Stilkritik, Folge 4: Die Krake Mainstream

Selbstkritische Vorbemerkung: Wenn ein Gast irgendwo einmal oder im Laufe der Jahre nur ein paarmal in eine Gourmetrestaurant der Oberklasse geht, wird ihm wahrscheinlich stilistisch überhaupt nichts auffallen. Was „Mainstream“ sein könnte, und dass so etwas vielleicht ein Problem ist, wird er mangels Vergleich nicht mitbekommen. Ist also das Benutzen eines solchen Begriffs nur etwas für häufige Besucher oder die Kritiker? Ja, im ersten Moment könnte man auf diese Idee kommen. Ich habe schon häufig mit Köchen und Gastronomen über dieses Thema gesprochen und bekam dann oft die Antwort: „Wir müssen das hier so machen. Es gibt Leute, die wollen ganz exakt das bekommen, was sie erwarten, was man ihnen erzählt hat usw. usf. Ob wir das Gleiche machen wie andere Restaurants, interessiert sie nicht.“

 

Das Problem: Was ist Mainstream und wie wirkt er sich aus?

In Deutschland (und nicht nur da) ist es sehr wahrscheinlich, dass man in avancierten Restaurants ganz ähnliche Gerichte bekommt – egal, ob man im Norden, Süden, Westen oder Osten isst. Die regionale Profilierung ist oft sehr gering, und man hat den Eindruck, als ob die besten Restaurants nicht nur qualitative ähnliche Merkmale haben, sondern auch stilistisch. Während man in anderen Ländern überall in den Regionen Spitzenrestaurants findet, die die Region kulinarisch reflektieren, ist das bei uns eher selten. Wer in eine Region fährt und sich darauf freut, die Spezialitäten und die Geschmacksbilder der Region in höchst verfeinerter Form zu bekommen, wird in der Spitzenköche meist nicht fündig werden. Und selbst dann, wenn Gerichte der Regionen aufgenommen werden, geschieht dies oft so „weichgespült“, dass sie meist ihre geschmackliche Authentizität völlig verlieren. Die Folgen für die kulinarische Kultur insgesamt sind gerade in Deutschland sehr groß. Die regionalen und traditionellen Rezepturen gelten oft nach wie vor als unfein oder grob und für eine Veredelung durch hervorragende Köche ungeeignet. Der Mainstream stört oder zerstört auf diese Weise also die kulinarische Authentizität.

Wenn man nach Beispielen für diese Lage sucht, wird man schnell fündig. Wie stark etwa Region und Spitzenküche zusammengehören, kann man in der „Auberge de l’Ill“ in Illhäusern im Elsaß sehen, wo die Küche der Region schon immer einen wichtigen Platz im Programm des Restaurants hatte. Wenn die Leute der Gegend feiern wollen, gehen sie oft in die Auberge und bekommen dort „ihre“ Foie gras, den Zander, die Schnecken, das Reh usw. usf. in hervorragender Qualität. In Bayern zum Beispiel wird man lange vergeblich suchen, auch nur annähernd Ähnliches zu entdecken.

 Gerade in der „besseren“ Küche haben sich stattdessen eine Art eigener Mainstream-Gerichte entwickelt, die in der überwiegenden Zahl von Sternerestaurants und Co. anzutreffen sind und sich oft von Restaurant zu Restaurant kaum unterscheiden. Hier nur ein paar kleine Beispiele. Da ist etwa die Kombination von Saibling und Co. mit Gurken in allen möglichen Formen, die sich mittlerweile in ganz Deutschland findet. Da ist die Begleitung von Lamm mit den immergleichen, irgendwie aus dem mediterranen Bereich stammenden Aromen, die für eine aromatische Welt rund um das Lamm sorgen, die scheinbar so sein muss. Bei Reh oder Hirsch verfallen selbst Drei Sterne-Köche oft in Geschmacksklischees bei der Begleitung, die kaum noch von der bürgerlichen Küche zu unterscheiden sind. Wer dann zu süßlichen Früchten auch noch Brombeeren einsetzt, gilt oft schon als kreativ. Hummer bekommt man in Deutschland fast immer mit einer unerklärlich süßlichen Begleitung und insgesamt muss man den Eindruck haben, als ob es Regeln gäbe, als ob das Alles so sein müsse und es nicht anders ginge. Die Lage ist oft so festgefahren, dass es kaum Alternativen gibt. Das gilt dann übrigens nicht nur für den Bereich der mehr oder weniger klassischen Küche, sondern auch für die Nova Regio – Küche, die schnell ihren eigenen Mainstream produziert hat und nur deshalb noch als individuell gilt, weil sie noch nicht so weit verbreitet ist.

