„Verachtet“ die Politik die Spitzenküche? Anmerkungen zu einem Interview von Christian Bau

Drei Sterne-Koch Christian Bau hat anlässlich der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an ihn der Süddeutschen Zeitung ein Interview gegeben, in dem einige offene und sehr kritische Aussagen zur Position der Spitzenküche im öffentlichen Bewusstsein gemacht werden – speziell zum Verhältnis der Politiker zur Spitzenküche. Zitat: „Die Politik verachtet uns. Wir sind für diese Leute die ‚Gourmettempel’, die Dekadenten mit dem Hummer, dem Kaviar, den Trüffeln. Das meiden Politiker wie der Teufel das Weihwasser.“ Ich finde das Interview auch in dieser emotionalen Form gut, möchte aber ein paar Anmerkungen zum weiteren Verständnis und zu weiteren Zusammenhängen machen.

Wie viele Politiker sind Gourmets? Anmerkungen zu einem möglichen Lesefehler
Auch ich kann trotz langjähriger Erfahrung natürlich nur Vermutungen darüber anstellen, wie viele Politiker gerne in Gourmetrestaurants auftauchen. Ich schätze den Anteil derer, die wenigstens ab und zu in Drei-Sterne-Restaurants auftauchen, tatsächlich nur auf etwa zehn Prozent. In vielen Jahren kann ich mich nur an wenige Begegnungen erinnern und habe trotz regelmäßiger Nachfragen bei den Köchen auch kaum Aussagen bekommen, die einen höheren Anteil vermuten lassen. Es gibt da allerdings eine mögliche Fehlinterpretation. Der Anteil an Politikern, die durchaus in etwas bessere Restaurants gehen, dürfte sehr viel höher ausfallen, also etwa bei 80–90% liegen. Unter „besser“ verstehe ich den Bereich rund um einen Michelinstern oder ein paar Gault-Millau-Punkte, sagen wir 12–15. Als vergleichsweise gut verdienende Klasse gehen viele von ihnen selbstverständlich auch in gute Restaurants, halten sich dabei aber meist an diejenigen Häuser, in denen es „normales“ Essen gibt. Die Liste der von Politikern bevorzugten Restaurants in Berlin liegt ganz auf dieser Linie. Warum es eine große Kluft zu den Gourmetrestaurants der Oberklasse gibt, hat eine ganze Reihe von Gründen, die sich nicht unbedingt darauf reduzieren lassen, sie würden die Spitzenküche „verachten“. Dazu gehört die Tatsache, dass bei Politikern Arbeitsessen überwiegen, also keine genießerisch-privaten Essen, sondern vor allem solche, die in irgendeiner Weise einen Zweck erfüllen.
Vor allem aber stammen viele Politiker aus einem bürgerlichen Milieu, das in Sachen Kultur oft auch eher kleinbürgerlich genannt werden kann. Die Vorstellung davon, was Kultur und kulturell wertvoll ist, beschränkt sich in diesem Milieu häufig auf ein paar klassische Werte (wie etwa mehr oder weniger klassische Musik und bildende Kunst bis hin zur klassischen Moderne) und sonst nichts. Ein ausgeweitetes Verständnis von Kultur, in dem auch die Kochkunst ihren selbstverständlichen Platz hat, ist in diesem Milieu nicht zu erwarten. Vom Stand der Kochkunst hat ein solches Milieu oft überhaupt keine Ahnung.

