Sind unsere Restaurant-Patissiers schlechte Chocolatiers?

Vorbemerkung. Ich möchte diesen Text, den ich ursprünglich nur über einen guten französischen Chocolatier schreiben wollte, auch für ein anderes Thema nutzen, das mir schon lange immer wieder auffällt. Es geht um die Qualität der „Pralinen“, die in guten Restaurants oft zum Abschluss des Essens zusammen mit dem Kaffee gereicht werden. Sie haben für mein Verständnis oft eine Qualität, die weit unterhalb dessen liegt, was in diesen Restaurants im herzhaften Bereich geleistet wird. Um das zu erläutern, muss man etwas ausholen.

„Chocolats“ haben etwas mit Schokolade zu tun
Die besten französischen Chocolatiers (und einige andere) zeichnen sich dadurch aus, dass ihre Chocolats vor allem von der Kakao/Schokoladen-Seite her gedacht sind. Ihre unterschiedlichen Produkte schmecken dann am besten, wenn sie Schokoladen unterschiedlicher Herkunft und mit unterschiedlich hohem Kakaoanteil verarbeiten und sie mit Füllungen kombinieren, die so gestaltet sind, dass der Chocolat-Eindruck immer dominiert und erhalten bleibt. Dabei wird oft eine unglaubliche Finesse in den Feinabstimmungen erreicht – vor allem wenn man im klassischen Fach bleibt, also als zusätzliche Elemente Nuss (im weitesten Sinne) in verschiedenen Verwendungen benutzt. Zu den allerbesten Chocolats gehören für mich solche, die neben einer exzellenten Füllung und Kuvertüre eine feine krokante Schicht eingebaut haben. Die Sensorik bei der Degustation solcher Chocolats gehört zum besten, was man im süßen Bereich bekommen kann – immer vorausgesetzt, sie wird mit allerbesten Materialien und mit allergrößter Präzision ausgeführt. In Frankreich gibt es sehr viele Chocolatiers, die zwar Tendenzen in dieser Richtung haben, aber längst nicht alle auf diesem Niveau arbeiten. Zu meinen liebsten Adressen in Frankreich zählen zum Beispiel das Maison du Chocolat in Paris, Jean-Paul Hevin, Patrick Roger, der Belgier Pierre Marcolini (teilweise), Alain Ducasse, Pierre Hermé, das Maison Hirsinger in Arbois, Gilg in Munster, oder auch die „weiblichen“ (das muss man schmecken, um es zu verstehen) Chocolats von Christine Ferber in Niedermorschwihr. Sie alle schaffen es, einen Schokoladen-Eindruck zu vermitteln, der gerade im Vergleich zur Massenware von größter Finesse und Qualität ist.

Kakao und andere Aromen: an dieser Prüfung scheitern viele
Aber – der Fall sieht auch bei diesen Meistern teilweise deutlich anders aus, wenn sie beginnen, Schokolade mit anderen Aromen zu kombinieren. Der Knackpunkt ist hier die Balance zwischen den Kakao-Noten und Früchten, Gewürzen oder was immer man kombinieren möchte. Die allerbesten Chocolatiers schaffen solche Balancen perfekt. Man hat den Eindruck, vor allem Schokolade zu schmecken (entschuldigen Sie bitte das Spiel mit unterschiedlichen Begriffen, aber wir haben in Deutschland nicht so klar verständliche Ausdrücke…) und bekommt dann eine fein eingearbeitete und zeitlich perfekt gestaffelte Ergänzung von z.B. Passionsfrucht, Curry, Mango, Kardamom oder diversen Kräutern. Das schmeckt faszinierenden und raffiniert – aber eben nur, wenn es perfekt ist. Wenn es nicht so ist, hat man zum Beispiel das, was Joel Durand in Saint-Remy in der Provence macht. Er fing als hochtalentierter Chocolatier an, der es schaffte, die Aromen der Provence (also etwas Thymian, Rosmarin, Lavendel, Olive) in Chocolats einzubauen. Das machte er weitgehend sehr fein und gut. Im Laufe der Jahre verlor er aber den Faden und wurde immer plakativer. Während man zu Beginn noch über den Ursprung der geheimnisvollen Noten rätseln konnte, arbeitet er nun sozusagen mit der Brechstange für die Touristen , die nach einer Sekunde schon sagen können: „Das ist ja Thymian“. Toll!“.