Parallel zum Mainstream hat sich ein großer Mangel an Individualität ergeben. Obwohl zumindest in den letzten Jahren die Diversifizierung der Stile für etwas Auflockerung gesorgt hat, spielt sich die stilistische Entwicklung im Grunde in einem nach wie vor extrem engen Sektor ab. Es gibt Unmengen von denkbaren stilistischen Entwicklungen, die entweder kaum eine Rolle spielen, noch nicht sehr weit entwickelt sind oder überhaupt noch nicht angegangen worden sind. Im Grunde ist eine solche Situation in einem Wissensgebiet komplett unlogisch.

 

Das Gleiche zu machen wie andere Köche, widerspricht der kulinarischen Logik

Das, was Köche produzieren, hängt von vielen Faktoren ab – zunächst einmal in qualitativer Hinsicht. Wenn sie eine professionelle Ausbildung durchlaufen, werden ihnen nicht nur handwerkliche Techniken beigebracht, sondern gleichzeitig auch diverse Rezepturen und bestimmte Geschmacksbilder. Davon abzuweichen, kann den Erfolg der Ausbildung gefährden, sie müssen so kochen, wie das von ihren Ausbildern gewünscht ist und in das Programm des jeweiligen Restaurants passt. Bei diesem Verfahren (das weitestgehend unausweichlich ist) spielt die individuelle geschmackliche Grundlage kaum eine Rolle. Dabei kann es einen gewaltigen Unterschied machen, ob jemand aus einer Gastronomenfamilie stammt und schon als Kind in der Küche mitgeholfen hat, oder ob er frisch vom Gymnasium beschlossen hat, auch so ein toller Hipster-Starkoch zu werden wie XY. Und – auch individuell-physiologische Aspekte können eine Rolle spielen, also ob jemand eher hypersensibel oder hyposensibel schmeckt, sehr fein und differenziert schmeckt oder eben so, dass er sehr viel Würze braucht, um überhaupt etwas wahrzunehmen und gut zu finden. Kurz und gut: die Köche sind verschieden und bleiben dies auch zu einem großen Teil, selbst wenn sie die gleiche Ausbildung durchlaufen haben.

Wenn sie dann für eine Küche verantwortlich sind, würde es der kulinarischen Logik entsprechen, die eigenen Grundlagen und auch die Umgebung einzubeziehen und zu reflektieren, sich also etwa mit den Produkten zu beschäftigen, die sie sozusagen „unter Kontrolle haben“ und sich nicht wahllos aus dem Topf der internationalen Warenströme zu bedienen. Es würde zudem Sinn machen, die regionalen Traditionen zu bewahren, oder ihre Rezepte zu optimieren, zum Beispiel um eine Nähe zu den potentiellen Kunden herzustellen oder für Reisende attraktiv zu werden, weil man regional Spezifisches anbietet, das es so nur hier geben kann.

 

Die Quellen des Mainstream

Die Quellen dieses unsinnigen, den natürlichen Grundlagen oft weitgehend widersprechenden Verhaltens liegen aber nicht nur in einer Ausbildung begründet, die vorgibt, das Richtige zu vermitteln und mit diesem Denken über das Ziel der Ausbildung hinausschießt. Die Quellen des Mainstreams, liegen häufig darin, dass man eigentlich nicht für die Gäste kocht (obwohl das den Anschein hat), sondern gegen sie. Die Orientierung an dem, was ankommt, bezieht sich oft auf Gäste, die über eine geringe kulinarische Erfahrung verfügen und individuelle Angebote oft genug auch gar nicht wollen. Wer meint, für solche Redundanzesser (also Esser, die immer nur das Gleiche essen wollen) arbeiten zu müssen, dreht oft an einer Schraube des kulinarischen Niederganges. Er will nicht überzeugen, nicht mit seinen Kenntnissen das vermitteln, was den Gästen vielleicht viel mehr Vergnügen bereiten würde usw. usf. Er arbeitet letztlich für genussreduzierte Esser, für Leute, die das, was sie tun, nicht präzise einschätzen können, die nichts wissen wollen oder können und weit davon entfernt sind, grandiose Erlebnisse außerhalb ihres engen Horizonts zu erwarten.