Wie man als Politiker Defizite in eine verwertbare Meinung umwandelt
Das Verhalten vieler Politiker rund um die Spitzen der Kochkunst gehört zu den frühen Beispielen für Populismus. Man hat erkannt, dass sich die kleinbürgerliche Haltung gegenüber der „Luxusküche“ nicht nur mit den eigenen Präferenzen deckt, sondern sich auch als Teil der Politik bestens einsetzen läßt. Die SPD-Formel „Wir sind Curry-Wurst“ hat eben leider einen sehr wahren Kern: Zu einem weiter gehenden Verständnis ist man einfach nicht in der Lage, weil man ein schwach entwickeltes, durch mangelnde Informationen genährtes Verständnis von Kultur hat. Mit dem sich so ergebenden Stammtisch-Niveau kann man aber eben mit genau diesen Stammtischen sein politisches Geschäft machen und sich dabei sogar noch auf Teile derjenigen Zeitgenossen stützen, die sich zwar für kulturell äußerst interessiert halten, aber bei der Kochkunst den Anschluss verloren haben. Diese Allianz von in der Bildung begrenztem Bürgertum und Intellektuellen, die in Sachen Kochkunst nichts lernen wollen, weil sie ahnen, wie weit sie zurückgeblieben sind, schafft ein Klima wie das, das Christian Bau in seinem Interview beklagt.

Fallbeispiel 1: Jacques Chirac und Bill Clinton
Ich möchte zwei Beispiele nennen. Als einmal der amerikanische Präsident Bill Clinton nach Paris zu einem Staatbesuch kam, veröffentlichten die Medien ein markantes Bild von den beiden allein an einem Tisch in einem ansonsten offensichtlich leeren Restaurant. Man muß sich das wirklich einmal auf der Zunge zergehen lassen: Da sitzen der französische Staatspräsident und ansonsten Freund eher traditionell-rustikaler französischer Spezialitäten und sein amerikanischer Kollege, ansonsten eher Freund von Hamburgern, im „L’Ambroisie“ am Place Vosges in Paris. Man hat das damals teuerste Restaurant des Landes ausgeräumt, um dem Staatsgast das Allerbeste zu bieten, was das Land präsentieren kann. Die superbe klassische Küche von Bernard Pacaud mit ihrem regelmäßigen Einsatz von Foie gras, Trüffeln und Kaviar war gerade gut genug. Das Signal war klar und unmissverständlich und sehr französisch. Eine Vielzahl von Franzosen hätte sicher ohne eine Sekunde Bedenkzeit mit Clinton getauscht. So oder ähnlich stellt man sich einfach den maximalen Super-Genuss vor.

Fallbeispiel 2: Der Bundespräsident tischt auf
Ich war einmal zu einem Essen beim Bundespräsidenten (Köhler) eingeladen, das dieser zu Ehren von Kofi Annan in Schloss Bellevue gegeben hat. Ich war nicht eingeladen, weil ich etwa zu den Spitzen der Gesellschaft gehöre, die regelmäßig bei solchen Essen das Publikum bildet, sondern weil ich über das Essen schreiben sollte. Es war ein Trauerspiel – nicht nur im Vergleich zum Essen von Chirac und Clinton. Das Essen bewegte sich auf einem Niveau, das im Michelin üblicherweise nicht zu einer Erwähnung führt und sich heute am ehesten in großen Hotels findet. Es gab z.B. „Gebeizten Bachsaibling auf Pumpernickel mit Wildkräutern, Schlangengurkensalat und Wachtelei“, ein Gang mit starken sensorischen Schwächen und keinerlei beeindruckenden Elementen. Danach einen „Brunnenkresseschaum mit Tomatenrosinen“, der den Tisch nicht in einem schaumigen Zustand erreichte. Als Hauptgericht „Gebackenes und Rücken vom Müritzlamm mit Spitzmorchelsud, geröstetem Beelitzer Spargel und Kartoffelkuchen“, ein Gericht, das wiederum ohne jede beeindruckende Finesse auskam. Zu allem Überfluss wurde das Hauptgericht auch noch auf großen Platten serviert. Die Weine dazu stammten von deutschen Weingütern und wurden nach dem Prinzip eingesetzt, dass man mit dem zufrieden sein muss, was man im Keller hat. Insgesamt musste zwangsläufig der Eindruck entstehen, als ob hier Caterer-Mentalität in einer eher normalen Ausprägung am Werk ist. Joschka Fischer, mit dem ich mich rund um das Essen unterhalten konnte, hatte mir schon vorher gesagt, dass ich hier keine besonderen Dinge erwarten dürfe und gleich noch ein paar schöne Anekdoten von weitaus besseren Staatsessen in anderen Ländern erzählt.