Das Grundproblem scheint mir zu sein, dass die Kakao-Aromen sehr „geduldig“ sind und im Prinzip mit allen möglichen Aromen kombiniert werden können, ohne dass einem Gourmet das Ganze völlig schief vorkommen muss. Wir kennen diesen Effekt auch bei Speiseeis, wo es in den Sommermonaten regelmäßig Berichte in den Medien darüber gibt, dasss irgendwo irgendein Eisproduzent Speck-Eis oder solches mit Krabben produziert hätte. Abgesehen davon, dass Sorbets und Co. mit quasi jedem Aroma zu den festen Bestandteilen einer sensorisch ausgeweiteten Küche gehören, ist das Ganze auch beim Eis einfach kein Problem.

Was ist mit unseren Restaurant-Patissiers? Fehlt das Schokoladen-Gen?
Ein Schokoladen-Erlebnis der oben genannten Art habe ich leider bei den Dessert-Pralinen in deutschen Restaurants nicht in Erinnerung. Ganz allgemein scheint man bei uns kein gutes Gefühl für die Arbeit mit Kakao/Schokolade zu haben. Es gibt die immergleichen Chocolats mit den immergleichen „spektakulären“ Füllungen (Passionsfrucht und Co.), aber regelmäßig in so schlechten Proportionen und mit so schwachem Ausgangsmaterial, dass es wirklich keine Freude ist und Welten von den Arbeiten der besten Chocolatiers entfernt. Technisch scheint man zu allen möglichen Dingen in der Lage. Geschmacklich habe ich oft den Eindruck, als ob das Schokoladen-Gen fehlt, als ob man keinerlei Ausbildung in geschmacklicher Hinsicht erfahren habe, sondern nur irgendetwas gefällig kombiniere.

Foto: Gilg
Gilg
Zum Abschluß und als gutes Beispiel möchte ich die Arbeit der Patisserie Gilg aus Munster im Elsaß erwähnen (Filialen in Ribeauvillé und Colmar). Auch hier habe ich im Laufe der Jahre Schwankungen erlebt, zuletzt aber ausgezeichnete Leistungen – vor allem eben in der feinen Balance der Chocolats. Die Abbildungen zu diesem Text zeigen Gilg-Chocolats. Schon die Unterteilung seiner Chocolats in verschiedene Gruppen zeigt deutlich, wie bewusst an bestimmten Dingen gearbeitet wird. Es gibt die „Pralinés – mit einer Umhüllung von weißer Schokolade oder Milchschokolade“, also Chocolats mit Füllungen unter Verwendung von Nuss und Co. Dann die „Pralinés mit dunkler Kuvertüre“ (z.B. Pralin feuilleté – pralin aux amandes au beurre frais et fines crêpes croustillantes, umhüllt von einer 75%-Kuvertüre). Es gibt die „Ganaches intemporelles“ (Bisquit, Karamell, Vanille, Tonkabohnen), die „Subtils classiques“ (z.B. Café, Cognac, Gewürztraminer), es gibt „Nomades“ (z.B. Szechouan-Pfeffer, Tee, Jasmin) und „Chocolats et fruits“ (Passionsfrucht, Zitronenzesten, Himbeere, Birne).

Wenn man bedenkt, dass man es hier mit kleinsten Mengen zu tun hat, die zudem wegen der möglichen Unterschiede bei den Ausgangsprodukten nicht so ohne weiteres so standardisiert werden können, dass man eine Massenproduktion aufziehen könnte, wird der individuelle Zugriff, das Abschmecken durch einen überragenden Chocolatier zum entscheidenden Faktor. Und da hat man bei Gilg im Moment einen sehr, sehr guten Lauf. Bei Packungsgrößen ab 16 Euro geht es hier zudem noch eher bescheiden zu… Bei Gilg kommt man von der Klassik und geht auf dieser Grundlage weiter. Das führt dazu, dass auch rund 2/3 der nicht primär klassischen Chocolats auf einem sehr hohen Niveau sind.

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