Die nächste Quelle des Mainstreams (gerade in der avancierteren Küche) ist die ständige Orientierung an dem, was andere Köche machen. Man kopiert bis zu Selbstaufgabe, weil man meint, das sei gerade das, was man kochen müsse. Selbst wenn die Kopien gut werden (was natürlich passieren kann) sorgt der Mangel an Reflexion für eine weitestgehende Ent-Individualisierung, für eine quasi industrielles Verfahren. Viele durchgeplante Restaurantkonzepte zeigen diese Spuren ganz eindeutig. Man kopiert bis ins Detail und lebt dann davon, sich dem unwissenden Publikum in der jeweiligen Stadt als Großkreative zu verkaufen. Wer schon ein paar Jahre dabei ist, wird sich vielleicht erinnern, wie das mit der Verwendung von Stickstoff/Trockeneis war, und wie selbst dann, als die Gourmets diese „Novität“ nicht mehr sehen konnten, irgendwie „auf dem platten Land“ immer noch Köche den großen, dampfenden Zampano gaben.

Die Orientierung an Online-Bildern (und es sind fast immer nur Bilder…) hat dann sogar für einen neuerlichen Anstieg von – sagen wir: Mainstream II gesorgt, also einem Mainstream, der scheinbar eindeutig individuell ist und dies auch vorgibt, aber längst so weit verbreitet, dass der Effekt der gleiche wie immer ist. An den Mechanismen des Mainstreams scheint sich also nichts zu ändern, oder – wie man einmal böse gesagt hat: „Aldi is great. 3 Million individualists from Berlin can’t be wrong“ (oder so ähnlich).

Mainstream ist Verlust, der sich vordergründig als notwendig und manchmal sogar als Gewinn verkauft, Mainstream zerstört. Kochkunst von Rang ist individuell, und das übrigens nicht nur im hippen, kreativen Bereich, sondern zum Beispiel auch da, wo hervorragende Traditionalisten darauf beharren, nur das zu machen, was sie immer gemacht haben, wo internet-freie Köchinnen oder Köche, die sich um die Entwicklung der weltweiten Kochkunst überhaupt nicht scheren, mit ihrer ganz eigenen Sicht auf die Dinge faszinieren.

Für Journalisten sollte es eine Verpflichtung sein, solche Individualisten zu finden und zu fördern, anstatt mit unendlichen, immergleichen und nie reflektierten Worthülsen den Mainstream zu loben. Das betrifft übrigens ohne weiteres auch eine beträchtliche Anzahl von Köchen, die als Spitzenstars ihrer Branche gelten.

 

 

9 Gedanken zu „Stilkritik, Folge 4: Die Krake Mainstream“

  1. Ich beobachte seit Jahren einen gewissen Stillstand (was ich immer wieder auch so benenne), also keine wirklicher Weiterentwicklung. Sieht man sich die Menüs der absolut hochgelobten Restaurants an, ist bei dem einen oder anderen seit Jahren immer das gleiche zu finden – ein wenig abgewandelt, im Kern aber gleich. Hier sollte man denken, wenn es über Monate und Jahre hinweg auf der Karte steht, dass man eine nahezu perfekte Darbietung, was leider nicht der Fall ist. Erst die Tage habe ich ein Gespräch mit einem ehemaligen leitenden MA eines dieser Top-Restaurants geführt, in dem dann doch echt witzige Detail ausgeplaudert wurden, wie doch das Gästeklientel und auch sog. Journalisten und Kritiker – vorsichtig gesagt – veräppelt wurden. Des Weiteren findet man eben auch immer öfter – wie angesprochen – eine Art Kopie eines Gerichts, wo ich mir persönlich denke: hast du das eigentlich nötig?

    Was sind eigentlich die Gründe für diesen Stillstand? Nun, diese sind vielschichtig. Dazu gehören u.a. die Themen Produkte und Preise, Mitarbeiter und Qualität, Gäste und Erfahrung/Wissen. Was hinzukommt sind aber auch die Menschen, die sich selber als Journalisten und Kritiker bezeichnen, von ihrem Arbeitgeber (Zeitungen, Magazine usw.) als solche verkauft werden und eben auch Gäste und Fans, denen es gefällt, was sie hier und dort lesen, mit dem Inhalt aber tatsächlich nicht so viel anfangen können und eher davon ausgehen, es muss ja stimmen, was da geschrieben wird. So geschehen bei einem Post eines Restaurants, welches von dem Autor besucht wurde – im Rahmen seiner Tätigkeit für eine Zeitung und quasi als Headline des Restaurants folgendes nach aussen getragen wurde: „Großartig…..ein Ritterschlag für unser Haus & das gesamte Team…“ Ein Ritterschlag??? Naja, also, okay 😉

