Sollte die „Slow Food“ – Organisation ihre Strategie ändern?

In den Pressemeldungen der Slow-Food-Organisation wird häufig ein ziemlich großes Rad gedreht. Es geht an Globales, an die Politik und sehr Vieles in sehr großem Rahmen. Dem gegenüber steht natürlich auch viel Pädagogisches, der Kampf um gute Produkte, um Nachhaltigkeit und weniger Verschwendung – alles gut und kein Problem. Im Hintergrund taucht aber immer wieder die Frage auf, ob die Argumente denn nun auch Wirkung erzielen, oder ob sie an dem eigentlichen Problem ein gutes Stück vorbeizielen: Was muss man – zum Beispiel – eher ändern, die böse Industrie und die mit ihr kooperierende Politik oder den Menschen?

Beides natürlich, wird vermutlich jeder Beobachter sagen. Aber – bleibt man bei „Slow Food“ nicht genau da zu abstrakt, wo es eigentlich am wichtigsten ist?

Klares von einem lokalen Treffen
In einer lokalen Zeitung habe ich vor einigen Tagen einen Bericht über ein Treffen der örtlichen Slow-Food-Freunde gefunden, in dem sozusagen die Proportionen ein wenig verschoben waren. Ja, es ging natürlich um „regionale und saisonale Ernährung“, und das „ohne unnötige Zusatzstoffe“, und natürlich um die Unterstützung „kleiner, lokaler Manufakturen“ und den „Bio-Bauern von nebenan“. Aber es ging auch einmal explizit um den Geschmack. Eine Teilnehmerin wird mit dem Satz zitiert: „Es ist total faszinierend, dass man plötzlich wieder viel mehr schmeckt (Anm.: durch den Verzicht auf Zusatzstoffe und Geschmacksverstärker in der Nahrung). Nuancen und Gewürze werden wieder viel klarer und man erlebt, wie Produkte wirklich schmecken.“ Das hört man gerne, weil es hier endlich einmal dorthin geht, wo jede Veränderung ihren Anfang nehmen muß, nämlich zu einem veränderten Essverhalten des Einzelnen – nein, nicht nur das – zu einem veränderten Schmecken und einem veränderten, sensibleren Verhältnis zu kulinarischer Qualität.

Der „Genussführer“ und sein überkommenes Genussbild
Mit dem Slow-Food-„Genussführer“ (dessen merkwürdige Kriterien ich schon häufig analysiert und kritisiert habe) legt sich die Organisation klar aus dem Fenster und benennt das, was sie für empfehlenswert hält. Nach einer ganzen Reihe von Besuchen in solchen empfohlenen Restaurants muss ich zu dem Schluss kommen, dass es anscheinend oft ausreicht, mit Bio-Produkten und entsprechenden Erzeugern zu arbeiten, während das daraus entstandene Essen im Prinzip das alte, „gutbürgerliche“ ist – mit den entsprechenden Verzehrgewohnheiten und kulinarischen Grobheiten aller Art. Soll es so sein? Bringt das wirklich den Fortschritt, den man haben will? Werden die Freunde bürgerlicher Küche, denen oft absolut alles Neuartige sehr fremd ist, wirklich eines Tages z.B. ein Gericht essen, das „Gemüsereste“ heißt? Oder „Alles vom Huhn, aber nicht Brust und Keule“?

Die Strategie sollte eine andere Ausrichtung bekommen
Es muss vor allem an das Verhalten des Konsumenten gehen. Es hat keinen Zweck, ihn immer nur als das arme Opfer der bösen Manipulationen von Industrie und Politik darzustellen. Ja, man kann ein Opfer industrieller Geschmacksbilder werden, aber man wird nicht dazu gezwungen, sich nicht zu informieren, nicht zu reflektieren, keine Zusammenhänge zu erkennen und nicht zu denken. Aber – wenn man seine Aktionen so ausrichtet, geht es natürlich gegen die eigene Klientel, denen man ja quasi sagen müsste, dass sie etwas nicht gut machen und sich und ihr Essverhalten dringend ändern müssten. Der traditionell immer sehr weich gebettete Kunde und Gast mag so etwas aber vielleicht nicht und reagiert verstimmt. Und weil das so ist, muss man einen kleinen Umweg nehmen. Dieser „Umweg“ wäre z.B. ein ganz klares Verständnis von kulinarischer Qualität, seiner adäquaten Wahrnehmung und weiteren Kommunikation. Wenn immer wieder Essen und Esserlebnisse mit entsprechender Sensibilität und Genauigkeit beschrieben werden, wird man das eines Tages für normal halten. Wenn man sich aber genau davor drückt, wird sich vielleicht gar nichts ändern.

