen Rassen, Feste rund um das Schwein, Produzenten für Dinge wie den Schinken etc., gefolgt von Rezepten verschiedener Köche, darunter in den meisten Fällen eines von Christian Etchebest, der so etwas wie der Nukleus der baskischen Regionalküche ist. Die Rezepte sind ausschließlich eindeutig regional orientiert, also auch in vielen aromatischen Details mit typischen regionalen Produkten kombiniert – etwa den diversen Käsesorten. Die Rezepte wirken durchweg sehr „seriös“, also nicht in irgendeiner Weise absichtlich populär gemacht oder vereinfacht. Man macht, was dazugehört, man macht es gut und man hat Ergebnisse, die bei diversen Rezepten zu einem qualitativen Niveau führen, das für eine optimierte, traditionelle Küche typisch ist.

 

Was der eigentliche Output dieses Buches ist, ist die enorme Souveränität und Selbstverständlichkeit, mit der man hier als Köche von Rang mit den Traditionen und ihren Perspektiven umgeht. Hier wird nicht versucht, irgendwie einmal die eigenen Fähigkeiten auf die Regionalküche anzuwenden. Alles scheint fest verwurzelt, gelebt und vor allem verstanden. Das Gegenteil ist das, was in vielen Büchern und eben auch in vielen Ländern als Abklatsch von Regionalküche „verkauft“ wird, geschrieben von irgendwelchen Leuten, die aus irgendwelchen Gründen meinen, sie hätten da noch eine ganz spezielle Sicht zu bieten, tatsächlich aber weichgespülten Unsinn produzieren. Auch die seit den 80er Jahren bei uns in Deutschland immer wieder anzutreffenden Versuche, „bessere“ Küche mit Regionalküche zu verbinden, gehören im Prinzip häufig in diese Kategorie. Hier im Baskenland, in diesem nicht umsonst von Ducasse und Berasategui eingeleiteten Buch, hat man keine Berührungsängste und muss sich nicht verbiegen, man denkt nicht an Restaurantführer und reisende Gourmets, man lebt hier, mit beiden Beinen auf dem Boden und fasziniert von der Qualität und den Perspektiven der eigenen Ressourcen. In dem Moment, wo man gedanklich nur einmal ganz kurz durchspielt, wie so etwas bei uns aussehen könnte, wird man sofort darauf stoßen, wie gebrochen die entsprechenden Verhältnisse bei uns sind.

 

Hier noch ein paar Rezeptimpressionen: „Mit Piquillos gefüllte Anchovis im Bärlauchblatt, Creme von schwarzem Knoblauch und eine Txakoli-Vinaigrette“ (Claude Calvet), „Morue meuniére mit Sauce Ravigote“ (Christian Etchebest), „Gegrillter Pulpo auf gebratenem Kohl, Kartoffelsuppe, iberischer Kohl und Paprikaöl“ (Pablo Loureiro), „Weißer Thunfisch aus Saint-Jean-de-Luz mit Mais, Tomate und Barbecue-Sauce (von dem deutschen Koch Fabian Feldmann, den ich schon einmal als Juror in San Sebastian bei einem Wettbewerb um das beste Gericht mit Olivenöl getroffen habe). Ein völlig anders angelegtes Pyrenäenlamm von Pascal Arcé (dessen exzellentes Buch ich hier vor einigen Monaten besprochen habe), nicht zu vergessen ein sagenhaft üppig gegartes Kalbskotelett und Ringeltauben – natürlich Alles gerne auch über offenem Feuer gegart oder beendet.

 

Fazit

Das Buch macht Spaß und inspiriert, sich endlich auch bei uns von den Fesseln kulinarischer Hochnäsigkeit und – auf der anderen Seite – jahrzehntelanger Banalisierung der Regionalküche zu verabschieden. Es ist eine große Anregung und im Detail durchaus auf unsere Verhältnisse umzulegen – oder auch zu studieren, wie man optimierten Geschmack in die Regionalküche bekommt. Aus der Ferne hat das auch etwas mit kreativen Inspirationen zu tun, weil es sich eben um bei uns nicht unbedingt gebräuchliche Akkorde handelt, obwohl dies nicht im engeren Sinne kreative Küche ist.

Das Buch bekommt 1 grünes B, aber mit sehr viel Sympathie.

Fotos: Claude Prigent

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