    Ich hatte in meiner operativen Zeit im Ausland viele Kritiker, Tester und Journalisten zu Tisch, also sollte der Hinweis darauf für die Leserschaft (man weiß ja wer da sitzt) nichts und niemanden aus der Fassung bringen. Und JA, es ist auch berechtigt und notwendig, darauf hinzuweisen, da mit dieser Information der Konzentrationspegel bei den Verantwortlichen und dem Team steigt, denn die Person ist nicht zum Vergnügen da, sondern um einen Artikel zu schreiben, den womöglich einige lesen werden. Hier wurde es aber runtergespielt und so getan, als wäre dies kein Thema und nehme auch keinen Einfluss auf die Leistung. Da muss ich allerdings widersprechen, da macht man sich und den Gästen etwas vor. Und jetzt kommen wir zum eigentlich Punkt, dass dann noch die Aussage kommt, so quasi: „Der hat aber gesagt/geschrieben, dass es ganz toll war..“ ist nur ein kleines Beispiel, wie kulinarischer Stillstand entsteht. Mich würde es nicht wundern, wenn hier erstmal keine Veränderungen mehr stattfinden würden.

    Die Berichterstattung sollte – und das sagen auch viele Köche – anders aufgestellt, sie sollte ehrlicher gemacht werden. Ich erfahre immer wieder, wie hier geschummelt wird – zuletzt in der Schweiz – oder wenn ich das Restaurant besuche, ich etwas ganz anders vorfinde, als gelesen. Auch die Aussage, dass quasi ne Handvoll Journalisten und Kritiker künstlich am Leben gehalten werden, ploppt hier und da auf.

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  2. Die Analyse ist richtig, das Problem schon seit langem bekannt. Die interessantere Frage ist eher: Was dagegen tun? Nun wird man sich seine Gäste nicht schnitzen können und an der wirtschaftlichen Abhängigkeit der Gastronomen von selbigen auch nichts ändern können. Was bleibt ist der gar nicht so geringe Einfluss der Restaurantkritik, erreicht sie doch immerhin den nicht unbeträchtlichen Teil der Statusesser. Besonders positive Restaurantbeispiele müssen noch mehr in den Vordergrund gerückt werden, wie hier und in einem Kommentar schon beschrieben. Aber das wird nicht reichen. Fehlentwicklungen müssen gerade auch bei seinen besonderen Lieblingen benannt werden. Es existiert hier immer noch eine Zweiklassengesellschaft: was in dem einen Fall als Mainstream diffamiert wird, kann im anderen schon wieder eine „entspannte Küche, die niemanden überfordert“, sein. Oder was in einem Fall als destruktiv komatös absättigendes Gericht gebrandmarkt wird, wird woanders als liebenswerter Lokalkolorit gelobt. Hier müssen die individuellen Kritiken den allgemeinen folgen.

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  3. Also ich bin berufsbedingt oft in den Bundesländern unterwegs und genieße die jeweilige traditionelle küche, man muss suchen aber es gibt sie und das ganz Ausgezeichnet.

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  4. Die von Ihnen geschilderte Misere findet ihren Ausdruck auch in den „OAD-Listen“.
    Solchen „Hitlisten“, zu denen ich auch „Pellegrino“ zähle, sind zwar grundsätzlich mit Skepsis zu betrachten, dennoch erwähnt die
    Liste „Europe casual“ unter den dort genannten 150 Restaurant mit authentischer Regionalküche kein einziges deutsches Restaurant.
    Auch gibt es für Deutschland leider keinen dem „Osterie d`Italia“ vergleichbaren Führer.

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    • Osterie d’Italia wurde tatsächlich auch als Genussführer von Slow Food Deutschland gestartet. Reste davon findet man immer noch auf der entsprechenden Homepage. Das grosse Problem auch bei diesem Führer war das Verständnis einer deutschen Regionalküche die eben bei weitem nicht so ausgeprägt ist wie in Italien. So stellte es sich schon als überaus schwer heraus, Lokale zu finden, die halbwegs den Ansprüchen an eine qualitativ hochwertige Regionalküche erfüllten. Die dann schlechten Verkaufszahlen des Buches taten am Ende ihr übriges.

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  5. ev braucht es hier eine rubrik- “ küche abseits des mainstreams“ oder so ( als journalist fällt Ihnen bestimmt was griffigeres ein, herr dollase!) – in der genau lokale und chefs vorgestellt, die sich ein induviduelles ANDERS trauen! und dazu die analyse eines tellers aus dieser küche, die dieses ANDERS zeigt.

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