Nur – da kommt man bei Slow Food dann zu den Altlasten, die z.B. daraus bestehen, dass Essen nicht zu teuer sein darf. Wer Restaurants nur danach beurteilt, dass sie ein Menü von 30 oder 36 Euro anbieten, schließt nicht nur die Besten ihres Faches aus, sondern auch jede Form der Küche, die zu einem solchen Preis nicht realisierbar ist. Diese Altlast sollte man bei Slow Food nun wirklich langsam einmal abschaffen.

Einander so nahe – einander so fern
Im Prinzip sind Leute, die sich für hervorragende, möglichst natürlich hergestellte Produkte, für Sortenvielfalt und vieles Andere aus dem Kanon guter kulinarischer Werte einsetzen, natürliche Verbündete. Die Spitzenküche konnte schon vor vielen Jahren darauf verweisen, dass bei ihnen eigentlich immer schon alles „Bio“ war. Sämtliche Ideen, Tiere als so hochwertig zu betrachten, dass man sie vom Kopf bis zum Schwanz verwerten kann, dass man Gemüse komplett nutzt, dass man ehemalige „Unkräuter“ in die Küche integriert usw. usf. kommen aus der Spitzenküche. Also: Wo ist das Problem? Vermutlich das Gesellschaftbild rund um gutes Essen, von dem die Köche und viele Gourmets mittlerweile längst emanzipiert sind, nicht aber die Klischeeträger in vielen Medien, nicht aber der „Mann von der Straße“, nicht aber eine Organisation wie Slow Food, die sich für kulinarisch Gutes einsetzt, das kulinarisch Beste – von Spitzenprodukten bis zu exquisit sensibel erzeugtem Fleisch und der entsprechenden Gastronomie – aber unterschlägt oder klammheimlich bekämpft.

 

 

 

 

 

Bilder / Logos: Slow Food

5 Gedanken zu „Sollte die „Slow Food“ – Organisation ihre Strategie ändern?“

  1. Lieber Herr Schnürch,
    vielen Dank für Ihre Anmerkungen. Es wäre schön gewesen, wenn Sie auch gleich mitgeteilt hätten, daß Sie der Leiter der Genußführer-Kommission sind. Die Sache mit 50 statt 36 Euro ist unter den von mir gemeinten Aspekten nun wirklich nicht der Kern des Problems. Sie erreichen damit vielleicht etwas hochpreisiger Regionalküchen-Restaurants, nicht aber jene von ir genannten Spitzen, die eigentlich für den kreativen Input sorgen und für jeden Interessierten eine Inspiration sein können. Die Begrenzung auf „alltagstaugliche“ Restaurants für einen Führer, den Sie sicherlich auch als alltagstauglich konzipiert sehen wollen, ist leider nur die eine Sache. Selbstverständlich kann man das machen. Mit Ihrer Ausschlußpolitik gegenüber den kreativen Leistungen, die wir alle dringend für den Fortgang der Dinge brauchen könnten, machen Sie aber etwas Kontraproduktives. Abgesehen davon – ich hatte an anderer Stelle schon darauf hingewiesen – ist die Füllung von Genus = alltagstauglich usw. ebenfalls kontraproduktiv und schließt andere Formen des Genusses aus.

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  2. Der Slow Food-Genussführer orientiert sich seit 2016 an einer Preisobergrenze von 50 Euro für ein durchschnittliches 3-gängiges Menü – nachzulesen z.B. im Vorwort der aktuellen Ausgabe 2017/18 auf S. 10. Selbstverständlich kann man darüber streiten, ob diese Grenze (nach oben) ausreichend ist und genügend ambitionierte, Spitzenprodukte verwendende Wirte mit einbezieht. Es trägt aber nicht zur Versachlichung der Diskussion bei, wenn von Jürgen Dollase zum wiederholten Mal die Mär einer angeblichen Preisgrenze von 36 oder gar 30 Euro wiederholt wird.

