Sven rockt!

In diesem Jahr gibt es das „Aqua“ von Sven Elverfeld im Wolfsburger Ritz Carlton – Hotel in der Autostadt 21 Jahre. Da ist es natürlich sehr naheliegend, dass Rock-Fan und Schlagzeuger Elverfeld zusammen mit dem auf Rock und Pop spezialisierten Privatsender Radio 21 und seinem Chef Steffen Müller ein Rock-Dinner konzipiert hat. Und weil ich selber auch über einen entsprechenden Hintergrund verfüge, hat mich das sofort interessiert. Ich habe die Auswahl und Verknüpfung der ebenfalls von Elverfeld ausgewählten Stücke sofort und mit großer Aufmerksamkeit studiert. Dazu gleich mehr. Hier erst einmal das Aqua Rock-Dinner:

Jubiläums „Rock – Menü“ 21 Jahre Aqua & Radio 21

Karamellisierte Kalamata Olive – Gänseleber „Hanuta“

Whitesnake: Here I go again – Rolling Stones: Start me up


Gebeizte Gelbflossenmakrele, Algen-Dashi und Yuzu

Limb Bizkit: My way – Creed: With arms wide open – Led Zeppelin: Stairway to heaven


Forelle mit Räucherforellen-Fumet, Senf-Brandade & warme Kräutervinaigrette

Evanescence: Bring me to live – Nirvana: Come as you are – Scorpions: When the smoke is going down – Radiohead: Creep


Eigelb in Sojasud pochiert, Champignon, Mais & schwarzer Knoblauch

Steve Miller Band: The Joker – AC/DC: T.N.T – Lenny Kravitz: Fly Away – Metallica: The memories remains


Bürgermeisterstück vom “Kobe” – Rind, schwarzer Trüffel & Rote Bete

Soundgarden: Black hole sun – Black Sabbath: Paranoid – Steve Miller Band: The Joker – Boston: More than a feeling


Champagner Cremesorbet “Edition Ruinart Rosé”

Guns & Roses: Sweet child of mine – Foo Fighters: Everlong (Acoustic version) – Bob Dylan: Knockin’ on heaven’s door


Abgeflämmte Limonencreme, Sauce Anglaise “Classic”

Rammstein: Sonne – Fool’s Garden: Lemon Tree – Marilyn Manson: Sweet dreams


Gin Tonic, Gurke und Burrata

Linkin Park: In the end – Kiss: Cold Gin – The Eagles: Hotel California

Musik im Restaurant: eine ungeklärte Geschichte
Es gab früher einmal Zeiten, da musste man in einem Gourmetrestaurant immer damit rechnen, dass irgendwann beim Essen Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ oder sonstige Barockstücke liefen. Dann gab und gibt es Zeiten, in denen man von irgendwelcher Lounge-Music eingeschläfert wird, und es gab und gibt eher an jüngeren Gästen orientierte Restaurants, in denen man nur hoffen kann, dass die aufdringliche Lautstärke irgendwann einmal reduziert wird. Als Musiker habe ich jedenfalls nur äußerst selten ein musikalisches Szenario erlebt, das mich irgendwie beeindruckt hätte. Was ich als wunderbar in Erinnerung habe, war einmal eine Musik, die nach dem Dessert bei Nadia Santini in Italien lief. Ich habe sie erst gar nicht wahrgenommen, bis mir auf einmal auffiel, dass sich gerade eine ganz spezielle Stimmung entwickelte und dass daran die Musik schuld war. Ich habe leider versäumt, nach den Details zu fragen. Es war jedenfalls wie Musik, die im Abspann emotionsreichen Hollywood-Filmen schon mal läuft – etwas elegisch, großes Orchester, lange Melodiebögen.