Nach diesem Erlebnis habe ich in der FAZ eine große Geschichte geschrieben, die allgemein Befremden bis Entsetzen auslöste. Ich hatte in diesem Zusammenhang auch eine Reihe unserer besten Köche gefragt, ob sie bereit wären, bei solchen Staatsessen zu kochen. Sie war dazu bereit. Ohne Ausnahme.

Es gibt immer wieder Interviews oder Texte, die das Thema von der Missachtung kulinarischer Qualitäten und ihrer Protagonisten durch die Politik aufnehmen. Mein Besuch fand im Jahre 2008 statt. Geändert hat sich nichts.
Auch die Köche haben es bisher nicht geschafft, eine Organisationsform zu finden, die sich in die öffentlichen Diskussion mit Gewicht und guten Vorschlägen einmischen könnte.

9 Gedanken zu „„Verachtet“ die Politik die Spitzenküche? Anmerkungen zu einem Interview von Christian Bau“

  1. Lieber Herr Clasen,

    da haben Sie mich falsch verstanden. Wir würden gerne haben, daß die Diskussionen hier auf der Seite stattfinden. De facto bedienen sich aber viele Leser der Facebook-Accounts. Ich werden natürlich auf beiden Seiten antworten.

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  2. Lieber Herr Bergmann,

    eine kleine Anmerkung zu Ihren Ausführungen über „die typisch deutsche Zurückhaltung“ und die preußische Tradition vom ersten Diener des Staates. Dazu fällt mir im Moment nur der Bundesrechnungshof ein, der doch erst vor ein paar Tagen beklagt hat, daß das Selbstverständnis unserer ehemaligen Präsidenten mindestens das von Sonnenkönigen ist. Nach nur wenigen Jahren als Präsident bekommen sie Unmengen von Geld und das bis an ihr Lebensende. Sie betreiben teilweise riesige Büros und einen bizarren Aufwand. Dafür ist also Geld da. An den hervorragenden kulturellen Leistungen unserer besten Köche und Erzeuger kann man ja dann sparen und so tun, als kasteie man sich mit zerknittertem Gesicht für das Wohl des Landes….

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    • Lieber Herr Dollase, dass die Prioritätensetzungen nicht immer stimmig sind, insbesondere was die Personalausstattung im Öffentlichen Dienst auf höchster Eben angeht, da haben Sie zweifelsohne Recht. Ich fürchte nur, dass die Verbindung zwischen der kritisierten Personalausstattung und der Unterausstattung repräsentativer Ressourcen kaum gesehen wird. Dass in der Bundesrepublik Protokoll und Repräsentation als eine Kategorie Politischer Kommunikation unterschätzt und oft nicht verstanden werden, ist leider wahr. Da gäbe es aber viele andere Baustellen, bevor man sich der präsidialen Küche widmen müsste. Viele Grüße, Knut Bergmann