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  3. Der Genussführer ist ein Gasthausführer und kein Restaurantführer, wie es viele andere gibt, und das wird auch im Titel der nächsten Ausgabe noch deutlicher werden. Er orientiert sich am Osterie-Führer in Italien, hat es allerdings schwerer, weil in Italien die ursprüngliche lokale und regionale Gastronomie weiter verbreitet und tiefer verwurzelt ist. Darüber hinaus finden in diesen Wochen Regionalkonferenzen der Testgruppen statt, die für die nächste Ausgabe im Herbst 2018 Veränderungen erwarten lassen. So wird, wie in Italien, schon jetzt die Preisobergrenze flexibler gehandhabt. Die imaginäre Grenze liegt bei 50 Euro, wenn das Preis-/Leistungsverhältnis stimmt. Der GaultMillau hat vor zehn Jahren mal seine Tester beauftragt, Vorschläge für einen zusätzlichen Wirtshausführer zu machen, den Plan aber wieder aufgegeben. In diese Bresche ist Slow Food gesprungen. Gerade für ländliche Convivien ist die Arbeit am Genussführer eine zentrale Aufgabe, die auch zur Selbstvergewisserung beiträgt. Der gelegentlich geäußerte Verdacht, es gehe auch um Gefälligkeiten, liegt daneben, denn die Würdigung eines Lokals, das einer Aufnahme nicht würdig ist, fällt schnell auf und führt zu Leserprotesten. Ich selber betreue vom Anfang an den Bereich Ostbrandenburg, also eine gastronomisch nicht gerade verwöhnte Gegend, und habe nur ein einziges Mal eine kritische Zuschrift von enttäuschten Besuchern erhalten (und nach einem Nachtest entsprechend mit einer Streichung reagiert). Das unausgesprochen wichtigste Kriterium für eine Aufnahme ist, sich nicht blamieren zu wollen. Dabei nimmt man in Kauf, dass Mitglieder und Unterstützer, die sich eine Aufnahme in den Führer versprochen hatten, verärgert austreten.

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  4. seit vielen Jahren bin ich selbst Slow Food (Förder-)Mitglied und würde mir sehr wünschen, dass die wohlmeindende Kritik von JD dort auf fruchtbaren Boden fällt. Ich habe zwei Ergänzungen dazu:

    – Slow Food hat italienischen Ursprung. Die linke, genussorientierte Szene in Italien hat per se einen anderen Ansatz als die eher manufactum-affine, saturierte Slow Food Klientel hier

    – während sich um uns herum alles verändert, in vielen Bereichen unseres Lebens Fortschritt und Entwicklung selbstverständlich sind (Forschung, Wissenschaft, Kunst, Kultur, Gesellschaft, Mode…), so wird in Bezug auf Genuss und Geschmack oftmals das Alte zum Vorbild erklärt. So, als könne man mit den Geschmacksbildern von früher ein Stück Beständigkeit festhalten. Gut, sauber, fair unter sich ändernden Umständen ist ja zuerst mal eine Chance und sollte als solche verstanden werden. Daraus ergibt sich für Slow Food ein Bildungsauftrag!

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  5. Slow Food als Organisation ist vieles, national in Deutschland ein Kontrast zu dem Original aus Italien. Die Unterschiede, unter den einzelnen Ortsgruppen sind, ich nenne es mal vielfältig. Über den Genussführer in Deutschland, die Kriterien Listen und die Methodik lässt sich vortrefflich streiten. Pauschal Aussagen zu diesem Verein sind schwierig, vor allem bei dem letzten Absatz. Hier gibt es eine Palette unterschiedlicher Stimmungen, von Foodsharing, über Arche Produkte, bis auch zu Spitzenprodukten. Außerdem ist ein höherer Preis im Dreiklang Gut-sauber-fair berücksichtigt. Hier ist jetzt die Limitierung, dass Slow Food nicht dem Klischee des elitären zugeordnet werden möchte. Ein Verein der sich immer noch weiter entwickelt, hat da auch Lernprozesse vor sich.

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