Im „The Jane“ in Antwerpen lässt Koch und DJ Nik Bril immer Musik laufen – mittags mit Rücksicht auf das dann oft etwas ältere Publikum nicht so kräftig und laut, abends aber schon mal in Disco-Lautstärke. Als Kobe Desramaults seinen Chefstable „Chambre séparée“ in Gent eröffnete, lieferte er gleich mit der Speisekarte ein Musikprogramm der etwas härteren, alternativen Art. Da kann man sicher sein, dass sich die gemütlich orientierten Gourmets alter Schule eher fern halten. Es gibt viele Beispiel, und sie werfen viele Fragen auf – unabhängig vom Stil.

Filme kann man synchronisieren, Essen nicht
Es ist ohne weiteres möglich, jede Art von Film über Essen oder die Arbeit in der Küche perfekt mit Musik zu unterlegen. Das könnte sogar so gut werden, dass es ein Gesamtkunstwerk gibt – „El somni“ von den Brüdern Roca lässt grüßen. Wenn man Musik zum Essen projektiert, kann man sich – wie Sven Elverfeld oben – auf die einzelnen Gänge und eine gewisse inhaltliche Linie beziehen, nicht aber auf das tatsächliche Essen. Den Rhythmus des Essens bestimmt der Gast, da gibt es kaum irgendwelche Möglichkeiten zur Synchronisation. Und wenn man sich solche Möglichkeiten vorstellt, dann wäre es eher eine Art dirigiertes Essen: „Nehmen Sie die Kugel in die rechte Hand. Wenn ich Ihnen ein Zeichen gebe, stecken Sie sie in den Mund, zerkauen sie aber noch nicht. Wenn ich Ihnen dann ein zweites Zeichen gebe, beißen Sie bitte zu.“ So etwas könnte man auch mit Musik synchronisieren.

Oder: ich habe schon vor etlichen Jahren einmal ein Szenario entworfen, dass dazu dienen soll, den assoziativen Kontext beim Essen grenzwertig auszureizen. Serviert wurde in dem Beispiel ein Lammgericht zu Rundum-Projektionen von grasenden Lämmern in einer mit Blumen übersäten Bergwiese. Dazu eine angenehme, langsame, eher klassische Musik, die geradezu klischeehaft zu solchen Bildern passt. Wenn alle Gäste mitten in der Degustation sind, sollte es einen Umschnitt geben, und zwar auf Schlachthaus-Bilder, die mit einer sehr aggressiven Musik plus O-Ton Schlachthof) gekoppelt werden, und das auch noch in einiger Lautstärke. Solche Gedanken habe ich mir Jahre vor der Arbeit von Paul Pairet („Ultraviolet“) in Shanghai gemacht, der multimediale Koppelungen perfekt inszeniert, dabei aber natürlich nicht in dieses aggressive Fach geht.

Stimmungsmusik? Ja, schon.
Wenn es im Münchner Hofbräuhaus besonders gemütlich werden soll, spielt die Musik. Auch dort wird der assoziative Kontext aufgeladen, allerdings in einer sehr oberflächlichen Art, die viel mit dem zu tun hat, wie in der volkstümlichen Musik alles Mögliche zu verkitschten Oberflächenemotionen verzwirbelt wird. Wenn die richtigen Leute mit der richtigen Musik zusammenkommen, mag das gut funktionieren. Beim Essen von Sven Elverfeld muss man Rockfreunde als Gäste annehmen, die geneigt sind, sich einer vielleicht auch etwas lauteren Musik emotional zu überlassen und sich nicht während der Musik zu unterhalten. Wer so etwas praktizieren kann und will, kann durchaus über Zusammenhänge von Essen und Musik nachdenken, er kann vielleicht sogar überraschende Erkenntnisse gewinnen und vielleicht erstmals überhaupt darüber nachdenken, ob und was sich da über eine allgemeine Stimmung hinaus vielleicht tut. Mir fällt dazu auch Stevie Wonders „Secret live of plants“ ein, ein sehr interessantes Album, auf dem der Zusammenhang mit Pflanzen und Musik so musikalisch bildhaft erscheint, dass man sich ein passendes Essen dazu ausgesprochen klar vorstellen kann. Diese Art von „Programmmusik“ (der wissenschaftliche Ausdruck dazu) gibt es in der Klassik immer wieder.