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  3. Lieber Herr Dollase,
    immerhin wurde jetzt mit Christian Bau einmal ein Koch mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet – noch dazu in der besonders herausgehobenen Ordensaktion zum Tag der Deutschen Einheit. Die Einschätzungen von ihm in dem Interview sind plausibel, für Politiker ist das Image, ein Feinschmecker zu sein und über gustatorische Expertise zu verfügen, der Karriere eher abträglich, weil als Luxus verschrien. Als Beispiele seien genannt dies Skandalisierung des 5-Euro-Weins von Peer Steinbrück oder die hummeressende Sahra Wagenknecht.
    Der bundesdeutschen Staatsküche tun Sie in meinen Augen unrecht. Ich finde das Essen in Schloss Bellevue übrigens auch deutlich besser als das in Hotels. Nun kann man über Einzelheiten diskutieren, aber das von Ihnen in dem damaligen FAZ-Artikel geforderte „Niveau eines ganz normalen Sternerestaurants“ widerspräche der typisch deutschen Bescheidenheit in Sachen Staatsrepräsentation. Der Vergleich mit Frankreich verkennt die typisch bundesdeutsche Zurückhaltung, bei der neben den deutschen Brüchen und Abgründen unterschiedliche Kontinuitäten zu beachten sind. In unserem Nachbarland ist der Präsident eine Art Nachfolger des Sonnenkönigs Ludwig XIV., in Deutschland steht er in der preußischen Traditionslinie als des Staates erster Diener. Der von Ihnen zitierte Joschka Fischer hat übrigens selbst – im Sinne von Herrn Bau – eine Begründung für die Zurückhaltung geliefert, als er in einem Interview mit Blick auf die französische Staatsküche sagte: „Wenn in Deutschland jemand solche Küchenbrigaden beschäftigen würde, wäre es ein Skandal. Die Bild-Zeitung würde auf der Zinne tanzen.“
    Ebenfalls teile ich nicht Ihre Ansicht, dass die Weine „nach dem Prinzip eingesetzt (wurden), dass man mit dem zufrieden sein muss, was man im Keller hat.“ Selbst anspruchsvolle Weintrinker wären mutmaßlich damit zufrieden, wenn sie diese Gewächse im Keller hätten – es waren damals Wegeler »Geheimrat J« Riesling-Sekt 2001, Graacher Domprobst Riesling Spätlese trocken 2004 vom Weingut Markus Molitor, Oppenheimer Kreuz Spätburgunder Spätlese trocken 2003 Weingut Kühling-Gillot und Ihringer Winklerberg Gewürztraminer Auslese 2003 vom Weingut Dr. Heger. Sicherlich geht es immer opulenter, hochklassiger und teuer, aber es gilt – wie für die gesamte Staatsrepräsentation – auch beim Wein das vom ersten Bundespräsidenten Theodor Heuss formulierte „Pathos der Nüchternheit“. Wenn Sie jetzt noch etwas Eigenwerbung erlauben, empfehle ich das vor drei Wochen erschienene Buch „Mit Wein Staat machen. Eine Geschichte der Bundesrepublik Deutschland“, in der ich einen kulturhistorischen Blick hinter die Kulissen des Staatstheaters und in die Gläser und auf die Teller der Staatsbankette werfe, zur Vertiefung des Themas: https://www.suhrkamp.de/buecher/mit_wein_staat_machen-knut_bergmann_17771.html
    Herzliche Grüße, Knut Bergmann

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    • Hundertachtundvierzigtausendsiebenhundertdreizehn Menschen haben Ihren Kommentar gelesen und sich für Sie und Ihre Tumbheit geschämt. Bitte genießen Sie weiterhin politischen Welpenschutz und Ihren wohlverdienten Lebensabend. Sie sind doch ein verbitterter Kleinrentner, oder?

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    • Lieber Herr Dollase,

      damit schließen Sie all diejenigen von der Diskussion aus, die sich aus verschiedenen (naheliegenden) Gründen entschieden haben, kein Facebook Account einzurichten.

      Schade.

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  4. …Es gab da doch auch mal so ein offizielles Essen mit Merkel und Obama, wo Tim Raue kochte und u.a. seine Königsberger Klopse kochte. Ich erinnere mich noch daran wegen der Weinauswahl, die damals auch durch die Medien ging und promoted wurde:Dreissigacker und Markus Schneider. Und von Weinseite würd ich da auf jeden Fall sagen, dass es da eher um glatte,gefällige, zwar gute aber eben bewusst internationale und nicht kantige,progressive Weine ging welche die öhe der Winzerkunst hierzulande repräsentiern…

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