Elverfeld schafft Stimmungen und verknüpft sie mit seinem kulinarischen Schaffen. Das ist interessant, weil es sich dabei auch um ein ästhetisches Phänomen handelt (der Begriff „ästhetisch“ ist hier wissenschaftlich benutzt…). Verknüpfen die Gäste normalerweise Rockmusik mit Drei Sterne-Küche? Wohl eher selten. Und das ist dann natürlich ganz besonders interessant.

Soweit nur ein paar kleine Anmerkungen zu dieser interessanten Anregung.

Details über Termine etc. www.restaurant-aqua.com

Foto © Matthias Neitzke/Radio 21

3 Gedanken zu „Sven rockt!“

  1. Oh je, zehn Aromen pro Teller, optisch mit Blütenfarben aufgepeppt, und jetzt auch noch akustische „Dishes“, wollen uns die Köche in den Kollaps der Sinne befördern? Das führt doch zu einer exzessiven Reizüberflutung und damit zu Streß. Wichtig der Hinweis von Herrn Dollase auf den Rhythmus in der Musik, der sich unmittelbar auf den Gast überträgt und sein Verhalten verändert. Ich glaube, dass ernsthafte Esser sensible Menschen sind und sich auf das, was auf dem Teller ist, konzentrieren wollen. Mir geht es jedenfalls so, dass mich akustischer Input, und sei es nur der Dröhner am Nebentisch, schon völlig aus dem Konzept bringen kann. Als musikaffiner Mensch kann ich Musik nicht überhören, es gibt für mich keine Hintergrundmusik, sondern ich konzentriere mich auch auf sie, und das geht meist schief. Sehr interessant Herrn Dollases Hinweis auf die erlebte „subliminale“ Musik, dass ist ein viel spannenderes Thema, weil hiermit wirklich unbemerkt Stimmungen beeinflusst werden können.

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    • Voll und Ganz Ihrer Meinung.
      Besuch vor einigen Wochen im 100/200 in HH. Die Qualität und den Ablauf des Abends möchte ich außen vorlassen (Anm.: Chef selbst war an diesem Abend nicht zugegen). Konzept wie im frantzen, natürlich in überaus abgespeckter Version. Trotzdem sehe ich in der Auseinandersetzung mit „Eventküche“ (Ich nenne sie hier mal ohne Einordnung absichtlich so) auch eher negativ (trotz der natürlich auslotbaren Möglichkeiten. Im Hinblick aber auf die Musik zurück zum Thema: Am besagten Abend lief ein wilder Mix aus Indie-Rock/ und elektronischer Musik, und zwar in Club-Lautstärke. Das hat den -leider ohnehin an diesem Tage eingeschränkten – Genuss noch um ein vielfaches geschmälert. Eben aus dem von Ihnen genannten Grund, das Ablenken von dem was auf dem Teller ist. (Und nein, ich bin absolut kein Freund von Totenstille im Restaurant. Jedoch von Augenmaß und (passendem) Geschmack. )

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  2. Lieber Herr Dollase,
    dieser Artikel zeigt mal wieder, welche Dimensionen des Essens noch nicht ausreichend erforscht sind bzw. wo es noch Potential gibt.
    Neben Musik hatten Sie auch die Einrichtung des Lokals thematisiert.
    Es gibt ja noch weitere Aspekte, die das Essen (als Erlebnis) beeinflussen können, wie zB Essen im Stehen oder Sitzen.
    Es gibt hier noch viel zu untersuchen und auch Chancen für die Gastronomie, etwas Besonderes zu schaffen.
    VG
    AS

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